Kapitel 5

Mittwoch früh um halb sieben rief Charlie Canterfield an. Verschlafen streckte ich eine Hand aus dem Bett und tastete nach dem Hörer.»Hallo?«

«Wo zum Teufel haben Sie gesteckt?«sagte Charlie.»Seit Sonntag morgen versuche ich Sie zu erreichen.«

«Ich war unterwegs.«

«Das habe ich gemerkt. «Er hörte sich eher belustigt als gereizt an.»Also… hätten Sie heute mal Zeit für mich?«

«Den ganzen Tag, wenn Sie wollen.«

Meine Großzügigkeit war allein auf die bedauerliche Tatsache zurückzuführen, daß Allie meinte, ihren letzten vollen Tag mit ihrer Schwester verbringen zu müssen, die Pläne geschmiedet und Karten gekauft hatte. Wenn ich es recht verstand, hatte sie mich Montag und Dienstag schon ihren anderen Verpflichtungen vorgezogen, daher konnte ich nicht murren. Der Dienstag war sogar noch besser gewesen als der Montag, außer daß er genauso endete.

«Heute morgen genügt«, sagte Charlie.»Halb zehn?«

«Okay. Tanzen Sie an.«

«Ich möchte einen Bekannten mitbringen.«

«Gut. Wissen Sie, wie Sie herkommen?«

«Das Taxi findet's«, sagte Charlie und legte auf.

Sein Bekannter entpuppte sich als massiger Mann in Charlies Alter, mit Schultern wie ein Hafenarbeiter und dazu passender Sprache.

«Bert Huggerneck«, stellte Charlie ihn vor. Bert Huggerneck quetschte mir mit seiner muskulösen Hand die Knochen.»Charlies Freunde sind auch meine Freunde«, sagte er, aber ohne Wärme und Überzeugung.

«Gehen wir nach oben«, sagte ich.»Kaffee — oder Frühstück?«

«Kaffee«, sagte Charlie. Bert Huggerneck meinte, da sage er nicht nein, und das hieß, wie sich herausstellte, zweimal Toast mit Speck und Ketchup sowie gebackene Currybohnen. Die Mahlzeit suchte er sich selbst aus meinen dürftigen Vorräten zusammen, und er aß schnell und mit Genuß.

«Gar kein schlechtes Futter«, bemerkte er,»unter den

Umständen.«

«Was für Umstände?«fragte ich.

Er warf mir einen scharfen Blick zu und umschloß mit einer Geste die Wohnung und die Nachbarschaft.»Dafür, daß Sie ein stinkreicher Kapitalist sein müssen, wenn Sie hier wohnen.«

Er sprach es >Kapitalist< aus und betrachtete es offensichtlich als ein grobes Schimpfwort.

«Von wegen«, sagte Charlie freundlich.»Er kommt aus keinem schlechteren Stall als du und ich.«

«Ha!«Seine Ungläubigkeit hielt Bert Huggerneck nicht davon ab, zu noch mehr Toast zu greifen.»Haben Sie auch Marmelade?«sagte er.»Leider nicht. «Er behalf sich mit einem halben Glas Gelee.

«Was war das eben mit dem Stall?«fragte er Charlie argwöhnisch.»Alle Kapitalisten sind Snobs.«

«Sein Großvater war Mechaniker«, sagte Charlie.»Genau wie meiner Milchmann war und deiner im Straßenbau.«

Es amüsierte mich, daß Charlie meinen Vater und meine Mutter übergangen hatte, die von Beruf Lehrer und Krankenschwester gewesen waren. Mit dem MechanikerGroßvater, dem Schweißer-Onkel und der Unzahl gewerkschaftlich organisierter Verwandter war eher Staat zu machen. Wenn Politiker jeder Couleur unter ihren Ahnen fleißig nach Proletariern suchen und dreimal vor dem ersten Hahnenschrei jede Verbindung zum Adel leugnen, warum sollte ich ein Spielverderber sein? In Wahrheit hatten die zwei scheinbar divergierenden Stränge der körperlichen Arbeit und des Unterrichtens mir von beidem das Beste mitgegeben, nämlich handwerkliches Geschick und die Fähigkeit, Dinge zu entwerfen, die ich von Hand herstellen konnte. Geld und Erfahrung waren dazugekommen.

«Ich nehme an, Mr. Huggerneck ist gegen seinen Willen hier«, bemerkte ich.

«Weit gefehlt«, sagte Charlie.»Er möchte, daß Sie ihm helfen.«

«Wie benimmt er sich denn dann, wenn er mit jemand Streit sucht?«

«Bei dem würde er nichts essen.«

Na gut, dachte ich. Wessen Gastfreundschaft du annimmst, den tritt nicht. Solange das galt, war noch nicht alles verloren.

Wir saßen am Küchentisch; Charlie rauchte und benutzte seine Untertasse als Aschenbecher, und ich fragte mich, was eigentlich so Dringendes anlag. Bert putzte seinen Teller mit einer letzten Scheibe Toast, die er mit Kaffee hinunterspülte.

«Was gibt's zu Mittag?«sagte er.

Ich nahm das, wie es gemeint war, als Dankeschön fürs Frühstück.

«Bert«, kam Charlie zur Sache,»ist bei einem Buchmacher angestellt.«

«Langsam«, sagte Bert.»Nicht ist — war.«

«War«, räumte Charlie ein,»und wird es auch wieder sein. Aber jetzt gerade ist die Firma, bei der er angestellt war, bankrott.«

«Der Chef ist im Dreieck gesprungen«, sagte Bert nik-kend.»Der Gerichtsvollzieher hat ihm keinen einzigen verdammten Schreibtisch dagelassen.«

«Und keine einzige verdammte Schreibkraft?«

«He«, sagte Bert, dessen Brauen sich jäh hoben, als endlich doch ein Lächeln in seine Augen trat.»So übel sind Sie ja gar nicht.«

«Verdorben bis ins Mark«, sagte ich.»Erzählen Sie.«

«Na ja, der Chef hat sich verkalkuliert, oder wie er sagt, seine mathematischen Berechnungen beruhten auf einer Falschannahme.«

«Weil zum Beispiel das falsche Pferd gesiegt hat?«

Berts Lächeln wurde breiter.»Schnell von Kapee, was? Eine ganze Serie von falschen Pferden war das. Also, ich hab jahrelang für den Mann geschrieben. Auf allen großen Bahnen hat er einen Stand im Tatt's und auch im Silver Ring… na ja, gehabt… und ich habe meistens für ihn geschrieben, für ihn direkt, verstehen Sie?«

«Ja. «Buchmacher nahmen immer einen Schreiber mit, der alle angelegten Wetten eintrug. Jede größere Buchmacherfirma hatte bei möglichst vielen Meetings in der Umgebung ein Team von zwei oder mehr Leuten stehen; je größer die Firma, desto mehr Meetings nutzte sie.

«Tja also, ich habe ihn ein paarmal gewarnt, daß sein Buch irgendwie komisch aussieht. Mit der Zeit kriegt man eine Antenne für so was, nicht wahr? In diesem Jahr hat er mehr als einmal totalen Mist gebaut, und ich hab ihm gesagt, er kriegt den Gerichtsvollzieher an den Hals, wenn er so weitermacht, und hatte ich nicht recht?«

«Was meinte er denn dazu?«

«Daß ich mich nicht um Sachen kümmern soll, die mich nichts angehen«, sagte Bert.»Aber es ging mich doch was an, oder? Es ging doch um meinen Job. Um meinen

Lebensunterhalt genauso wie um seinen. Wer zahlt denn meine Raten und meine Miete und meinen Deckel in der Kneipe, hab ich ihn gefragt, und er dreht sich um und sagt, keine Bange, ich hab alles im Griff, ich weiß, was ich tu. «Helle Empörung lag in seiner Stimme.

«Und er wußte es nicht«, bemerkte ich.»Einen Dreck wußte der. Aber es war, als hätte ich in den Wind geredet. Dümmer geht's nicht. Vor zehn Tagen ist er dann endgültig abgeschmiert. Eine Unmasse Geld verloren. Sense. Wir sind alle entlassen worden. Ohne Abfindung. Er hat sein Konto total überzogen und ist über beide Ohren verschuldet.«

Ich warf einen Blick auf Charlie, der sich ausschließlich für die Asche an seiner Zigarette zu interessieren schien.

«Wie kommt es«, fragte ich Bert,»daß Ihr Chef Ihre Warnungen mißachtet und sich kopfüber in den Abgrund gestürzt hat?«

«Der hat sich in keinen Abgrund gestürzt, er besäuft sich jeden Abend in der Finte.«

«Ich wollte sagen…«

«Versteh schon. Wieso hat er alles verloren? Weil ihn jemand falsch informiert hat, meiner Meinung nach. Auf dem Weg zur Rennbahn hat er sich wer weiß wie aufgeplustert. Wie er dann wiederkommt, sagt er nur, die Firma ist erledigt und restlos im Eimer. Käseweiß war er. Ganz zittrig. Ich hab dich doch oft genug gewarnt, sag ich. An dem Tag auch; ich hatte ihn gewarnt, daß er zu viel auf diesen Energise annimmt, ohne sich abzusichern, und er meinte nur locker, laß mal, kümmer du dich um deinen Kram. Deshalb nehm ich an, jemand hat ihm gesteckt, es sei verabredet, daß Energise nicht gewinnt, aber er hat gewonnen und der Firma damit das Genick gebrochen.«

Bert schloß den Mund, und die Stille war so laut wie Glockenläuten. Charlie klopfte seine Asche ab und lächelte. Ich schluckte.»Ehm…«, sagte ich schließlich.»Das ist erst die halbe Geschichte«, warf Charlie elegant ein.»Bitte erzähl es ihm zu Ende, Bert.«

Bert war so freundlich.»Tja, am Samstag abend sitz ich dann in der Kneipe. Vorigen Samstag, nicht an dem, wo Energise gesiegt hat. Vor vier Tagen, ja? Nach der Räumung und dem ganzen Zirkus. Also da schneit Charles rein, wie er das immer mal wieder macht, und wir trinken ein paar Bier zusammen so als alte Kumpel, wir haben nämlich als Kinder nebeneinander gewohnt, und wie er dann nach Eton auf die Edelpenne ist, mußte ihn in den Ferien ja immer einer auf Normalmaß stutzen. Jedenfalls sitzen wir da in der Kneipe, und ich erzähl ihm meine ganzen Sorgen, und da meint Charlie, er kennt noch einen, der das gern hören würde… na ja, und da sind wir.«

«Was meinen Sie denn jetzt für Sorgen?«fragte ich.

«Ach so… klar. Der Chef hatte ein paar Wettbüros. Eins in Windsor, eins in Staines, weiter nichts. Und der Hauptladen, wo der Gerichtsvollzieher alles ausgeräumt hat, war das Büro in Staines. Da heult also der Chef wie ein Schloßhund und hält sich den Kopf, weil seine Möbel Beine kriegen, und auf einmal klingelt das Telefon. Das steht inzwischen auf dem Boden, den Tisch dafür haben sie schon rausgeschleppt. Der Chef hängt sich also dran, und da ist ein Typ am Apparat, der ihm anbietet, den Mietvertrag zu übernehmen.«

Er schwieg mehr der Wirkung halber, als um Luft zu holen.

«Weiter«, ermunterte ich ihn.

«Ein Geschenk des Himmels war das für den Chef«, sagte Bert, der Einladung folgend.»Er hätte nämlich für beide Läden weiter Miete zahlen müssen, auch wenn sie geschlossen blieben. Er ist dem Typ praktisch um den Hals gefallen, wie man sagt, und der kommt und zahlt ihm noch am selben Morgen dreihundert Pfund cash auf die Kralle, und seitdem läßt sich der Chef nur noch vollaufen.«

Eine Pause.»In was für einer Branche«, fragte ich,»ist denn der Typ?«

«Was?«sagte Bert überrascht.»Er ist Buchmacher natürlich.«

Charlie lächelte.

«Sie werden schon von ihm gehört haben«, sagte Bert.»Ganser Mays heißt er.«

Es konnte wohl nicht anders sein.

«Und wie soll ich Ihnen helfen?«fragte ich.

«Hm?«

«Charlie sagte, Sie wollten meine Hilfe.«

«Ach so. Na, ich weiß nicht recht. Charlie meinte, es wäre vielleicht gut, wenn ich Ihnen das alles erzähle, also hab ich's gemacht.«

«Hat Charlie Ihnen auch gesagt, wem Energise gehört?«fragte ich.

«Nein, hat Charlie nicht«, sagte Charlie.

«Was zum Henker liegt daran, wem er gehört?«wollte Bert wissen.

«Er gehört mir«, sagte ich.

Bert blickte mehrmals von einem zum anderen. Verschiedene Gedanken schossen durch seinen Kopf, und Charlie und ich warteten.

«He, Mann«, sagte er schließlich.»Haben Sie das Rennen manipuliert?«

«Das Pferd ist sauber und ehrlich gelaufen, und ich habe es am Toto gewettet«, sagte ich.

«Ja, und wieso dachte mein Chef dann — «

«Ich habe keine Ahnung«, log ich.

Charlie zündete sich am Stummel seiner Zigarette eine neue an. Es waren schließlich seine Lungen.

«Die Frage ist«, sagte ich,»wer hat Ihrem Chef die Falschinformation geliefert?«

«Weiß ich nicht. «Er überlegte, schüttelte aber den Kopf.»Keine Ahnung.«

«Könnte es Ganser Mays gewesen sein?«

«Oh, verdammt!«

«Von wegen übler Nachrede«, meinte Charlie.»Dafür könnte er Sie drankriegen.«

«Ich frage ja nur«, sagte ich.»Und ich schließe die Frage an, ob Bert vielleicht noch andere kleine Firmen kennt, die so eingegangen sind.«

«Oh, verdammt!«entfuhr es Bert noch einmal.

Charlie seufzte resigniert, als hätte er das ganze Frühstücksgespräch nicht selber eingefädelt.

«Ganser Mays«, sagte ich im Plauderton,»hat im Lauf des letzten Jahres eine große Anzahl von Wettbüros eröffnet. Wo ist die Konkurrenz geblieben?«

«Die besäuft sich in der Kneipe«, sagte Charlie.

Charlie blieb noch ein wenig, nachdem Bert gegangen war, machte es sich in einem meiner Ledersessel bequem und wurde wieder er selbst.

«Bert ist ein prima Kerl«, sagte er.»Aber ich finde ihn anstrengend. «Mir fiel auf, daß sein Eton-Akzent wieder voll da war, und plötzlich wurde mir klar, wie sehr er sich in Redeweise und Verhalten auf seine Gesprächspartner einstellte. Der Charlie Canterfield, den ich kannte, der mächtige, zigarrenrauchende Banker, der täglich mit Millionen umging, war nicht derjenige, als der er sich Bert Huggerneck präsentiert hatte. Von allen mir bekannten Leuten, die von einer Welt in eine andere eingetreten waren, schien Charlie der Schritt am besten gelungen zu sein. Er bewegte sich im Big Business wie ein Fisch im Wasser, konnte aber auch mit Bert völlig ungezwungen umgehen, was mir, dem weniger Welterfahrenen, schon schwerfiel.

«Wer ist der Schurke«, fragte Charlie.»Ganser Mays oder Jody Leeds?«

«Beide.«

«Zu gleichen Teilen?«

Wir dachten darüber nach.»Läßt sich im Moment nicht sagen«, meinte ich.

«Im Moment?«Er zog die Brauen hoch.

Ich lächelte ein wenig.»Ich wollte vielleicht mal was in, sagen wir, Richtung Selbsthilfe versuchen.«

«Das Gesetz nimmt man besser nicht in die eigenen Hände.«

«Ich habe ja nicht direkt vor, jemand zu lynchen.«

«Sondern?«

Ich zögerte.»Erst muß ich etwas nachprüfen. Am besten heute noch. Sollte ich recht haben, werde ich ordentlich Theater machen.«

«Ohne Rücksicht auf Beleidigungsklagen?«

«Weiß ich nicht. «Ich schüttelte den Kopf.»Es ärgert mich maßlos.«

«Was wollen Sie denn prüfen?«fragte er.

«Rufen Sie mich morgen früh an, dann sage ich es Ihnen.«

Bevor er ging, fragte auch Charlie, wie schon Allie, ob ich ihm zeigen würde, wo ich die Spielsachen machte. Wir gingen hinunter in die Werkstatt und fanden dort Owen Idris vor, meinen Helfer für alle Arbeiten, der damit beschäftigt war, den sauberen Fußboden zu fegen.

«Morgen, Owen.«

«Morgen, Sir.«

«Das ist Mr. Canterfield, Owen.«

«Morgen, Sir.«

Owen schien ohne Unterbrechung weiterzufegen, doch ich wußte, daß der rasche Blick, den er auf Charlie geworfen hatte, so gut wie ein Foto war. Mein gepflegtes, verschlossenes kleines Waliser Faktotum hatte ein phänomenales Personengedächtnis.

«Brauchen Sie heute den Wagen, Sir?«sagte er.

«Heute abend.«

«Dann wechsle ich das Öl.«

«In Ordnung.«

«Brauchen Sie mich zum Parken?«

Ich schüttelte den Kopf.»Heute nicht.«

«Sehr wohl, Sir. «Er sah resigniert drein.»Danke«, sagte er.

Ich zeigte Charlie die Maschinen, doch er verstand von Technik weniger als ich vom Bankgeschäft.

«Wo fangen Sie an, mit den Händen oder mit dem Kopf?«

«Erst der Kopf«, sagte ich.»Dann die Hände, dann der Kopf.«

«Sonnenklar.«

«Ich denke mir etwas aus, ich bastle es, ich zeichne es.«

«Zeichnen?«

«Konstruktionszeichnungen, keine künstlerische Skizze.«

«Blaupausen«, sagte Charlie und nickte wissend.

«Blaupausen sind Kopien… Die Originale sind schwarz auf weiß.«

«Man lernt nie aus.«

Ich zog eine der langen Schubladen mit meinen Plänen auf und zeigte ihm ein paar. Die feinen spinnwebartigen Linien mit den Schraubenmaßen, Materialangaben und Zeichenerklärungen sahen ganz anders aus als die bunten Spielsachen, die in den Handel kamen, und Charlie schaute mit einem bedächtigen Kopfschütteln von den Entwürfen zur fertigen Ware.

«Mir schleierhaft, wie Sie das können.«

«Training«, sagte ich.»Genau wie Sie in einer halben Stunde mit zehn verschiedenen Währungen jonglieren und zum Schluß um ein paar Tausender reicher sind.«

«Das geht heute auch nicht mehr so«, meinte er düster. Er sah zu, wie ich die Pläne und Spielsachen wegräumte.»Denken Sie aber dran, daß mein Institut immer Geld für gute Ideen beschaffen kann.«

«Ich denke dran.«

«Es gibt bestimmt eine Menge Banken, die sehnlich auf Sie warten, wenn Sie sich nach Geld umschauen.«

«Die Finanzierung regeln die Hersteller. Ich heimse nur die Patentgebühren ein.«

Er schüttelte den Kopf.»So werden Sie nie Millionär.«

«Aber ich kriege auch keine Magengeschwüre.«

«Kein Ehrgeiz?«

«Das Derby zu gewinnen und mit Jody Leeds abzurechnen.«

Ungebeten, heimlich und zu Fuß traf ich eine halbe Stunde nach Mitternacht in Jodys teurem Rennstall ein. Den Wagen hatte ich, wie auch meine Vorsicht, eine halbe Meile weiter hinten zurückgelassen.

Fahles, unbeständiges Mondlicht fiel auf das große Herrenhaus mit der übergiebelten Eingangstür und den Reihen einheitlicher Fenster. In dem Schlafzimmer im ersten Stock, das Jody mit Felicity teilte, war kein Licht, und auch nicht in dem großen Wohnzimmer darunter. Der ungepflegte Rasen, noch gesprenkelt mit ein paar welken Blättern, erstreckte sich friedlich vom Haus bis zu den Sträuchern am Tor, hinter denen ich mich versteckt hielt.

Ich wartete eine Zeitlang. Nichts deutete darauf hin, daß jemand wach war, und ich hatte auch nicht damit gerechnet. Jody lag wie die meisten Frühaufsteher spätestens um elf im Bett, und nach zehn wurden Anrufe, wenn überhaupt, unwirsch beantwortet. Allerdings scheute er sich nicht, andere morgens vor sieben schon anzurufen. Für Lebensgewohnheiten, die von den eigenen abwichen, hatte er kein Verständnis.

Rechts vom Haus und etwas zurückgesetzt schimmerten matt die Dächer der Stallungen. Dahinter lagen weiß abgezäunt die Koppeln mit einzelnen großen Bäumen. Beim Bau von Berksdown Court war die Qualität wichtiger als die Kosten gewesen.

Eine große, nicht angeschaltete Taschenlampe mit schwarzem Gummigriff in der Hand, ging ich leise die Einfahrt entlang zu den Pferden. Kein Hund schlug an. Kein Nachtwächter schoß auf mich los. Der ganze Hof war in Ruhe und Frieden getaucht.

Mein Atem ging trotzdem schneller. Mein Herz klopfte. Wehe, mich erwischte jemand. Ich hatte mir zwar einzureden versucht, daß Jody mich nicht tätlich angreifen würde, hatte mir aber selbst nicht geglaubt. Wie neulich schon, als ich mich vor den Pferdetransporter gestellt hatte, brachte ich mich aus Zorn in Gefahr.

Als ich näher an die Boxen herankam, war wenig mehr zu hören als von weitem. Jodys Pferde standen jetzt, wo die Strohpreise um das Dreifache gestiegen waren, auf Sägemehl und bewegten sich lautlos. Das plötzliche Niesen eines Pferdes erschreckte mich.

Jodys Stall war nicht als Viereck angelegt, sondern bestand aus einer Reihe unterschiedlich großer U-förmiger Höfe von ganz eigenem Reiz. Es gab insgesamt vierzig Boxen, ohnehin nicht viel für eine so aufwendige Wirtschaft, doch seit meine Pferde fort waren, standen hier wohl nur noch etwa zwanzig Tiere. Jody mußte dringend wieder einen Dummen finden.

Mit Arbeitskräften hatte er immer gespart, da er und Felicity seiner Meinung nach für vier arbeiten konnten. Seine unerschöpfliche Energie sorgte tatsächlich dafür, daß Stallangestellte es nie allzulange bei ihm aushielten, da ihnen das Tempo zu scharf war. Seit der letzte sogenannte Futtermeister im Zorn gegangen war, weil Jody ihm dauernd dreingeredet hatte, führte er hier allein das Regiment. Unter den gegebenen Umständen war kaum anzunehmen, daß er einen neuen Mann eingestellt hatte; das Häuschen am Ende des Hofs würde also leerstehen.

Jedenfalls brannte kein Licht dort, und es kam auch niemand herausgestürzt, um den nächtlichen Besucher zu stellen. Ich ging vorsichtig zur ersten Box im ersten Hof und schob leise die Riegel zurück.

Drinnen stand eine ausladende Fuchsstute, die gemächlich Heu fraß. Sie drehte ihr Gesicht ruhig in den Lampenstrahl. Große Blesse auf Stirn und Nasenrücken. Asphodel.

Ich sperrte die Tür wieder ab, indem ich zentimeterweise die Riegel vorschob. Jedes laute Geräusch würde in der kalten, stillen Nacht deutlich zu hören sein, und Jodys Unterbewußtsein schlief nicht. In der zweiten Box stand ein schwerer brauner Wallach mit schwarzen Flecken, in der dritten ein Dunkelfuchs mit weißer Socke. Ich ging langsam durch die erste Abteilung und leuchtete die Pferde der Reihe nach an.

Anstatt mich zu beruhigen, wurde ich immer nervöser. Noch hatte ich nicht gefunden, was ich suchte, und mit jeder Minute wuchs die Gefahr meiner Entdeckung. Ich paßte mit der Lampe auf. Paßte mit den Riegeln auf. Mein Atem ging flach. Einen miserablen Einbrecher hätte ich abgegeben.

Box Nr. 9, in der nächsten Abteilung, beherbergte einen dunkelbraunen Wallach ohne Abzeichen. Die nächste einen gewöhnlichen Braunen, die nächste noch einen und die nächste ebenso. Danach kamen ein fast schwarzes Pferd mit arabisch angehauchter Nase, ein Schwarzbrauner und zwei weitere Braune. In den nächsten drei Boxen standen Füchse, an denen mir nichts weiter auffiel. In der letzten belegten Box stand der einzige Schimmel.

Leise schloß ich die Tür des Schimmels und kehrte zu dem

Fuchs in der benachbarten Box zurück. Leuchtete ihn sorgfältig Zentimeter für Zentimeter ab.

Der einzige Schluß, zu dem ich kam, war, daß ich nicht genug von Pferden verstand.

Ich hatte getan, was ich konnte. Zeit, heimzufahren. Zeit, daß mein Herz aufhörte, mit zweifacher Schallgeschwindigkeit zu bummern. Ich wandte mich zur Tür.

Überall ging das Licht an. Erschrocken machte ich einen Schritt auf die Tür zu. Nur einen.

Drei Männer drängten sich im Eingang.

Jody Leeds.

Ganser Mays.

Den dritten kannte ich nicht, aber sein Aussehen erweckte nur wenig Freude und Vertrauen. Er war groß, breit und kräftig, trug dicke Lederhandschuhe, eine in die Stirn gezogene Stoffmütze und, um zwei Uhr früh, eine Sonnenbrille.

Wen sie auch immer erwartet hatten, ich war es nicht. In Jodys Gesichtsausdruck mischten sich Bestürzung und Wut, aber die Bestürzung überwog bei weitem.

«Was zum Teufel tust du hier?«sagte er.

Es war keine Antwort möglich.

«Der darf nicht weg«, sagte Ganser Mays. Die Augen hinter dem Brillengestell waren ungut zusammengekniffen, und die lange Nase stach wie ein Dolch hervor.

Das weltmännische Gehabe, mit dem er seine Kunden einlullte, wenn er sie um ihr Geld erleichterte, war umgeschlagen in die nackte Bösartigkeit des bedrohten Kriminellen. Nicht mehr zu ändern, daß ich die Bedrohung darstellte.

«Was?«Jody sah ihn verständnislos an.

«Er darf nicht weg.«

«Und wie wollen Sie ihn daran hindern?«fragte Jody.

Niemand erklärte es ihm. Mir auch nicht. Ich machte zwei Schritte auf den Eingang zu und fand es heraus.

Der große Kräftige sagte überhaupt nichts, sondern trat in Aktion. Geschlagen als hochwirksamer Haken aus kurzer Distanz, krachte mir eine schwere, behandschuhte Faust in die Rippen. Der Atem entwich meinen Lungen schneller als von der Natur vorgesehen, und ich hatte Mühe, ihn wiederzuerlangen.

Über Schuljungengerangel hinaus hatte ich mich noch nie ernsthaft wehren müssen. Zum Lernen war keine Zeit. Ich rammte Jody einen Ellbogen ins Gesicht, trat Ganser Mays in den Bauch und versuchte zur Tür zu kommen.

Der Muskelmensch mit Mütze und Sonnenbrille war mir gegenüber im Vorteil. Drei, vier Zentimeter größer, zehn, zwölf Kilo schwerer, ganz auf Prügel eingestellt. Ich setzte ihm einen achtbaren Schlag unter die Nase, während er mir zwei vor die linke Brust gab, und kam der Freiheit keinen Schritt näher.

Jody und Ganser Mays erholten sich von meinem ersten Angriff und hängten sich wie Kletten an mich, an jedem Arm einer. Ich wankte unter ihrem vereinten Gewicht. Der Muskelmensch nahm Maß, um mir die geballte Faust ans Kinn zu schmettern. Ich konnte den Kopf gerade noch wegziehen und spürte das Sengen des Lederhandschuhs auf meiner Backe. Dann kam die andere Faust geflogen und erwischte mich voll. Ich taumelte und fiel quer durch die Box, als Jody und Ganser Mays mich plötzlich losließen, und krachte mit dem Kopf genau auf die Eisenstangen der Krippe.

Sofortige völlige Bewußtlosigkeit war die Folge.

So ähnlich könnte der Tod sein.

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