Kapitel 11

London war so kalt, daß man Lust zum Auswandern bekommen konnte. Ich landete am frühen Dienstagmorgen mit Sand in den Schuhen und Mitleid für die Bewohner des ewigen Eises im Herzen, und Owen holte mich mit blauem und verkniffenem Gesicht am Flughafen ab.

«Hier gab es Schnee und Schneeregen, und die Eisenbahner streiken«, sagte er und legte meinen Koffer in den gemieteten Cortina.»Der Flußstahl, den Sie bestellt haben, ist auch noch nicht da, und irgendwo am Regent's Park ist eine Kobra los.«

«Herzlichen Dank.«

«Keine Ursache, Sir.«

«Sonst noch was?«

«Ein Mr. Kennet aus Newmarket rief an, daß Hermes sich eine Sehne gezerrt hat. Und, Sir…«

«Und?«fragte ich, entschlossen, mich in das Unabwendbare zu fügen.

«Haben Sie eine Ladung Mist bestellt, Sir?«

«Natürlich nicht.«

Der ganze Garten vor meinem Haus bestand aus drei Kübeln mit Fuchsien, einem alten Nußbaum und etlichen Quadratmetern Steinplatten. Hinterm Haus war nur die Werkstatt.

«Es ist aber Mist gebracht worden, Sir.«

«Wieviel?«

«Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Müllabfuhr ihn mitnimmt.«

Er fuhr zügig von Heathrow nach Hause, und ich döste, da es nach meiner inneren Uhr Mitternacht war. Wir hielten dann nicht in der Einfahrt, sondern auf der Straße vor dem Haus, denn die Einfahrt war wegen eines anderthalb Meter hohen Misthaufens unpassierbar.

Man konnte noch nicht einmal um ihn herumgehen, ohne daß an den Schuhen etwas hängenblieb. Ich stakste im Krebsgang mit meinem Koffer zur Tür, und Owen suchte sich woanders einen Parkplatz.

Auf der Fußmatte im Haus fand ich den Lieferschein. Eine mit Kuli geschriebene Postkarte in Blockbuchstaben, kurz und bissig:»Scheiße für den Scheißkerl.«

Reizende kleine Geste. Nicht gerade originell, aber dennoch beunruhigend, weil sie so beredt von dem Haß sprach, der dahintersteckte.

Felicity vielleicht?

Die Beschaffenheit der Ladung hatte etwas merkwürdig Vertrautes. Bei genauerem Hinsehen war halbverrotteter Pferdedung, vermischt mit etwas Stroh und viel Sägemehl, zu erkennen. Die Bescherung kam direkt aus einem Stall, nicht von einem Gartenzentrum — aber so groß die Ähnlichkeit mit Jodys vertrauten Misthaufen auch sein mochte, schlüssig war das nicht. Wahrscheinlich sah ein Misthaufen wie der andere aus.

Owen kam müden Schrittes zurück und starrte angewidert auf die stinkende Wegsperre.

«Hätte ich den Wagen nicht mit zu mir genommen, wie Sie gesagt haben, hätte ich ihn heute früh nicht aus der Garage gekriegt, um Sie abzuholen.«

«Wann ist das gebracht worden?«

«Gestern morgen war ich kurz hier, Sir. Habe nach dem Rechten gesehen. Als ich dann heute früh herkam, um die Heizung anzuschalten, war es da.«

Ich zeigte ihm die Karte. Er las sie, rümpfte mißbilligend die Nase, rührte sie aber nicht an.

«Da sind bestimmt Fingerabdrücke drauf.«

«Meinen Sie, es lohnt sich, deswegen zur Polizei zu gehen?«fragte ich zweifelnd.

«Vielleicht kein Fehler, Sir. Wer weiß, was diesem Spinner sonst noch einfällt. Ich meine, die Mühe, die er sich gemacht hat, das ist doch schon krank.«

«Sehr vernünftig gedacht, Owen.«

«Danke, Sir.«

Wir gingen ins Haus, und ich rief die Polizei, die, als sie am Nachmittag kam, das Ganze mit Humor betrachtete und die Karte in Polyäthylen verpackt mitnahm.

«Was machen wir bloß mit dem Zeug?«sagte Owen verdrießlich.»Als Blumendünger will das keiner, es steckt voll von unverdauten Haferkörnern, und das bedeutet Unkraut.«

«Wir schaffen es morgen weg.«

«Das müssen zehn Zentner sein. «Er runzelte düster die Stirn.

«Ich meinte ja nicht Schaufel für Schaufel«, sagte ich.»Und nicht Sie und mich. Wir bestellen ein Abfuhrunternehmen.«

Wir verbrachten den ganzen Tag damit, Sachen zu bestellen. Erstaunlich, was man bei Bedarf alles bestellen kann. Der Abfuhrunternehmer war mit das Einfachste auf meiner langen Liste.

Um die Zeit, zu der man halbwegs erwarten konnte, daß Handelsbanker nach ihrem Hut griffen, rief ich Charlie an.

«Fahren Sie direkt nach Hause?«fragte ich.

«Nicht unbedingt.«

«Lust, was zu trinken?«

«Schon unterwegs«, sagte er.

Als er ankam, suchte Owen einen Parkplatz für seinen Rover, und Charlie starrte auf den Misthaufen, der unter der Straßenbeleuchtung auch nicht schöner aussah und mittlerweile an den Rändern auslief.

«Irgend jemand mag mich nicht«, sagte ich grinsend.»Kommen Sie rein und treten Sie sich gut die Füße ab.«

«So ein Mist.«

«Latrinenhumor«, stimmte ich zu.

Er ließ seine Schuhe neben meinen auf dem Zeitungspapier stehen, das Owen vorsorglich an die Tür gelegt hatte, und folgte mir auf Socken nach oben.

«Wer?«sagte er, einen großen Scotch beschnuppernd.

«Als Scheißkerl hat mich Jodys Frau Felicity nach der Sache in Sandown bezeichnet.«

«Glauben Sie, daß sie es war?«

«Weiß der Himmel. Zuzutrauen wär's ihr.«

«Hat jemand die, ehm… Anlieferung mitbekommen?«

«Owen hat die Nachbarn gefragt. Keiner hat was gesehen. In London sieht nie einer was. Er fand lediglich heraus, daß der Mist gestern Abend um sieben, als der Mann vom übernächsten Haus seinen Labrador an meinen Fuchsienkübeln vorbeigeführt hat, noch nicht da war.«

Charlie trank Whisky und fragte mich, was ich in Miami gemacht hatte. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.»Davon abgesehen«, sagte er.

«Ich habe mir ein Pferd gekauft.«

«Sie kriegen auch nie genug.«

«Ein Double«, sagte ich,»für Energise.«

«Erzählen Sie mal Ihrem Onkel Charlie.«

Ich erzählte ihm, wenn nicht alles, so doch das meiste.

«Das Dumme ist nur, daß wir zwar für Samstag in Stratford bereit sein müssen, daß er sich aber für den Montag in Nottingham oder den Mittwoch in Lingfield entscheiden kann«, sagte ich.

«Oder für keins von den dreien.«

«Und es könnte Frost geben.«

«Wann wissen wir Bescheid?«

«Er muß das Pferd vier Tage vor dem Rennen als Starter angeben, hat dann aber drei Tage Zeit, sich anders zu besinnen und es wieder rauszunehmen. Gewißheit haben wir erst am Abend vorher, wenn die Starter in der Zeitung stehen. Und selbst dann muß es uns Bert Huggerneck erst noch bestätigen.«

Er lachte leise.»Bert hält nichts von der Stubenhockerei. Er brennt darauf, wieder raus auf die Rennbahn zu kommen.«

«Der soll mal ruhig im Laden bleiben.«

«Mein lieber Freund!«Charlie zündete sich eine Zigarre an und schwenkte das Streichholz.»Bert hat ein großes Kämpferherz, und wenn Sie ihn richtig an dem Tanz beteiligen würden, wäre er viel glücklicher. Er hat gegen Ganser Mays eine starke Abneigung gefaßt, und er sagt, für einen Kapitalisten wären Sie gar nicht so übel. Er weiß, daß etwas ausgeheckt wird, und er meint, wenn Ganser Mays dabei zufällig eins auf den langen Zinken kriegen soll, dann würde er das gern übernehmen.«

Ich lächelte über den Originalton.»Na schön. Wenn es so steht, habe ich wirklich was zu tun für ihn.«

«Was soll er machen?«

«Den Verkehr regeln.«

Er paffte an der Zigarre.»Wissen Sie, woran mich Ihr Plan erinnert?«sagte er.»An Ihr Rola-Spielzeug. Sie drehen die Kurbel, und sämtliche Teilchen laufen auf ihren Spindeln rund und tun, was sie tun sollen.«

«Sie sind kein Spielzeug«, sagte ich.

«Natürlich bin ich das. Aber ich weiß es wenigstens. Das eigentliche Kunststück besteht darin, die zu programmieren, die es nicht wissen.«

«Meinen Sie, es kann hinhauen?«

Er betrachtete mich ernst.»Mit ein bißchen Glück müßte es schon gehen.«

«Und Sie haben keine moralischen Bedenken?«

Sein plötzliches Lächeln wärmte wie Feuer.»Wußten Sie nicht, daß in jedem Banker ein Pirat steckt?«

Charlie nahm sich am Mittwoch frei, und wir verbrachten den ganzen Tag mit der Erkundung des Terrains. Wir fuhren von London nach Newbury, von Newbury nach Stratford on Avon, von Stratford nach Nottingham und von Nottingham zurück nach Newbury. Inzwischen waren die Bars geöffnet, und wir setzten uns zur Stärkung ins Chequers.

«Es gibt nur eine ideale Stelle«, sagte Charlie,»und die tut's für Stratford und Nottingham.«

Ich nickte.»An dem Obststand.«

«Einigen wir uns also darauf?«

«Ja.«

«Und wenn er auf beide Bahnen nicht geht, erkunden wir am Sonntag die Straße nach Lingfield.«

«Genau.«

Er lächelte lebhaft.»So wach habe ich mich seit dem Militärdienst nicht gefühlt. Egal, wie das nun ausgeht, ich möchte es um nichts auf der Welt missen.«

Seine Begeisterung war ansteckend, und wir fuhren gutgelaunt zurück nach London.

Im Garten sah es schon wesentlich besser aus. Der Misthaufen war fort, und Owen hatte eimerweise Wasser hinterhergekippt, allerdings ohne den Gestank wegzukriegen. Außerdem war er länger geblieben und hatte auf meine Rückkehr gewartet. Alle drei stellten wir unsere Schuhe in der Diele ab und gingen nach oben.

«Japanische Sitten«, meinte Charlie.

«Ich bin geblieben, Sir«, sagte Owen,»weil ein Anruf aus

Amerika kam.«

«Miss Ward?«fragte ich hoffnungsvoll.

«Nein, Sir. Wegen eines Pferdes. Es war eine Spedition, Sir. Ein für Sie bestimmtes Pferd soll heute Abend wie vereinbart mit dem Flugzeug nach Gatwick Airport abgehen. Voraussichtliche Ankunft morgen früh um zehn. Ich habe es notiert. «Er wies auf einen Schreibblock neben dem Telefon.»Aber ich dachte, ich warte lieber, falls Sie den Zettel übersehen. Das Pferd muß abgeholt werden.«

«Sie«, sagte ich,»werden es abholen.«

«In Ordnung, Sir«, erwiderte er ruhig.

«Owen«, sagte Charlie,»falls er Sie je einmal rauswerfen sollte, kommen Sie zu mir.«

Wir saßen eine Zeitlang zusammen und besprachen die verschiedenen Vorkehrungen und Owens Beitrag dazu. Ihm lag ebensoviel wie Charlie daran, daß der Plan gelang, und auch bei ihm schienen neue Energien freigesetzt zu sein.

«Da bin ich gern dabei, Sir«, sagte er, und Charlie nickte zustimmend. Ich hatte die beiden nie als abenteuerlustig eingeschätzt, und ich hatte mich geirrt.

Ebenso getäuscht hatte ich mich in Bert Huggerneck und ein wenig sogar in Allie, denn auch sie zeigten sich vorbehaltlos begeistert.

Charlie kam am Donnerstag nach Feierabend mit Bert vorbei, und wir brüteten in der Küche über einer Generalstabskarte.

«Das ist die A 34«, sagte ich und wies mit dem Bleistift auf eine von Süd nach Nord verlaufende rote Linie.»Sie geht von Newbury nach Stratford. Nach Nottingham biegt man gleich hinter Oxford ab. Die Stelle, die wir ausgesucht haben, liegt ein Stück südlich davon. Und zwar hier…«Ich markierte sie mit dem Stift.»Ungefähr eine Meile bevor man auf die Abingdoner Umgehung kommt.«

«Die verdammte Straße kenne ich«, sagte Bert.»Am Atomkraftwerk Harwell geht die vorbei.«

«Ganz recht.«

«Klar. Das find ich schon. Kinderspiel.«

«Da ist ein Obststand an der Straße«, sagte ich.»Geschlossen um diese Jahreszeit. So eine Holzhütte.«

«Sieht man oft genug«, nickte Bert.

«Daneben ist ein großer Parkplatz.«

«Auf welcher Straßenseite?«

«Links, wenn man nach Norden fährt.«

«Gut. Verstanden.«

«Er liegt an einem geraden Wegstück nach einem ziemlich steilen Anstieg. Allzu schnell fährt da keiner. Meinen Sie, Sie kriegen das hin?«

«He«, beschwerte er sich bei Charlie.»Der beleidigt mich.«

«Verzeihung«, sagte ich.

«Mehr mach ich also nicht dabei? Bloß den Verkehr soll ich anhalten?«Er hörte sich enttäuscht an; und ich hatte befürchtet, man müsse ihn erst überreden.

«Nein«, sagte ich.»Danach haben Sie im Eiltempo jede Menge Schwerarbeit zu erledigen.«

«Was zum Beispiel?«

Als ich es ihm erklärte, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und strahlte regelrecht.

«Das läßt sich hören«, sagte er.»So muß das sein. Nun denken Sie vielleicht, ich wäre langsam, weil ich so ein Brocken bin, aber da sind Sie schief gewickelt.«

«Ohne Sie könnte ich das alles gar nicht schaffen.«»Hörst du?«sagte er zu Charlie.»Vielleicht stimmt es sogar«, gab der zurück. Bert meinte daraufhin, er habe ein bißchen Appetit, und marschierte schnurstracks zum Küchenschrank.»Wo bin ich denn hier? Essen Sie eigentlich nie was? Brauchen Sie die Büchse Schinken?«

«Bedienen Sie sich.«

Bert machte sich ein Sandwich mit fingerdick Senf darauf und verspeiste es, ohne mit der Wimper zu zucken. Zwei Dosen Bier ergänzten das Mahl.

«Kann ich das Wettbüro also hinschmeißen?«fragte er zwischen zwei Schlucken.

«Was haben Sie über Ganser Mays herausgefunden?«

«Einen Spitznamen hat er, das hab ich rausgekriegt. So ein paar junge Schlauberger leiten jetzt die Büros, kein Vergleich mit den alten Läden. Die gehen scharf ran, knallhart, nicht wie mein Ex-Chef mit seinem weichen Herzen.«

«Ein Buchmacher mit weichem Herzen?«sagte Charlie.»So etwas gibt es nicht.«

«Leider Gottes«, sagte Bert, ohne ihn zu beachten,»hatte er auch eine weiche Birne.«

«Welchen Spitznamen hat Ganser Mays?«fragte ich.

«Hm? Ach so. Die beiden schlauen Jungs, die so geirig sind, daß ihnen Flügel wachsen, nennen ihn Schieber. Schieber Mays. Natürlich nur unter sich.«

«Weil er mit seinen Schiebereien Leute wie Ihren Chef aus dem Gewerbe drängt?«

«Ein ganz Schneller, was? Ja, genau. Es gibt zwei Möglichkeiten, jemand auszunehmen und rauszudrängen. So wie bei meinem Chef, indem man sagt, es sei abgemachte Sache, daß Pferde verlieren, obwohl es nicht stimmt. Oder wenn umgekehrt die Insider wissen, daß ein Pferd, das noch nie was gebracht hat, in einem abgekarteten Rennen siegen soll. Dann klappern sie die ganzen kleinen Buchmacher ab und setzen Tausende, hier ein bißchen, da ein bißchen, und die Kleinen reiben sich die Hände, weil sie denken, das schlechte Pferd gewinnt im Leben nicht. Und dann gewinnt's eben doch, und alle sind weg vom Fenster.«

«Sie stehen bei Ganser Mays mit Millionen in der Kreide.«

«Genau. Und sie können die Kohle nicht auftreiben. Da kommt dann der gute Mr. Mays daher und sagt, er will mal nicht so sein und zum Ausgleich ihren Laden übernehmen. Was er auch tut.«

«Ich dachte, die kleinen Buchmacher seien heutzutage besser informiert«, sagte ich.

«Sollte man wirklich meinen, was? Die selber halten sich auch dafür, aber sie sind es nicht. Klar, wenn sich hinterher rausstellt, daß sie einem Betrug aufgesessen sind, schreien sie wie am Spieß und wollen nicht zahlen, aber vorher krallen sie sich die Knete erst mal. Die Unschuldslämmchen.«

«Ich glaube nicht, daß diesmal jemand einen Betrug wittern würde«, sagte ich.

«Eben. Und wieder müßten soundso viele feststellen, daß dieser schleimige Schweinehund sie geschluckt hat. Wie meinen armen Chef.«

Ich überlegte einen Moment.»Es wäre, glaub ich, besser, wenn Sie in dem Wettbüro blieben, bis wir genau wissen, an welchem Tag das Pferd läuft. Die werden ihn wohl kaum loslassen, ohne auf ihn zu setzen, also müssen wir annehmen, daß sein erstes Rennen gilt. Aber ich möchte möglichst sicher sein. Und wenn Sie vor Ort sind, hören Sie vielleicht was.«

«Ich soll die Ohren spitzen?«

«Haargenau. Und die Augen offenhalten.«

«Philby könnt's nicht besser«, sagte Bert.

Charlie langte nach dem Essen und stellte sich ein relativ dünnes Sandwich zusammen.

«Zum Transport«, sagte ich.»Die nötigen Fahrzeuge habe ich alle bei einer Firma in Chiswick gemietet. Ich war heute morgen da und habe sie mir angesehen. Owen ist mit einem Landrover samt Anhänger gleich von dort nach Gatwick, um Black Fire abzuholen und zu seinem Stall zu bringen, und er kommt mit der Bahn zurück. Für Sie, Charlie, haben wir den Wagen mit dem Wohnwagen. Den schafft Owen morgen nach Reading; er stellt ihn auf dem Wohnwagenparkplatz ab und kommt wieder mit der Bahn zurück. Die Zweitschlüssel dafür gebe ich Ihnen schon mal. «Ich ging durchs Wohnzimmer und kam mit dem klirrenden kleinen Bund wieder.»Am Tag X nehmen Sie die Bahn nach Reading und von dort aus den Wagen.«

«Alles klar«, sagte Charlie breit lächelnd.

«Der Wohnwagen wird sonst für Turniere, Ausstellungen und dergleichen vermietet. Er ist als Büro eingerichtet. Kein Bett, keine Kochgelegenheit, bloß ein Schalter, zwei Arbeitstische und drei oder vier Klappstühle. Owen und ich packen noch alles rein, was Sie brauchen, bevor er ihn nach Reading schafft.«

«Prima.«

«Für Owen haben wir dann noch den größeren Lieferwagen. Den hole ich morgen her und lade die Einkäufe ein. Dann dürften wir startklar sein.«

«Hören Sie«, sagte Bert.»Wie sieht's mit dem Geld aus?«

«Brauchen Sie welches, Bert?«

«Ich denke nur, wo Sie hier ohnehin schon alles mögliche mieten, ob Sie mir dann nicht am besten auch gleich einen

Leihwagen stellen. Meine alte Blechkiste ist nämlich nicht so ganz in Schuß. Ich würde ungern den Spaß verpassen, weil der Kühler zu kochen anfängt oder so.«

«Klar«, sagte ich.»Viel sicherer. «Ich holte nebenan Geld und gab es Bert.

«Hoppla«, sagte er.»So viel brauch ich nicht. Was meinen Sie, was ich mir leihe, eine goldene Kutsche?«

«Behalten Sie es ruhig.«

Er sah mich unsicher an.»Mir geht's hier nicht um Kohle, Freund.«

Ich fühlte mich beschämt.»Bert… geben Sie mir zurück, was Sie nicht brauchen. Oder spenden Sie es der JockeyUnterstützungskasse.«

Sein Gesicht hellte sich auf.»Dann geh ich mit meinem alten Chef ein paar Mal in die Kneipe. Der wohltätigste Zweck, den's gibt!«

Charlie aß sein Sandwich auf und wischte sich die Finger am Taschentuch ab.»Denken Sie auch dran, die Schilder zu malen?«sagte er.

«Die habe ich heute gemacht«, versicherte ich ihm.»Wollen Sie sie sehen?«

Wir zogen hinunter in die Werkstatt, wo etliche für die Aktion gemalte Stücke zum Trocknen standen.

«Donnerwetter«, sagte Bert.»Die sehen verdammt echt aus.«

«Das müssen sie auch«, nickte Charlie.»Also«, meinte Bert,»wenn ich mir das so ansehe, glaube ich fast, daß alles klappt.«

Charlie fuhr nach Hause zu seiner bridgespielenden Frau und seinem feudalen Einfamilienhaus in Surrey und Bert zu der Reihenhauswohnung in Staines, die er mit seiner dicken alten Mama teilte. Einige Zeit nachdem sie gegangen waren, holte ich den Wagen raus und fuhr langsam die M 4 hinunter nach Heathrow.

Ich war zu früh. Ungefähr eine Stunde. Mir war schon öfter aufgefallen, daß ich gern vor der Zeit kam, wenn ich mich auf etwas freute — als könnte ich den Gang der Dinge dadurch beschleunigen. Diesmal lief es umgekehrt. Allies Flugzeug

hatte eine halbe Stunde Verspätung.

«Hi«, sagte sie und sah so frisch aus, als wäre sie vier Meilen statt viertausend gereist.»Wie geht's dem kalten kleinen England?«

«Kaum bist du da, wird es wärmer.«

Ihr Lächeln war strahlend wie eh und je, aber jetzt kam ein Glanz in den Augen dazu, die ganze Sonne Miamis.

«Danke, daß du gekommen bist«, sagte ich.

«Diesen Streich möchte ich mir um nichts auf der Welt entgehen lassen. «Sie gab mir einen warmen, erregten Kuß.»Und ich habe meiner Schwester nicht gesagt, daß ich komme.«

«Schön«, sagte ich mit Genugtuung und nahm sie mit zu mir.

Die Klimaänderung blieb äußerlich. Wir verbrachten die Nacht, unsere erste gemeinsame, eng umschlungen unter einer Daunendecke: bequemer, entspannter und wesentlich gemütlicher als der Strand, das Fischerboot oder mein vollklimatisiertes Hotelzimmer nachmittags in Miami.

Am nächsten Morgen brachen wir noch im Dunkeln auf, bibbernd in der Januarkälte und unzufrieden mit der allzu langsam arbeitenden Heizung. Allie fuhr, konzentrierte sich eisern auf den Linksverkehr und bat mich aufzupassen, daß sie an Kreuzungen nicht unwillkürlich falsch abbog. Wir erreichten den Obststand an der A 34 wohlbehalten nach zwei Stunden und hielten dort auf dem großen Parkplatz. Riesige LKWS brummten auf der Hauptverbindung zwischen dem Hafen von Southampton und dem Schwerindustriegebiet von Birmingham vorbei; die Straße war für diesen Verkehr stellenweise noch immer zu schmal.

Wenn sie über den Hügel kamen und mit uns auf einer Höhe waren, schalteten die Laster mehr oder weniger geräuschvoll. Allie mußte schreien.»Nicht gerade das ruhigste Fleckchen Land.«

Ich lächelte.»Jedes Dezibel zählt.«

Wir tranken heißen Kaffee aus einer Thermosflasche und sahen zu, wie sich der Morgen langsam von düsterem zu nur noch tristem Grau durchkämpfte.

«Schon neun«, sagte Allie mit einem Blick auf ihre Uhr.

«Hier fängt der Tag aber wirklich spät an.«

«Um neun mußt du hier sein«, sagte ich.

«Du brauchst mir nur zu sagen, wann ich losfahren soll.«

«Okay.«

Sie trank ihren Kaffee aus.»Kommt er auch bestimmt hier entlang?«

«Es ist der beste und kürzeste Weg, den nimmt er immer.«

«Wenigstens etwas, wenn man einen Exfreund zum Feind hat«, meinte sie.»Man kennt seine Gewohnheiten.«

Ich packte die Thermosflasche weg, und wir fuhren wieder los in Richtung Süden.

«Von hier kommst du«, sagte ich.»Direkt die A 34 hoch.«

«Gut.«

Sie fuhr jetzt merklich sicherer und hielt sich links, ohne dabei noch ständig besorgt die Stirn zu runzeln. Wir kamen zu einer großen Kreuzung und hielten an der Ampel. Sie sah sich um und nickte.»Wenn ich hier bin, ist es also nur noch ein Katzensprung.«

Wir blieben noch eine Weile auf der Straße, die auf und ab ging durch weitgedehntes kahles Hügelland, karg, windig und unwirklich.

«Fahr mal langsamer«, sagte ich.»Siehst du die Abzweigung nach links? Da geht's zu Jodys Stall. Ungefähr eine Meile.«

«Ich habe einen richtigen Haß auf den Mann«, sagte sie.

«Du kennst ihn doch gar nicht.«

«Schlangen muß man nicht kennen, um sie zu hassen.«

Wir fuhren um Newbury herum, und Allie verdrehte in beängstigender Weise den Kopf, um sich die Strecke aus der Gegenrichtung einzuprägen.

«Okay«, sagte sie.»Und jetzt?«

«Immer noch die A 34, Richtung Winchester. Aber so weit fahren wir nicht.«

«Gut.«

Durch Whitchurch, dann sechs Meilen dahinter rechts ab auf eine schmale Nebenstraße, und bald darauf bogen wir in die Einfahrt eines heruntergekommenen Landhauses mit einem verblaßten handgemalten Schild am Tor ein.

Reitschule Hantsford Manor Erstklassiger Unterricht. Wohnmöglichkeit Mietstall für Pferde und Ponys

Ich hatte sie in den Kleinanzeigen von Horse and Hound entdeckt und sie der Lage wegen ausgewählt, damit die Fahrt zum Obststand für Allie möglichst einfach war, aber vor Ort kamen mir jetzt doch böse Zweifel.

Das Ganze sah nach Totenstarre aus, nach sich setzendem Staub, wucherndem Unkraut, moderndem Holz und erloschener Hoffnung. Überspitzt gesagt. Im Haus selbst roch es zwar entfernt nach Schimmel und Verfall, aber die Eigentümer lebten noch. Es waren zwei einander sehr ähnliche Schwestern, beide um die Siebzig, dünn und drahtig, in Reithosen, Reitjacken und Stiefeln. Beide hatten gütige, verwaschen blaue Augen, einen langen, kräftigen Unterkiefer und üppiges, unter einem Haarnetz zusammengebundenes eisengraues Haar.

Sie stellten sich als Miss Johnston und Mrs. FairchildSmith vor. Miss Ward sei ihnen herzlich willkommen, sagten sie. Sie werde hoffentlich einen angenehmen Aufenthalt haben. Um diese Jahreszeit hätten sie immer wenig Gäste. Das Pferd von Miss Ward sei tags zuvor wohlbehalten eingetroffen, und sie kümmerten sich darum.

«Sie selbst?«fragte ich unsicher.

«Natürlich wir selbst. «Der Tonfall von Miss Johnston riet mir, ihre Fähigkeiten besser nicht in Zweifel zu ziehen.»Um diese Jahreszeit sparen wir immer Personal ein.«

Sie führten uns hinaus zu den Stallungen, die wie alles hier schwer am Alter trugen und zudem offenbar leerstanden. Zwischen einer baufälligen Ansammlung von Bretterverschlägen, deren Türen jeder selbstbewußte Dreikäsehoch hätte eintreten können, standen drei oder vier gemauerte Boxen trutzig nebeneinander; in einer davon fanden wir Black Fire.

Er stand auf frischem Stroh. In seinem Eimer war klares Wasser, in seinem Netz gutes Heu, und mit dem Kopf in der Krippe ließ er sich Hafer und Kleie schmecken. Es war offensichtlich, was mit den Erträgen des Stalls geschah: Sie flossen in die liebevolle Betreuung der Kunden.

«Er sieht gut aus«, sagte ich und bestätigte mir im stillen erleichtert, daß er wirklich das Ebenbild von Energise war und daß ich mich an dem lauen Abend im fernen Miami nicht getäuscht hatte.

Allie räusperte sich.»Ehm… Miss Johnston, Mrs. Fairchild-Smith… Morgen früh nehme ich Black Fire vielleicht zum Ausreiten zu ein paar Freunden mit. Ginge das?«

«Natürlich«, sagten sie gemeinsam.

«So gegen acht?«

«Wir sehen zu, daß er für Sie bereitsteht, meine Liebe«, sagte Miss Johnston.

«Ich sage Ihnen noch Bescheid, wenn ich meine Freunde angerufen habe. Fahre ich nicht morgen, dann entweder am Montag oder am Mittwoch.«

«Wie Sie wünschen, meine Liebe. «Miss Johnston schwieg bedeutsam.»Könnten Sie uns einen Anhalt geben, wie lange Sie bleiben werden?«

Allie sagte ohne Zögern:»Ich denke, acht Tage Pension für Black Fire und mich wären angemessen, nicht wahr? Wir bleiben vielleicht nicht die ganzen acht Tage, aber mit kürzeren Buchungen möchten Sie sich um diese Jahreszeit sicher nicht abgeben.«

Die Schwestern waren angenehm berührt, und als Allie den Großteil der Rechnung bar im Voraus beglich, flog eine zarte Röte über ihre dünnen Wangen und ihre schmalen Nasen.

«Sind die nicht kauzig?«meinte Allie, als wir zum Tor hinausfuhren.»Und wie kriege ich den verdammten Gang rein?«Sie saß jetzt am Steuer des Landrovers, den ich in Chiswick gemietet hatte, und übte sich an der ungewohnten Schaltung.

«Der rote Hebel ist für den Vierradantrieb, der gelbe für die ganz niedrigen Gänge, die du aber nicht brauchst, da wir nicht vorhaben, über gepflügte Äcker zu fahren oder Baumstümpfe aus dem Boden zu ziehen.«

«Vielleicht fällt dir ja so was noch ein.«

Sie fuhr zunehmend lockerer, und bald kehrten wir um und koppelten den Zweipferdehänger an. Mit Anhänger war sie noch nie gefahren, und wie immer brachte das Zurücksetzen die meisten Probleme mit sich. Nachdem alle Beteiligten sich satt geschimpft hatten und wir fast eine Stunde lang durch Hampstead getrödelt waren, meinte sie, sie werde schon zu dem Obststand kommen, und sei es auf dem Zahnfleisch. Als wir mit dem wieder vollgetankten Landrover nach Hantsford Manor zurückkamen, parkte sie ihn in Fahrtrichtung zur Straße, damit sie, wie sie meinte, den Anschluß wenigstens nicht verpasse, bevor sie überhaupt losgefahren sei.

«Du wirst merken, daß der Anhänger mit Pferd ein ganzes Stück schwerer ist«, stellte ich fest.

«Was du nicht sagst.«

Ohne auf die Schwestern zu stoßen, gingen wir wieder zu Black Fire, und ich zog ein Haarschneidegerät in Gestalt eines Kamms mit eingelegter Rasierklinge aus der Tasche.

«Was hast du denn damit vor?«fragte Allie.

«Falls die beiden alten Mädchen auftauchen, verwickle sie in ein Gespräch«, sagte ich.»Ich will nur das Double noch etwas dem Star angleichen.«

Ich betrat die Box und näherte mich Black Fire so ruhig wie möglich. Er trug ein Halfter, war aber nicht angebunden, und als erstes machte ich ihn an der Kette fest. Ich strich ihm übers Fell, klopfte ihm den Hals und sagte ihm den einen oder anderen beruhigenden Unsinn. Da er sich an meiner Anwesenheit nicht zu stören schien, legte ich ganz vorsichtig das Haarschneidegerät an sein schwarzes Haarkleid an.

Man hatte mir schon oft gesagt, daß nervöse Menschen auch Pferde nervös machen. Ob Black Fire die Unerfahrenheit, mit der ich zu Werke ging, wohl spürte? Wenn das alles vorbei war, würde ich meinen Pferden wirklich mehr Zeit widmen müssen, dachte ich; ihr Besitz verpflichtete eigentlich zum vertrauten Umgang.

Seine Muskeln zuckten. Er schlug mit dem Kopf. Er wieherte. Aber er hielt auch relativ still, und als ich mit meiner Schur fertig war, hatte er einen kahlen Fleck auf der rechten Schulter, an der gleichen Stelle wie Energise und genauso groß.

Allie lehnte die Ellbogen auf die untere Hälfte der Stalltür und schaute zur offenen oberen Hälfte herein.

«Genie«, sagte sie lächelnd,»ist zu neun Zehnteln die Fähigkeit, sich unendlich zu mühen und zu quälen.«

Ich richtete mich auf, grinste, tätschelte Black Fire beinahe vertraut und schüttelte den Kopf.»Genie ist eine einzige Quälerei«, sagte ich.»Ich bin glücklich. Leider.«

«Und woher weißt du's dann? Daß Genie Quälerei ist?«

«So wie man vom Tal aus immer mal den Berg sieht.«

«Würdest du lieber auf dem Gipfel leiden?«

Ich trat aus der Box und verriegelte sie sorgfältig hinter mir.

«Man bekommt entweder Kletterschuhe mit oder nicht«, sagte ich.»Das kann man sich nicht aussuchen. Ist auch ganz gut so.«

Die Schwestern erschienen und luden uns zu einem Sherry ein: zwei Fingerhutvoll in ungleichen Kristallgläsern. Ich sah auf die Uhr, nickte kurz, und Allie fragte, ob sie vielleicht mit den Freunden telefonieren dürfe.

In der Bibliothek, sagten sie entgegenkommend. Hier entlang. Stolpern Sie nicht über das Loch im Teppich. Da auf dem Schreibtisch. Sie lächelten, nickten und zogen sich zurück.

Neben dem Telefon stand eine kleine Metalldose mit einem Aufkleber. Bitte bezahlen Sie Ihre Gespräche. Ich wählte die Londoner Nummer des Presseverbands und verlangte die Rennsportabteilung.

«Ob es für das Sieglosenrennen der Hürdler in Stratford Streichungen gegeben hat?«sagte eine Stimme.»Nehme ich doch an, aber es ist uns lieber, wenn die Leute auf die Abendzeitung warten. Solche Nachfragen halten den Betrieb auf.«

«Ich muß sobald wie möglich disponieren«, murmelte ich.

«Na, also gut. Sekunde. Da wären wir…«Er ratterte ungefähr sieben Namen herunter.»Haben Sie das?«

«Ja, vielen Dank«, sagte ich.

Ich legte langsam den Hörer auf; mein Mund war plötzlich trocken. Jody hatte Padellic vor drei Tagen als Starter für den Samstag in Stratford angegeben. Wenn er nicht beabsichtigte, ihn dort laufen zu lassen, hätte er spätestens bis Freitag früh um elf seinen Namen zurückziehen müssen…

Es war nach elf. Keines der aus dem Sieglosenrennen herausgenommenen Pferde war Padellic gewesen.

«Morgen«, sagte ich.»Er läuft morgen.«

«Oh. «Allies Augen wurden groß.»O Menschenskind!«

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