Dana wollte am Mittwochmorgen gerade das Frühstück zubereiten, als draußen ein Heidenlärm losbrach. Sie blickte aus dem Fenster und sah zu ihrer Überraschung den Lastwagen einer Umzugsfirma vor dem Haus stehen, dazu mehrere Männer, die Möbel einluden.
Wer könnte denn hier ausziehen?, fragte sich Dana. Sämtliche Wohnungen im Haus waren vergeben, und die Mieter hatten allesamt langfristige Verträge.
Dana stellte gerade Haferflocken auf den Tisch, als es an der Tür klopfte. Es war Dorothy Wharton.
»Dana, bei uns hat sich was ganz Neues ergeben«, sagte sie aufgeregt. »Howard und ich ziehen nach Rom. Wir reisen noch heute ab.«
Dana starrte sie erstaunt an. »Nach Rom? Heute noch?«
»Ist das nicht unglaublich? Letzte Woche wurde Howard von einem Mann angesprochen. Das Ganze war sehr vertraulich. Howard hat mir gesagt, dass ich niemand was verraten dürfte. Na ja, und gestern Abend hat der Mann dann angerufen und Howard einen Posten bei seiner Firma in Italien angeboten, bei der er dreimal so viel verdient wie bisher.« Dorothy strahlte.
»Na, das ist - das ist ja wunderbar«, sagte Dana. »Sie werden uns fehlen.«
»Wir werden Sie ebenfalls vermissen.«
Howard kam an die Tür. »Ich nehme an, Dorothy hat Ihnen schon alles erzählt.«
»Ja. Und ich freue mich für Sie. Aber ich dachte, Sie wollten nie mehr von hier weg. Und mit einem Mal -«
Howard ging gar nicht darauf ein. »Ich kann’s immer noch nicht glauben. Es kam wie aus heiterem Himmel. Außerdem ist es eine erstklassige Firma. Italiano Ripristino heißt sie. Eines der größten Unternehmen von ganz Italien. Eine Tochtergesellschaft davon restauriert antike Bauwerke. Ich weiß nicht, wie die auf mich gekommen sind, aber sie haben eigens jemand hier einfliegen lassen, um mit mir handelseinig zu werden. In Rom gibt’s jede Menge Altertümer, die dringend überholt werden müssen. Sie übernehmen sogar für ein Jahr lang die Miete hier, sodass wir unsere Kaution zurückkriegen. Die einzige Bedingung dabei ist, dass wir bis morgen in Rom sein müssen. Was bedeutet, dass wir noch heute unsere Wohnung räumen müssen.«
»Das ist doch sehr ungewöhnlich, nicht?«, wandte Dana vorsichtig ein.
»Ich nehme an, die haben’s ziemlich eilig.«
»Brauchen Sie irgendwelche Hilfe beim Packen?«
Dorothy schüttelte den Kopf. »Nein. Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet. Der Großteil der Sachen geht an die Fürsorge. Mit Howards neuem Einkommen können wir uns allerhand leisten.«
Dana lachte. »Melden Sie sich mal bei mir, Dorothy.«
Eine Stunde später hatten die Whartons ihre Wohnung geräumt und waren auf dem Weg nach Rom.
»Könnten Sie mir einen Gefallen tun und sich nach einer Firma erkundigen?«, sagte Dana zu Olivia, als sie ins Büro kam.
»Selbstverständlich.«
»Sie heißt Italiano Ripristino. Ich glaube, die Zentrale befindet sich in Rom.«
»In Ordnung.«
Eine halbe Stunde später reichte ihr Olivia ein Blatt Papier. »Da steht alles drauf. Es ist eins der größten Unternehmen in ganz Europa.«
Dana war zutiefst erleichtert. »Gut. Das freut mich.«
»Übrigens«, sagte Olivia, »ist die Firma nicht im Privatbesitz.«
»Aha?«
»Nein. Sie gehört dem italienischen Staat.«
Als Dana Kemal an diesem Nachmittag von der Schule nach Hause brachte, zog ein Mann mittleren Alters, der eine dicke Brille trug, in die Wohnung der Whartons ein.
Am Donnerstag, dem Tag, an dem Dana mit Roger Hudson verabredet war, ging von Anfang an alles schief.
»Sieht so aus, als ob wir mit unserer Sendung heute Abend in die Bredouille kommen«, sagte Robert Fenwick bei der morgendlichen Konferenz.
»Lassen Sie hören«, sagte Dana.
»Es geht um das Team, das wir nach Irland geschickt haben, Wir wollten doch heute Abend den Film bringen, den die dort gemacht haben.«
»Ja?«
»Sie sind festgenommen worden. Außerdem hat man ihre gesamte Ausrüstung beschlagnahmt.«
»Meinen Sie das ernst?«
»Ich scherze niemals, wenn es um Iren geht.« Er reichte Dana ein Blatt Papier. »Hier ist unser Aufmacher über den Banker aus Washington, den man wegen Betrugs belangen will.«
»Eine erstklassige Story«, sagte Dana. »Und wir haben sie exklusiv.«
»Unsere Rechtsabteilung hat sie gerade abgewürgt.«
»Was?«
»Sie befürchten, dass man uns verklagen könnte.«
»Na wunderbar«, versetzte Dana säuerlich.
»Und das ist noch nicht alles. Der Zeuge in dem Mordfall, den wir heute Abend interviewen wollten -«
»Ja .«
»Er hat es sich anders überlegt. Er kommt nicht.«
Dana stöhnte auf. Es war noch nicht einmal zehn Uhr. Das Einzige, worauf sie sich heute noch freuen konnte, war das Gespräch mit Roger Hudson.
»Es ist bereits elf Uhr, Miss Evans«, sagte Olivia, als Dana aus der Redaktionskonferenz kam. »Bei dem Wetter sollten Sie jetzt vielleicht aufbrechen, wenn Sie rechtzeitig bei Mr. Hudson sein wollen.«
»Danke, Olivia.« Dana blickte aus dem Fenster. Es fing wieder an zu schneien. Sie zog ihren Mantel an, legte den Schal um und wollte gerade zur Tür gehen, als das Telefon klingelte.
»Miss Evans .«
Dana drehte sich um.
»Ein Anruf für Sie auf Anschluss drei.«
»Jetzt nicht«, sagte Dana. »Ich muss los.«
»Es ist jemand von Kemals Schule.«
»Was?« Dana stürmte zu ihrem Schreibtisch. »Hallo?« »Miss Evans?«
»Ja.«
»Hier ist Thomas Henry.«
»Ja, Mr. Henry. Ist mit Kemal alles in Ordnung?«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll. So Leid es mir tut, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Kemal wird von der Schule verwiesen.«
Erschrocken stand Dana da. »Von der Schule verwiesen. Weshalb? Was hat er getan?«
»Vielleicht sollten wir das besser persönlich besprechen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie vorbeikommen und ihn abholen würden.«
»Mr. Henry -« »Ich erkläre es Ihnen, wenn Sie hier sind. Miss Evans. Besten Dank.«
Benommen legte Dana den Hörer auf. Was könnte da nur wieder vorgefallen sein?
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Olivia.
»Na großartig.« Dana stöhnte auf. »Das hat mir heute gerade noch gefehlt.«
»Kann ich irgendetwas tun?«
»Sprechen Sie ein Gebet für mich.«
Als Dana Kemal an diesem Morgen vor der Schule abgesetzt und ihm ein letztes Mal zugewinkt hatte und dann weggefahren war, hatte Ricky Underwood sie beobachtet.
»Hey, der Kriegsheld«, sagte Ricky, als Kemal an ihm vorbeigehen wollte. »Deine Mama muss ja einen schweren Frust schieben. Wo du doch bloß einen Arm hast, und wenn du mit ihr Stinkefinger spielen -«
Kemal reagierte so schnell, dass man kaum sah, wie er sich bewegte. Er rammte Ricky den Fuß in den Unterleib, und als Ricky aufschrie und sich vornüber krümmte, riss Kemal das linke Knie hoch und brach ihm das Nasenbein. In hohem Bogen spritzte das Blut durch die Luft.
Kemal beugte sich über die stöhnende Gestalt am Boden. »Das nächste Mal bring ich dich um.«
Dana fuhr so schnell sie konnte zur Theodore Roosevelt Middle School, wobei sie sich unterwegs die ganze Zeit fragte, was wohl vorgefallen sein mochte. Egal, was es war, ich muss Henry überreden, dass er Kemal auf der Schule lässt.
Thomas Henry erwartete Dana in seinem Büro. Kemal saß ihm auf einem Stuhl gegenüber. Als Dana eintrat, hatte sie das Gefühl, das Ganze schon mal erlebt zu haben.
»Miss Evans.« »Was ist vorgefallen?«, sagte Dana.
»Ihr Sohn hat einem anderen Jungen die Nase und das Jochbein gebrochen. Er musste mit dem Krankenwagen in die Notaufnahme gebracht werden.«
Ungläubig blickte Dana ihn an. »Wie - wie konnte das denn passieren? Kemal hat doch nur einen Arm.«
»Ja«, versetzte Thomas Henry verkniffen. »Aber er hat zwei Beine. Er hat ihm das Nasenbein mit dem Knie gebrochen.«
Kemal betrachtete die Decke.
Dana wandte sich an ihn. »Kemal, wie konntest du das nur tun?«
Er blickte zu Boden. »Es war ganz einfach.«
»Verstehen Sie, was ich meine, Miss Evans«, sagte Thomas Henry. »Seine ganze Haltung ist - ich ... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich fürchte, wir können Kemals Benehmen nicht länger dulden. Ich schlage vor, dass Sie eine andere Schule suchen, die eher für ihn geeignet ist.«
»Mr. Henry«, sagte Dana ernst, »Kemal legt es nicht auf Streit an. Wenn er trotzdem in eine Prügelei gerät, muss er einen guten Grund dafür gehabt haben, da bin ich mir völlig sicher. Sie können doch nicht -«
»Wir haben unsere Entscheidung getroffen, Miss Evans«, erwiderte Mr. Henry in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ.
Dana atmete tief durch. »Na schön. Dann suchen wir uns eben eine Schule, in der man mehr Verständnis hat. Komm, Kemal.«
Kemal stand auf, warf Mr. Henry einen wütenden Blick zu und verließ hinter Dana das Büro. Schweigend gingen sie hinaus auf den Bürgersteig. Dana blickte auf ihre Uhr. Sie kam jetzt zu spät zu ihrem Termin, und außerdem wusste sie nicht, wo sie Kemal unterbringen sollte. Ich muss ihn mitnehmen.
»Na schön, Kemal«, sagte Dana, als sie im Wagen saßen. »Was war los?«
Nie und nimmer konnte er ihr erzählen, was Ricky Underwood gesagt hatte. »Es tut mir sehr, sehr Leid, Dana. Es war meine Schuld.«
Krass, dachte Dana.
Die Hudsons wohnten auf einem zwei Hektar großen Grundstück in einer vornehmen Gegend von Georgetown. Eine lange, geschwungene Auffahrt führte hügelan zu dem weißen zweistöckigen Herrenhaus im georgianischen Stil, das von der Straße aus nicht zu sehen war.
Dana hielt vor dem Haus. Sie blickte zu Kemal. »Du kommst mit rein.«
»Wieso?«
»Weil es hier draußen zu kalt ist. Komm schon.«
Dana ging zur Haustür, worauf Kemal ihr widerwillig folgte.
Dana wandte sich an ihn. »Kemal, ich mache hier ein wichtiges Interview. Ich möchte, dass du ruhig und höflich bist. Okay?«
»Okay.«
Dana klingelte. Die Tür wurde von einem freundlich wirkenden, hünenhaften Mann geöffnet, der eine Butleruniform trug. »Miss Evans?«
»Ja.«
»Ich bin Cesar. Mr. Hudson erwartet Sie.« Er blickte zu Kemal, dann wieder zu Dana. »Darf ich Ihnen die Mäntel abnehmen?« Kurz darauf hängte er sie in eine Gästegarderobe in der Eingangshalle. Kemal starrte fortwährend zu Cesar auf, der ihn turmhoch überragte.
»Wie groß sind Sie?«
»Kemal!«, sagte Dana. »Sei nicht so unhöflich.«
»Ach, ist schon in Ordnung, Miss Evans. Ich bin das gewohnt.«
»Sind Sie größer als Michael Jordan?«, fragte Kemal.
»Ich fürchte ja.« Der Butler lächelte. »Ich bin zwei Meter sechzehn groß. Hier entlang bitte.«
Die Eingangshalle war riesig, ein langer Saal mit Hartholzboden, alten Spiegeln und Marmortischen. Die Wände waren von Regalen gesäumt, in denen kostbare Figurinen aus der Ming-Dynastie und Chihuly-Statuen aus mundgeblasenem Glas standen.
Dana und Kemal folgten Cesar den Flur entlang zu einem tiefer liegenden Wohnzimmer mit hellgelben Wänden und weißem Gebälk. Der Raum war mit bequemen Sofas, Queen-Anne-Tischchen und hellgelben Sheraton-Ohrensesseln eingerichtet.
Senator Roger Hudson und seine Frau Pamela saßen an einem Backgammon-Tisch. Sie erhoben sich, als Cesar Dana und Kemal ankündigte.
Roger Hudson war ein streng wirkender Mann Ende fünfzig mit kühlen grauen Augen und einem verhaltenen Lächeln. Er strahlte eine gewisse Unnahbarkeit aus, so als wäre er ständig auf der Hut.
Pamela Hudson, etwas jünger als ihr Mann, war eine Schönheit. Sie wirkte herzlich, aufgeschlossen und natürlich. Sie hatte aschblonde Haare mit ein paar grauen Strähnen, die sie nicht zu kaschieren versuchte.
»Tut mir Leid, dass ich zu spät komme«, entschuldigte sich Dana. »Ich bin Dana Evans. Das ist mein Sohn Kemal.«
»Roger Hudson. Das ist meine Frau Pamela.«
Dana hatte per Internet Erkundigungen über Roger Hudson eingeholt. Sein Vater hatte eine kleine Stahlhütte besessen, die Hudson Industries, die Roger Hudson zu einem Konzern von Weltgeltung aufgebaut hatte. Er war Milliardär, war einst Vorsitzender der Mehrheitsfraktion im Senat und des Wehr- und Streitkräfteausschusses gewesen. Er hatte sich mittlerweile aus dem Geschäftsleben zurückgezogen und war nur mehr als politischer Berater für das Weiße Haus tätig. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte er Pamela Donnelly geheiratet, eine begehrte Schönheit aus guter Familie. Die beiden waren in der Washingtoner Gesellschaft sehr beliebt und politisch überaus einflussreich.
»Kemal, das sind Mr. und Mrs. Hudson«, sagte Dana. Sie wandte sich an Roger. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich ihn mitgebracht habe, aber -«
»Das ist doch völlig in Ordnung«, sagte Pamela Hudson. »Wir wissen über Kemal Bescheid.«
Dana blickte sie erstaunt an. »Ja?«
»Ja. Man hat viel über Sie geschrieben, Miss Evans. Sie haben Kemal in Sarajevo gerettet. Das war großartig von Ihnen.«
Roger Hudson stand schweigend daneben.
»Was dürfen wir Ihnen anbieten?«, fragte Pamela Hudson.
»Danke, ich möchte nichts«, sagte Dana.
Sie blickten Kemal an. Er schüttelte den Kopf.
»Nehmen Sie bitte Platz.« Roger Hudson und seine Frau ließen sich auf der Couch nieder. Dana und Kemal setzten sich auf zwei Lehnsessel, die ihnen gegenüber standen.
»Ich weiß nicht genau, weshalb Sie hier sind, Miss Evans«, sagte Roger Hudson schroff. »Matt Baker hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte mit Ihnen über Taylor Winthrop reden.«
Roger Hudson runzelte die Stirn. »In welchem Zusammenhang?«
»Soweit ich weiß, kannten Sie ihn?«
»Ja. Ich habe Taylor kennen gelernt, als er unser Botschafter in Russland war. Seinerzeit war ich Vorsitzender des Wehr- und Streitkräfteausschusses. Ich ging nach Russland, um die Schlagkraft der russischen Waffen zu begutachten. Taylor begleitete unseren Ausschuss zwei, drei Tage lang.«
»Was für einen Eindruck hatten Sie von ihm, Mr. Hudson?«
Er dachte kurz nach. »Ganz offen gesagt, Miss Evans, war ich von all seinem Charme nicht übermäßig beeindruckt. Aber ich muss zugeben, dass ich ihn für einen ausgesprochen fähigen Mann hielt.«
Kemal blickte sich gelangweilt um, stand auf und schlen-derte ins Zimmer nebenan.
»Wissen Sie, ob Botschafter Winthrop irgendwelche Unannehmlichkeiten hatte, als er in Russland war?«
Roger Hudson warf ihr einen verdutzten Blick zu. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie recht verstanden habe. Was für Unannehmlichkeiten?«
»Irgendetwas . irgendwas, durch das er sich Feinde gemacht haben könnte. Ich meine, regelrechte Todfeinde.«
Bedächtig schüttelte Roger Hudson den Kopf. »Miss Evans, wenn etwas Derartiges vorgefallen wäre, wüsste nicht nur ich es, sondern alle Welt hätte davon erfahren. Taylor Winthrop stand ständig im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Darf ich fragen, worauf Sie mit diesen Fragen hinauswollen?«
»Ich dachte mir«, sagte Dana verlegen, »dass Taylor Winthrop womöglich irgendjemandem irgendetwas angetan hat, das so schlimm war, dass es ein Motiv abgäbe, warum jemand ihn und seine sämtlichen Angehörigen umgebracht haben könnte.«
Hudson und seine Frau starrten sie an.
»Ich weiß«, fuhr Dana rasch fort, »das klingt weit hergeholt, aber dass sie alle in anderthalb Jahren ums Leben gekommen sind, ist nicht minder merkwürdig.«
»Miss Evans«, sagte Roger Hudson barsch, »ich bin alt genug, um mir darüber im Klaren zu sein, dass nichts unmöglich ist, aber das ist - worauf gründet sich Ihr Verdacht?« »Falls Sie damit handfeste Beweise meinen - da habe ich keine.«
»Das wundert mich nicht.« Er zögerte einen Moment. »Ich habe gehört, dass ...« Er verstummte. »Lassen wir das.«
Die beiden Frauen blickten ihn an.
»Sei nicht so schofelig zu Miss Evans, Schatz«, wandte Pamela behutsam ein. »Was wolltest du gerade sagen?«
Er zuckte die Achseln. »Ist nicht weiter wichtig.« Er wandte sich an Dana. »Als ich in Moskau war, ging das Gerücht, dass Winthrop sich auf private Geschäfte mit den Russen eingelassen haben soll. Aber ich gebe nichts auf Gerüchte, und Sie sicherlich auch nicht, Miss Evans.« Es klang beinahe vorwurfsvoll.
Ehe Dana etwas darauf erwidern konnte, ertönte ein lautes Krachen aus der angrenzenden Bibliothek.
Pamela Hudson stand auf und ging eiligen Schrittes nach nebenan. Roger und Dana folgten ihr. In der Tür blieben sie stehen. Eine blaue Ming-Vase war zu Boden gefallen und zerbrochen. Kemal stand neben dem Scherbenhaufen.
»Oh, mein Gott«, sagte Dana erschrocken. »Entschuldigen Sie vielmals. Kemal, wie konntest du nur -?«
»Es war ein Versehen.«
Betreten und mit schamrotem Gesicht wandte sich Dana an die Hudsons. »Das tut mir furchtbar Leid. Ich komme natürlich dafür auf. Ich -«
»Ach, machen Sie sich darum bitte keine Sorgen«, erwiderte Pamela Hudson mit einem aufmunternden Lächeln. »Unsere Hunde stellen noch viel schlimmere Sachen an.«
Roger Hudson zog eine grimmige Miene. Er wollte etwas sagen, doch ein Blick von seiner Frau brachte ihn zum Schweigen.
Dana blickte auf die Überreste der Vase. Die war vermutlich mehr wert, als ich in zehn Jahren verdiene, dachte sie.
»Gehen wir doch wieder ins Wohnzimmer«, schlug Pamela Hudson vor.
Dana zitierte Kemal zu sich und folgte ihnen. »Du bleibst bei mir«, murmelte sie wütend. Sie nahmen wieder Platz.
Roger Hudson musterte Kemal. »Wodurch hast du deinen Arm verloren, mein Junge?«
Dana war überrascht über die offene, unverblümte Art, mit der er diese Frage stellte, doch Kemal ging bereitwillig darauf ein.
»Durch eine Bombe.«
»Aha. Und was ist mit deinen Eltern passiert, Kemal?«
»Die kamen beide bei einem Luftangriff um, und meine Schwester.«
Roger Hudson schniefte. »Verfluchter Krieg.«
In diesem Augenblick kam Cesar herein. »Das Essen ist aufgetragen.«
Das Essen war köstlich. Dana fand Pamela freundlich und umgänglich, Roger Hudson hingegen eher verschlossen.
»Woran arbeiten Sie gerade?«, fragte Pamela Hudson Da-na.
»Wir bereiten eine neue Sendung mit dem Titel Alibi vor. Wir wollen darin einerseits Menschen präsentieren, die Straftaten begangen haben, ohne dass sie dafür belangt wurden, und andererseits denen helfen, die unschuldig im Gefängnis sitzen.«
»Washington ist dafür der beste Ausgangspunkt«, sagte Roger Hudson. »Hier wimmelt es von allerlei scheinheiligen Zeitgenossen an höchster Stelle, die jede nur erdenkliche Straftat begangen haben, ohne dass man sie dafür belangt.«
»Roger sitzt in etlichen Ausschüssen, die sich mit Regierungs- und Verwaltungsreformen befassen«, sagt Pamela Hudson stolz.
»Weil das ja viel nützt«, grummelte ihr Mann. »Die Grenzen zwischen Recht und Unrecht verschwimmen anscheinend immer mehr. So was muss man daheim im Familienkreis lernen. Unsere Schulen bringen einem das bestimmt nicht bei.«
Pamela Hudson wandte sich an Dana. »Übrigens, Roger und ich wollen am Sonnabend eine kleine Dinnerparty geben. Hätten Sie Lust, uns dabei Gesellschaft zu leisten?«
Dana lächelte. »Oh, vielen Dank. Herzlich gern.«
»Haben Sie einen Begleiter?«
»Ja. Jeff Connors.«
»Den Sportreporter von Ihrem Sender?«, sagte Roger Hudson.
»Ja.«
»Der ist nicht übel. Ich schau mir ab und zu seine Sendungen an«, sagte er. »Ich möchte ihn gern kennen lernen.«
Dana lächelte. »Jeff kommt sicherlich gern mit.«
Als Dana und Kemal aufbrachen, nahm Roger Hudson Dana beiseite.
»In aller Offenheit, Miss Evans. Ich halte Ihre Verschwörungstheorie für ein reines Hirngespinst. Aber Matt Baker zuliebe bin ich bereit, mich umzuhören und zuzusehen, ob ich irgendetwas herausfinde, das sie womöglich untermauern könnte.«
»Vielen Dank.«
In aller Offenheit, Miss Evans. Ich halte Ihre Verschwörungstheorie für ein reines Hirngespinst. Aber Matt Baker zuliebe bin ich bereit, mich umzuhören und zuzusehen, ob ich irgendetwas herausfinde, das sie untermauern könnte.
Vielen Dank.
Ende der Aufnahme.