Rupert Ramseys Stimme klang eher resigniert als einladend am Telefon.
«Klar, Sie können gern nach Ihren Pferden sehen. Wissen Sie, wie Sie fahren müssen?«
Er erklärte mir den Weg, der sich als ganz einfach herausstellte, und Sonntag früh um halb zwölf fuhr ich zwischen den beiden Torpfosten aus weiß bemaltem Stein durch und hielt auf dem großen kiesbestreuten Platz vor seinem Haus.
Ein original georgianisches Haus; einfach angelegt, mit großen, luftigen Räumen und eleganten Stuckdecken. Die Einrichtung war nicht gewollt antik: Alte und neue Stile ergänzten sich zu einem völlig modernen Wohn- und Arbeitsambiente.
Rupert selbst war Mitte Vierzig und bei allem scheinbaren äußeren Phlegma ausgesprochen tatkräftig. Er sprach etwas gedehnt. Ich kannte ihn nur vom Sehen, und wir trafen uns jetzt praktisch zum ersten Mal.
«Grüß Sie. «Er gab mir die Hand.»Würden Sie mit in mein Büro kommen?«
Ich folgte ihm durch die weiß gestrichene Haustür und die große quadratische Diele in den Raum, den er als sein Büro bezeichnete, der aber bis auf einen als Schreibtisch dienenden Eßtisch und einen grauen Aktenschrankinder Ecke ganz wie ein Wohnzimmer eingerichtet war.
«Nehmen Sie Platz. «Er wies auf einen Sessel.»Zigarette?«
«Ich rauche nicht.«
«Sehr vernünftig. «Er lächelte, als wäre er eigentlich nicht der Meinung, und zündete sich eine an.
«Energise«, sagte er,»macht den Eindruck, als hätte er ein hartes Rennen hinter sich.«
«Er hat aber doch leicht gewonnen«, sagte ich.
«So schien es zumindest. «Er inhalierte, atmete durch die Nase aus.»Trotzdem bin ich nicht ganz glücklich mit ihm.«
«Inwiefern?«
«Er muß aufgebaut werden. Keine Sorge, das kriegen wir
schon hin. Aber im Moment sieht er etwas dünn aus.«
«Und die beiden anderen?«
«Dial geht die Wände hoch. Ferryboat muß noch viel arbeiten.«
«Ich glaube, Ferryboat mag keine Rennen mehr laufen.«
Die Zigarette verharrte auf dem Weg zum Mund.
«Wie kommen Sie darauf?«
«Er hat diesen Herbst drei Rennen absolviert. Sie haben sich seine Form sicher angesehen. Er ist jedes Mal schlecht gelaufen. Letztes Jahr war er mit Begeisterung dabei und hat von sieben Starts drei gewonnen, den letzten allerdings sehr schwer… und Raymond Child hat ihn mit der Peitsche wundgeschlagen. Es ist, als wäre Ferryboat im Sommer auf der Koppel zu dem Schluß gekommen, daß er Prügel kriegt, wenn er zu weit nach vorn geht, und daß es folglich gescheiter ist, nicht nach vorn zu gehen… und als ob er sich deshalb keine Mühe mehr gibt.«
Er tat einen tiefen Zug an der Zigarette, ließ sich Zeit.
«Erwarten Sie, daß ich bessere Ergebnisse erziele als Jody?«
«Mit Ferryboat oder allgemein?«»Sagen wir… beides.«
Ich lächelte.»Von Ferryboat erwarte ich nicht viel. Dial ist noch sieglos, eine unbekannte Größe. Energise könnte das Champion Hurdle gewinnen.«
«Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte er freundlich.
«Stimmt. Ich erwarte, daß Sie andere Ergebnisse erzielen als Jody. Genügt Ihnen das?«
«Ich wüßte schon gern, warum Sie von ihm weg sind.«
«Differenzen wegen Geld«, sagte ich.»Nicht wegen seiner Trainingsmethoden.«
Mit einer Sorgfalt, die verriet, daß er in Gedanken war, klopfte er die Asche ab. Seine nächsten Worte kamen gedehnt.
«Waren Sie immer damit zufrieden, wie Ihre Pferde gelaufen sind?«
Prickelnd, voll einladender kleiner Fallen, stand die Frage im Raum. Er sah plötzlich auf, begegnete meinem Blick, und seine Augen weiteten sich vielsagend.»Sie wissen also,
weshalb ich frage.«
«Ja. Nur kann ich darauf nicht antworten. Jody sagt, er verklagt mich wegen übler Nachrede, wenn ich erzähle, weshalb ich von ihm weg bin, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln.«
«Diese Äußerung selbst ist schon üble Nachrede.«
«Zweifellos.«
Er stand gutgelaunt auf und drückte die Zigarette aus. Sein Benehmen war wesentlich freundlicher geworden.»Also gut. Schauen wir uns mal Ihre Pferde an. «Wir gingen hinaus auf den Stallhof, der einen rundum guten Eindruck machte. Die dünne, kalte Dezembersonne schien auf frische Farbe, Schotterbelag, hübsche Blumentöpfe und sauber gekleidetes Stallpersonal. Man sah nichts von der Unordnung, die ich von Jody her gewohnt war; keine an der Wand lehnenden Besen, keine in Haufen bereitliegenden Decken, Gurte, Bürsten und Bandagen, auf dem gefegten Boden kein verstreutes Heu. Jody vermittelte Besitzern gern den Eindruck, daß etwas geleistet, daß die Pferde rund um die Uhr versorgt wurden. Rupert versteckte anscheinend lieber den Schweiß und die Arbeit. Bei Jody war der Misthaufen immer präsent. Bei Rupert war er unsichtbar.
«Dial steht hier.«
Wir hielten vor einer Reihe Boxen außerhalb des Haupthofs, und mit einem kurzen Fingerschnippen rief Rupert einen Pfleger herbei, der einige Meter entfernt herumstand.»Das ist Donny«, sagte er.»Er kümmert sich um Dial. «Ich gab Donny die Hand, einem ruppig aussehenden Burschen um die Zwanzig mit ernsten Augen und Mir-machst-du-nichts-vor-Miene. Aus der Art, wie er erst Rupert und dann später das Pferd ansah, schloß ich, daß es sich dabei um seine Grundeinstellung gegenüber dem Leben handelte und nicht um ein mir persönlich geltendes Mißtrauen. Als wir den robusten kleinen Fuchs betrachtet und bewundert hatten, prüfte ich Donny mit einer 5-Pfund-Note. Sie trug mir ein dankendes Kopfnicken ein, aber kein Lächeln.
In der gleichen Zeile stand Ferryboat, der mit mattem Auge in die Welt blickte und kaum das Standbein wechselte, als wir seine Box betraten. Sein Pfleger hatte im Gegensatz zu Donny ein nachsichtiges Lächeln für ihn und nahm mein Trinkgeld strahlend an.
«Energise steht im Haupthof«, sagte Rupert und ging voran.»Um die Ecke.«
Wir waren auf halbem Weg dahin, als zwei Wagen in die Einfahrt rollten und diverse Herren in Schafsfellmänteln und Damen mit Pelzen und klirrenden Armreifen ausstiegen. Sie erblickten Rupert, winkten und strömten auch schon auf den Hof.
Rupert sagte:»Einen Moment noch, dann zeige ich Ihnen Energise.«
«Kein Problem«, meinte ich.»Wenn Sie mir sagen, in welcher Box er steht, sehe ich ihn mir allein an. Kümmern Sie sich um die anderen Besitzer.«
«Er hat die Vierzehn. Ich bin gleich wieder bei Ihnen. «Ich nickte und ging zu Nummer 14. Riegelte die Tür auf. Trat ein. Das beinah schwarze Pferd war drinnen angebunden. Extra für meinen Besuch wahrscheinlich.
Das Pferd und ich schauten uns an. Mein alter Freund, dachte ich. Das einzige Pferd überhaupt, mit dem ich jemals echten Kontakt gehabt hatte. Ich redete mit ihm wie in dem Transporter und sah mich verschämt nach der offenen Tür um aus Angst, jemand könnte mich hören und für einen Spinner halten.
Es war offensichtlich, was Rupert an ihm gestört hatte. Er sah dünner aus. Das Durchgeschüttel in dem Transporter hatte ihm sicher nicht gutgetan.
Auf der anderen Hofseite sah ich Rupert mit den Neuankömmlingen reden, während er sie zu ihren Pferden führte. Sonntags früh war Stoßzeit für Besitzer.
Ich blieb erst mal, wo ich war. Zwanzig Minuten vielleicht blieb ich bei meinem schwarzen Pferd, und es gab mir Stoff für einige sehr seltsame Gedanken.
Dann kam Rupert herbeigeeilt und entschuldigte sich.»Sie sind noch hier…? Es tut mir leid.«
«Nicht nötig«, versicherte ich ihm.
«Kommen Sie auf ein Glas mit ins Haus.«
«Gern.«
Wir stießen zu den anderen Besitzern und gingen in sein
Büro, wo es reichlich Gin und Scotch für alle gab. Getränke zur Bewirtung von Besitzern waren nur als Geschäftsunkosten absetzbar, wenn die Besitzer aus dem Ausland kamen. Jody hatte regelmäßig allen und jedem sein Leid darüber geklagt, während er sich beiläufig nickend das Zeug kistenweise von mir schenken ließ. Rupert schenkte großzügig aus, ohne irgendwelche Andeutungen zu machen, und das empfand ich als wohltuend.
Die anderen Besitzer schmiedeten aufgeregt Pläne für das Weihnachtsmeeting in Kempton Park. Rupert machte uns miteinander bekannt und erklärte, daß auch Energise dort im Christmas Hurdle starten solle.
«So wie der in Sandown gewonnen hat«, bemerkte einer der Schafsfellmäntel,»muß er doch ein absolut sicherer Tip sein.«
Ich blickte zu Rupert, um seine Meinung zu hören, aber er war mit Flaschen und Gläsern beschäftigt.
«Hoffentlich«, sagte ich. Der Schafsfellmantel nickte weise.
Seine Frau, eine gemütlich wirkende Dame, die ihren Ozelot abgelegt hatte und jetzt einen Meter fünfzig groß in leuchtendgrüner Wolle dastand, blickte verwundert von ihm zu mir.»Aber George, Liebling, Energise wird doch von dem netten jungen Mann mit der hübschen kleinen Frau trainiert. Du weißt schon, dem, der uns mit Ganser Mays bekannt gemacht hat.«
Sie lächelte glücklich und schien nicht zu bemerken, daß ihr Publikum wie vom Donner gerührt war. Ich muß fast eine Minute lang bewegungslos dagestanden haben, während mir die Tragweite ihrer Worte durch den Kopf ging, und unterdessen hatte sich die Unterhaltung von Liebling George und leuchtendgrüner Wolle den Chancen ihres eigenen Steeplers in einem späteren Rennen zugewandt. Ich ging dazwischen.
«Verzeihen Sie«, sagte ich» ich habe Ihre Namen nicht verstanden.«
«George Vine«, sagte der Schafsfellmantel, indem er eine klobige Hand ausstreckte,»und Poppet, meine Frau.«
«Steven Scott«, sagte ich.
«Sehr erfreut. «Er reichte sein leeres Glas Rupert, der es sogleich wieder mit Gin und Tonic füllte.»Poppet liest selten die Rennsportnachrichten, sonst hätte sie natürlich gewußt, daß Sie von Jody Leeds weg sind.«
«Sagten Sie«, fragte ich vorsichtig,»daß Jody Leeds Sie mit Ganser May s bekannt gemacht hat?«
«Aber nein«, erwiderte Poppet lächelnd.»Seine Frau war das.«
«Genau«, nickte George.»Gute Sache.«
«Wissen Sie«, erklärte Poppet im Plauderton,»die Quoten am Totalisator sind ja manchmal so dürftig, und das läuft wie bei einer Lotterie ab, nicht? Ich meine, man weiß doch eigentlich nie, was man da für sein Geld kriegt, und beim Buchmacher erfährt man's.«
«Hat sie das so gesagt?«fragte ich.
«Wer? Ach so… die Frau von Jody Leeds. Ja, genau. Ich hatte gerade meinen Wettgewinn auf eines unserer Pferde am Schalter abgeholt, und sie holte ihren am Nebenschalter ab, dem Spätschalter, und da sagte sie, es sei doch eine Schande, daß der Toto nur 40 zu 10 zahlt, wo der Startpreis bei den Buchmachern 60 zu 10 war, und weil ich das genauso sah, kamen wir dann ins Plaudern. Ich sagte ihr, daß wir den Steepler, der gerade gesiegt hatte, vor einer Woche erst gekauft hatten — unser allererstes Rennpferd! — , und sie war ganz interessiert und erklärte, sie sei die Frau eines Trainers und manchmal, wenn sie es satt habe, am Toto so wenig zu bekommen, wette sie bei einem Buchmacher. Ich sagte ihr, ich hätte aber was gegen das Gedränge und das Geschrei, dem man sich da aussetzt, und da sagte sie lachend, sie meine doch einen an den Rails, da könne man direkt hingehen und brauche gar nicht auf den Buchmacherplatz. Aber so jemand muß man natürlich erst mal kennen, und man muß ihm bekannt sein, wenn Sie wissen, was ich meine. George und ich kannten aber niemand an den Rails, wie ich Mrs. Leeds erklärte.«
Sie trank einen Schluck Gin. Ich hörte ihr gebannt zu.
«Nun«, fuhr sie fort,»Mrs. Leeds hat irgendwie gezögert, und da kam ich auf die glorreiche Idee, sie zu fragen, ob sie uns vielleicht mit ihrem Buchmacher an den Rails bekannt machen könnte.«
«Und das hat sie getan?«
«Sie war voll und ganz dafür. «Das konnte ich mir denken.
«Also haben wir George dazugeholt, und sie hat uns dem guten Ganser Mays vorgestellt. Und der«, schloß sie triumphierend,»gibt uns viel bessere Quoten als der Toto. «George Vine nickte bekräftigend.
«Das Dumme ist nur«, meinte er,»man kennt das ja bei Frauen, jetzt wettet sie wie noch nie.«
«George, Liebling!«Nur ein symbolischer Protest.»Es stimmt doch, Häschen.«
«Um Pennys spielen lohnt sich nicht«, sagte sie lächelnd.»Da gewinnt man nicht genug.«
Er tätschelte ihr zärtlich die Schulter und sagte mir von Mann zu Mann:»Wenn Ganser Mays' Abrechnung kommt und sie hat gewonnen, streicht sie den Kies ein; hat sie verloren, muß ich zahlen.«
Poppet lächelte glücklich.»George, du bist goldig.«»Was tun Sie denn öfter?«fragte ich sie.»Gewinnen oder verlieren?«
Sie schnitt ein Gesicht.»Das ist aber eine gemeine Frage, Mr. Scott.«
Am nächsten Morgen um Punkt zehn holte ich Allie in Hampstead ab. Zum ersten Mal bei Tageslicht gesehen, machte sie das Sauwetter schon wieder wett. Ich kam mit einem großen schwarzen Schirm zur Abwehr des schräg niedergehenden Schneeregens bei ihr an, und sie öffnete die Tür in einem eleganten weißen Mackintosh und kniehohen schwarzen Stiefeln. Ihr frischgewaschenes Haar war voller Spannkraft, und die Frische ihrer Haut hatte nichts mit Max Factor zu tun.Ich wagte einen dezenten Kuß auf die Wange. Sie duftete nach Blumen und Badelotion.
«Guten Morgen«, sagte ich.
Sie lachte leise.»Ihr Engländer seid so förmlich.«
«Nicht immer.«
Sie schlüpfte unter den Schirm, bis wir am Auto waren, und als sie einstieg, war jedes einzelne schimmernde Haar noch trocken und an seinem Platz.
«Wohin fahren wir?«
«Schnallen Sie sich an«, sagte ich.»Nach Newmarket.«
«Newmarket?«
«Pferde anschauen. «Ich legte den Gang ein und lenkte den Lamborghini in Richtung Nordosten.
«Das hätte ich mir denken können.«
Ich grinste.»Gibt es etwas, das Sie viel lieber tun würden?«
«Ich habe drei Museen besucht, vier Kunstgalerien, sechs Kirchen, einen Londoner Tower, zwei Parlamentsgebäude und sieben Schauspielhäuser.«
«In wieviel Wochen?«
«Sechzehn Tagen.«
«Höchste Zeit, daß Sie etwas vom wirklichen Leben sehen.«
Die weißen Zähne blitzten.»Wenn Sie sechzehn Tage mit meinen kleinen Neffen zugebracht hätten, kämen Sie gar nicht schnell genug weg davon.«
«Die Kinder Ihrer Schwester?«
Sie nickte.»Ralph und William. Zwei kleine
Satansbraten.«
«Mit was spielen sie?«
Sie war belustigt.»Des Spielzeugmachers Marktrecherche?«
«Der Kunde hat immer recht.«
Wir kreuzten die Umgehung Nord und nahmen die A1 Richtung Baidock.
«Ralph steckt Puppen in Kampfanzüge, und William baut die Treppe zum Fort um und beschießt alles, was hochkommt, mit getrockneten Bohnen.«
«Gesunde Aggressionsentladung.«
«Als ich klein war, war ich sauer über das ganze >kindgerechte< Spielzeug aus dem pädagogischen Lager.«
Ich lächelte.»Es gibt bekanntlich zweierlei Spielsachen. Solche, die die Kinder mögen, und solche, die die Mütter
kaufen. Raten Sie mal, wovon es mehr gibt.«
«Sie sind zynisch.«
«Das höre ich oft«, sagte ich.»Aber es stimmt nicht. «Die
Scheibenwischer machten Überstunden im Schneeregen, und ich stellte die Heizung an. Allie seufzte, wie mir schien, zufrieden. Der Wagen schnurrte zügig durch Cambridgeshire und nach Suffolk hinein, und die neunzig Minuten Fahrt gingen schnell vorbei.
Das Wetter war zwar ungünstig, aber selbst im Juli hätte der Stall, den ich für meine drei jungen Flachpferde gewählt hatte, deprimierend gewirkt. Zwei nebeneinanderliegende kleine Höfe mit hohen Ziegelbauten, so alt wie das Jahrhundert. Alle Türen in einem düsteren Dunkelbraun gestrichen. Kein Zierat, keine Blumen, kein Gras, keine Lebensfreude weit und breit. Wie viele Ställe in Newmarket lag er direkt an der Straße und war von Häusern umgeben. Allie sah sich ohne Begeisterung um und sprach aufs Wort genau aus, was ich dachte.
«Das sieht eher nach einem Gefängnis aus.«
Vergitterte Fenster an den Boxen. Massives, drei Meter hohes Tor zur Straße. In Beton eingelassene Glasscherben auf der Grundstücksmauer. Vorhängeschlösser an jeder Tür. Fehlte nur noch eine bewaffnete Gestalt in Uniform, und die hatten sie bei Gelegenheit womöglich auch noch.
Der Herr dieses sicheren Ortes entpuppte sich als recht sturer Geselle. Trevor Kennet gab uns die Hand mit einem Lächeln, das den beteiligten Gesichtsmuskeln ungewohnte Arbeit abzuverlangen schien, und bat uns, weil es doch regne, in sein Büro zu kommen.
Ein kahler Raum; Linoleum, verkratzte Metallmöbel, Neonröhren und Stapel von Papierkram. Der Kontrast zur eleganten Leichtigkeit von Rupert Ramsey war bemerkenswert. Schade, daß ich Allie zur falschen Adresse mitgenommen hatte.
«Sie haben sich gut eingelebt, Ihre Pferde. «Sein Tonfall forderte mich heraus, das anzuzweifeln.
«Ausgezeichnet«, sagte ich freundlich.
«Sie möchten sie sicher sehen.«
Da ich eigens deshalb von London gekommen war, fand ich seine Bemerkung albern.
«Sie arbeiten natürlich noch nicht.«
«Nein«, stimmte ich zu. Die Flachsaison war vor sechs Wochen zu Ende gegangen. Die nächste begann in drei
Monaten. Kein vernünftiger Besitzer würde erwarten, daß seine Flachpferde im Dezember voll im Training sind. Trevor Kennet war ein begnadeter Verkünder des Selbstverständlichen.
«Es regnet«, sagte er.»Sie haben einen schlechten Tag erwischt.«
Allie und ich trugen Gummimäntel, und außerdem hatte ich noch den Regenschirm. Er betrachtete diese Vorkehrungen des längeren und zuckte schließlich die Achseln.»Dann wollen wir mal.«
Er selbst trug einen Regenmantel und einen Schlapphut, den kein Unwetter mehr erschüttern konnte. Er führte uns auf den ersten Hof, und Allie und ich hielten uns unter meinem Schirm dicht hinter ihm.
Schon schob er die Riegel an einer der stumpfbraunen Stalltüren zurück und stieß beide Hälften auf.»Wrecker«, sagte er.
Wir betraten die Box. Wrecker, ein nervös veranlagter, hochbeiniger brauner Jährling, wich hastig auf der Torfstreu zurück. Trevor Kennet machte sich nicht die Mühe, ihn zu beruhigen, sondern stellte sich breit vor ihn hin und musterte ihn abschätzend. Jody konnte bei all seinen Fehlern gut mit Jungtieren umgehen; er hatte sie gestreichelt und liebevoll mit ihnen geredet. Vielleicht war es verkehrt gewesen, Wrecker hierherzuschicken.
«Er braucht einen einfühlsamen Pfleger«, sagte ich. Kennets Gesichtsausdruck war der Verachtung nah.»Die darf man nicht verhätscheln. Weichlinge gewinnen nichts.«
Ende der Unterhaltung.
Wir traten hinaus in den Regen, und er warf die Riegel vor. Vier Boxen weiter hielt er wieder an.
«Hermes.«
Auch hier das stumme Begutachten. Hermes, der bereits zwei Rennjahre hinter sich hatte, konnte Menschen ohne Angst in die Augen sehen und starrte einfach zurück. Äußerlich unauffällig, hatte er meisterhaft mehrere Rennen für sich entschieden… und jedes Mal verloren, wenn ich voll auf ihn gesetzt hatte. Gegen Ende der Flachsaison war er zweimal schwach am Schluß des Feldes eingekommen. Zu viele Rennen, hatte Jody gesagt. Braucht mal Urlaub.
«Was halten Sie von ihm?«fragte ich.
«Er frißt gut«, sagte Kennet.
Ich wartete auf mehr, aber das war's. Nach einer kurzen Pause zogen wir wieder hinaus in den Regen und wiederholten mehr oder minder die ganze deprimierende Prozedur in der Box meines dritten Junghengstes, Bubbleglass.
Auf Bubbleglass setzte ich große Hoffnungen. Als zweijähriger Spätentwickler war er bis jetzt erst ein Rennen gelaufen und hatte sich dabei auch nicht besonders ausgezeichnet. Aber mit drei kam er vielleicht in die Hufe. Er war gewachsen und hatte zugelegt, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Als ich das sagte, meinte Kennet, das sei zu erwarten gewesen.
Wir kehrten alle ins Büro zurück, und Kennet bot uns Kaffee an, hörte aber mit Erleichterung, daß wir weitermüßten.
«War das ein trostloser Laden«, meinte Allie, als wir davonfuhren.
«Darauf ausgerichtet, daß die Pferdehalter nicht zu oft vorbeikommen, würde ich sagen.«
Sie staunte.»Ist das Ihr Ernst?«
«Manche Trainer sind der Meinung, Besitzer sollten ihre Rechnungen bezahlen und den Mund halten.«
«Das ist doch verrückt.«
Ich warf ihr einen Seitenblick zu.
«Für so viel Kohle«, sagte sie,»darf ich doch wohl erwarten, daß man mich mit offenen Armen empfängt.«
«Die Hand zu beißen, die einen füttert, ist hier ein Volkssport.«
«Weil ihr spinnt.«
«Gehen wir etwas essen?«
Wir gingen in ein Pub, dessen Küche für einen Montag gar nicht übel war, und fuhren am Nachmittag gemächlich zurück nach London. Allie machte keine Einwendungen, als ich vor meiner Haustür anhielt, und ging ohne die befürchteten Wenn und Aber mit hinein.
Ich bewohnte die zwei unteren Stockwerke eines hohen, schmalen Hauses in der Prince Albert Road mit Blick auf den Regent's Park. Unten Garage, Garderobe, Werkstatt. Oben Schlafzimmer, Bad, Küche und Wohnzimmer, letzteres mit einem Balkon, der halb so groß war wie es selbst. Ich machte Licht und ging voran.
«Eine Junggesellenbude, wie sie im Buche steht«, meinte Allie, sich umblickend.»Schlicht und einfach. «Sie ging zu der gläsernen Schiebetür am Balkon und sah hinaus.»Geht Ihnen der Verkehr nicht auf die Nerven?«
Auf der Straße unten fuhren pausenlos Autos, gelbe Blinklichter leuchteten im glitzernden Regen.
«Ich finde ihn ganz gut«, sagte ich.»Im Sommer wohne ich praktisch da draußen auf dem Balkon… atme in vollen Zügen die Abgase ein und warte darauf, daß sich der Qualm verzieht.«
Sie lachte, knöpfte ihren Mackintosh auf und legte ihn ab. Das rote Kleid darunter war noch so unverknittert wie beim Lunch. Sie war der einzige leuchtende Farbfleck in diesem Raum voller Beige- und Brauntöne, und sie war Frau genug, um es zu merken.
«Was zu trinken?«fragte ich.
«Noch ein bißchen früh…«Sie schaute sich um, als hätte sie nicht nur Sitzmöbel zu sehen erwartet.»Haben Sie hier keine Ihrer Spielsachen?«
«In der Werkstatt«, sagte ich.»Unten.«
«Die würde ich gern mal sehen.«
«In Ordnung.«
Wir gingen wieder runter in die Halle und wandten uns dem rückwärtigen Teil des Hauses zu. Ich öffnete die unauffällige Holztür, die geradewegs von Teppich- zu Betonfußböden, von der Couch zur Werkbank, von Sektgläsern zur Thermoskanne führte. Der vertraute Geruch von Öl und Maschinen wartete dahinter im Dunkeln. Ich schaltete das blendend helle Licht an und ließ sie eintreten.
«Das ist ja… doch eine Fabrik. «Sie hörte sich erstaunt an.
«Was haben Sie erwartet?«
«Na, ich weiß nicht. Was viel Kleineres wahrscheinlich.«
Die Werkstatt war fünfzehn Meter lang, und sie war der Grund, weshalb ich das Haus an meinem dreiundzwanzigsten
Geburtstag von selbstverdientem Geld gekauft hatte.
Durch den Verkauf der drei oberen Etagen hatte ich dann so viel zurückbekommen, daß ich mir die Wohnung im ersten Stock ausbauen konnte, aber das Herz des Ganzen lag hier, in dem Vermächtnis einer bankrott gegangenen alten Leichtmaschinenfabrik.
Das Laufwerk, das fast die ganze Anlage antrieb, war noch das Original, auch wenn es jetzt mit Strom statt mit Dampf arbeitete, und ich hatte einige Maschinen zwar ausgewechselt und eine neu hinzugefügt, aber insgesamt waren sie noch gut in Schuß.
«Erklären Sie mir, wie das funktioniert«, sagte Allie.»Tja… der Elektromotor hier«- ich zeigte ihr das kompakte, auf dem Boden montierte Gerät —»treibt den Riemen an, der oben über das große Schwungrad läuft.«»Ja. «Sie sah nach dort, wo ich hinzeigte.»Das Rad ist mit der langen Welle verbunden, die unter der Decke durch die ganze Werkstatt geht. Wenn sie sich dreht, laufen die anderen Riemen, die zu den Maschinen runtergehen, mit. Warten Sie, ich zeige es Ihnen.«
Ich schaltete den Motor an, und sofort setzte der große Riemen das Rad in Gang, das die Welle drehte, die wiederum die zu den weiteren Maschinen führenden Riemen antrieb. Die einzigen Geräusche waren das Brummen des Motors, das Sirren der Welle und das leise Schlagen der Riemen.
«Sieht aus, als ob es lebt«, sagte Allie.»Wie werfen Sie denn die Maschinen an?«
«Einfach zuschalten, dann setzt das Laufwerk sie in Bewegung.«
«Wie bei der Nähmaschine.«
«Mehr oder weniger.«
Wir gingen die Anlage entlang. Sie wollte wissen, was wozu gut war, und ich sagte es ihr.
«Das ist eine Fräsmaschine für glatte Flächen. Hier haben wir eine Schnelldrehbank; die nehme ich für Holz und für Metall. Die kleine Drehbank dort ist für Präzisionsarbeiten, sie stammt von einem Uhrmacher. Das ist eine Presse. Eine Poliermaschine. Eine Bügelsäge. Und das ist eine Bohrmaschine. Sie bohrt nach unten.«
Ich drehte mich um und wies auf die andere Seite der Werkstatt.»Das große da ist eine Spitzendrehbank, für größere Werkstücke. Sie hat einen eigenen Elektroantrieb.«
«Was für ein unglaublicher Aufwand.«
«Nur für Spielzeug?«
«Nun… «
«Die Maschinen hier sind im Grunde einfach. Sie sparen nur viel Zeit.«
«Kommt es bei Spielsachen so auf… Präzision an?«
«Ich stelle meist nur die Prototypen aus Metall und Holz her. Was in den Handel kommt, ist dann üblicherweise aus Kunststoff, aber die Technik muß stimmen, sonst funktionieren die Sachen schlecht und gehen leicht kaputt.«
«Wo bewahren Sie sie auf?«Sie blickte sich in der sauberen, leeren Halle um, in der keine Arbeiten zu sehen waren.
«In dem Schrank drüben rechts.«
Ich ging mit ihr hin und öffnete die breiten Türflügel. Sie stieß sie mit ausgestreckten Armen weiter auf.
«Oh!«Sie schien völlig verblüfft zu sein.
Mit offenem Mund und großen Augen stand sie vor den Regalen wie ein Kind.
«Oh«, sagte sie noch einmal, als fehlte ihr der Atem zu mehr.»Oh… das ist ja Rola-Spielzeug!«
«Stimmt.«
«Warum haben Sie davon nichts gesagt?«»Aus Gewohnheit eigentlich. Sag ich nie. «Sie lächelte mich an, ohne den Blick von den bunten Sachen im Schrank abzuwenden.»Bittet man Sie so oft um Gratisstücke?«
«Ich bin es einfach leid, immer wieder davon zu reden!«
«Aber ich habe selbst damit gespielt. «Unvermittelt blickte sie wieder zu mir und sah mich verwirrt an.»Vor zehn, zwölf Jahren hatte ich drüben lauter Rola-Sachen. «Ihr Tonfall deutete an, daß ich zu jung sei, um dieselben erfunden zu haben.
«Das erste habe ich mit fünfzehn gemacht«, erklärte ich.»Mein Onkel hatte eine Werkstatt in der Garage… er war Schweißer. Schon mit sechs lernte ich von ihm, mit Werkzeug umzugehen. Er war ziemlich pfiffig. Auf seinen Rat hin ließ ich meine Entwürfe patentieren, bevor ich sie jemandem zeigte, und er beschaffte und lieh mir auch das Geld dafür.«»Geld?«
«Patente sind teuer, und man muß für jedes Land eins kaufen, um sich vor Nachahmern zu schützen. In Japan kostet's wohl am meisten.«
«Du meine Güte. «Sie wandte sich wieder dem Schrank zu, griff hinein und nahm den Grundstein meines Erfolgs, das Karussell, heraus.
«Das Karussell hatte ich auch«, sagte sie.»Genau so eins, nur in anderen Farben. «Sie drehte die Spindel in der Mitte zwischen Daumen und Zeigefinger, so daß die Plattform kreiste und die Pferdchen sich auf und ab bewegten.»Ich kann es einfach nicht glauben.«
Sie stellte das Karussell an seinen Platz zurück und nahm nacheinander noch einige andere Sachen heraus, begrüßte Altbekanntes, untersuchte Neues.»Haben Sie auch einen Rola-Sockel hier?«
«Sicher«, sagte ich und holte einen unten aus dem Schrank.
«O bitte… darf ich?«Sie war aufgeregt wie ein kleines Mädchen. Ich stellte den Sockel auf die Werkbank, und sie kam mit vier Spielsachen herüber.
Der Rola-Sockel bestand aus einem großen flachen Kasten — in diesem Fall 60 mal 60 und 15 cm hoch, wenn es auch noch andere Größen gab — mit einer seitlich angebrachten Kurbel. Die Seite mit der Kurbel mußte man an die Tischkante anlegen, damit sich der Griff drehen ließ. Im Innern des Kastens waren die Rollen, von denen das Spielzeug den lautmalerischen Namen Rola erhalten hatte; breite Rollen, über die ein langer, flacher Treibriemen lief, der viele Reihen querliegender Zahnräder bewegte. Im Kastendeckel befanden sich entsprechende Lochreihen, Dutzende von Löchern insgesamt. Jede einzelne der mechanischen Spielsachen, das Karussell und hundert andere, hatte eine Spindel, die unten herausstand und eingekerbt war wie eine Zahnstange. Steckte man die Spindel in eins der Löcher, griff sie in das darunterliegende Zahnrad, und wenn man nun die Kurbel am Rola-Sockel drehte, liefen die Zahnräder rund, die Spindeln liefen mit, und die Spielsachen erfüllten ihre jeweilige Funktion. Eine einfache Sperre am Spielzeug, die sich unter dem Loch einklinkte, verhinderte, daß es sich als ganzes drehte.
Allie hatte das Karussell und die Achterbahn vom Rummelplatz-Set mitgebracht, eine Kuh vom Bauernhof-Set und den Panzer vom Manöver-Set. Sie steckte die Spindeln ein, wie es gerade kam, und drehte den Griff. Das Karussell lief rundherum, die Achterbahnwagen rollten auf und ab, die Kuh nickte mit dem Kopf und schlug mit dem Schwanz, und aus dem Bordgeschütz des sich drehenden Panzers sprühten Funken. Sie lachte vergnügt.
«Nicht zu fassen. Ich glaube es einfach nicht. Nicht im Traum wäre ich darauf gekommen, daß das Rola-Spielzeug von Ihnen ist.«
«Ich habe auch noch anderes gemacht.«
«Was denn so?«
«Hm… Das Neueste im Handel ist eine Chiffriermaschine. Die geht jetzt zu Weihnachten ganz gut.«»Sie meinen doch nicht den Geheim-Texter?«»Doch. «Ich war überrascht, daß sie ihn kannte.»Zeigen Sie mal. Meine Schwester hat für ihre Jungs auch zwei gekauft, aber die sind schon als Geschenk verpackt. «Also zeigte ich ihr das Chiffriergerät, das mich wohl noch einige Zeit mit Rennpferden versorgen würde, da nicht nur kleine, sondern auch viele große Kinder darauf versessen waren. Die neue Erwachsenenversion war zwar um einiges komplizierter, aber auch viel teurer und brachte mir mehr Lizenzgebühren.
Von außen sah die Kinderversion wie ein oben abgeschrägter Kasten aus, etwas kleiner als ein Schuhkarton. Auf der schrägen Oberseite befand sich ein Tastenfeld wie bei einer Schreibmaschine, nur ohne Zahlen, ohne Satzzeichen und ohne Leertaste.
«Wie geht das?«
«Man tippt eine Nachricht, und sie kommt chiffriert heraus.«
«Einfach so?«
«Probieren Sie's.«
Sie warf mir einen amüsierten Blick zu, drehte sich so, daß ich ihr nicht auf die Finger sehen konnte, und tippte mit geübter Hand etwa vierzig Buchstaben. Schon kam aus dem Kasten ein schmaler Papierstreifen, auf dem Buchstaben in Fünfergruppen standen.
«Und jetzt?«
«Reißen Sie den Streifen ab«, sagte ich.
Sie riß ihn ab.»Das ist wie ein Telexstreifen«, meinte sie.
«Ja. Zumindest im Format.«
Sie hielt ihn mir hin. Ich warf einen Blick darauf und war nahe daran zu erröten.
«Können Sie das einfach so lesen?«rief sie aus.»Das ist ja ein schöner Code, wenn man den auf Anhieb knackt.«
«Ich habe das Ding doch erfunden«, sagte ich.»Ich kenne es auswendig.«
«Wie funktioniert es denn?«
«Im Innern ist ein Zylinderkopf mit zwölf kompletten Alphabeten, die ganz willkürlich und ganz unterschiedlich angeordnet sind. Auf der Skala hier«, ich zeigte es ihr,»stellen Sie eine Zahl von 1 bis 12 ein. Dann tippen Sie Ihre Nachricht. Im Innern schlägt nicht die Type an, die Sie drücken, sondern immer die, die damit gekoppelt ist. Nach jeweils fünf Tastendrucken springt die Schrift automatisch weiter, so daß der Text in Fünfergruppen unterteilt ist.«
«Phantastisch. Meine Schwester sagt, die Jungs sind da seit Wochen hinterher. Sie kennen viele Kinder, die den Apparat schon haben, lauter unheimliche Botschaften verbreiten und ihre Mütter damit auf die Palme bringen.«
«Man kann auch raffiniertere Codes bilden, indem man die chiffrierte Botschaft noch mal eingibt, auch rückwärts beispielsweise«, sagte ich.»Oder indem man alle paar Buchstaben die Codeziffer wechselt. Das Kind, das die Nachricht empfängt, braucht nur die Ziffern zu wissen, die es auf seiner Skala einstellen muß.«
«Wie entschlüßle ich meine Botschaft?«»Sie drücken den kleinen Hebel da nach unten und schreiben einfach den chiffrierten Text ab. Er kommt dann in seiner Ausgangsfassung raus, allerdings noch in Gruppen zu fünf Buchstaben. Probieren Sie's.«
Jetzt sah sie selbst verlegen aus. Sie knüllte den Streifen zusammen und sagte:»Ich glaub, das brauche ich nicht.«
«Hätten Sie gern so einen Texter?«fragte ich schüchtern.
«Aber klar.«»Blau oder rot?«»Rot.«
In einem anderen Schrank hatte ich einen Stoß fabrikneuer Chiffrierer, verpackt wie die in den Läden. Ich öffnete einen Karton, überzeugte mich, daß ein Gerät mit knallrotem Plastikgehäuse drin war, und gab es ihr.
«Wenn Sie mir einen Weihnachtsgruß schicken«, sagte sie,»dann bitte in Code Nummer vier.«
Zum Abendessen führte ich sie wieder aus, da meine Kochkünste nur für Eier mit Speck reichten und sie schließlich Urlaub machte, um von der Küche wegzukommen.
Mit einer jungen Frau essen zu gehen war nichts Neues. Auch an Allie selbst war nichts weiter ungewöhnlich. Mir gefiel ihre Direktheit, ihre Natürlichkeit. Es war herrlich entspannend, mit ihr zusammenzusein; sie fühlte sich nicht beleidigt, wenn man mal nichts sagte, war weder spröde noch schwierig, noch kokettierte sie. Keine Intellektuelle, aber zweifellos ein vernünftiges Wesen.
Das war natürlich nicht alles. Der berühmte Funke war übergesprungen, die innere Beziehung, wie mir schien, auch von ihr aus hergestellt.
Ich fuhr sie zurück nach Hampstead und hielt vor dem Haus ihrer Schwester.
«Morgen?«fragte ich.
Sie antwortete nicht direkt.»Donnerstag fliege ich nach Hause.«
«Ich weiß. Wann geht Ihr Flug?«
«Abends erst. Um halb sieben.«
«Kann ich Sie zum Flughafen bringen?«
«Meine Schwester könnte…«
«Ich würde es gern tun.«
«Okay.«
Wir waren einen Augenblick still.
«Morgen«, sagte sie schließlich.»Das ginge… wenn Sie wollen.«
«Ja.«
Sie nickte kurz, öffnete die Wagentür und sagte über ihre Schulter:»Danke für den bezaubernden Tag.«
Sie war ausgestiegen, ehe ich dazu kam, ihr zu helfen. Sie
lächelte. Rundum zufrieden, soweit ich das beurteilen konnte.
«Gute Nacht. «Sie streckte mir die Hand hin.
Ich drückte sie, beugte mich dabei vor und küßte Allie auf die Wange. Wir schauten uns an, ihre Hand noch in der meinen. Solche Gelegenheiten muß man einfach nutzen. Ich gab ihr noch einen Kuß, aber diesmal auf den Mund.
Sie küßte, wie ich es erwartet hatte, freundlich und zurückhaltend. Ich küßte sie noch zweimal auf die Lippen.
«Gute Nacht«, wiederholte sie lächelnd.
Sie winkte, bevor sie die Haustür ihrer Schwester schloß, und ich wünschte mir auf der Heimfahrt, sie wäre noch bei mir. Zu Hause angekommen, ging ich in die Werkstatt und holte die chiffrierte Nachricht, die sie weggeworfen hatte, aus dem Papierkorb. Ich strich sie glatt und las die verwürfelten Buchstaben noch einmal.
Kein Irrtum. Entschlüsselt waren die Worte immer noch ein Streichler fürs Ego.
Der Spielzeugmann ist so toll wie seine Spielsachen.
Ich steckte den Papierstreifen in meine Brieftasche und kam mir, als ich ins Bett ging, wie der größte Narr auf Erden vor.