Kapitel 15

Rupert holte einen Strick, mit dem er Jody vorsorglich die Hände auf den Rücken band, ehe er und der Oberst ihn aufstehen ließen, und der Oberst hielt das lose Ende des Stricks so, daß Jody praktisch angeleint war. Sowie er stand, trat Jody nach dem Oberst, und Rupert riet ihm, damit aufzuhören, wenn er nicht auch noch die Füße gefesselt haben wollte.

Rupert und mein Helfer in der blauen Uniform fesselten sodann den Muskelmann, der seine Füße schonen mußte und dessen Kraftausdrücke selbst die Richterin erstaunten, die allerhand gewohnt war.

Der Grund für die allgegenwärtige Sonnenbrille des Muskelmanns war jetzt, wo man sein Gesicht sehen konnte, offensichtlich. Er blickte finster wie ein Stier, kochte vor ohnmächtiger Wut, hüpfte auf einem Bein und zerrte an dem Strick, der von seinen Handgelenken zu meinem Helfer in Blau führte. Seine Augenlider, besonders die unteren, waren stark verformt und sahen selbst in der Hofbeleuchtung rosarot entzündet aus. Er konnte einem leid tun mit dieser Krankheit; sie mußte gräßlich sein.

«Ich kenne Sie«, sagte Rupert plötzlich, indem er ihn genau ansah.»Was ist mit Ihren Augen?«

«Kümmer dich um deinen Scheiß.«

«Macrahinish. Der sind Sie — Macrahinish.«

Der Muskelmann schwieg. Rupert wandte sich mir zu.»Kennen Sie ihn nicht? War vielleicht vor Ihrer Zeit. Er ist Tierarzt. Von der Ärzteliste gestrichen. Berufsverbot und Rennbahnverbot. Und einen Rennstall betreten darf er schon gar nicht.«

Muskelmann Macrahinish machte eine wenig schmeichelhafte Bemerkung über Pferderennen im allgemeinen und Rupert im besonderen.

Rupert sagte:»Er ist wegen Doping und Betrug verurteilt worden und hat dafür gesessen. Chef und Drogenlieferant eines großen Doping-Rings. Er sieht älter aus und hat was an den Augen, aber das ist er. Macrahinish.«

Ich wandte mich von der Gruppe ab und ging zu der hell erleuchteten Box hinüber. Stieß die Tür auf. Schaute hinein.

Mein schönes schwarzes Pferd lag auf der Seite, die Beine von sich gestreckt, den Kopf schlaff im Stroh. Das feuchte Auge, stumpf und trüb, spottete des noch vorhandenen Glanzes des Haarkleids, und Halme unzerkauten Heus hingen ihm aus dem Maul. Kein Blut, keine sichtbare Verletzung. Ich ging zu ihm, hockte mich hin und streichelte es traurig, voll Zorn und Bedauern.

Jody und Macrahinish waren wider Willen hinter mir her geschubst worden. Als ich aufblickte, standen sie in der Box, und Rupert, der Oberst, seine Frau und der Mann in Blau blockierten vereint die Tür hinter ihnen.

«Wie haben Sie ihn umgebracht?«fragte ich, die Bitterkeit in meiner Stimme unüberhörbar.

Macrahinishs Antwort blieb die geforderte Auskunft schuldig.

Ich richtete mich auf, und dabei fiel mein Blick auf einen neben dem Schweif des Pferdes halb im Stroh verborgenen flachen braunen Aktenkoffer. Ich bückte mich und hob ihn auf. Bei seinem Anblick stöhnte Macrahinish auf und wand sich, und als ich ihn auf die Krippe stellte und die Schlösser aufschnappen ließ, verfiel er in wüstes Schimpfen.

Der Koffer enthielt, übersichtlich geordnet, alles, was der Tierarzt braucht. Ich berührte nur ein einziges Utensil, das ich vorsichtig herausnahm.

Es war ein Plastikbeutel mit einer klaren Flüssigkeit. Ein Beutel mit der nicht minder klaren Aufschrift» Physiologische Kochsalzlösung«. Ich hielt ihn Jody hin und sagte:»Ihr habt mir Alkohol in die Venen getropft.«

«Du warst doch bewußtlos«, sagte er ungläubig.

«Halt's Maul, du blöder Hund«, schrie ihn Macrahinish an.

Ich lächelte.»Nicht die ganze Zeit. Ich erinnere mich an fast alles, was in der Nacht passiert ist.«

«Er hat gesagt, er wüßte nichts mehr«, verteidigte sich Jody und wurde dafür mit einem Blick aus den verquollenen Augen belohnt, gegen den Medusa keine Chance gehabt hätte.

«Ich wollte sehen, ob du Energise noch hattest«, sagte ich.»Und du hattest ihn noch.«

«Du kannst doch ein Pferd nicht vom anderen unterscheiden«, höhnte er.»Du bist nichts als ein blinder, habgieriger Trottel.«

«Danke gleichfalls«, sagte ich.»Das Pferd, das ihr umgebracht habt, ist nicht Energise.«

«Doch!«

«Halt's Maul!«schrie Macrahinish erbost.»Halt dein gottverdammtes blödes Maul.«

«Nein«, sagte ich zu Jody.»Ihr habt ein amerikanisches Pferd namens Black Fire getötet.«

Jody sah verwirrt auf den stummen Pferdeleib nieder.

«Natürlich ist das Energise«, beharrte er.»Den kenne ich doch unter tausend.«

«Herrgott«, brüllte Macrahinish.»Dir schneid ich gleich die Zunge raus!«

«Sind Sie sicher, daß es nicht Energise ist?«fragte Rupert mich unschlüssig.

«Ganz sicher.«

«Er will mir nur eins auswischen«, fuhr Jody auf.»Ich weiß, daß es Energise ist. Man sieht doch die kleine kahle Stelle an der Schulter. Das ist Energise.«

Macrahinish, der Worte nicht mehr mächtig, versuchte trotz Handfesseln und Knacks im Knöchel auf ihn loszugehen. Jody, ganz auf das Pferd konzentriert, warf ihm einen abwesenden Blick zu.

«Sie wollen sagen«, meinte Rupert,»daß Sie hierhergekommen sind, um Energise zu töten, und daß Sie es getan haben?«

«Ja«, antwortete Jody triumphierend.

Das Wort hing zitternd in der Luft. Niemand sagte etwas. Jody blickte zunächst zornig, trotzig, stolz in die Runde, dann beschlichen ihn Zweifel, dann begriff er, was Macrahinish ihm die ganze Zeit klarmachen wollte: daß er sich niemals dazu hätte verleiten lassen dürfen, etwas zuzugeben. Sein Feuer erlosch vor unseren Augen zu kalter grauer Asche.

«Ich habe ihn nicht getötet«, sagte er mürrisch.» Macrahinish war's. Ich hatte es auch gar nicht vor, aber Macrahinish hat darauf bestanden.«

Ein Streifenwagen kam mit zwei beharrlichen jungen Polizeibeamten, die es nicht weiter zu wundern schien, daß man sie wegen eines Pferdemords gerufen hatte.

Sie schrieben in ihre Notizbücher, daß fünf Zeugen, darunter eine Richterin, gehört hatten, wie Jody Leeds zugab, er sei gemeinsam mit einem unter Berufsverbot gestellten Tierarzt in der Absicht, ein Pferd zu töten, nach Mitternacht in einen Rennstall eingedrungen. Sie notierten, daß ein Pferd tot war. Todesursache unbekannt, zu klären durch Autopsie.

Gleich nach ihnen traf Ruperts Hausarzt, ein väterlicher älterer Herr, ein. Gähnend, aber ohne Murren begleitete er mich zu dem verletzten Wachmann, der zu meiner großen Erleichterung wach und kräftig stöhnend auf dem Boden saß und sich den Kopf hielt. Wir brachten ihn in Ruperts Büro, der Arzt versorgte die getrocknete Platzwunde an seiner Stirn mit einem Pflaster, gab ihm ein paar Tabletten und riet ihm, sich ein paar Tage frei zu nehmen. Mit einem matten Lächeln meinte er, da habe sein Chef ein Wörtchen mitzureden.

Einer der jungen Polizeibeamten fragte ihn, ob er gesehen habe, wer ihn geschlagen hatte.

«Ein kräftiger Mann mit Sonnenbrille. Mit einem dicken Knüppel hat er sich von hinten an mich rangepirscht. Ich hörte was, drehte mich um, leuchtete ihn mit der Taschenlampe an, und wamm. Ein Schlag aufs Vorderhaupt, weg war ich. Als ich wieder zu mir kam, lag ich mit der Nase auf dem Boden.«

Beruhigt, daß er wieder bei Besinnung war, schaute ich nach, was sich draußen tat.

Die Richterin und der Oberst waren offenbar gegangen, und Rupert unterhielt sich auf dem Hof mit einem Stallangestellten, den der Lärm aufgeweckt hatte.

Macrahinish hüpfte auf einem Bein umher, beschuldigte mich, ihm das andere gebrochen zu haben, und schwor, er werde mich wegen ungebührlicher Gewaltanwendung zum Schutze meines Eigentums verklagen. Der alte Arzt sah sich das fragliche Gelenk gelassen an und meinte, seines Erachtens sei es verstaucht.

Die Polizisten hatten Macrahinish unsanft die Hände losgebunden und vertrauten offensichtlich auf die fluchthemmende Wirkung des lädierten Knöchels. Als sie hörten, daß er nur verstaucht war, zückten sie Handschellen und forderten Macrahinish auf, die Arme vorzustrecken. Er dachte gar nicht daran, und da sie seine Gewalttätigkeit und seine Kräfte genauso unterschätzt hatten wie ich, mußten sie ein paar Minuten rackern, ehe sie ihn in den Griff bekamen.

«Widerstand gegen die Staatsgewalt«, notierten sie keuchend in ihre Notizbücher.»Tätlicher Angriff auf Polizeibeamte bei der Ausübung ihrer Pflicht.«

Macrahinishs Sonnenbrille lag im Haupthof auf dem Kies, wo er sie bei unserem Gerangel verloren hatte. Ich sah sie im Licht blinken, hob sie auf, ging ohne Eile zu ihm und legte sie in seine gefesselten Hände. Er starrte mich durch die entzündeten Augenlider an. Wortlos setzte er die dunkle Brille auf, und seine Finger zitterten.

«Ektropien«, sagte der Arzt, als ich davonging.

«Was?«

«Die nach außen gestülpten Lider. Ektropien. Armer Kerl.«

Bei Jody paßten die Polizisten auf. Bald saß er neben Macrahinish im Fond des Streifenwagens, die Hände in Eisen und Polareis im Gesicht. Als die Beamten, abfahrbereit, die Türen schließen wollten, beugte er sich vor und sagte mit verkniffenen Lippen zu mir:»Du Scheißkerl

Rupert lud meine Wachleute und mich auf einen Kaffee in sein warmes Büro ein, und ich machte sie mit ihm bekannt.

«Mein Freund hier im grauen Flanell«, sagte ich,»ist Charlie Canterfield. Das Kraftpaket in Blau ist Bert Huggerneck. Mein verletzter Freund mit dem getrockneten Blut im Gesicht ist Owen Idris.«

Rupert gab allen die Hand, und sie lächelten vergnügt. Er merkte sofort, daß es mit ihrer Fröhlichkeit eine besondere Bewandtnis hatte, und sah mich fragend an.»Was ist denn das für ein Sicherheitsdienst?«

«Charlie ist Bankier, Bert ist Buchmachergehilfe, und Owen hilft mir in der Werkstatt.«

Charlie lachte leise und sagte in klangvollstem Eton-Englisch:»Wir führen auch Verkehrszählungen durch, falls Sie mal so etwas brauchen.«

Rupert schüttelte verwirrt den Kopf und holte Cognac und Gläser aus dem Schrank.

«Wenn ich Fragen stelle«, sagte er, großzügig einschenkend,»geben Sie mir dann Antwort?«

«Wenn wir können«, sagte ich.

«Das tote Pferd im Stall. Ist das Energise?«

«Nein. Es ist, wie ich sagte, ein von mir in den Staaten gekauftes Pferd namens Black Fire.«

«Aber der kahle Fleck… Jody war sich so sicher.«

«Den kahlen Fleck habe ich mit einer Rasierklinge verfertigt. Davon abgesehen sahen die Pferde sich unerhört ähnlich. Zumal nachts, weil sie schwarz sind. Aber Black Fire läßt sich eindeutig identifizieren. Er hat eine amerikanische Tätowierungsnummer innen an der Lippe.«

«Warum haben Sie ihn hierhergebracht?«

«Ich wollte den echten Energise nicht in Gefahr bringen. Bis ich Black Fire in den Staaten sah, wußte ich nicht genau, wie ich Jody eine Grube graben könnte, ohne selbst hineinzufallen. Danach war es einfacher.«

«Aber ich hatte heute Abend nicht den Eindruck«, meinte Rupert nachdenklich,»daß Sie dachten, die würden das Pferd töten.«

«Nein… ich wußte ja nichts von Macrahinish. Daß er Tierarzt war, meine ich, und daß er sich über Jody hinwegsetzen könnte. Ich nahm an, daß Jody versuchen würde, das Pferd zu stehlen, und wollte ihn auf frischer Tat ertappen. Ihn bei einer Straftat überraschen, aus der er sich nicht rausreden konnte. Ich wollte den Rennsportbehörden, nicht unbedingt der Polizei, die Augen dafür öffnen, daß Jody nicht das arme, getretene Unschuldslamm ist, für das sie ihn halten.«

Rupert dachte darüber nach.»Wieso nahmen Sie an, daß er das Pferd nicht töten würde?«

«Für ganz ausgeschlossen hielt ich das nicht, aber doch für eher unwahrscheinlich, weil Energise so ein gutes Pferd ist. Ich dachte, Jody würde ihn lieber irgendwo verstecken, um später mal Geld mit ihm zu verdienen, sei es auch, indem er ihn als Jagdpferd verhökert. In Energise steckt Geld, und Jody hat sich noch nie einen Gewinn entgehen lassen.«

«Aber Macrahinish wollte, daß er stirbt«, sagte Rupert.

Ich seufzte.»Wahrscheinlich hielt er es für sicherer.«

Rupert lächelte.»Die saßen schwer in der Klemme. Woher sollten sie wissen, ob Sie sich damit zufriedengeben würden, daß Sie Ihr Pferd wiederhatten? Ob Sie sie nicht wegen des Diebstahls noch beim Wickel kriegen würden? Wenn das Pferd aber erst mal weg war, konnten Sie vor Gericht nicht mehr viel machen.«

«Eben«, stimmte Charlie zu.»Genau das war Stevens Überlegung.«

«Außerdem«, sagte ich,»hätte Jody es nicht ertragen, daß ich ihn besiegt habe. Nicht nur aus Gründen der Sicherheit und des Profits, sondern auch schlicht aus Rache mußte er sich Energise wiederholen.«

«Wissen Sie, was?«sagte Charlie.»Ich vermute stark, daß er in Stratford sein ganzes Bankguthaben auf Padellic gesetzt hat in der Annahme, es sei Energise, und als Padellic dann Sechster wurde, hat er alles verloren. Und das allein ist schon ein nicht geringes Motiv, Rache zu nehmen.«

«Mann«, sagte Bert genüßlich.»Ich wüßte gern, wieviel Ganser Mays durch den Schornstein gejagt hat. Wirklich zum Totlachen, was? Die dachten alle, sie setzen auf den sicheren Sieger, und wir hatten den sicheren Sieger wieder durch den echten Padellic ersetzt.«

«Den echten«, murmelte ich,»von Rupert in Bestform gebrachten Padellic.«

Rupert sah uns der Reihe nach an und schüttelte den Kopf.»Was seid ihr für eine Gaunerbande.«

Wir tranken unseren Cognac und widersprachen nicht.

«Woher kam das US-Pferd?«fragte Rupert.

«Aus Miami.«

«Nein… heute früh.«

«Aus einem ruhigen kleinen Stall auf dem Land«, sagte ich.»Wir haben ihn zum Verkehrszählungskontrollpunkt bringen lassen… «

«Und da hätten Sie ihn mal sehen sollen«, unterbrach Bert strahlend.»Unseren Ka^/Yalistenfreund hier, meine ich. Der hat die drei Pferde schneller umgeladen, als ein Kartenhai das As zieht.«

«Es war mir schon ein Rätsel«, sagte Rupert nachdenklich,»wie er das gedeichselt hat.«

«Er hat Energise aus Jodys Transporter geholt und ihn in den leeren Hänger gesteckt, in dem Black Fire angereist war. Dann hat er Padellic für Energise in Jodys Transporter verfrachtet. Und Black Fire schließlich dahin, wo zuerst Padellic war, nämlich in Ihren Transporter. Das ging rund wie bei einer Karussellfahrt.«

Charlie sagte lächelnd:»Am Kontrollpunkt wurden die Weichen gestellt. Padellic kam von hier und fuhr nach Stratford. Black Fire kam vom Land hierher. Und Energise kam von Jody…«Er brach ab.

«Wohin?«fragte Rupert.

Ich schüttelte den Kopf.»Ich versichere Ihnen, daß er gut aufgehoben ist. «Bei Allie in Hantsford Manor, dem Stall von Miss Johnston und Mrs. Fairchild-Smith.»Wir lassen ihn noch ein, zwei Wochen dort.«

«Ja«, sagte Bert zur Erklärung.»Denn Jody und sein rotäugiges Muskeltier sind uns ins Gesicht geflogen und haben ihr Pulver verschossen, aber was ist mit dem Dritten im Bunde? Dem Mann, den wir arm gemacht haben? Wir möchten doch nicht, daß der total gerupfte Mr. Ganser Mays unserem Energise das Licht auspustet.«

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