24

Danas Handy klingelte.

»Jeff!«

»Hallo, mein Schatz.« Als sie seine Stimme hörte, hatte sie das Gefühl, jemand breite eine warme Decke über ihr aus, in die sie sich kuscheln konnte.

»Ach, Jeff!« Sie stellte fest, dass sie zitterte.

»Wie geht es dir?«

Wie es mir geht? Ich laufe um mein Leben. Doch das durfte sie ihm nicht erzählen. Er konnte ihr sowieso nicht helfen, jetzt nicht. Es war zu spät. »Ich - mir geht’s gut, Liebster.«

»Wo steckst du zurzeit, du Weltenbummlerin?«

»Ich bin in Chicago. Morgen komme ich nach Washington zurück.« Wann wirst du endlich wieder bei mir sein? »Wie -wie geht es Rachel?«

»Allem Anschein nach kommt sie ganz gut klar.«

»Du fehlst mir.«

Rachels Schlafzimmertür ging auf, und sie trat ins Wohnzimmer. Sie wollte Jeff gerade rufen, hielt aber inne, als sie sah, dass er am Telefon war.

»Du fehlst mir mehr, als du dir überhaupt vorstellen kannst«, sagte Jeff.

»Ach, ich liebe dich so sehr.« Ein in der Nähe stehender Mann starrte sie allem Anschein nach an. Dana schlug das Herz im Halse. »Liebster, wenn - wenn mir irgendwas zustoßen sollte ... musst du immer dran denken, dass ich -«

Jeff klang augenblicklich besorgt. »Falls dir etwas zustoßen sollte? Was soll das heißen?«

»Gar nichts. Ich - ich kann mich jetzt nicht darüber auslassen, aber - ich bin davon überzeugt, dass alles gut geht.«

»Dana, du darfst nicht zulassen, dass dir etwas zustößt! Ich brauche dich. Ich liebe dich mehr als jeden anderen Menschen, den ich jemals kennen gelernt habe. Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.«

Rachel hörte noch einen Moment lang zu, dann ging sie leise wieder in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür.

Dana und Jeff redeten noch ein paar Minuten miteinander. Als Dana die Verbindung unterbrach, ging es ihr besser. Ich bin froh, dass ich die Gelegenheit hatte, mich zu verabschieden. Sie blickte auf und sah, dass sie der Mann noch immer anstarrte. So schnell können Jack Stones Männer unmöglich hierher gelangt sein. Ich muss weg. Wieder packte sie die helle Panik.

Danas Nachbar klopfte an ihre Wohnungstür. Mrs. Daley machte auf.

»Hallo.«

»Lassen Sie Kemal nicht raus. Wir brauchen ihn noch.«

»Ich kümmere mich drum.« Mrs. Daley schloss die Tür und rief Kemal. »Deine Haferflocken sind gleich fertig, mein Süßer.«

Mrs. Daley ging in die Küche, nahm die Haferflocken vom Herd und zog die unterste Schublade des Schranks auf, die voller Arzneimittelpackungen mit der Aufschrift BuSpar war. Am Boden der Schublade lagen zig leere Schachteln. Mrs. Daley riss zwei neue Packungen auf, zögerte und nahm dann eine weitere. Sie mischte das Pulver unter die Haferflocken, gab Zucker hinzu und trug die Schüssel ins Esszimmer. Kemal kam gerade aus dem Arbeitszimmer.

»Da bist du ja, mein Guter. Es gibt leckeren heißen Haferbrei.«

»Ich hab keinen Hunger.«

»Du musst was essen, Kemal.« Sie schlug einen scharfen Tonfall an, bei dem ihm angst und bange wurde. »Wir wollen doch Miss Dana nicht enttäuschen, nicht wahr?«

»Nein.«

»Gut. Ich wette, dass du für Miss Dana die ganze Schüssel wegputzen kannst.«

Kemal setzte sich hin und fing an zu essen.

Er müsste mindestens sechs Stunden schlafen, schätzte Mrs. Daley. Bis dahin erfahre ich ja, was ich mit ihm anstellen soll.

Dana rannte durch das Flughafengebäude, bis sie an einem großen Bekleidungsgeschäft vorbeikam.

Ich muss mein Äußeres verändern. Sie ging hinein und blickte sich um. Alles wirkte ganz normal. Etliche Kunden suchten sich, von Verkäuferinnen betreut, allerhand Sachen aus. Und dann blickte Dana zur Ladentür und spürte wieder das altbekannte Kribbeln. Zwei bedrohlich aussehende Männer standen dort zu beiden Seiten des Eingangs. Einer von ihnen hatte ein Walkie-Talkie in der Hand.

Wie haben sie mich hier in Chicago gefunden? Dana versuchte die Angst zu unterdrücken. Sie wandte sich an die Verkäuferin. »Gibt es hier noch einen anderen Ausgang?«

Die Verkäuferin schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, Miss. Der ist nur für das Personal.«

Dana hatte einen trockenen Hals. Wieder blickte sie zu den Männern. Ich muss ihnen entkommen, dachte sie verzweifelt. Es muss doch eine Möglichkeit geben.

Kurz entschlossen schnappte sie sich ein Kleid vom Ständer und ging auf den Ausgang zu.

»Einen Moment mal!«, rief die Verkäuferin. »Sie können doch nicht -«

Dana war schon fast an der Tür, die beiden Männer kamen bereits auf sie zu. Doch als sie über die Schwelle trat, löste die elektronische Diebstahlsicherung an dem Kleid Alarm aus. Ein Wachmann kam aus dem Laden gestürmt. Die beiden Männer blickten einander an und wichen zurück.

»Einen Moment, Miss«, sagte der Wachmann. »Kommen Sie bitte mit in das Geschäft zurück.«

»Wieso sollte ich?«, wandte Dana ein.

»Wieso? Weil Ladendieb stahl strafbar ist.« Der Wachmann ergriff Dana am Arm und zog sie hinein. Missmutig blieben die beiden Männer draußen stehen.

Dana lächelte den Wachmann an. »Na gut. Ich gebe es zu. Ich wollte es stehlen. Rufen Sie die Polizei.«

Immer mehr Passanten blieben stehen und wollten sehen, was da los war. Der Geschäftsführer kam eilends herbei. »Was ist hier los?«

»Ich habe diese Frau dabei erwischt, wie sie das Kleid stehlen wollte.«

»Nun ja, ich fürchte, wir müssen die Pol-« Er drehte sich um und erkannte Dana. »Mein Gott! Das ist ja Dana Evans.«

Das löste allgemeines Getuschel unter den Schaulustigen aus, deren Schar immer größer wurde.

»Es ist Dana Evans ...«

»Wir schauen uns jeden Abend die Nachrichtensendung mit ihr an .«

»Erinnerst du dich an ihre Berichte aus dem Kriegsgebiet

...?«

»Tut mir Leid, Miss Evans«, sagte der Geschäftsführer. »Hier liegt offensichtlich ein Versehen vor.«

»Nein, nein«, erwiderte Dana rasch. »Ich wollte es stehlen.« Sie streckte die Hände aus. »Sie können mich ruhig festhalten.«

Der Geschäftsmann lächelte. »Ich denke nicht im Traum daran. Sie dürfen das Kleid behalten, Miss Evans. Mit unseren besten Empfehlungen. Wir fühlen uns sehr geschmeichelt, dass es Ihnen gefällt.«

Dana starrte ihn ungläubig an. »Sie wollen mich nicht festnehmen lassen?«

Sein Lächeln wurde breiter. »Ich will Ihnen was sagen. Ich überlasse Ihnen das Kleid im Tausch gegen ein Autogramm. Wir sind große Fans von Ihnen.«

»Ich auch!«, rief eine der Frauen aus dem Menschenauf-lauf.

»Krieg ich auch ein Autogramm?«

Weitere Schaulustige drängten sich vor.

»Schau mal! Da ist Dana Evans.«

»Kann ich ein Autogramm von Ihnen bekommen, Miss Evans?«

»Mein Mann und ich haben jeden Abend vor dem Fernseher gesessen, als Sie in Sarajevo waren.«

»Durch Sie ist der Krieg wirklich real geworden.«

»Ich möchte auch ein Autogramm.«

Dana stand da und wurde zusehends verzweifelter. Sie warf einen Blick nach draußen. Die beiden Männer warteten immer noch. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie wandte sich an die Menschenmenge und lächelte. »Ich will Ihnen mal was sagen. Gehen wir hinaus an die frische Luft, und unterdessen gebe ich jedem von Ihnen ein Autogramm.«

Aufgeregte Schreie ertönten.

Dana reichte dem Geschäftsführer das Kleid. »Sie dürfen es behalten. Vielen Dank.« Sie ging auf die Tür zu, umlagert von ihren Fans. Die beiden Männer draußen zogen sich verdutzt zurück, als die Menschenmenge auf sie zustürmte.

Dana wandte sich an ihre Fans. »Wer ist zuerst dran?« Sie drängten sich um sie, hielten ihr Stifte und Papier hin.

Verlegen standen die beiden Männer da und sahen zu, wie Dana ein Autogramm nach dem anderen schrieb, während sie sich zum Ausgang des Flughafengebäudes begab. Die Menschenmenge folgte ihr nach draußen. Ein Taxi fuhr vor und setzte einen Fahrgast ab.

Dana wandte sich an ihre Verehrer. »Vielen Dank. Ich muss jetzt los.« Sie sprang in das Taxi und war kurz darauf im Verkehr untergetaucht.

Jack Stone telefonierte mit Roger Hudson. »Mr. Hudson, sie ist uns entkommen, aber -«

»Gottverdammt! Kommen Sie mir nicht mit so was. Ich möchte, dass sie aus dem Verkehr gezogen wird - sofort.«

»Keine Sorge, Sir. Wir haben die Zulassungsnummer des Taxis. Sie wird nicht weit kommen.«

»Dass Sie mir nicht noch mal versagen.« Roger Hudson knallte den Hörer auf.

Bei Carson Pirie Scott & Company, einem großen Bekleidungshaus im Herzen des Chicagoer Loop, herrschte Hochbetrieb. In der Schalabteilung legte eine Verkäuferin gerade letzte Hand an das Paket, das sie für Dana gepackt hatte.

»Möchten Sie bar oder per Karte bezahlen?«

»Bar.« Keine unnötigen Spuren hinterlassen.

Dana nahm das Paket entgegen und war schon fast am Ausgang, als sie starr vor Angst stehen blieb. Zwei Männer mit Walkie-Talkies warteten draußen vor der Tür. Dana musterte sie, stellte mit einem Mal fest, wie trocken ihr Mund war. Sie wandte sich um und kehrte eilends zur Kasse zurück.

»Wünschen Sie noch etwas, Miss?«, fragte die Verkäuferin.

»Nein. Ich -« Dana blickte sich verzweifelt um. »Gibt es hier noch einen anderen Ausgang?«

»O ja, wir haben mehrere Türen.«

Das nützt nichts, dachte Dana. Die werden bestimmt alle überwacht. Diesmal gab es kein Entkommen.

Dann fiel ihr eine Frau in einem alten, abgewetzten grünen Mantel auf, die sich etliche Schals in einer Glasvitrine ansah. Dana musterte sie einen Moment lang und ging dann zu ihr.

»Die sind hübsch, nicht wahr?«, sagte sie.

Die Frau lächelte. »Das kann man wohl sagen.«

Die Männer draußen sahen, wie sich die beiden Frauen unterhielten.

Sie schauten einander an und zuckten die Achseln. Jeder Ausgang wurde überwacht.

»Mir gefällt der Mantel, den Sie anhaben«, sagte Dana drin gerade. »Das ist genau meine Farbe.«

»Ich fürchte, das alte Ding ist ziemlich abgetragen. Ihrer ist viel hübscher.«

Die beiden Männer draußen beobachteten sie, während sie sich weiter unterhielten.

»Verdammt kalt hier«, maulte einer der Männer. »Hoffentlich kommt sie bald raus, damit wir die Sache hinter uns bringen.«

Sein Begleiter nickte. »Sie kann uns auf keinen Fall -« Er hielt inne, als er sah, wie die beiden Frauen im Laden die Mäntel tauschten. Er grinste. »Hergott, schau dir an, womit die davonkommen will. Sie wechseln die Mäntel. Was ist die Braut doch blöde.«

Die beiden Frauen verschwanden kurz hinter einem Kleiderständer. Einer der Männer sprach in sein Walkie-Talkie. »Zielperson hat den roten gegen einen grünen Mantel getauscht ... Moment. Sie steuert Ausgang vier an. Schnappt sie euch dort.«

Zwei Männer warteten an Ausgang vier. Kurz darauf meldete sich einer von ihnen per Handy. »Wir haben sie. Hol das Auto.«

Sie beobachteten sie, als sie aus der Tür kam und in die Kälte trat, den Mantel enger um sich raffte und die Straße entlangging. Dann schlossen sie zu ihr auf. Als sie an der nächsten Ecke ein Taxi anhalten wollte, packten die Männer sie an beiden Armen. »Sie brauchen kein Taxi. Wir haben ein schönes Auto für Sie.«

Sie schaute sie verständnislos an. »Wer sind Sie? Was meinen Sie damit?«

Einer der Männer starrte sie an. »Sie sind ja gar nicht Dana Evans!«

»Na, selbstverständlich nicht.«

Die Männer blickten sich an, ließen sie los und rannten zurück zu dem Geschäft. Einer der beiden schaltete sein Walkie-Talkie ein. »Falsche Zielperson. Falsche Zielperson. Hört ihr mich?«

Als die anderen in das Geschäft stürmten, war Dana längst über alle Berge.

Sie kam sich vor wie in einem Albtraum, in einer feindlichen Welt, verfolgt von unbekannten Killern, die sie töten wollten. Entsetzen hielt sie umfangen und lähmte sie. Dana stieg aus dem Taxi und lief los, bemühte sich nicht zu rennen, kein Aufsehen zu erregen, hatte aber keine Ahnung, wohin sie sich wenden sollte. Sie kam an einem Geschäft vorbei, in dessen Schaufenster ein Schild mit der Aufschrift Fantasy Headquarters - Schicke Outfits für jeden Event hing. Kurz entschlossen ging Dana hinein. In dem Laden gab es allerhand schrille Kostüme, Perücken und wilde Schminke.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Ja. Rufen Sie die Polizei. Sagen Sie Ihnen, dass mich jemand umbringen will.

»Miss?«

»Äh - ja. Ich möchte mal eine blonde Perücke aufprobieren.«

»Hier entlang bitte.«

Kurz darauf saß Dana vor dem Spiegel und musterte sich mit blonder Mähne.

»Schon erstaunlich, wie einen so was verändert.«

Das will ich doch hoffen.

Draußen vor dem Laden hielt Dana ein Taxi an. »Zum O’Hare Airport.« Ich muss zu Kemal.

Rachel ging sofort ran, als das Telefon klingelte. »Hallo . Doktor Young? . Die Ergebnisse der letzten Untersuchung?«

Jeff sah, wie angespannt sie mit einem Mal wirkte.

»Sie dürfen es mir gern telefonisch mitteilen. Einen Moment.« Rachel warf Jeff einen kurzen Blick zu, holte tief Luft und zog sich mit dem Telefon in ihr Schlafzimmer zurück.

Er hörte nur ab und zu einen Gesprächsfetzen.

»Schießen Sie los, Doktor.«

Danach herrschte nebenan volle drei Minuten lang Schweigen, doch gerade als Jeff besorgt ins Schlafzimmer gehen wollte, kam Rachel heraus. Sie strahlte förmlich und wirkte so aufgekratzt, wie er sie noch nie erlebt hatte.

»Es hat angeschlagen!« Sie war ganz atemlos vor Aufregung. »Jeff, ich bin noch mal davongekommen. Die neue Therapie hat angeschlagen.«

»Gott sei Dank!«, versetzte Jeff. »Das ist ja wunderbar, Rachel.«

»Er möchte, dass ich noch ein paar Wochen dableibe, aber das Schlimmste ist überstanden.« Sie klang geradezu überschwänglich.

»Dann mal nichts wie los, das müssen wir feiern«, sagte Jeff. »Ich bleibe bei dir, bis -«

»Nein.«

»Nein?«

»Ich brauche dich nicht mehr, Jeff.«

»Ich weiß, und ich bin froh, dass wir -«

»Hast du es noch nicht begriffen? Ich will, dass du gehst.«

Verdutzt schaute er Rachel an. »Warum?«

»Mein lieber, guter Jeff. Ich will dir ja nicht wehtun, aber nun, da das Schlimmste überstanden ist, kann ich mich wieder an die Arbeit machen. Das ist mein Leben. Das bin ich. Ich muss gleich anrufen und mich erkundigen, ob irgendein Auftrag für mich drin ist. Hier mit dir komme ich mir vor wie in einem Gefängnis. Ich danke dir für deinen Beistand, Jeff. Ich bin dir wirklich sehr verbunden. Aber es wird allmählich Zeit, dass wir Abschied voneinander nehmen. Dana vermisst dich bestimmt schon. Was hält dich denn noch hier, mein Liebster?«

Jeff musterte sie einen Moment lang und nickte dann. »Gut.«

Rachel blickte ihm hinterher, als er ins Schlafzimmer ging und seine Sachen packte. Als er zwanzig Minuten später mit seinem Koffer wieder herauskam, war Rachel am Telefon.

»... und ich stehe wieder jederzeit zur Verfügung, Betty. In ein paar Wochen kann ich mich wieder an die Arbeit machen. Ist das nicht wunderbar?«

Jeff stand da und wartete darauf, dass sie sich von ihm verabschiedete. Rachel winkte ihm kurz zu und widmete sich dann wieder dem Telefon. »Ich will dir sagen, was mir am liebsten wäre . ein Fototermin auf einer netten tropischen .«

Rachel wartete, bis Jeff aus der Tür war. Langsam ließ sie den Hörer sinken. Sie ging ans Fenster und schaute zu, wie der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte, von ihr ging.

Immer wieder hörte sie Dr. Youngs Worte. »Miss Stevens, tut mir Leid, aber ich muss Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen. Die Behandlung hat nicht angesprochen . Der Krebs hat sich weiter ausgebreitet . Er hat überall Metastasen gebildet. Ich fürchte, dagegen kann man nichts mehr tun ... ein, zwei Monate vielleicht noch.«

Rachel dachte daran, was Roderick Marshall, der Filmregisseur, der sie einst nach Hollywood hatte holen wollen, zu ihr gesagt hatte. »Sie werden noch froh sein, dass Sie gekommen sind. Ich werde Sie zu einem großen Star machen.« Roderick Marshall wäre stolz auf mich, dachte sie, als die mörderischen Schmerzen wieder einsetzten.

In der Gepäckausgabe des Dulles International Airport herrschte dichtes Gedränge, als Danas Maschine in Washington landete. Sie ging an den Laufbändern vorbei auf die Straße und stieg in eins der wartenden Taxis. Nirgendwo waren verdächtig wirkende Männer zu sehen, doch Danas Nerven waren trotzdem bis zum Zerreißen gespannt. Dana holte zur Beruhigung einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und betrachtete sich darin. Mit der blonden Perücke sah sie vollkommen anders aus. Das sollte vorerst genügen, dachte sie. Ich muss zu Kemal.

Langsam schlug Kemal die Augen auf, nachdem er von den Stimmen geweckt worden war, die durch die geschlossene Tür des Arbeitszimmers drangen. Er fühlte sich schlapp und benommen.

»Der Junge schläft noch«, hörte er Mrs. Daley sagen. »Ich habe ihn unter Drogen gesetzt.«

»Wir müssen ihn aufwecken«, erwiderte ein Mann.

»Vielleicht ist es besser, wenn ihr ihn raustragt, solange er noch schläft«, sagte ein zweiter Mann.

»Ihr könnt es doch hier machen«, sagte Mrs. Daley. »Und dann die Leiche wegschaffen.«

Kemal war mit einem Mal hellwach.

»Wir müssen ihn noch eine Weile am Leben lassen. Die wollen ihn als Köder benutzen, um die Evans zu schnappen.«

Kemal setzte sich auf und lauschte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

»Wo steckt sie?«

»Wissen wir nicht genau. Aber sie kommt bestimmt hierher zu dem Jungen.«

Kemal sprang aus dem Bett. Einen Moment lang stand er starr vor Angst da. Die Frau, der er vertraut hatte, wollte ihn umbringen. Pizda! So leicht geht das nicht, schwor sich

Kemal. Ich habe mich in Sarajevo nicht umbringen lassen, ich werde mich auch hier nicht umbringen lassen. Hastig schlüpfte er in seine Kleidung. Als er zu seiner Armprothese greifen wollte, die auf dem Stuhl lag, rutschte sie ihm aus der Hand und landete mit einem lauten Krachen, das Kemal wie Donnerhall vorkam, am Boden. Er fuhr zusammen. Die Männer draußen redeten weiter. Sie hatten offenbar nichts gehört. Kemal schnallte seinen künstlichen Arm an und knöpfte sein Hemd zu.

Eisige Luft schlug ihm entgegen, als er das Fenster öffnete. Sein Mantel hing im Zimmer nebenan, er hatte nur eine dünne Jacke an. Zähneklappernd kletterte Kemal hinaus auf den Fenstersims. Er zog sich auf die Feuerleiter, die zum Boden hinunterführte, duckte sich vorsichtshalber, damit ihn vom Wohnzimmerfenster aus niemand sah, und stieg hinab.

Kemal blickte auf seine Uhr, als er unten angelangt war. Es war Viertel vor drei. Irgendwie hatte er den halben Tag verschlafen. Er rannte los.

»Wir sollten den Bengel auf jeden Fall fesseln.«

Einer der Männer öffnete die Tür zum Arbeitszimmer und blickte sich verdutzt um. »Hey, er ist weg.«

Mrs. Daley und die beiden Männer stürmten ans Fenster und sahen gerade noch, wie Kemal die Straße entlangrannte.

»Schnappt ihn euch.«

Kemal kam sich vor wie in einem Albtraum - seine Knie wurden immer weicher, so als hätte er Gummi in den Beinen. Bei jedem Atemzug hatte er das Gefühl, als stieße ihm jemand ein Messer in die Brust. Wenn ich bis drei bei der Schule bin, bevor das Tor abgesperrt wird, dachte er, bin ich in Sicherheit. Die trauen sich bestimmt nicht, mir was anzutun, wenn all die anderen Kids um mich herum sind.

Vor ihm war eine rote Ampel. Ohne darauf zu achten, stürmte er quer über die breite Straße, wich vorbeifahrenden Autos aus, nahm das wütende Hupen und die kreischenden Bremsen rundum gar nicht wahr. Unversehrt erreichte er die andere Straßenseite und rannte weiter.

Miss Kelly muss die Polizei anrufen, und die beschützt Dana bestimmt.

Kemal geriet allmählich außer Atem, und das Seitenstechen wurde immer schlimmer. Wieder schaute er auf seine Uhr: Fünf vor drei. Er blickte auf. Die Schule war gleich da vorn. Nur noch zwei Querstraßen.

Ich bin in Sicherheit, dachte Kemal. Der Unterricht ist noch nicht aus. Eine Minute später war er am Eingangstor. Er blieb davor stehen und starrte es ungläubig an. Es ist geschlossen. Plötzlich spürte er, wie ihn jemand von hinten mit eisernem Griff an der Schulter packte.

»Es ist Samstag, du Dummkopf.«

»Halten Sie hier«, sagte Dana. Sie waren zwei Querstraßen von ihrer Wohnung entfernt. Dana blickte dem davonfahrenden Taxi hinterher. Langsam lief sie los, suchte angespannt und aufmerksam die Straße ab, achtete ständig drauf, ob ihr irgendetwas ungewöhnlich vorkam. Sie war davon überzeugt, dass Kemal in Sicherheit war. Jack Stone beschützte ihn.

Als Dana an die Ecke des Hauses kam, in dem sie wohnte, ging sie nicht zur Vordertür, sondern begab sich in die Gasse, die zur Rückseite des Gebäudes führte. Kein Mensch weit und breit. Dana ging durch den Hintereingang und stieg leise die Treppe hinauf. Im zweiten Stock angelangt, lief sie den Flur entlang, blieb aber plötzlich stehen. Ihre Wohnungstür stand weit offen. Dana bekam es augenblicklich mit der Angst zu tun. Sie rannte zur Tür und stürmte hinein. »Kemal!«

Niemand war da. Hektisch lief Dana durch die ganze Wohnung, fragte sich, was passiert sein könnte. Wo ist Jack Stone? Wo ist Kemal? In der Küche war eine Schublade herausgefallen und der Inhalt über den Boden verteilt. Dutzende kleiner Schachteln lagen da, leere wie volle. Verwundert hob Dana eine auf und betrachtete sie. BuSpar, stand auf dem Etikett, 15 mg je Tablette. Und dazu das Kennzeichen: NDC DO87 D822-32.

Was war das? Nahm Mrs. Daley etwa Medikamente, oder hatte sie die Kemal gegeben? Hatte das vielleicht etwas mit seinem sonderbaren Verhalten zu tun? Dana steckte eine der Schachteln in ihre Manteltasche.

Verstört stahl sich Dana aus der Wohnung. Sie nahm wieder den Hintereingang, ging in die Gasse und lief zur Straße. Als Dana um die Ecke bog, sprach ein Mann, der sich hinter einem Baum verbarg, über Walkie-Talkie mit seinem Komplizen an der gegenüberliegenden Ecke.

Unmittelbar vor Dana war die Washington Pharmacy. Sie ging hinein.

»Ah, Miss Evans«, sagte die Apothekerin. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ja, Coquina. Ich möchte gern wissen, was das ist.« Sie holte die kleine Schachtel heraus.

Die Apothekerin warf einen Blick darauf. »Das ist BuSpar. Man nimmt es gegen Angstzustände. Ein weißes Pulver, das man in Wasser auflöst.«

»Was bewirkt es?«, fragte Dana.

»Es ist ein Beruhigungsmittel. Hilft gegen Anspannungen. Wenn man eine zu hohe Dosis davon nimmt, kann man natürlich müde und benommen davon werden.«

Er schläft. Soll ich ihn aufwecken?

Der Junge kam aus der Schule und war müde, deshalb hab ich gedacht, ein kleines Nickerchen würde ihm gut tun ...

Das war also die Erklärung dafür. Und es war Pamela Hudson gewesen, die Mrs. Daley zu ihr geschickt hatte.

Und ich habe Kemal diesem Miststück anvertraut, dachte Dana. Ihr drehte sich schier der Magen um

Sie wandte sich an die Apothekerin. »Vielen Dank, Coqui-na.«

»Gern geschehen, Miss Evans.«

Dana ging wieder hinaus auf die Straße. Die zwei Männer kamen auf sie zu. »Miss Evans, könnten wir kurz mit Ihnen -« Dana drehte sich um und rannte los. Die Männer waren ihr auf den Fersen, als sie die nächste Ecke erreichte. Mitten auf der Kreuzung stand ein Polizist und regelte den dichten Verkehr.

Dana rannte quer über die Straße auf ihn zu.

»He! Gehen Sie zurück, Miss.«

Dana lief weiter.

»Die Ampel ist rot! Haben Sie gehört? Zurück mit Ihnen!«

Die beiden Männer warteten an der Ecke und beobachteten alles.

»Sind Sie taub?«, brüllte der Polizist.

»Halten Sie den Mund!« Sie versetzte dem Polizisten eine schallende Ohrfeige. Wütend packte er Dana am Arm.

»Sie sind festgenommen, Ma’am.«

Er zerrte Dana auf den Gehsteig und hielt sie fest, während er in sein Funkgerät sprach. »Ich brauche einen Streifenwagen.«

Die beiden Männer standen da und schauten sich unschlüssig an.

Dana blickte zu ihnen und lächelte. Dann hörte sie Sirenengeheul, das rasch näher kam, und kurz darauf hielt ein Polizeiwagen vor ihnen an.

Ohnmächtig sahen die beiden Männer mit an, wie Dana auf den Rücksitz des Streifenwagens verfrachtet und abtransportiert wurde.

»Ich habe doch ein Recht darauf, ein Telefongespräch zu führen, stimmt’ s?«, fragte Dana, als sie auf dem Polizeirevier war.

»Stimmt«, sagte der Sergeant.

Er reichte Dana ein Telefon. Sie führte das Gespräch, das ihr zustand.

Etliche Straßenzüge weiter hielt ein Mann Kemal am Hemdkragen fest und zerrte ihn zu einer Limousine, die mit laufendem Motor am Straßenrand wartete.

»Bitte! Bitte lassen Sie mich los«, flehte Kemal.

»Halt den Mund, Kleiner.«

Vier Marineinfanteristen in Uniform gingen vorbei.

»Ich will nicht mit Ihnen in die dunkle Gasse gehen«, brüllte Kemal.

Verdutzt blickte der Mann Kemal an.

»Bitte bringen Sie mich nicht in die dunkle Gasse.« Kemal wandte sich an die Marines. »Er will mir fünf Dollar geben, wenn ich mit ihm in die Gasse gehe. Ich will aber nicht.«

Die Marines blieben stehen und starrten den Mann an. »Was, du dreckiger Perversling .«

Der Mann wich zurück. »Nein, nein. Einen Moment. Sie verstehen nicht .«

»Doch, sehr gut sogar, Freundchen. Nimm die Finger von dem Jungen.« Sie umringten den Mann. Abwehrend hob er die Hände, worauf sich Kemal schleunigst verzog.

In diesem Augenblick stieg ein Botenjunge vom Fahrrad, nahm das Paket, das er ausliefern sollte, und ging auf ein Haus zu. Kemal sprang auf das Fahrrad und trat wie wild in die Pedale. Hilflos musste der Mann mit ansehen, wie Kemal um die Ecke fuhr und verschwand. Die Marines rückten bedrohlich näher.

Die Tür von Danas Zelle auf dem Polizeirevier flog auf.

»Sie können gehen, Miss Evans. Sie kommen auf Kaution raus.«

Matt! Der Anruf hat doch etwas genützt, dachte Dana erleichtert. Er hat keine Zeit verloren.

Als Dana sich zum Ausgang begeben wollte, hielt sie erschrocken inne. Einer der Männer stand da und erwartete sie.

»Sie sind frei, junge Frau«, sagte er und lächelte Dana an. »Gehen wir.« Mit festem Griff packte er Dana am Arm und wollte sie auf die Straße führen. Als sie aus der Tür traten, blieb er verdutzt stehen. Ein Kamerateam von WTN wartete draußen.

»Schauen Sie hierher, Dana ...«

»Dana, stimmt es, dass Sie einen Polizisten geschlagen haben?«

»Können Sie uns sagen, was vorgefallen ist?«

»Hat er Sie belästigt?«

»Werden Sie Anzeige erstatten?«

Der Mann wich zurück, versuchte sein Gesicht zu verdek-ken.

»Was ist denn los?«, rief Dana. »Wollen Sie sich nicht filmen lassen?«

Er ergriff die Flucht.

Matt Baker tauchte neben Dana auf. »Nichts wie weg von hier.«

Sie saßen in Matt Bakers Büro im Verwaltungsgebäude von WTN. Seit einer halben Stunde hörten Elliot Cromwell, Matt Baker und Abbe Lasmann schweigend und erschrocken zu, während Dana berichtete, was ihr widerfahren war.

». und das FRA steckt ebenfalls mit drin. Deshalb wollte General Booster mich von meinen Recherchen abhalten.«

»Ich bin fassungslos«, sagte Elliot Cromwell. »Wie konnten wir uns nur so irren, was Taylor Winthrop angeht? Meiner Meinung nach sollten wir das Weiße Haus von diesen Vorgängen verständigen. Und von dort aus sollte man schleunigst das Justizministerium und das FBI einschalten.«

»Elliot«, sagte Dana, »bislang haben wir nichts in der Hand. Wenn es darauf ankommt, steht Roger Hudsons Wort gegen meines, und wem wird man Ihrer Meinung nach letztlich Glauben schenken?«

»Haben wir denn keinerlei Beweise?«, fragte Abbe Las-mann.

»Sascha Schdanoffs Bruder dürfte noch am Leben sein. Der packt bestimmt aus. Und sobald wir auch nur einen Ansatzpunkt haben, einen Faden, an dem wir ziehen können, löst sich alles von selber auf, und wir haben unsere Story.«

Matt Baker holte tief Luft und schaute Dana bewundernd an. »Sie lassen nicht locker, wenn Sie hinter einer Story her sind.«

»Matt«, sagte Dana. »Was wollen wir wegen Kemal unternehmen? Ich habe keine Ahnung, wo er stecken könnte.«

»Keine Sorge«, erwiderte Matt im Brustton der Überzeugung. »Wir werden ihn finden. Aber bis dahin müssen wir Sie irgendwo unterbringen, wo Sie garantiert niemand findet.«

Abbe Lasmann meldete sich zu Wort. »Sie können doch bei mir wohnen. Dort sucht Sie bestimmt keiner.«

»Vielen Dank.« Dana wandte sich an Matt. »Was Kemal angeht .«

»Wir setzen umgehend das FBI darauf an. Ich lasse Sie von meinem Fahrer zu Abbes Wohnung bringen. Wir übernehmen ab jetzt, Dana. Wir werden die Sache schon schaukeln. Ich rufe Sie an, sobald ich etwas höre.«

Kemal radelte die eisigen Straßen entlang, warf immer wieder ängstlich einen Blick nach hinten. Der Mann, der ihn geschnappt hatte, war nirgendwo zu sehen. Ich muss zu Dana, dachte Kemal voller Verzweiflung. Ich darf nicht zulassen, dass man ihr etwas antut. Aber das Studio von WTN lag am anderen Ende von Washington.

An einer Bushaltestelle stieg Kemal ab und warf das Rad ins hohe Gras neben der Straße. Als kurz darauf ein Bus kam, griff Kemal in die Hosentasche und stellte fest, dass er kein Geld hatte.

Er wandte sich an einen Passanten. »Entschuldigen Sie, hätten Sie vielleicht -«

»Verpiss dich, Kleiner.«

Kemal versuchte es bei einer Frau, die gerade vorbeikam. »Entschuldigen Sie, aber ich brauchte Geld für den Bus -« Die Frau ging einen Schritt schneller.

Zitternd stand Kemal in der Kälte, fror bitterlich ohne Mantel. Anscheinend scherte sich niemand darum. Ich muss das Fahrgeld auftreiben, dachte er.

Er riss seinen künstlichen Arm ab und legte ihn ins Gras. Als der nächste Mann vorbeikam, hielt Kemal den Stumpf hin. »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er, »aber könnten Sie mir vielleicht ein bisschen Geld für den Bus geben?«

Der Mann blieb stehen. »Natürlich, mein Junge«, sagte er und gab Kemal einen Dollar.

»Vielen Dank.«

Als der Mann weitergegangen war, schnallte Kemal flugs seinen Arm wieder an. Er sah einen Bus kommen, nur noch einen Häuserblock weit weg. Geschafft!, jubelte er im Stillen. In diesem Augenblick spürte er einen Stich im Nacken, und als er sich umdrehen wollte, verschwamm alles vor seinen Augen. Nein, nein!, schrie Kemal ohnmächtig auf. Dann sank er bewusstlos zu Boden. Schaulustige versammelten sich um ihn.

»Was ist da los?«

»Ist er ohnmächtig geworden?«

»Fehlt ihm irgendwas?«

»Mein Sohn ist Diabetiker«, erklärte ein Mann. »Ich kümmere mich schon um ihn.« Er nahm Kemal auf den Arm und trug ihn zu der bereit stehenden Limousine.

Abbe Lasmanns Wohnung lag im Nordwesten von Washington. Sie war groß und komfortabel, mit modernen Möbeln und weißen Teppichen ausgestattet. Dana, die allein in der Wohnung war, lief nervös auf und ab und wartete darauf, dass das Telefon klingelte. Kemal darf nichts zustoßen. Die haben nicht den geringsten Grund, ihm etwas zu Leide zu tun. Ihm geht’s bestimmt gut. Aber wo ist er? Wieso findet man ihn nicht?

Sie zuckte zusammen, als das Telefon endlich klingelte. Riss den Hörer von der Gabel. »Hallo.« Niemand meldete sich. Wieder klingelte es, und Dana wurde klar, dass jemand sie über Handy zu erreichen versuchte. Sie kam sich mit einem Mal wie erlöst vor. Sie drückte auf den Knopf. »Jeff?«

»Wir haben Sie gesucht, Dana«, sagte Roger Hudson mit leiser Stimme. »Ich habe Kemal hier.«

Dana stand wie erstarrt da, brachte keinen Ton hervor. »Roger -«, flüsterte sie schließlich.

»Ich fürchte, ich habe meine Männer nicht mehr im Griff. Sie wollen Kemals heilen Arm abschneiden. Soll ich sie gewähren lassen?«

»Nein!«, schrie sie. »Was - was wollen Sie?«

»Ich möchte nur mit Ihnen reden«, erwiderte Roger Hudson ruhig. »Ich möchte, dass Sie zu uns kommen, in unser Haus, und zwar allein. Wenn Sie jemanden mitbringen, tragen Sie die Verantwortung dafür, wenn Kemal etwas passiert.«

»Roger -«

»Ich erwarte Sie in dreißig Minuten.« Die Verbindung wurde unterbrochen.

Wie betäubt vor Angst stand Dana da. Kemal darf nichts passieren. Ihm darf einfach nichts passieren. Mit zitternden Händen tippte sie Matt Bakers Telefonnummer ein. Matts Anrufbeantworter meldete sich.

»Sie sind mit dem Büro von Matt Baker verbunden. Im Augenblick bin ich leider nicht zu erreichen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, werde ich Sie so bald wie möglich zurückrufen.«

Dana wartete den Piepton ab, holte tief Luft und sprach dann ins Telefon. »Matt - ich habe gerade einen Anruf von Roger Hudson erhalten. Er hält Kemal in seinem Haus fest. Ich fahre jetzt dorthin. Bitte beeilen Sie sich, bevor Kemal etwas passiert. Bringen Sie die Polizei mit. Rasch!«

Dana stellte ihr Handy ab und ging zur Tür.

Abbe Lasmann wollte gerade einige Briefe auf Matt Bakers Schreibtisch legen, als sie das blinkende Lämpchen an Matts Anrufbeantworter sah. Sie gab Matts Passwort ein und spielte Danas Mitteilung ab. Einen Moment lang stand sie da und lauschte. Dann lächelte sie und drückte die Löschtaste.

Sobald Jeffs Maschine am Dulles International Airport gelandet war, rief er Dana an. Den ganzen Flug über hatte er an den seltsamen Unterton in ihrer Stimme denken müssen, an das beunruhigende Falls mir irgendetwas zustoßen sollte. Ihr Handy klingelte, ohne dass jemand ranging. Er versuchte es in ihrer Wohnung. Auch dort meldete sich niemand. Er nahm sich ein Taxi und sagte dem Fahrer, er solle ihn zu WTN bringen.

»Ah, Jeff!«, sagte Abbe, als er in Matts Vorzimmer kam. »Schön, Sie wieder zu sehen.«

»Danke, Abbe.« Er ging in Matt Bakers Büro.

»Sie sind also zurück«, sagte Matt. »Wie geht’s Rachel?«

Die Frage brachte Jeff einen Moment lang aus dem Konzept.

»Der geht’s gut«, sagte er tonlos. »Wo ist Dana? Sie geht nicht ans Telefon.«

»Mein Gott«, sagte Matt, »Sie haben nicht die geringste Ahnung was vorgefallen ist, was?« »Sagen Sie’s mir«, erwiderte Jeff mit verkniffener Miene.

Abbe stand im Vorzimmer und lauschte an der geschlossenen Tür. Sie hörte nur vereinzelte Gesprächsfetzen. »... um die Ecke bringen ... Sascha Schdanoff ... Krasnojarsk-26 ... Kemal . Roger Hudson .«

Das genügte ihr. Sie ging rasch zu ihrem Schreibtisch und nahm den Telefonhörer ab. Kurz darauf sprach sie mit Roger Hudson.

Im Büro nebenan hörte Jeff sich unterdessen fassungslos an, was Matt ihm zu berichten hatte. »Das glaub ich nicht.«

»Es stimmt aber«, versicherte ihm Matt Baker. »Dana ist bei Abbe. Ich sage Abbe Bescheid, dass Sie es noch mal in ihrer Wohnung versuchen soll.« Er drückte auf die Taste der Gegensprechanlage, doch bevor er etwas sagen konnte, hörte er Abbes Stimme.

». und Jeff Connors ist auch da. Er sucht Dana. Ich glaube, Sie sollten sie lieber fortschaffen. Die kommen bestimmt zu Ihnen rüber ... Gut. Ich kümmere mich drum, Mr. Hudson. Wenn -«

Abbe hörte hinter sich ein Geräusch, legte rasch auf, und wandte sich um.

Jeff Connors und Matt Baker standen in der Tür und starrten sie an.

»Sie verlogenes Miststück«, sagte Matt.

Erregt wandte sich Jeff an Matt. »Ich muss sofort zu den Hudsons. Ich brauche ein Auto.«

Matt Baker warf einen Blick aus dem Fenster. »Da kommen Sie nicht mehr rechtzeitig hin. Die Straßen sind völlig verstopft.«

Dann hörten sie den WTN-Hub schraub er, der gerade zur Landung am Heliport oben auf dem Dach ansetzte. Die beiden Männer schauten einander an.

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