12

Rachel Stevens wartete bereits am Miami International Airport, als die Ankunft von Jeffs Maschine bekannt gegeben wurde.

Mein Gott, sie ist wunderschön, dachte Jeff. Kaum zu glauben, dass sie krank ist.

Rachel warf sich in seine Arme. »O Jeff! Danke, dass du gekommen bist.«

»Du siehst blendend aus«, versicherte er ihr, als sie zu der bereitstehenden Limousine gingen.

»Mir fehlt auch nichts weiter. Du wirst schon sehen.«

»Selbstverständlich.«

»Wie geht’s Dana?«, fragte Rachel auf der Heimfahrt.

Er zögerte kurz. Wollte aus Rücksicht auf Rachels Krankheit nicht allzu überschwänglich wirken. »Der geht’s gut.«

»Du kannst froh sein, dass du jemanden wie sie hast. Weißt du, wo ich nächste Woche bin? Ich habe einen Fototermin auf Aruba.«

»Auf Aruba

»Ja. Weißt du auch, weshalb ich den Auftrag angenommen habe?«, fuhr sie fort. »Weil wir dort unsere Flitterwochen verbracht haben. Wie hieß doch gleich das Hotel, in dem wir gewohnt haben?«

»Das Oranjestad.«

»Es war herrlich, nicht? Und wie hieß dieser Berg, auf den wir gestiegen sind?«

»Der Hooiberg.«

Rachel lächelte. »Du hast es nicht vergessen, was?«

»Die Flitterwochen vergisst man nicht, Rachel.«

Sie legte die Hand auf Jeffs Arm. »Es war himmlisch, nicht? Ich habe noch nie so unglaublich weiße Strände gesehen.«

Jeff lächelte. »Und du hattest solche Angst, dass du zu braun werden könntest. Du hast dich immerzu eingemummt wie eine Mumie.«

Einen Moment lang schwiegen sie beide. »Eins bereue ich wirklich bitter, Jeff.«

Er schaute sie verständnislos an. »Was?«

»Dass wir kein - ach, ist ja auch egal.« Sie blickte ihn an und sagte: »Es war wunderschön mit dir auf Aruba.«

»Ist ja auch ein schönes Fleckchen Erde«, erwiderte Jeff ausweichend. »Dort kann man allerhand machen, Fische fangen, Windsurfen, Schnorcheln, Tennis oder Golf spielen .«

»Und wir sind gar nicht dazu gekommen, was?«

Jeff lachte. »Nein.«

»Ich muss morgen früh zur Mammographie. Ich möchte da nicht allein hingehen. Kommst du mit?«

»Selbstverständlich, Rachel.«

Als sie vor Rachels Haus hielten, holte Jeff seine Reisetaschen aus dem Kofferraum, trug sie in das große Wohnzimmer und blickte sich um. »Hübsch. Sehr hübsch sogar.«

Sie schloss ihn in die Arme. »Danke, Jeff.«

Er spürte, dass sie am ganzen Leib zitterte.

Die Mammographie wurde im Tower Imaging in der Innenstadt von Miami vorgenommen. Jeff blieb im Wartezimmer sitzen, nachdem eine Schwester Rachel in den Umkleideraum gebracht hatte, wo sie sich ein Krankenhaushemd überzog, und sie dann in das Röntgenzimmer führte.

»Es wird etwa eine Viertelstunde dauern, Miss Stevens. Sind Sie bereit?«

»Ja. Bis wann liegt der Befund vor?«

»Dafür ist unser Onkologe zuständig. Er müsste ihn aber spätestens morgen haben.«

Morgen.

Der Onkologe hieß Scott Young. Jeff und Rachel gingen in sein Sprechzimmer und nahmen Platz.

Der Arzt musterte Rachel einen Moment lang. »So Leid es mir tut«, sagte er dann, »aber ich muss Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen, Miss Stevens.«

Rachel griff nach Jeffs Hand. »Ja?«

»Der Biopsiebefund wie auch die Mammographie deuten darauf hin, dass Sie ein überaus aggressives Karzinom haben.«

Rachel wurde kreidebleich. »Was - was heißt das?«

»Ich fürchte, wir müssen Ihre Brust amputieren.«

»Nein!«, versetzte sie unwillkürlich. »Das geht nicht - ich meine, es muss doch eine andere Möglichkeit geben.«

»Ich fürchte«, sagte Dr. Young behutsam, »dafür ist die Wucherung bereits zu weit fortgeschritten.«

Rachel schwieg einen Moment lang. »Ich kann das sowieso nicht gleich machen lassen. Ich habe nächste Woche einen Fototermin auf Aruba, verstehen Sie? Danach können wir es behandeln.«

Jeff sah die besorgte Miene des Arztes. »Wann sollte sie es Ihrer Meinung nach machen lassen, Doktor Young?«

Er wandte sich an Jeff. »So schnell wie möglich.«

Jeff musterte Rachel. Sie kämpfte mit aller Macht gegen die Tränen an. »Ich möchte noch eine andere Meinung einholen«, sagte sie schließlich mit bebender Stimme.

»Natürlich.«

»Ich kann Dr. Youngs Diagnose leider nur bestätigen«, sagte Dr. Aaron Cameron. »Ich rate zu einer Brustamputation.«

Rachel versuchte so gefasst wie möglich zu klingen. »Besten Dank, Doktor.« Sie griff nach Jeffs Hand und drückte sie. »Ich glaube, das war’s dann, was?«

Dr. Young erwartete sie bereits.

»Sie haben offenbar Recht«, sagte Rachel. »Ich konnte einfach nicht -« Sie schwieg eine Weile. »Na schön«, flüsterte sie schließlich. »Wenn Sie meinen, dass es - dass es notwendig ist.«

»Wir werden so schonend wie möglich vorgehen«, sagte Dr. Young. »Vor der Operation werden wir einen Spezialisten für plastische Chirurgie hinzuziehen, der Ihnen genau erklären wird, wie man die Brust wieder aufbauen kann. Heutzutage kann man da wahre Wunder vollbringen.«

Jeff nahm Rachel in die Arme, als sie in Tränen ausbrach.

Es gab keinen Direktflug von Washington nach Aspen. Daher flog Dana zunächst mit Delta Airlines nach Denver, wo sie auf eine Maschine der United Express umstieg. Später konnte sie sich nicht mehr an die Reise erinnern. All ihre Gedanken drehten sich um Rachel und die Pein, die sie durchleiden musste. Ich bin froh, dass Jeff dort ist und ihr beisteht. Und sie machte sich Sorgen um Kemal. Was ist, wenn Mrs. Daley kündigt, bevor ich zurück bin? Ich habe -Die Flugbegleiterin meldete sich über Lautsprecher. »In wenigen Minuten landen wir in Aspen. Achten Sie bitte darauf, dass Ihr Sitzgurt angelegt und die Rückenlehne aufgerichtet ist.«

Dana konzentrierte sich auf die Aufgabe, die vor ihr lag.

Elliot Cromwell kam in Matt Bakers Büro.

»Ich habe gehört, dass Dana heute Abend nicht auf Sendung geht.«

»Ganz recht. Sie ist in Aspen.«

»Wegen ihres Verdachts in Sachen Taylor Winthrop?« »Jawohl.«

»Ich möchte auf dem Laufenden gehalten werden.«

»Gut.« Matt blickte Cromwell nach, als er wieder ging. Der hat ja wirklich was für Dana übrig, dachte er.

Unmittelbar nach der Landung begab sich Dana zum Mietwagenschalter im Flughafengebäude. Dort hatte Dr. Carl Ramsey gerade eine Auseinandersetzung mit einem der Angestellten. »Aber ich habe schon vor einer Woche einen Wagen reservieren lassen«, sagte er.

»Ich weiß, Dr. Ramsey«, erwiderte der Angestellte entschuldigend, »aber leider ist uns ein Versehen unterlaufen. Wir haben keinen Wagen zur Verfügung. Draußen steht ein Flughafenbus, aber ich kann Ihnen auch ein Taxi rufen, wenn -«

»Nur keine Umstände«, sagte der Doktor und stürmte hinaus.

Dana betrat das Flughafengebäude und steuerte den Schalter an. »Ich habe einen Wagen reservieren lassen«, sagte sie. »Für Dana Evans.«

Der Angestellte lächelte. »Ja, Miss Evans. Wir haben Sie bereits erwartet.« Er legte ihr ein Formular zur Unterschrift vor und reichte ihr die Schlüssel. »Es ist ein weißer Lexus. Er steht auf Parkplatz Nummer eins.«

»Vielen Dank. Können Sie mir sagen, wie ich zum Little Nell Hotel komme?«

»Das können Sie nicht verfehlen. Es liegt mitten in der Stadt. Fast Durant Avenue Nummer sechs-fünfundsiebzig. Es wird Ihnen sicher gefallen.«

»Vielen Dank«, sagte Dana.

Der Angestellte blickte ihr nach, als sie aus der Tür ging. Was, zum Teufel, geht hier vor?, fragte er sich.

Das Little Nell Hotel war ein elegantes Chalet am Fuß der malerischen Berge, die rund um Aspen aufragten. Im Foyer gab es einen vom Boden bis zur Decke reichenden offenen Kamin, in dem im Winter ständig ein anheimelndes Feuer brannte, und durch die großen Fenster konnte man die schneebedeckten Rocky Mountains sehen. Gäste in Skikleidung saßen auf Sofas und schweren Sesseln und spannten aus. Jeff würde das gefallen, dachte Dana, während sie sich umblickte. Vielleicht sollten wir mal hierher kommen ...

»Wissen Sie zufällig, wo sich das Haus von Taylor Winthrop befindet?«, fragte sie den Mann an der Rezeption, nachdem sie sich eingetragen hatte.

Er warf ihr einen sonderbaren Blick zu. »Das Haus von Taylor Winthrop? Das gibt’s nicht mehr. Es ist abgebrannt.«

»Ich weiß«, sagte Dana. »Ich wollte nur sehen -«

»Davon ist nur noch ein Haufen Asche übrig, aber wenn Sie es sich ansehen wollen, müssen Sie nach Osten zum Conundrum Creek Valley fahren. Das ist etwa sechs Meilen von hier entfernt.«

»Vielen Dank«, sagte Dana. »Können Sie mir bitte mein Gepäck auf mein Zimmer bringen lassen?«

»Selbstverständlich, Miss Evans.«

Dana kehrte zum Wagen zurück.

Taylor Winthrops Anwesen im Conundrum Creek Valley lag inmitten von Wäldern, die der staatlichen Forstverwaltung unterstanden. Es war ein einstöckiges Gebäude aus heimischem Felsgestein und Redwood gewesen, das auf einem zauberhaften, abgeschiedenen Stück Land mit einem Biberteich und einem Bachlauf stand, der durch das Grundstück führte. Der Anblick war atemberaubend. Und inmitten dieses prachtvollen Panoramas ragten die ausgebrannten Überreste des Hauses auf, in dem zwei Menschen ums Leben gekommen waren.

Dana schlenderte auf dem Grundstück herum und versuchte sich vorzustellen, wie es hier einstmals ausgesehen hatte.

Offensichtlich war es ein weitläufiges Haus mit zahlreichen Türen und Fenstern gewesen, alle auf ebener Erde.

Und dennoch waren die Winthrops nicht herausgekommen. Ich glaube, ich statte lieber mal der Feuerwehr einen Besuch ab.

Als Dana in die Feuerwache ging, kam ihr ein Mann entgegen. Er war um die dreißig, groß, braun gebrannt und wirkte ausgesprochen sportlich. Vermutlich ist er auf den Skipisten zu Hause, dachte Dana.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Ma’am?«

»Ich habe gelesen, dass Taylor Winthrops Haus abgebrannt ist und wollte mehr darüber erfahren.«

»Ja. Das war doch vor anderthalb Jahren. Vermutlich das Schlimmste, was in dieser Stadt jemals passiert ist.«

»Zu welcher Tageszeit ist es passiert?«

Er ließ sich nicht anmerken, ob er ihre Frage sonderbar fand. »Es war mitten in der Nacht. Der Notruf ging um drei Uhr morgens ein. Unsere Wagen waren um Viertel nach drei draußen, aber da war es schon zu spät. Das ganze Haus stand in Flammen. Wir wussten nicht, ob jemand drin war, bis wir den Brand gelöscht hatten und die beiden Leichen fanden. Es war ein herzzerreißender Anblick, das kann ich Ihnen sagen.«

»Haben Sie eine Ahnung, wodurch der Brand ausgebrochen ist?«

Er nickte. »O ja. Es war ein elektrischer Defekt.«

»Was für ein Defekt?«

»Das wissen wir nicht genau, aber am Tag vor dem Brand hat jemand einen Elektriker ins Haus bestellt, der irgendwas an der Stromleitung reparieren sollte.«

»Wissen Sie, was nicht funktioniert hat?«

»Ich glaube, mit dem Feueralarm war irgendwas nicht in Ordnung.«

Dana versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen. »Wissen Sie zufällig den Namen des Elektrikers, der den Auftrag ausgeführt hat?«

»Nein. Aber ich nehme an, die Polizei kennt ihn.«

»Danke.«

Er warf Dana einen forschenden Blick zu. »Warum interessiert Sie das so?«

»Ich schreibe eine Reportage über Brandkatastrophen in Skigebieten.«

Das Polizeirevier von Aspen war ein flacher Ziegelbau, der etwa fünf Straßen von Danas Hotel entfernt war.

Der Polizist am Empfangsschalter blickte auf. »Sind Sie etwa Dana Evans, die Frau aus dem Fernsehen?«, rief er.

»Ja.«

»Ich bin Captain Turner. Was kann ich für Sie tun, Miss Evans?«

»Ich möchte etwas über den Brand erfahren, bei dem Taylor Winthrop und seine Frau umgekommen sind.«

»Mein Gott, was für eine Tragödie. Die Leute hier können es immer noch nicht fassen.«

»Das kann ich verstehen.«

»Jawoll. Ein Jammer, dass man sie nicht retten konnte.«

»Meines Wissens wurde das Feuer durch einen elektrischen Defekt ausgelöst.«

»Ganz recht.«

»Könnte es sich um Brandstiftung gehandelt haben?«

Captain Turner runzelte die Stirn. »Brandstiftung? Nein, nein. Es lag an einer schadhaften Stromleitung.«

»Ich möchte gern mit dem Elektriker sprechen, der am Tag vor dem Brand dort war. Wissen Sie, wie er hieß?«

»Das haben wir sicher irgendwo in unseren Akten. Soll ich nachsehen?«

»Da wäre ich Ihnen dankbar.«

Captain Turner griff zum Telefon und erteilte kurz den entsprechenden Auftrag, dann wandte er sich wieder Dana zu. »Sind Sie zum ersten Mal in Aspen?«

»Ja.«

»Großartig hier. Fahren Sie Ski?«

»Nein.« Aber Jeff. Wenn wir hierher kommen ...

Ein Sekretär kam zu ihnen und reichte Captain Turner ein Blatt Papier. Er gab es Dana. Al Larson Electrical Company, Bill Kelly stand darauf.

»Das ist nur ein paar Häuser weiter.«

»Ich danke Ihnen vielmals, Captain Turner.«

»Gern geschehen.«

Als Dana das Gebäude verließ, wandte sich ein Mann auf der anderen Straßenseite ab und sprach in sein Handy.

Die Al Larson Electrical Company war in einem kleinen grauen Zementbau untergebracht. Ein Doppelgänger des Mannes aus der Feuerwache, braun gebrannt und sportlich wirkend, saß an einem Schreibtisch. Er stand auf, als Dana hereinkam. »Morgen.«

»Morgen«, sagte Dana. »Ich hätte gern Bill Kelly gesprochen.«

Der Mann schniefte. »Ich auch.«

»Wie meinen Sie das?«

»Kelly ist vor über einem Jahr verschwunden.«

»Verschwunden?«

»Ja, einfach abgehauen. Ohne ein Wort zu sagen. Hat nicht mal seinen Lohn abgeholt.«

»Wissen Sie noch genau, wann das war?«, fragte Dana bedächtig.

»Klar doch. Am Tag nach dem Brand. Dem großen. Sie wissen schon, bei dem die Winthrops ums Leben gekommen sind.«

Dana fröstelte mit einem Mal. »Aha. Und Sie haben keine Ahnung, wo Mr. Kelly ist?«

»Nee. Wie gesagt, der ist einfach verschwunden.«

Auf der kleinen Insel vor der Südspitze von Südamerika waren den ganzen Morgen Düsenmaschinen eingetroffen. Jetzt war der Zeitpunkt für die Zusammenkunft gekommen, und die rund zwanzig Teilnehmer hatten bereits in dem bewachten Neubau Platz genommen, der unmittelbar nach der Sitzung abgerissen werden sollte. Der Sprecher trat nach vorn.

»Willkommen. Ich freue mich, so viele bekannte Gesichter und auch ein paar neue Freunde hier zu sehen. Bevor wir uns dem Geschäftlichen widmen, möchte ich kurz auf die Sorgen eingehen, die sich manche von Ihnen wegen eines gewissen Problems machen. Wir haben einen Verräter in unseren Reihen, der uns bloßzustellen droht. Wir wissen noch nicht, um wen es sich handelt. Aber ich versichere Ihnen, dass er in Bälde dingfest gemacht werden und das gleiche Schicksal erleiden wird wie alle Verräter. Nichts und niemand darf uns im Weg stehen.«

Überraschtes Stimmengewirr erhob sich unter den Versammelten.

»Wenn ich nun um Ruhe bitten dürfte, damit wir uns der Versteigerung widmen können. Heute stehen sechzehn Posten zu Gebot. Wollen wir bei zwei Milliarden beginnen? Höre ich ein erstes Angebot? Ja. Zwei Milliarden Dollar. Bietet jemand drei?«

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