Kapitel 9

Es schneite, als ich von Heathrow abflog, dünne, wirbelnde Flocken in stürmischem Wind. Hinter mir ließ ich ein halbfertiges Schloß, ein halb repariertes Auto und einen halbfertigen Plan.

Charlie hatte mir am Telefon mitgeteilt, daß Bert Huggerneck in einem Wettbüro, das früher seinem Ex-Chef gehörte, untergekommen war, und ich hatte mich vorsichtig bei den Versteigerern in Doncaster umgehört. Ohne Erfolg. Der Name des Käufers von Padellic war nirgends vermerkt. Bargeschäfte waren üblich. Sie konnten sich unmöglich erinnern, wer vor drei Monaten ein bestimmtes billiges Pferd gekauft hatte. Ende der Nachforschung.

Owen hatte sich ebenso wie Charlie bereit erklärt, mir zu helfen, wo er nur konnte. Von persönlichen Erwägungen abgesehen, war er der Meinung, daß derjenige, der sich an dem Lamborghini vergriffen hatte, gehängt werden sollte. Wenn ich zurückkam, würde er mir helfen, das Schafott zu errichten.

Die Reise vom Schnee zum Sonnenschein dauerte acht Stunden. Vierundzwanzig Grad am Flughafen Miami und nur ein Hauch kühler vor dem Hotel am Miami Beach; ein berauschendes Gefühl. Im Hotel selbst sorgte die Klimatisierung fast wieder für englischen Winter, aber mein Zimmer im sechsten Stock hatte Nachmittagssonne. Ich zog die geschlossenen Vorhänge zurück, öffnete das Fenster und ließ Licht und Wärme herein.

Unten schwankten hohe Palmen im Seewind um einen glitzernden Pool. Am Ende des betonierten Hotelgeländes ging es direkt hinunter zu einem schmalen Streifen Sandstrand und den weiß schäumenden Wellen des Atlantiks. Meile um Meile tiefblauen Wassers erstreckte sich bis zum hellblauen Horizont.

Ich hatte mir Miami Beach knallig vorgestellt und war auf seine Schönheit nicht gefaßt. Selbst die Reihen weißer Hotelfassaden mit den gleichförmig angeordneten Rechteckfenstern, immer wieder aufgelockert durch vereinzelte Palmen, waren von einer gewissen Erhabenheit.

Um den Pool lagen reihenweise Leute auf Liegen neben weiß befransten Sonnenschirmen und tankten ultraviolettes Licht mit der Hingabe von Gläubigen. Ich zog die von der Reise verschwitzten Sachen aus und nahm ein Bad im Meer, planschte träge in dem warmen Januarwasser und streifte meine Sorgen ab wie alte Haut. Jody Leeds war fünftausend Meilen entfernt, in einer anderen Welt. Leicht und wohltuend, ihn zu vergessen.

Wieder oben, geduscht und angezogen mit Hose und Baumwollhemd, schaute ich auf die Uhr, um zu sehen, ob es Zeit war, Allie anzurufen. Nach den Briefen hatten wir Telegramme ausgetauscht, wenn auch nicht chiffriert, da die Telegrammgesellschaft das nicht gern sah.

Ich hatte gedrahtet:»Welche Adresse in Miami?«

Sie hatte geantwortet:»Ruf vier zwei sechs acht zwei abends nach sechs.«

Als ich sie anrief, war es fünf nach sechs am fünften Januar, Ortszeit. Die Stimme, die sich meldete, war nicht ihre, und einen Moment lang fragte ich mich betreten, ob Western Union wieder mal den Text verwurstelt hatte und ich sie niemals finden würde.

«Miss Ward? Meinen Sie Miss Alexandra?«

«Ja«, sagte ich erleichtert.

«Bleiben Sie bitte dran.«

Nach einer Pause meldete sich die vertraute Stimme, doppelt willkommen.»Hallo?«

«Allie… hier ist Steven.«

«Hi. «Sie lachte.»Wenn du in Miami bist, habe ich fast fünfzig Dollar gewonnen.«

«Hol sie dir«, sagte ich.

«Ich kann's nicht glauben!«

«Wir sind doch verabredet«, erinnerte ich.

«Ja, klar.«

«Wo finde ich dich?«

«Zwölf vierundzwanzig Garden Island«, sagte sie.»Steig in ein Taxi und komm her, es ist Cocktailzeit.«

Garden Island entpuppte sich als eine schattige Landspitze mit breiten Kanälen drumherum, die ihren Namen rechtfertigten. Das Taxi rollte langsam über eine zwanzig

Meter lange, dekorative Eisenbrücke und hielt vor zwölf vierundzwanzig. Ich zahlte und klingelte an der Tür.

Von außen verriet das Haus wenig. Die getünchten Mauern waren ganz hinter tropischen Pflanzen verborgen, die Fenster hinter Fliegengittern, die massive Tür wäre einer Bank würdig gewesen. Allie öffnete. Lächelte erfreut. Gab mir ein unverfängliches Küßchen.

«Hier wohnt meine Kusine«, sagte sie.»Komm rein.«

Hinter der undurchdringlichen Frontfassade war das Haus groß und hell und erfüllt von lichten, einfachen Farben. Blau, Meergrün, Hellrosa, Weiß und Orange; klar und lebhaft.

«Meine Kusine Minty«, sagte Allie,»und ihr Mann, Warren Barbo.«

Ich gab den Verwandten die Hand. Minty war eine gepflegte, äußerst selbstbeherrschte Brünette in einem zitronengelben Strandanzug. Warren war groß, rotblond und voll von überschwenglich guter Laune. Sie reichten mir einen großen, nicht näher bezeichneten Drink mit Eis und führten mich in ein geräumiges verglastes Zimmer mit Blick auf die untergehende Sonne.

Im Garten vor dem Haus fielen die goldgelben Strahlen auf einen üppigen Rasen, einen stillen Pool und weiße Gartenstühle. Eitel Frieden und Wohlstand, und eine Million Meilen entfernt von Blut, Schweiß und Tränen.

«Alexandra hat uns erzählt, daß Sie sich für Pferde interessieren«, sagte Warren, um ein Gespräch zu beginnen.»Ich weiß nicht, wie lange Sie vorhaben zu bleiben, aber in Hialeah sind jetzt gerade Renntage, die ganze Woche noch. Und abends natürlich die Vollblutauktionen. Ein paar Abende fahre ich hin, und ich würde mich freuen, wenn Sie mitkämen.«

Lust hatte ich schon, aber ich wandte mich an Allie.

«Was hast du für Pläne?«

«Millie und ich haben uns getrennt«, sagte sie ohne erkennbares Bedauern.»Sie sagte, wenn wir mit Weihnachten und Neujahr durch seien, würde sie erst mal nach Japan fliegen, deshalb gönne ich mir jetzt eine Woche hier bei

Minty und Warren.«

«Würdest du mit zum Pferderennen und zu den Auktionen gehen?«

«Sicher.«

«Ich habe vier Tage«, sagte ich.

Sie lächelte strahlend, aber ohne etwas zu versprechen. Mehrere andere Cocktailgäste stellten sich ein, und Allie sagte, sie werde die Canapes holen. Ich folgte ihr in die Küche.»Du kannst die Krabben tragen«, sagte sie und drückte mir eine große Platte in die Hände.»Und okay, nach einer Weile können wir uns dann verkrümeln und irgendwo essen gehen.«

Eine Stunde lang half ich beim Herumreichen jenes mehrgängigen Ersatzes für ein Festessen, Appetithappen nach amerikanischer Art. Allies köstliches Werk. Ich aß zwei oder drei und sann wie ein echter Chauvi über die Freuden der Ehe mit einer guten Köchin nach.

Plötzlich war Minty neben mir, ihre Hand auf meinem Arm, ihr Blick folgte dem meinen.

«Sie ist ein tolles Mädchen«, sagte sie.»Sie hat felsenfest daran geglaubt, daß Sie kommen.«

«Gut«, sagte ich zufrieden.

Sie sah mir scharf in die Augen, während ein Lächeln auf ihr Gesicht trat.»Wir sollen aufpassen, was wir Ihnen sagen, meinte sie, weil Sie immer auch hinter die Worte schauen würden. Und da hat sie wohl recht.«

«Sie haben mir nur verraten, daß sie wollte, daß ich herkomme, und daß sie mir die nötige Zuneigung zugetraut hat.«

«Ja, aber…«Sie lachte.»So direkt hat sie das wiederum nicht gesagt.«

«Ich verstehe, was Sie meinen.«

Sie nahm mir die Platte voll zarter Blätterteigschiffchen mit rosa Hummerstücken in hellgrüner Mayonnaise aus den Händen.»Sie haben Ihr Soll hier mehr als erfüllt«, lächelte sie.»Gehen Sie nur.«

Sie lieh uns ihren Wagen. Allie fuhr auf der Collins Avenue, der Hauptverkehrsstraße, nach Norden und hielt vor einem Restaurant, das sich >Steigbügel und Sattel< nannte.

«Ich dachte, das wäre so deine Kragenweite«, zog sie mich auf.

Es war gestopft voll. Jeder Tisch in Sichtweite war besetzt, und wie in vielen amerikanischen Restaurants standen die Tische so dicht beieinander, daß nur die dünnsten Kellner sich dazwischen bewegen konnten. Posters von Rennbahnszenen schmückten die Wände, und Sättel und Hufeisen füllten die Lücken.

Dunkles Dekor, lautes Geplauder und für meinen Geschmack zu viel Licht.

Ein etwas gehetzter Oberkellner fing uns an der Tür ab.

«Haben Sie reserviert, Sir?«

Ich wollte schon sagen, leider nein, und kehrtmachen, da bereits Dutzende von Leuten an der Bar warteten, aber Allie kam mir zuvor.

«Ein Tisch für zwei auf den Namen Barbo.«

Er sah auf seiner Liste nach, lächelte, nickte.»Hier entlang, Sir.«

Wunderbarerweise gab es doch noch einen freien Tisch, versteckt in einer Ecke, aber mit guter Aussicht auf das Treiben im Raum. Wir nahmen gemütlich auf dunklen Lehnstühlen Platz und sahen zu, wie der Ober die nächsten Gäste entschieden abwies.

«Wann hast du den Tisch bestellt?«

«Gestern. Gleich nach meiner Ankunft. «Die weißen Zähne schimmerten.»Warren hat es für mich gemacht; ihm gefällt das Lokal. Dabei habe ich auch die Wette abgeschlossen. Er und Minty meinten, das sei verrückt, du würdest doch nicht extra aus England kommen, um mit mir essen zu gehen.«

«Und du meintest, na klar, wie ich den kenne, der ist so verrückt.«

«Na klar.«

Wir aßen Bluepoint-Austern und Barbecue-Rippchen mit Salat. Stimmenlärm und Geklapper umbrandete uns, und die Kellner trugen große, schwer beladene Tabletts umher.

«Gefällt's dir hier?«fragte Allie, die Rippchen angehend.

«Sehr.«

Sie schien erleichtert. Ich behielt für mich, daß ich ruhiges Kerzenlicht noch besser gefunden hätte.»Warren sagt, hier gefällt es allen Pferdemenschen so wie ihm.«

«Wie pferdenärrisch ist Warren?«

«Er besitzt zwei Zweijährige. Die werden von einem Mann in Aiken, North Carolina, trainiert. Er hatte gehofft, sie könnten hier in Hialeah laufen, aber beide haben Knochenchips am Knie, und er weiß nicht, ob sie noch mal was werden.«

«Was sind Knochenchips?«fragte ich.

«Habt ihr das in England nicht?«

«Weiß der Himmel.«

«Warren sicher auch. «Sie widmete sich dem Salat und lächelte auf den Teller.»Warren handelt mit Immobilien, aber sein Herz schlägt da draußen, wo die Hufe die Zielgerade entlangdonnern.«

«Drückt er das so aus?«

Ihr Lächeln wurde breiter.»Na klar.«

«Er sagt, er nimmt uns morgen mit nach Hialeah, wenn du willst.«

«Vielleicht ganz gut, wenn ich mich an Pferde gewöhne.«

Sie sagte das ganz spontan, dann trat sie gewissermaßen einen Schritt zurück und sah sich an, was sie da gesagt hatte.»Ich meine… «

«Ich weiß, was du meinst«, sagte ich lächelnd.

«Das weißt du immer, verdammt.«

Nach den Rippchen gingen wir zum Kaffee über. Sie fragte, ob ich mich von der durchsumpften Nacht schnell wieder erholt hätte und was danach geschehen sei. Ich erzählte ihr von den Klatschspalten und dem Wagen, und sie war zutiefst empört; vor allem, wenn ich es recht verstand, wegen des Wagens.

«Er war doch so schön!«

«Das wird er auch wieder.«

«Ich könnte diesen Jody Leeds umbringen.«

Diesmal war sie sich kaum bewußt, daß sie mir damit sagte, was sie für mich empfand. Das Gefühl einer stetig sich vertiefenden Beziehung erfüllte mich mit Zufriedenheit; außerdem machte es Spaß mit ihr.

Nach drei Tassen Kaffee, die eine halbe Ewigkeit dauerten, zahlte ich, und wir gingen hinaus zum Wagen.

«Ich kann dich an deinem Hotel absetzen«, sagte Allie.»Das ist ganz in der Nähe.«

«Kommt nicht in Frage. Ich will sehen, daß du gut nach Hause kommst.«

Sie grinste.»Hier ist es nicht weiter gefährlich. Die Alligatoren von Florida sind hundert Meilen entfernt in den Everglades.«

«Manche Alligatoren sind Zweibeiner.«

«Also gut. «Sie fuhr langsam nach Süden, und auf dem ganzen Weg spielte ein Lächeln um ihre leicht gekräuselten Lippen. Vor dem Haus ihrer Kusine zog sie die Handbremse und ließ den Motor laufen.

«Am besten fährst du mit dem Wagen hier zurück. Minty hat schon nichts dagegen.«

«Nein, ich gehe zu Fuß.«

«Geht doch nicht. Das sind vier Meilen.«

«Ich sehe mir gern alles genau an. Sehe gern, wie es gemacht ist.«

«Du spinnst wirklich.«

Ich stellte den Motor ab, legte meinen Arm um ihre Schultern und küßte sie wie zu Hause, mehrmals. Sie seufzte tief, anscheinend nicht vor Langeweile.

Am Morgen mietete ich einen Impala und fuhr nach Garden Island. Eine Putzfrau ließ mich ein und bedeutete mir, zum Pool zu gehen, wo Warren und Minty in Badesachen in der Januarsonne standen, die so warm war wie daheim im Juli.

«Hi«, grüßte Minty.»Ich soll Ihnen von Alexandra sagen, daß sie gleich kommt. Sie läßt sich die Haare machen.«

Die Haare sahen dann so elegant und edel aus wie das ganze Mädchen. Ein ärmelloses, schwarz-hellbraunes Baumwollkleid betonte wundervoll ihre Taille und ließ viel Bein sehen. Ich nehme an, die Bewunderung stand deutlich in meinem Gesicht zu lesen, denn ihr Lächeln erstrahlte, sobald sie mich sah.

Wir saßen am Pool und tranken kühlen, frischen Orangensaft, während Warren und Minty sich umzogen. Ich genoß den Tag als ein Zwischenspiel, einen Feiertag, doch anders die Barbos. Warrens Leben, so merkte ich bald, war eine Art fortwährender Sommerurlaub, unterbrochen von kurzen Arbeitsstunden. Scharen aufgeweckter junger Männer verkauften für ihn traumhaft schöne Ruhesitze an sonnenhungrige Senioren, und Warren, der Organisator, ging zum Pferderennen.

Der Hialeah Turf Club war eine Bilderbuchrennbahn, mit Zuckerguß. Auf den Straßen Miamis mochte es Lärm, Rost und sonnenverbrannte Armut geben, doch auf der großen grünen Rennbahn des Vororts hielt sich das üppige Leben und schien zu gedeihen.

Bunte Vögel in Käfigen bezauberten die Besucher entlang des Sattelplatzes, und eine schmucke kleine Eisenbahn kurvte umher. Tonnen von Eiskrem sorgten für verschärfte Gewichtsprobleme, und zerrissene Wettscheine flatterten zu Boden wie Schnee.

Die Rennen selbst waren an diesem Tag mäßig, was mich nicht daran hinderte, meine Wetten zu verlieren. Allie meinte, das geschehe mir recht, Wetten sei genauso eine Unart, wie sich ins Meer zu stürzen.

«Und du siehst ja, wohin es dich gebracht hat«, hob sie hervor.

«Wohin denn?«

«In die Fänge von Ganser Mays.«

«Das ist vorbei.«

«Was kam zuerst«, sagte sie,»Wetten oder das Pferderennen?«

«Das ganze Leben ist ein Glücksspiel. Die schnellste Samenzelle befruchtet das Ei.«

Sie lachte.»Das kannst du den Hühnern erzählen.«

Es war so ein Tag, an dem Unsinn Sinn machte. Minty und Warren trafen immer neue Trinkkumpane und ließen uns viel allein, was mir ganz recht war, und gegen Ende des Rennprogramms saßen wir oben auf der Tribüne und blickten über die Bahn hin, während das Sonnenlicht zu Gelb, Rosa und Rot erstarb. Die Girlanden der Flamingos auf den kleinen Teichen in der Bahnmitte färbten sich von hellem Rosa zu tiefem Rosenrot, und der Himmel spiegelte sich silbern und golden.

«In London schneit es bestimmt«, sagte ich.

Nach Einbruch der Dunkelheit und nachdem wir zu Abend gegessen hatten, fuhr Warren uns zum Versteigerungsring auf der anderen Seite der Rennbahn, wo Scheinwerfer eine Szenerie beleuchteten, die entschieden rustikaler war als die Tribüne. Der Zuckerguß blieb für die Touristen; der Pferdehandel stand mit den Beinen fest auf Gras.

Es gab, verbunden durch unbefestigte kurze Wege mit jeweils gutbesuchten Sektständen, drei Hauptbereiche: den Verkaufsring, den Führring und die langen Stallgebäude mit den Boxen, wo die Ware Heu fraß und sich betasten, beleidigen und ihr Gebiß begutachten lassen mußte.

Warren entschied sich, bei den Stallungen anzufangen, und wir wanderten an den Boxen entlang, während er eifrig seinen Katalog konsultierte. Minty sagte ihm, daß sie sich selbstverständlich nicht noch mehr Pferde kaufen könnten, bevor die Knochenchips aus der Welt seien.»Nein, Schatz«, erwiderte Warren beschwichtigend, aber mit einem Funkeln in den Augen, das für seine Bankguthaben Schlimmes befürchten ließ.

Ich sah mir das Angebot interessiert an. Eine gemischte Schar bereits gelaufener Pferde ab drei Jahren. Warren meinte, die beste Gelegenheit seien die Zweijährigen-Auktionen am Monatsende, und Minty schlug vor, dann solle er doch solange warten und sich die erst mal ansehen.

Die Beleuchtung am Ende des Stalls war schlecht und das Pferd in der letzten Box so dunkel, daß ich schon dachte, es sei gar keins drin.

Dann schimmerte ein Auge, und durch eine Bewegung schien schwach die Rundung einer Kruppe auf.

Ein schwarzes Pferd. Schwarz wie Energise.

Zuerst betrachtete ich es nur, weil es schwarz war, dann sah ich überrascht genauer hin. Es sah Energise wirklich sehr ähnlich. Verblüffend.

Die Ähnlichkeit ließ unvermittelt eine Idee feste Gestalt annehmen, mit der ich schon länger gespielt hatte. Ein Lachen stieg in mir hoch. Das Pferd war ein Geschenk der Götter, und wie kam ich dazu, ihm ins Maul zu schauen…

«Was haben Sie entdeckt?«fragte Warren, der sich gutgelaunt näherte.

«Zu Hause habe ich einen Hürdler, der so aussieht.«

Warren schaute nach dem runden Aufkleber auf der

Hinterhand, einer Zweiundsechzig.

«Auktionsnummer 62«, sagte er, im Katalog blätternd.»Hab ihn schon. Black Fire, fünfjähriger Wallach. Hm. «Er las schnell die Leistungen und die Abstammung nach.»Nicht viel wert und nie gewesen, schätze ich.«

«Schade.«

«Ja. «Er drehte sich um.»Aber da oben steht ein verdammt gut aussehender Fuchshengst… «

«Nein, Warren«, sagte Minty verzweifelt.

Wir machten alle kehrt, um uns den Fuchshengst anzuschauen. Warren verstand vom Pferdekauf nicht mehr als ich, und das erste, was ich auf Seite 1 des Katalogs gelesen hatte, war außerdem der unmißverständliche Hinweis, daß die Versteigerer nicht für die Qualität der Ware bürgten. Mit anderen Worten, wer eine lahme Ente kaufte, war selbst schuld.

«Geschenkt«, meinte Warren dazu nur.»Solange Sie ein ersteigertes Pferd nicht aus dem Verkaufsring nehmen, können Sie es von einem Tierarzt untersuchen lassen, und wenn der was daran auszusetzen hat, läßt sich der Kauf rückgängig machen. Es muß nur innerhalb von vierundzwanzig Stunden sein.«

«Klingt annehmbar.«

«Meine ich auch. Sie können es sogar röntgen lassen. Knochenchips sieht man im Röntgenbild. Pferde mit Knochenchips können zwar gehen und auch gesund aussehen, aber keinesfalls Rennen laufen.«

Allie sagte mit gespielter Resignation:»Also schön, und was sind Knochenchips?«

Warren erwiderte:»Absplitterungen am

Vorderfußwurzelgelenk.«

«Vom Hinfallen?«fragte Allie.

Warren lachte gutmütig.»Nein. Von zuviel hartem Galopp auf hartem Boden. Der Aufschlag macht's.«

Ich lieh mir seinen Katalog noch einmal aus, um mir die Bestimmungen genauer anzusehen, und stellte fest, daß die Untersuchungsfrist von 24 Stunden nur für Zuchtstuten galt und Warren mithin wenig nützte. Ich wies ihn dezent darauf hin.»Hier steht«, sagte ich in neutralem Ton,»daß es sich empfiehlt, ein Pferd vom Arzt checken zu lassen, bevor man bietet. Nachher ist es zu spät.«

«Wirklich wahr?«Warren nahm sein Buch wieder an sich und las das Kleingedruckte.»Ja, da haben Sie wohl recht. «Er nahm es mit Gelassenheit.»Da sieht man mal wieder, wie leicht man auf so einer Auktion danebenhauen kann.«

«Und hoffentlich merkst du es dir«, sagte Minty mit Nachdruck.

Warren schien tatsächlich von seinem Fuchshengst ein wenig Abstand zu nehmen, aber ich kehrte noch einmal zu Black Fire zurück und stieß auf einen Jugendlichen in Jeans und dreckigem Pulli, der ihm gerade einen Eimer Wasser vorsetzte.

«Ist das Ihr Pferd?«fragte ich.

«Nee. Ich versorge ihn nur.«

«Beißt er oder tritt er lieber?«

Der Junge grinste.»Ich glaube, das ist ihm beides zu viel Arbeit.«

«Würden Sie ihn aus der dunklen Box mal rausnehmen, damit ich ihn mir bei Licht ansehen kann?«

«Klar. «Er löste das Halfter vom Anbindering und führte Black Fire auf die breite, von Glühbirnen über die ganze Länge nur sparsam beleuchtete Stallgasse.

«So ist das schön«, ermunterte er das Pferd, die Beine wie für ein Foto anzuordnen.»Feiner Kerl, nicht wahr?«

«Soweit man sieht«, stimmte ich zu.

Ich musterte ihn kritisch, suchte nach Unterschieden, aber es bestand kein Zweifel; er sah genauso aus. Gleiche Höhe, der gleiche elegante Wuchs, sogar die gleiche leicht gewölbte Arabernase. Und gleichmäßig kohlrabenschwarz. Als ich hinging und ihn tätschelte, ertrug er es stoisch. Vielleicht sein freundliches Temperament, dachte ich. Vielleicht auch Beruhigungsmittel.

Am Hals und Kopf vieler Pferde bildet das Haar einen oder mehrere Wirbel und damit ein Muster, das als besonderes Kennzeichen in die Pässe eingetragen wird. Energise hatte keinerlei Wirbel. Padellic auch nicht. Sorgfältig suchte ich Stirn, Backen, Hals und Schultern von Black Fire ab und strich mit den Fingern über sein Fell. Soweit ich es fühlen oder in dem trüben Licht sehen konnte, hatte auch er keine Wirbel.

«Vielen Dank«, sagte ich zu dem Jungen und trat zurück.

Er sah mich überrascht an.»Wollen Sie nicht seine Zähne sehen oder die Beine abtasten?«

«Ist denn was damit?«

«Ich glaube nicht.«

«Dann laß ich das mal«, sagte ich und verschwieg, was wir nun beide wußten, nämlich daß ich danach auch nicht klüger gewesen wäre.

«Hat er eine Tätowierungsnummer innen an der Lippe?«fragte ich.

«Aber klar doch. «Seine Augenbrauen hoben sich erstaunt wie bei einem Clown.»Die hat er vorm ersten Rennen gekriegt.«

«Wie lautet sie?«

«O Mann, das weiß ich nicht. «Sein Tonfall besagte, daß man das auch nicht verlangen konnte und daß kein vernünftiger Mensch danach gefragt hätte.

«Sehen Sie mal nach.«

«Na gut. «Er zuckte die Achseln, klappte mit geübtem Griff das Maul des Pferdes auf und bog die Unterlippe zurück. Das Pferd hielt verdächtig still, bis er es wieder losließ.

«Soweit ich sehe, steht da ein F, eine 6 und noch ein paar Zahlen, aber hier ist es nicht hell genug, und mit der Zeit verwischen die Nummern sowieso; der Bursche ist ja schon fünf, da wird die Tätowierung drei Jahre alt sein.«

«Trotzdem danke.«

«Bitte. «Er steckte meine angebotenen fünf Dollar ein und führte den ziemlich unfeurigen Black Fire wieder in seine Box.

Ich drehte mich um und sah Allie, Warren und Minty hinter mir stehen. Allie und Minty lächelten mit weiblicher Nachsicht, und Warren schüttelte den Kopf.

«Das Pferd hat in drei Jahren Wettkampf ganze neuntausenddreihundert Dollar gewonnen«, sagte er.»Das sind nicht mal die Futterkosten. «Er hielt mir den aufgeschlagenen Katalog hin, und ich nahm ihn und las die

Mit zwei unplaziert. Mit drei, drei Siege, viermal Dritter. Mit vier zweimal Dritter. Insgesamt drei Siege, sechs dritte Plätze, 9326 Dollar Gewinn.

Ein bescheidener Erfolg als Dreijähriger, aber doch in eher zweitklassigen Rennen. Ich gab Warren den Katalog dankend zurück, und wir zogen ohne Eile zum nächsten Stall weiter. Als selbst Warren in keine Box mehr schauen mochte, gingen wir nach draußen und sahen zu, wie die ersten Pferde in den mit Latten abgezäunten Vorring geführt wurden.

Ein Lichterreigen um die Abzäunung beleuchtete die Szene, unterstützt von Scheinwerfern in den umstehenden Bäumen. Im Ring gaben kleine Gruppen von Leuten wie auf einer Bühne ihren Schützlingen eifrig den letzten Schliff, um vielleicht den Unerfahrenen noch ein paar Dollar mehr abzuluchsen. Der Mähnenkamm einiger Pferde wurde von den Ohren bis zum Widerrist mit bunten Wollquasten geschmückt wie für die Manege. Katalognummer 1 hob im Glänze roter Bommeln sein langes braunes Haupt und wieherte theatralisch.

Ich sagte Allie und den Barbos, ich sei gleich wieder da, und ließ sie an der Abzäunung zurück. Nach einer Falschauskunft und nochmaligem Fragen landete ich im engen Büro der Versteigerer im Auktionsgebäude.

«Ein tierärztlicher Bericht? Kein Problem. Vorauszahlung bitte. Wenn Sie nicht warten wollen, können Sie den Bericht in einer halben Stunde abholen.«

Ich zahlte und ging zurück zu den anderen. Da Warren fand, es sei Zeit für einen Drink, standen wir eine Weile in der schönen warmen Abendluft an einem Ausschank und tranken Bacardi und Coke aus Plastikbechern.

Helles Licht strömte aus den offenen Türen und halb geöffneten Fensterjalousien des runden Auktionsgebäudes. Im Innern füllten sich die Reihen der Segeltuchstühle, und auf dem Podium in der Mitte bereiteten sich die Versteigerer auf das Geschäft des Tages vor. Wir tranken aus, warfen pflichtbewußt unsere Becher weg und schlossen uns den

Besuchern an.

Auktionsnummer 1 tänzelte über eine Rampe in den Ring und umkreiste mit wippenden Bommeln das Podium. Der Auktionator stimmte seinen mikrophonverstärkten, beharrlichen Verkaufssingsang an, an den sich meine Ohren erst gewöhnen mußten, damit ich ihn halbwegs verstand. Katalognummer 1 brachte es auf 5000 Dollar, und Warren meinte, die Preise würden wegen der Wirtschaftslage allgemein niedrig sein.

Ein Pferd nach dem anderen kam. Als Katalognummer 15 mit orangefarbenen Quasten eine Summe erzielte, die vom Publikum erregt bestaunt wurde, stahl ich mich fort und fand im Büro den Tierarzt selber vor, der bereits anderen Fragestellern Auskunft gab.

«Katalognummer 62?«wiederholte er.»Kleinen Moment. «Er blätterte in seinem Notizbuch.»Na bitte. Dunkelbrauner oder brauner Wallach, ja?«

«Schwarz«, sagte ich.

«Oh-oh. Sagen Sie niemals schwarz. «Er lächelte flüchtig, ein vielbeschäftigter Mann mittleren Alters, der wie ein Buchhalter wirkte.»Fünf Jahre. Kerngesund. «Erschloß das Notizbuch und wandte sich dem nächsten Kunden zu.

«Ist das alles?«fragte ich verblüfft.

«Klar«, erwiderte er prompt.»Keine Herzgeräusche, kühle Beine, Gebiß dem Alter entsprechend, gute Augen, gute Beweglichkeit, guter Gang. Keine Sehnenentzündung, keine Gelenkschäden.«

«Danke«, sagte ich.

«Bitte sehr.«

«Ist er ruhiggestellt?«

Er sah mich scharf an, dann lächelte er.»Kann sein, Acepromazin wahrscheinlich.«

«Ist das üblich, oder heißt das, er ist bösartig?«

«Ich glaube nicht, daß er viel bekommen hat. Der ist schon okay.«

«Nochmals danke.«

Ich ging wieder zum Auktionsring, wo gerade der Fuchshengst zum Verkauf stand und Warren arg ins Zappeln geriet. Als der Preis auf fünfzehntausend stieg, klammerte sich Minty buchstäblich an seine Hände und beschwor ihn, keine Dummheiten zu machen.

«Er muß doch was sein«, wandte Warren ein,»wenn er so ein Geld bringt.«

Der Hengst ging nach einer halben Minute, in der die Gebote Schlag auf Schlag fielen, für fünfundzwanzigtausend weg, und Warren trauerte ihm den ganzen Abend nach. Minty entspannte sich, als hätte das Staatsschiff heil ein todbringendes Riff umschifft, und sagte, sie wolle gern an die frische Luft. Wir gingen hinaus und lehnten uns wieder an die Abzäunung des Vorrings.

Einige Leute aus England waren auf der Auktion. Gesichter, die ich kannte, Leute, die mich kannten. Keine engen Freunde, kaum Bekannte, und doch würde ihnen auffallen und würden sie es weitertragen, wenn ich etwas Unerwartetes tat.

Ich wandte mich beiläufig an Warren.

«In New York habe ich Geld. Das kann ich morgen überweisen lassen. Würden Sie mir heute abend aushelfen?«

«Klar«, sagte er gutmütig und griff auch schon nach seiner Brieftasche.»Wieviel brauchen Sie?«

«Soviel, daß ich den schwarzen Wallach kaufen kann.«

«Was?«Seine Hand erstarrte, und er riß die Augen auf.

«Würden Sie ihn für mich kaufen?«

«Sie machen Witze.«

«Nein.«

Er blickte hilfesuchend zu Allie.»Meint er das ernst?«

«Wie ich ihn kenne, ist er so verrückt«, sagte sie.

«Das war's aber auch wirklich«, meinte Warren.»Verrückt. Sie sind verrückt, ein völlig unnützes Vieh zu kaufen, bloß weil es einem Hürdler ähnlich sieht, den Sie zu Hause haben.«

Bei diesen Worten ging Allie ein Licht auf. Sie lächelte lebhaft und sagte:»Was hast du mit ihm vor?«

Ich küßte sie auf die Stirn.»Ich neige dazu, im Kreis zu denken«, sagte ich.

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