An diesem Abend begab sich Dana an Bord einer LufthansaMaschine nach Düsseldorf. Sie hatte zuvor Stefan Müller angerufen, der bei Kabel-Network arbeitete, und ihm ihren Besuch angekündigt. Immer wieder gingen ihr Matt Bakers Worte durch den Kopf. Wenn Dieter Zander Taylor Winthrop die Schuld daran gab, dass -
»Guten Abend. Ich heiße Hermann Friedrich. Reisen Sie zum ersten Mal nach Deutschland?«
Dana drehte sich um und musterte den Mann auf dem Nebensitz. Er war um die fünfzig, schlank, trug eine Augenklappe und einen buschigen Schnurrbart.
»Good evening«, sagte Dana.
»Ah, Sie sind Amerikanerin?«
»Ja.«
»Viele Amerikaner kommen nach Düsseldorf. Ist ja auch eine wunderschöne Stadt.«
»Das habe ich schon gehört.« Und seine Familie kam bei einem Brand ums Leben.
»Ist das Ihr erster Besuch?«
»Ja.« Könnte es ein Zufall gewesen sein?
»Es ist eine wunder-, wunderschöne Stadt. Mitten durch Düsseldorf fließt der Rhein. Der ältere Teil der Stadt liegt am rechten Ufer des Flusses -«
Stefan Müller kann mir bestimmt mehr über Dieter Zander erzählen.
»- und die Neustadt befindet sich am linken Ufer. Sechs Brücken verbinden die beiden Stadtteile miteinander.« Hermann Friedrich rückte ein Stück näher. »Besuchen Sie etwa Freunde in Düsseldorf?«
Allmählich fügt sich eins zum anderen.
Friedrich beugte sich zu ihr. »Wenn Sie allein sein sollten, wüsste ich ein -«
»Was? Ach so. Nein, ich treffe mich dort mit meinem Mann.«
Hermann Friedrichs Lächeln verschwand. »Schade. Ihr Mann kann sich glücklich schätzen.«
Vor dem internationalen Flughafen in Düsseldorf Lohausen stand eine lange Schlange Taxis. Dana ließ sich von einem zum Breidenbacher Hof im Stadtzentrum bringen. Es war ein elegantes altes Hotel mit einem prachtvollen Foyer.
»Wir haben Sie bereits erwartet, Miss Evans«, sagte der Mann an der Rezeption. »Willkommen in Düsseldorf.« »Vielen Dank.« Dana trug sich ins Gästebuch ein.
Der Empfangschef griff zum Telefon und sprach hinein. »Das Zimmer muss in Ordnung gebracht werden. Und zwar schleunigst.« Er legte den Hörer auf und wandte sich wieder an Dana. »Tut mir Leid, Miss Evans, aber Ihr Zimmer ist noch nicht fertig. Betrachten Sie sich bitte als Gast des Hauses, wenn Sie unterdessen einen Happen essen wollen. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn das Mädchen mit dem Aufräumen fertig ist.«
Dana nickte. »Von mir aus.«
»Ich zeige Ihnen das Restaurant.«
Droben in Danas Zimmer bauten zwei Elektronikspezialisten eine Kamera in die Wanduhr ein.
Eine halbe Stunde später war Dana auf ihrem Zimmer und packte ihre Sachen aus. Anschließend rief sie bei KabelNetwork an.
»Ich bin soeben eingetroffen, Stefan«, sagte sie.
»Dana! Ich habe nicht geglaubt, dass du wirklich kommst. Was hast du heute Abend vor?« »Ich hatte gehofft, mit dir essen zu gehen.«
»Dann machen wir das. Wir gehen ins Schiffchen. Um acht Uhr?«
»Bestens.«
Dana hatte sich umgezogen und wollte gerade aus der Tür, als ihr Handy klingelte. Hastig holte sie es aus ihrer Handtasche.
»Hallo?«
»Hallo, Liebling. Wie geht’s dir?«
»Mir geht’s gut, Jeff.«
»Und wo steckst du?«
»Ich bin in Deutschland. In Düsseldorf. Ich glaube, ich bin endlich auf etwas gestoßen.«
»Dana, sei vorsichtig. Herrgott, ich wünschte, ich könnte bei dir sein.«
Ich auch, dachte Dana. »Wie geht’s Rachel?«
»Die Chemotherapie schlaucht sie ziemlich. Die ist ganz schön happig.«
»Wird sie wieder -« Sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen.
»Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wenn die Chemotherapie anspricht, ist es gut möglich, dass sie wieder gesund wird.«
»Jeff, richte ihr bitte aus, dass mir die Sache sehr zu Herzen geht.«
»Mach ich. Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Danke, mir fehlt nichts.«
»Ich ruf dich morgen wieder an. Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich dich liebe, meine Süße.«
»Ich liebe dich auch, Jeff. Mach’s gut.«
»Du auch.«
Rachel kam aus ihrem Schlafzimmer. Sie trug Morgenmantel und Hausschuhe und hatte ein Handtuch um den Kopf geschlungen.
»Wie geht’s Dana?«
»Der geht’s gut, Rachel. Sie hat mich gebeten, dir auszurichten, wie sehr ihr die Sache zu Herzen geht.«
»Sie liebt dich sehr.«
»Ich sie auch.«
Rachel trat näher zu ihm. »Wir zwei haben uns auch geliebt, nicht wahr, Jeff? Was hat uns nur auseinander gebracht?«
Er zuckte die Achseln. »Das Leben. Oder besser gesagt, unser beider Leben. Denn jeder von uns hat sein eigenes geführt.«
»Ich war zu sehr mit meiner Karriere als Model beschäftigt.« Sie versuchte die Tränen zu unterdrücken. »Tja, das passiert mir bestimmt nicht noch mal, was?«
Er legte ihr den Arm um die Schulter. »Rachel, du wirst wieder gesund werden. Die Chemotherapie spricht bestimmt an.«
»Ich weiß. Mein Schatz, ich danke dir, dass du bei mir geblieben bist. Allein hätte ich das nicht durchgestanden. Ich weiß nicht, was ich ohne dich anfangen würde.«
Dazu fiel Jeff keine Antwort ein.
Das Schiffchen war ein Gourmet-Restaurant in einem noblen Vorort von Düsseldorf. Stefan Müller grinste, als er hereinkam und Dana sah.
»Dana! Mein Gott, wir haben uns seit Sarajevo nicht mehr gesehen.«
»Es kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit, dir nicht?«
»Was machst du hier? Bist du wegen der Messe gekommen?«
»Nein. Jemand hat mich gebeten, einen alten Freund von ihm ausfindig zu machen, Stefan.« Ein Kellner kam an ihren Tisch und fragte sie, was sie trinken wollten.
»Wer ist dieser Freund?«
»Er heißt Dieter Zander. Hast du schon mal von ihm gehört?«
Stefan Müller nickte. »Den kennt jeder. Ein ziemlich zwielichtiger Typ. War in einen Riesenskandal verwickelt. Er ist Milliardär, hat aber irgendwelche Aktionäre übers Ohr gehauen und war so dumm, sich dabei erwischen zu lassen. Normalerweise wäre er dafür mindestens zehn Jahre in den Bau gegangen, aber er hat seine Beziehungen spielen lassen, sodass man ihn nach drei Jahren wieder rausgelassen hat. Er behauptet, er wäre unschuldig.«
Dana musterte ihn. »Stimmt das?«
»Wer weiß. Vor Gericht sagte er aus, Taylor Winthrop hätte ihn reingeritten und Millionen von Dollar auf die Seite geschafft. Es war ein spannender Prozess. Nach Aussage von Dieter Zander bot Taylor Winthrop ihm eine Beteiligung an einer Zinkmine an, die angeblich Milliarden wert war. Winthrop soll Zander vorgeschoben haben, und Zander verkaufte Aktien im Wert von etlichen Millionen Dollar. Doch dann stellte sich heraus, dass die Mine gespickt war.«
»Gespickt?«
»Es gab gar kein Zink. Winthrop hat das Geld kassiert und Zander ist eingefahren.«
»Das Gericht hat ihm also nicht geglaubt?«
»Wenn er nicht ausgerechnet Taylor Winthrop bezichtigt hätte, wäre er vielleicht durchgekommen. Aber Winthrop war eine Art Halbgott.« Stefan warf ihr einen neugierigen Blick zu. »Wieso interessierst du dich dafür?«
»Wie ich schon sagte«, erwiderte Dana ausweichend. »Ein Freund von mir hat mich darum gebeten, Zander ausfindig zu machen.«
Danach gaben sie ihre Bestellung auf.
Das Essen war köstlich. »Morgen früh mache ich mir bestimmt Vorwürfe«, sagte Dana hinterher. »Aber das war es wert.«
»Weißt du, dass der Teddybär hier in Deutschland erfunden wurde, von einer Frau namens Margarete Steiff?«, fragte Stefan, als er Dana vor ihrem Hotel absetzte. »Ein kleines Kuscheltier, das die ganze Welt eroberte.«
Dana fragte sich, worauf er hinauswollte.
»Doch Bären können gefährlich werden, Dana. Sei vorsichtig, wenn du dich mit Dieter Zander triffst. Er wirkt wie ein Teddybär, aber das ist er nicht. Er ist ein wilder Bär.«
Das riesige Firmengebäude der Zander Electronics International lag in einem Industriegebiet am Stadtrand von Düsseldorf. Dana ging durch das Foyer, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, und sprach eine der drei Empfangsdamen an der Rezeption an.
»Ich möchte Mr. Zander sprechen.«
»Sind Sie mit ihm verabredet?«
»Ja. Dana Evans ist mein Name.«
»Einen Moment bitte.« Die Empfangsdame griff zum Telefon, sagte etwas und blickte dann auf. »Wann haben Sie den Termin vereinbart, Miss Evans?«
»Vor ein paar Tagen«, log sie.
»Tut mir Leid. Seine Sekretärin hat das nicht vermerkt.« Wieder sprach sie ins Telefon, dann legte sie den Hörer auf. »Ohne vorherige Verabredung können Sie Mr. Zander leider nicht sprechen.«
Die Empfangsdame wandte sich an einen Botenjungen, der an der Rezeption stand. Dana entfernte sich unauffällig, schloss sich einer Gruppe von Angestellten an, die gerade durch die Tür kamen, und drängte sich in ihre Mitte. Gemeinsam stiegen sie in den Fahrstuhl.
»Ach herrje«, sagte Dana, als er sich in Bewegung setzte.
»Jetzt habe ich vergessen, in welchem Stockwerk Mr. Zander sitzt.«
»Im vierten«, erwiderte eine Frau.
»Danke«, sagte Dana. Sie stieg in der vierten Etage aus und ging zu einem Schreibtisch, an dem eine junge Frau saß. »Ich möchte Dieter Zander sprechen. Mein Name ist Dana Evans.«
Die Frau runzelte die Stirn. »Sind Sie mit ihm verabredet, Miss Evans?«
Dana beugte sich vor. »Bestellen Sie Mr. Zander«, sagte sie ruhig, »dass ich in den USA eine Fernsehsendung über ihn und seine Familie machen werde, und zwar unabhängig davon, ob er mit mir spricht oder nicht. Und dass es in seinem eigenen Interesse ist, wenn er mich augenblicklich empfängt.«
Die Sekretärin musterte sie verdutzt. »Einen Moment bitte.« Dana ließ sie nicht aus den Augen, als sie aufstand, zu einer Tür mit der Aufschrift PRIVAT ging, kurz anklopfte und eintrat.
Dana blickte sich im Vorzimmer um. An den Wänden hingen gerahmte Fotos von den Fabriken der Zander Elec-tronics in aller Welt. Die Firma hatte Niederlassungen in Amerika, in Frankreich und Italien ... alles Länder, in denen Angehörige der Familie Winthrop ermordet wurden.
Kurz darauf kam die Sekretärin wieder heraus. »Mr. Zander ist bereit, Sie zu empfangen«, sagte sie mit einem missbilligenden Unterton. »Aber er hat nur ein paar Minuten Zeit. Das alles ist höchst - höchst ungewöhnlich.«
Dana wurde in ein großes, holzgetäfeltes Büro geführt. »Das ist Miss Evans.«
Dieter Zander saß an einem riesigen Schreibtisch. Er war um die sechzig, ein großer, breitschultriger Mann mit einem treuherzigen Gesicht und sanften braunen Augen. Dana musste an Stefans Vergleich mit einem Teddybär denken.
»Ich kenne Sie«, sagte er, als er zu Dana aufblickte. »Sie waren als Korrespondentin in Sarajevo.«
»Ja.«
»Mir ist nicht ganz klar, was Sie von mir wollen. Sie haben meiner Sekretärin gegenüber etwas von meiner Familie erwähnt.«
»Darf ich Platz nehmen?«
»Bitte.«
»Ich möchte mit Ihnen über Taylor Winthrop sprechen.«
Zander musterte sie mit verkniffener Miene. »In welchem Zusammenhang?«
»Ich stelle derzeit Recherchen an, Mr. Zander. Meiner Meinung nach wurden Taylor Winthrop und seine Angehörigen ermordet.«
Dieter Zander warf ihr einen kalten Blick zu. »Ich glaube, Sie sollten jetzt lieber gehen, Miss Evans.«
»Sie hatten geschäftlich mit ihm zu tun«, sagte Dana. »Und außerdem -«
»Gehen Sie!«
»Mr. Zander, meiner Meinung nach wäre es besser, wenn Sie die Sache mit mir unter vier Augen besprechen. Andernfalls müssten Sie und Ihre Freunde sich das Ganze nämlich im Fernsehen angucken. Mir geht es um eine faire Darstellung. Ich möchte auch Ihre Version der Geschichte hören.«
Dieter Zander schwieg eine ganze Weile. Er klang zutiefst verbittert, als er schließlich das Wort ergriff. »Taylor Winthrop war ein Scheißkerl. Ach ja, schlau war er schon, sehr schlau sogar. Er hat mich reingelegt. Und als ich im Gefängnis saß, Miss Evans, sind meine Frau und die Kinder umgekommen. Wenn ich zu Hause gewesen wäre ... hätte ich sie vielleicht retten können.« Einen Moment lang war seine Stimme schmerzerfüllt. »Es stimmt schon, ich habe den Mann gehasst. Aber ermordet habe ich ihn nicht.« Er lächelte wieder wie ein kuscheliger Teddybär. »Auf Wiedersehen, Miss Evans.«
Dana telefonierte mit Matt Baker. »Matt, ich bin in Düsseldorf. Sie hatten Recht. Ich bin da womöglich auf etwas gestoßen. Dieter Zander hatte geschäftlich mit Taylor Winthrop zu tun. Er behauptet, dass Winthrop ihn reingelegt und ins Gefängnis gebracht hat. Zanders Frau und seine Kinder sind bei einem Brand umgekommen, als er hinter Gittern saß.«
Sie hörte, wie Baker einen Moment lang die Luft anhielt. »Sie sind bei einem Brand umgekommen?«
»Ganz recht«, sagte Dana.
»Genau wie Taylor und Madeline Winthrop.«
»Ja. Sie hätten Zanders Miene sehen sollen, als ich auf Mord zu sprechen kam.«
»Da passt doch eins zum anderen, nicht wahr? Zander hatte durchaus einen Grund, die ganze Familie Winthrop auszulöschen. Sie hatten von Anfang an Recht - sie sind ermordet worden. Ich kann es kaum glauben.«
»Die Sache lässt sich ganz gut an, Matt, aber noch können wir nichts nachweisen. Ich muss noch zwei Zwischenstationen einlegen. Morgen früh fliege ich nach Rom«, sagte Dana. »In ein paar Tagen bin ich wieder daheim.«
»Passen Sie gut auf sich auf.«
»Mache ich.«
In der Zentrale der FRA saßen drei Männer vor einem großen Wandbildschirm und sahen zu, wie Dana von ihrem Hotelzimmer aus telefonierte.
»Ich muss noch zwei Zwischenstationen einlegen«, sagte sie gerade. »Morgen früh fliege ich nach Rom. In ein paar Tagen bin ich wieder daheim.«
Die Männer sahen zu, wie Dana den Hörer auflegte, sich erhob und ins Badezimmer ging. Der Bildschirm wurde kurz dunkel, dann schaltete sich die im Badezimmerspiegel angebrachte Kamera ein. Dana zog sich langsam aus. Sie streifte ihre Bluse und den BH ab.
»Mann, schau dir die Titten an!«
»Phantastisch.«
»Moment. Jetzt zieht sie sich ganz aus.«
»Jungs, schaut euch den Arsch an. Der ist doch zum Reinbeißen.«
Sie sahen, wie Dana in die Duschkabine ging und die Tür zuschob. Dann beschlug das Glas von innen.
Einer der Männer seufzte: »Das war’s vorerst. Film ab um elf.«
Die Chemotherapie war die reinste Hölle. Vier Stunden lang musste sich Rachel Giftstoffe in den Leib pumpen lassen, Chemikalien wie Adriamycin und Taxotere, die ihr intravenös verabreicht wurden.
»Das wird ihr eine Zeit lang schwer zu schaffen machen«, sagte Dr. Young zu Jeff. »Sie wird unter Übelkeit und Erschöpfung leiden, und außerdem werden ihr die Haare ausfallen. Für eine Frau ist das womöglich die unangenehmste Nebenwirkung.«
»Bestimmt.«
»Zieh dich an«, sagte Jeff am nächsten Nachmittag zu Rachel. »Wir unternehmen eine Spritztour.«
»Jeff, mir ist wirklich nicht danach zu Mute -«
»Keine Widerrede.«
Eine halbe Stunde später waren sie in einem Geschäft, das sich auf Perücken spezialisiert hatte. Rachel probierte eine nach der anderen auf und wandte sich dann lächelnd an Jeff. »Die sind ja herrlich. Gefällt dir die lange oder die kurze besser?«
»Ich finde beide gut«, erwiderte Jeff. »Und wenn du die satt hast, kannst du jederzeit hierher kommen und dir eine dunkelbraune oder rote aussuchen. Ich persönlich«, sagte er leise, »mag dich am liebsten so, wie du bist.«
Rachel stiegen die Tränen in die Augen. »Ich dich auch.«