Kapitel 3

Ich erzählte Charlie alles, was an dem Tag passiert war. Die ganze Belustigung wich aus seinem Gesicht, und am Ende schaute er grimmig drein.»Er wird ungeschoren davonkommen«, sagte er schließlich.

«O ja.«

«Ich nehme an, Sie wissen, daß sein Vater im Jockey-Club sitzt?«

«Ja.«

«Jody Leeds ist über jeden Verdacht erhaben.«

Jodys Vater, Quintus Leeds, hatte den Status einer Stütze des Rennsports dadurch erlangt, daß er als fünfter Sohn eines adligen Turffreundes geboren worden war, ein paar Rennpferde sein eigen nannte und die richtigen Leute kannte. Er war eine imposante Erscheinung, groß, massig und gutaussehend, und seine Stimme und sein Händedruck strahlten ruhiges Selbstvertrauen aus. Er neigte dazu, die Leute mit seinen scharfen grauen Augen durchdringend anzusehen, nachdenklich den Mund zu spitzen und wie zum Schweigen verpflichtet den Kopf zu schütteln, wenn man ihn nach seiner Meinung fragte. Ich persönlich hielt sein Auftreten und seine Manieriertheit für bloße Fassade mit nichts dahinter, aber im Grunde war er zweifellos wohlmeinend und anständig.

Daß er stolz auf Jody war, sah man daran, wie er sich beim Gratulieren in den Absattelringen von Epsom bis York in die Brust warf und übers ganze Gesicht strahlte.

In den Augen seines Vaters konnte Jody, tatkräftig, klug und tüchtig, kein Unrecht tun. Quintus vertraute ihm blind und war bei allem scheinbaren Mangel an Intelligenz durchaus in der Lage, die Meinung der Rennsportgewaltigen zu beeinflussen.

Wie Jody klargestellt hatte, konnte ich ja nichts beweisen. Wenn ich von Betrug auch nur etwas andeutete, würde er mir eine Klage anhängen, und die Mehrheit des Jockey-Clubs wäre auf seiner Seite.

«Was werden Sie tun?«fragte Charlie.

«Weiß nicht. «Ich lächelte ein wenig.»Vermutlich gar nichts.«

«Es ist verdammt unfair.«

«Jedes Verbrechen ist unfair gegenüber dem Opfer.«

Charlie verzog das Gesicht ob der Bosheit dieser Welt und verlangte die Rechnung.

Draußen wandten wir uns nach links und gingen zusammen über den Beauchamp Place, da wir beide zufällig unseren Wagen um die Ecke in der Walton Street geparkt hatten. Es war kalt, bedeckt, trocken und immer noch windig. Charlie schlug den Mantelkragen hoch und zog gefütterte schwarze Lederhandschuhe an.

«Ich hasse den Winter«, sagte er.

«Mir macht er nichts aus.«

«Sie sind jung«, meinte er.»Sie spüren die Kälte nicht.«

«So jung auch wieder nicht. Fünfunddreißig.«

«Fast noch ein Baby.«

Wir bogen um die Ecke, und der Wind biß mit arktischen Zähnen.»Fürchterlich«, sagte Charlie.

Sein Wagen, ein großer blauer Rover 3500, stand weiter vorn als mein Lamborghini. Wir hielten vor dem Rover an, und er schloß die Tür auf. Ein Mädchen in einem langen Rock kam vom Ende der Straße auf uns zu; der Wind ließ ihre Haare und ihren Rock wie Fahnen zur Seite wehen.

«Sehr informativer Abend«, sagte Charlie, die Hand ausstreckend.

«Aber anders, als Sie erwartet hatten«, sagte ich und erwiderte den Händedruck.

«Vielleicht sogar besser.«

Er öffnete die Tür und ließ sich auf den Fahrersitz sinken. Das Mädchen im langen Rock ging an uns vorbei, ihre Absätze klapperten auf dem Pflaster. Charlie schnallte sich an, und ich schlug seine Tür zu.

Das Mädchen blieb stehen, zögerte und kam zurück.

«Entschuldigung«, sagte sie.»Aber könnten Sie mir…«Sie brach ab, als hätte sie es sich anders überlegt.

«Können wir Ihnen helfen?«sagte ich.

Sie war Amerikanerin, Anfang Zwanzig, und ihr war sichtlich kalt. Um die Schultern trug sie nur einen Seidenschal, darunter eine dünne Seidenbluse. Keine

Handschuhe. Goldene Sandalen. Eine kleine goldene Netzhandtasche. Ihre Haut schimmerte blau in der Straßenbeleuchtung, und sie zitterte erbärmlich.

«Steigen Sie ein«, meinte Charlie durchs heruntergekurbelte Fenster,»raus aus dem Wind.«

Sie schüttelte den Kopf.»Ich glaube…«Schon wandte sie sich ab.

«Seien Sie nicht albern«, sagte ich.»Sie brauchen Hilfe. Also lassen Sie sich helfen.«

«Aber… «

«Sagen Sie uns, was Sie brauchen.«

Sie zögerte erneut und stieß dann hervor:»Ich brauche etwas Geld.«

«Das ist alles?«sagte ich und zog meine Brieftasche heraus.»Wieviel?«

«Für ein Taxi… nach Hampstead.«

Ich hielt ihr einen Fünfer hin.»Reicht das?«

«Ja. Ich… wohin schicke ich den zurück?«

«Lassen Sie nur.«

«Das fehlte noch.«

Charlie sagte:»Er schwimmt in Geld. Er ist nicht darauf angewiesen.«

«Darum geht's nicht«, sagte die junge Frau.»Ich kann es nicht annehmen, wenn Sie mir nicht sagen, an wen ich es zurückzahlen kann.«

«Es ist absurd, über Fragen des Anstands zu streiten, wenn man friert«, sagte ich.»Ich heiße Steven Scott. Die Adresse ist Regent's Park, Malthouse. Das kommt an.«

«Danke.«

«Wenn Sie wollen, fahre ich Sie auch. Da steht mein Wagen. «Ich zeigte die Straße hinunter.

«Nein, danke«, erwiderte sie.»Was glauben Sie, wie ich in den Schlamassel hineingeraten bin?«

«Wie denn?«

Sie zog den dünnen Schal um sich.»Ich habe mich zum Abendessen einladen lassen und dann festgestellt, daß die Sache einen Haken hatte. Also habe ich den Herrn mit seiner Suppe sitzenlassen und bin davongestürmt. Erst draußen ging mir auf, daß ich kein Geld dabeihabe. Er hatte mich nämlich abgeholt. «Sie lächelte plötzlich und zeigte ebenmäßige weiße Zähne.»Manche Mädchen sind dümmer als andere.«

«Steven kann Ihnen ja ein Taxi besorgen«, sagte Charlie.

«Einverstanden.«

Es dauerte zwar einige Minuten, bis ich eins fand, aber sie stand immer noch gegen den Wind geduckt vor Charlies Wagen, als ich wiederkam. Ich stieg aus dem Taxi, sie stieg ein und fuhr unverzüglich davon.

«Der Narr und sein Geld«, meinte Charlie.

«Das war kein Bauernfängertrick.«

«Wäre doch ein guter«, sagte er.»Woher wissen Sie, ob sie nicht zwei Straßenzüge weiter aus der Taxe springt und den nächsten Kavalier um einen Fünfer erleichtert?«

Lachend drehte er die Scheibe hoch, winkte und lenkte seinen Rover heimwärts.

Montag früh kam die gute Nachricht und die schlechte.

Die gute war ein Brief, dem eine 5-Pfund-Note beilag. Geschnitten, Charlie, dachte ich.

Lieber Mr. Scott,

es war sehr nett, daß Sie mir am Samstagabend geholfen haben. Sicher gehe ich nie wieder ohne Geld für die Heimfahrt zu einer Verabredung.

Mit freundlichen Grüßen Alexandra Ward

Die schlechte Nachricht war gedruckt: Meine beiden abonnierten Tageszeitungen (eine für den Rennsport, eine allgemeine) ließen sich über die Treulosigkeit von Besitzern aus, die ihre schwer arbeitenden Trainer abschießen. Eine schrieb:

Doppelt hart für Jody Leeds nach allem, was er für Mr. Scott getan hat, daß der Besitzer nun aus heiterem Himmel erklärt, seine Pferde in andere Hände geben zu wollen. Wie wir vor Jahresfrist an dieser Stelle groß berichteten, hat Jody Leeds eigens den Großstall Berksdown Court übernommen, um die wachsende Zahl von Scott-Pferden unter Dach zu bringen. Jetzt steht der achtundzwanzig Jahre alte Trainer plötzlich allein und verlassen da mit einem Berg noch offener Verbindlichkeiten. Verrat wäre vielleicht ein zu starkes Wort. Undankbarkeit nicht.

Die andere, in eher reißerischem Ton:

Enttäuscht über den Absprung des undankbaren Besitzers Steven Scott (35), sagte Leeds (28) am Sonnabend in Sandown:»»Jetzt bin ich geliefert. Scott hat mich fallenlassen, während er noch die Glückwünsche für den Sieg seines von mir trainierten Hürdlers Energise entgegennahm. Mir blutet das Herz. Da legt man sich für einen Besitzer krumm, und er tritt einen in den Hintern.«

Höchste Zeit, unsere Trainer vor dergleichen zu schützen. Man munkelt, daß Leeds vor Gericht gehen will.

Die vielen Notizbücher der Presse, die vielen gespitzten Ohren waren nicht umsonst dagewesen. Wahrscheinlich glaubten sie ja wirklich alle, daß Jody unfair behandelt worden war, aber nicht einer hatte danach gefragt, wie das Ganze von meiner Warte aussah. Nicht einer schien anzunehmen, daß es für mein Verhalten einen zwingenden Grund geben könnte.

Empört legte ich die Zeitungen weg, frühstückte zu Ende und nahm mein Tagwerk in Angriff, das wie üblich weitgehend darin bestand, daß ich still in einem Sessel saß und vor mich hin starrte.

Um die Mitte des Nachmittags, steif und fröstelnd, schrieb ich an Miss Ward.

Liebe Miss Ward,

vielen Dank für den Fünfer. Würden Sie mit mir essen gehen? Es ist kein Haken dran. Anbei fünf Pfund für das Taxi nach Hause.

Mit freundlichen Grüßen Steven Scott

Gegen Abend telefonierte ich mit drei verschiedenen Trainern und bot ihnen jeweils drei Pferde an. Alle sagten zu, doch ihre Vorbehalte waren deutlich zu spüren. Keiner von ihnen fragte, warum ich mich von Jody getrennt hatte, obwohl alle offensichtlich Zeitung gelesen hatten.

Einer, ein sehr direkter Nordengländer, sagte:»Ich möchte eine Garantie, daß die Pferde mindestens sechs Monate bei mir bleiben, wenn sie nicht gerade lahm gehen oder

«In Ordnung.«

«Schriftlich.«

«Wenn Sie wollen.«

«Ja, ich will. Wenn Sie mir die Pferde mit der Garantie rauf schicken, sind wir im Geschäft.«

Für Energise wählte ich einen großen Hof in Sussex, auf dem Hürdler besonders gut gediehen, und den vorsichtigen Worten des Trainers Rupert Ramsey konnte ich entnehmen, daß er von dem Pferd fast soviel hielt wie ich selbst.Für die letzten drei suchte ich einen mittelgroßen Durchschnittsstall in Newmarket aus. Nie wieder würde ich alles auf eine Karte setzen.

Schließlich biß ich die Zähne zusammen, griff zum Hörer und wählte Jodys vertraute Nummer. Aber nicht er, sondern Felicity, seine Frau, meldete sich.

Ihre Stimme war scharf und bitter.»Was willst du?«

Ich sah sie vor mir in ihrem üppig eingerichteten Wohnzimmer, eine energische, schlanke Blondine, mindestens so kompetent und arbeitsam wie Jody. Meistens trug sie enge Jeans und ein teures Hemd, an den Armen sechs klirrende Goldreifen, und roch nach moschushaltigem Parfüm. Sie vertrat in vielem einseitige Ansichten, die sie freimütig äußerte, aber bis zu diesem Abend hatte sie mich mit ihrer Kratzbürstigkeit immer verschont.

«Über den Abtransport meiner Pferde wollte ich reden«, sagte ich.

«Du ziehst uns also wirklich den Boden unter den Füßen weg.«

«Ihr schafft das schon.«

«So.«

«Das ist doch blödes Gewäsch«, fuhr sie auf.»Ich könnte dich umbringen. Nach allem, was Jody für dich getan hat.«

Ich schwieg.»Hat er dir gesagt, warum ich mit ihm breche?«

«Weil ihr euch wegen zehn Pfund auf einer Rechnung gekabbelt habt.«

«Es geht um sehr viel mehr«, sagte ich.

«Blödsinn.«

«Frag ihn«, sagte ich.»Jedenfalls holen Donnerstag früh drei Transporter meine Pferde ab. Die Fahrer wissen, wer welche mitnehmen und wohin er sie schaffen soll. Wenn Jody die Tiere durcheinanderbringt, laß ich sie auf seine Rechnung sortieren.«

Die Schimpfwörter, die sie mir an den Kopf warf, hätten Jodys Vater bis ins Mark erschüttert.

«Donnerstag«, sagte ich.»Drei Transporter, verschiedene Fahrtziele. Mach's gut. «Unerfreulich. Ganz und gar.

Verstimmt sah ich mir ein Fernsehspiel an und bekam kaum ein Wort mit. Um Viertel vor zehn klingelte das Telefon, und ich schaltete aus.

«… möchte nur wissen, woran ich bin, Sir.«

Raymond Child, Hindernis Jockey. Guter Durchschnitt, dreißig Jahre alt, wenig Ausstrahlung. Er ritt nicht schlecht, aber je länger ich zum Pferderennen ging und je mehr ich davon verstand, desto klarer sah ich seine Schwächen. Außerdem war ich mir sicher, daß Jody ohne sein Zutun meine Pferde nicht derart hätte manipulieren können.

«Ich schicke Ihnen noch einen Bonus für Energise«, sagte ich. Jockeys bekamen ihre Gewinnprozente über eine zentrale Verrechnungsstelle, doch besonders dankbare Besitzer legten mitunter noch etwas drauf.

«Vielen Dank, Sir. «Es klang überrascht.

«Ich hatte einiges auf ihn gesetzt.«

«So?«Die Überraschung war gewaltig.»Jody sagte doch…«Er brach ab.

«Ich habe am Totalisator auf ihn gesetzt.«

«Ach so.«

Die Stille zog sich hin. Er räusperte sich. Ich wartete.

«Nun, Sir. Ehm… was die Zukunft angeht…«

«Tut mir leid«, sagte ich und meinte es auch fast so.»Ich kann Ihnen nur für die Sieger danken, die Sie geritten haben.

Und Sie bekommen den Bonus für Energise. Aber in Zukunft reitet ihn der Jockey, der zu seinem neuen Stall gehört.«

Diesmal gab es keine Schimpftirade. Nur einen langen, verzagten Seufzer und ein indirektes Eingeständnis.

«Kann man Ihnen wohl nicht verübeln.«

Er legte auf, bevor ich dazu kam, darauf zu antworten.

Am Dienstag hätte ein Pferd von mir in Chepstow laufen sollen, doch da ich Jodys Vollmacht aufgehoben hatte, konnte er es nicht hinschicken. Ich trieb mich den ganzen Morgen sinnlos in meiner Wohnung herum, und am Nachmittag ging ich von Kensington Gardens zu Fuß zum Tower. Kalte, graue, feuchte Luft, lärmende Möwen. Kaffeebraun lief der Fluß mit der Ebbe aus. Ich blickte vom kleinen Towerhügel in Richtung Stadt und dachte an all diejenigen, die ihr Leben hier unter der Axt gelassen hatten. Dezemberstimmung durch und durch. Ich kaufte eine Tüte Röstkastanien und fuhr mit dem Bus nach Hause.

Am Mittwoch kam ein Brief.

Lieber Mr. Scott,

wann und wo?

Alexandra Ward

Den 5-Pfund-Schein hatte sie behalten.

Donnerstagabend bestätigten die drei neuen Trainer, daß die Pferde wie erwartet eingetroffen waren; am Freitag arbeitete ich ein wenig, und am Samstag fuhr ich nach Cheltenham zum Pferderennen. Ich hatte zwar nicht stürmische Sympathiebekundungen erwartet, doch die Feindseligkeit, die ich zu spüren bekam, war in ihrer Intensität und ihrem Ausmaß wirklich bitter.

Man kehrte mir zwar nicht ostentativ, aber entschieden den Rücken. Etliche Bekannte senkten verlegen die Augen, wenn sie mit mir sprachen, und eilten so schnell wie möglich davon. Die Presse lauerte, die Trainer waren auf der Hut, der Jockey-Club kalt und abweisend.

Nur Charlie Canterfield kam breit lächelnd auf mich zu und drückte mir fest die Hand.

«Habe ich irgendwas an mir?«fragte ich. Er lachte.»Sie haben den Schwächeren getreten. Das verzeihen die Briten nicht.«

«Auch nicht, wenn der Schwächere zuerst tritt?«»Die Schwachen sind niemals im Unrecht. «Er führte mich in die Bar.»Ich habe eine kleine Meinungsumfrage für Sie gemacht. Zehn Prozent fänden es gerecht, auch Ihre Ansicht zu hören. Zehn Prozent meinen, Sie gehören erschossen. Was trinken Sie?«

«Scotch. Ohne Eis, ohne Soda. Und die anderen achtzig Prozent?«

«Mit so viel gerechter Empörung käme das MütterGenesungswerk auf Monate aus. «Er zahlte die Getränke.»Prost.«

«Prost.«

«Das geht vorüber«, sagte Charlie.

«Wird es wohl.«

«Auf wen tippen Sie im dritten?«

Wir sprachen die Kandidaten des Nachmittags durch und kamen nicht mehr auf Jody zurück, aber als ich später wieder allein war, fiel es mir doch schwer, das bedrückende Klima zu ignorieren. Ich setzte am Toto je einen Zehner auf zwei Pferde und verlor. Kein Wetterumschwung.

Den ganzen Nachmittag drängte es mich, klarzustellen, daß ich und nicht Jody der Geschädigte war. Aber ich dachte an die vielen Tausender Schadenersatz, um die er mich zweifellos noch erleichtern würde, wenn ich den Mund aufmachte, und schwieg.

Die Krönung des Tages war Quintus selbst, der seine ausladende Gestalt vor mir aufbaute und mir laut mitteilte, daß ich eine wahre Schande für den Rennsport sei. Quintus, dachte ich, sprach gern in Klischees.

«Damit Sie das wissen«, sagte er,»Sie wären in den Jockey-Club gewählt worden, wenn Sie Jody nicht so gemein hintergangen hätten. Ihr Name war im Gespräch. Jetzt sind Sie draußen, dafür sorge ich.«

Er nickte kurz mit dem Kopf und trat zur Seite. Ich blieb stehen.

«Gemein gehandelt hat hier nur Ihr Sohn.«

«Was fällt Ihnen ein!«

«Glauben Sie es ruhig.«

«Absoluter Blödsinn. Die Unstimmigkeit auf Ihrer Rechnung war nichts als ein Schreibfehler. Sollten Sie etwas anderes behaupten… «

«Ich weiß«, sagte ich.»Dann klagt er.«

«Ganz recht. Ihm steht jeder Penny zu, den er kriegen kann.«

Ich ging weiter. Quintus mochte voreingenommen sein, aber von der Presse würde ich eine ehrliche Antwort bekommen.

Ich fragte den Leitartikler einer führenden Tageszeitung, einen Mann um die Fünfzig, der wie ein Maschinengewehr schrieb und Pfefferminz lutschte, um sich vom Rauchen abzuhalten.

«Welchen Grund gibt Jody Leeds dafür an, daß er meine Pferde verliert?«

Der Leitartikler lutschte weiter und stieß einen Schwall süßen Atem aus.

«Er sagt, er hat Ihnen versehentlich Arbeit berechnet, die Raymond Child nicht geleistet hat.«

«Weiter nichts?«

«Sie hätten ihm Diebstahl vorgeworfen und wollten Ihren Trainer wechseln.«

«Und welche Meinung haben Sie dazu?«

«Gar keine. «Er zuckte die Achseln und lutschte vor sich hin.»Ansonsten… Die vorherrschende Ansicht scheint zu sein, daß es wirklich ein Versehen war und daß, milde ausgedrückt, Ihre Reaktion überzogen ist.«

«Verstehe«, sagte ich.»Danke.«

«Das war's schon? Keine Story?«

«Nein«, sagte ich.»Tut mir leid.«

Er steckte sich ein neues Pfefferminz in den Mund, nickte unverbindlich und wandte sich wichtigeren Dingen zu. Für ihn war ich Schnee von gestern. An diesem Samstag standen andere auf der Abschußliste.

Ich ging nachdenklich über den Rasen vor der Clubtribüne, um mir das nächste Rennen anzuschauen. Es war wirklich nicht sehr schön, für alle der Buhmann zu sein, und ein Mädchen, mit dem ich einmal in Ascot gewesen war, gab mir den Rest.

«Mein lieber Steven«, sagte sie mit koketter Mißbilligung,»was bist du für ein reicher alter Leuteschinder. Der Ärmste kommt doch kaum über die Runden. Selbst wenn er dir ein paar Pfund zuviel abgeknöpft hat, was soll das Theater? Bißchen zickig, hm?«

«Du meinst, die Reichen sollen Robin Hood nur machen lassen?«

«Was?«

«Schon gut.«

Ich gab es auf und fuhr nach Hause.

Der Abend war wesentlich besser. Um acht holte ich Miss Alexandra Ward in Hampstead ab und ging mit ihr im rotgoldenen Grillroom des Cafes Royal essen.

In freundlichem Licht, bei angenehmer Temperatur und nicht vom Wind gebeutelt, war sie all das, was der flüchtige Eindruck der vorigen Woche hatte erahnen lassen. Sie trug den gleichen langen schwarzen Rock, die gleiche kremfarbene Bluse, den gleichen kremfarbenen Seidenschal. Auch die goldenen Sandalen, die goldgewirkte Handtasche, keine Handschuhe. Aber ihr braunes Haar glänzte seidig, ihre Haut glühte, ihre Augen strahlten, und über allem lag das undefinierbar Besondere, eine typisch amerikanische Gepflegtheit.

Sie kam auf mein Klingeln selbst zur Tür, und wir schauten uns erst einfach mal an. Was sie vor sich sah, war ein kräftig gebauter Mann von gut einem Meter achtzig, dunkelhaarig, dunkle Augen, ohne nennenswerte Mängel. Sauber, ordentlich, manierlich und angetan mit einem herkömmlichen Smoking.

«Guten Abend«, sagte ich.

Sie lächelte, nickte, als müsse sie sich selbst Recht geben, trat dann aus der Tür und zog sie hinter sich zu.

«Meine Schwester wohnt hier«, sagte sie, auf das Haus deutend.»Ich bin zu Besuch. Sie ist mit einem Engländer verheiratet.«

Ich hielt ihr die Wagentür auf. Sie stieg elegant ein, und ich ließ den Motor an und fuhr los.

«Zu Besuch aus den Staaten?«fragte ich.»Ja. Ich komme aus Westchester… bei New York.«»Brutstätte neuer Führungskräfte?«meinte ich lächelnd. Ein kurzer Seitenblick von ihr.»Sie kennen Westchester?«»Nein. Ich war ein paar Mal in New York, weiter nichts. «Wir hielten an einer Ampel. Sie meinte, es sei schön draußen. Ich stimmte ihr zu.

«Sind Sie verheiratet?«fragte sie unvermittelt.

«Haben Sie den Fünfer dabei?«

«Ja.«

«Gut… Nein, ich bin ledig.«

Die Ampel sprang auf Grün. Wir fuhren weiter.

«Sind Sie auch ehrlich?«sagte sie.

«In der Hinsicht ja. Ich bin nicht verheiratet. Nie gewesen.«

«Da weiß ich gern Bescheid«, sagte sie etwas entschuldigend.

«Verstehe ich.«

«Der Frauen wegen.«

«Ja.«

Ich hielt schließlich vor dem Cafe Royal am Piccadilly Circus und half ihr aus dem Wagen. Als wir hineingingen, blickte sie sich um und sah einen kleinen, dünnen Mann meinen Platz hinter dem Steuer einnehmen.

«Er arbeitet für mich«, sagte ich.»Er parkt den Wagen.«

Sie sah mich belustigt an.»Dafür wartet er extra?«

«Gegen Überstundenlohn, Samstagabends.«

«Es gefällt ihm also?«

«Er fleht mich geradezu an, junge Damen auszuführen. Sonst parke ich nämlich selbst.«

Im vollen Licht der Eingangshalle schaute sie noch einmal genau, von wem sie sich da hatte einladen lassen.

«Was erwarten Sie von mir?«sagte sie.

«Bevor ich Sie abholte, habe ich Ehrlichkeit, Direktheit und Ecken und Kanten erwartet. Nachdem ich Sie jetzt eine halbe Stunde kenne, erwarte ich Ecken und Kanten, Direktheit und Ehrlichkeit.«

Sie lächelte vergnügt, die weißen Zähne schimmerten, und Lachfältchen bildeten sich unter ihren Augenlidern.

«Das hatte ich nicht gemeint.«

«Nein… Was erwarten Sie denn von mir?«

«Vorbildliches Benehmen und ein gutes Abendessen.«»Wie langweilig.«»Wenn Sie nicht wollen…«

«Die Bar«, ich zeigte hin,»ist da drüben. Ich will.«

Sie schenkte mir nochmals ein entzückendes Lächeln und ging mit mir. Sie trank Wodka mit Martini, ich bevorzugte Scotch, und beide aßen wir ein paar schwarze Oliven und spuckten die Steine diskret in unsere Hände.

«Lesen Sie öfter Mädchen von der Straße auf?«fragte sie.

«Nur wenn sie fallen.«

«Gefallene Mädchen?«

Ich lachte.»Nein, die nicht.«

«Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?«

Ich nahm einen Schluck Scotch.»Ich bin eine Art Ingenieur. «Es hörte sich uninteressant an.

«Brücken und so weiter?«

«Nichts so Beständiges und Wichtiges.«

«Sondern?«

Ich lächelte.»Ich mache Spielzeug.«

«Sie machen was?«

«Spielzeug. Sachen zum Spielen.«

«Ich weiß, was Spielzeug ist, verdammt.«

«Und was tun Sie?«fragte ich.»In Westchester?«

Sie warf mir über ihr Glas einen belustigten Blick zu.»Sie gehen davon aus, daß ich berufstätig bin?«

«Sie wirken so.«»Nun, ich koche.«

«Hamburger und Fritten?«

Ihre Augen glitzerten.»Hochzeitsessen und so. Partys.«

«Eine Menülieferantin.«

Sie nickte.»Zusammen mit einer Freundin. Millie.«

«Wann fliegen Sie zurück?«

«Donnerstag.«

Donnerstag schien plötzlich sehr nah zu sein. Nach einer merklichen Pause fügte sie, fast als müsse sie sich verteidigen, hinzu:»Es ist ja Weihnachten. Über die

Feiertage haben wir viel zu tun. Allein könnte Millie das nicht schaffen.«

«Natürlich nicht.«

Wir widmeten uns dem Dinner und aßen geräucherte Forelle und Filet Wellington. Sie las die Speisekarte mit beruflichem Interesse von vorn bis hinten durch und fragte den Ober nach den Zutaten einiger Gerichte.

«Hier ist so vieles anders«, erklärte sie.

Von Wein verstand sie wenig.»Ich trinke ihn schon, aber mit Hochprozentigem kenne ich mich besser aus. «Der Weinkellner sah sie zweifelnd an, doch seine Skepsis verschwand sofort, als sie den Cognac, den er mit dem Kaffee brachte, dann richtig als Armagnac erkannte.

«Wo steht Ihre Spielzeugfabrik?«fragte sie.

«Ich habe keine Fabrik.«

«Sie sagten doch, Sie machen Spielzeug.«

«Tu ich auch.«

Sie sah mich ungläubig an.»Soll das heißen, Sie stellen es wirklich her? Ich meine, eigenhändig?«

«Ja«, sagte ich lächelnd.

«Aber…«Sie blickte in dem vornehmen Raum umher, und ihr Gedanke, klar wie ein Bergsee, war: Wenn er mit den Händen arbeitet, wie kann er sich so ein Lokal leisten?

«So viel Arbeit macht mir das nicht«, sagte ich.»Meistens gehe ich zum Pferderennen.«

«Okay«, sagte sie.»Ich geb's auf. Sie haben mich am Haken. Erklären Sie mir das Rätsel.«»Möchten Sie noch Kaffee?«»Mr. Scott…«Sie hielt inne.»Das klingt albern, nicht?«

«Ja, Miss Ward.«

«Steven…«

«Viel besser.«

«Meine Mutter sagt Alexandra zu mir, Millie sagt AI.

Suchen Sie es sich aus.«

«Allie?«

«In Gottes Namen.«

«Ich erfinde Spielsachen«, sagte ich.»Ich nehme Patente darauf. Andere produzieren sie. Ich erhalte Lizenzgebühren.«

«Oh.«

«Steht >oh< für Verständnis, Faszination oder tödliches

Gelangweiltsein? «

«Es steht für o wie ungewöhnlich, o wie interessant und oh, ich wußte gar nicht, daß es solche Leute gibt.«»Davon gibt es ziemlich viele.«»Haben Sie Monopoly erfunden?«Ich lachte.»Leider nicht.«»Aber ähnliche Sachen?«»Mechanisches Spielzeug hauptsächlich.«»Eigenartig…«Sie brach ab und behielt lieber für sich, was sie dachte. Da mir die Reaktion vertraut war, sprach ich den Satz für sie zu Ende.

«Eigenartig, daß ein erwachsener Mensch sein Leben im Spielzeugland zubringt?«

«Das haben Sie gesagt.«

«Kinderhirne brauchen Nahrung.«

Sie dachte darüber nach.»Und die kommende Elite sind die Kinder von heute?«

«Da setzen Sie zu hoch an. Die kommenden Eltern, Lehrer, Flegel und Faulenzer sind die Kinder von heute.«

«Und Sie sind von missionarischem Eifer erfüllt?«

«Solange es sich auszahlt.«

«Zyniker.«

«Besser, als Schaum zu schlagen.«

«Ehrlicher«, räumte sie ein. Ihre Augen lächelten in dem sanften Licht halb spöttisch, halb freundlich, glänzend graugrün, das Weiße in ihnen leuchtend wie Schnee. Ihre Brauenbögen ließen nichts zu wünschen übrig. Ihre Nase war kurz und gerade, ihre Mundwinkel zeigten nach oben, und ihre Wangen waren an den richtigen Stellen leicht gerundet. Zusammen ergab das Ganze nicht ein Bild landläufiger Schönheit, sondern ein lebens- und charaktervolles Gesicht. Es erzählte etwas von ihrer Geschichte, dachte ich. Glückslinien, kein unzufriedener Zug. Keine Angst, keine innere Unsicherheit. Viel Selbstvertrauen, denn sie wußte, daß sie gut aussah und Erfolg im Beruf ihrer Wahl hatte. Sicher keine Jungfrau mehr: Die Augen eines Mädchens blickten danach immer anders.

«Sind Sie ganz ausgebucht«, fragte ich,»bis Donnerstag?«

«Hier und da habe ich ein paar Minuten frei.«

«Morgen?«

Sie lächelte und schüttelte den Kopf.»Morgen geht nichts.

Am Montag, wenn Sie wollen.«

«Ich hole Sie ab«, sagte ich.»Montag morgen um zehn.«

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