XXII

WÄHREND an dem prunkvollen Hof Heinrichs III., der nun über seine Feinde triumphiert hatte, Freude und Genugtuung das Herz der Anhänger des Königs erfüllte, während die ausländischen Günstlinge ihren Jubel mit ungeziemender Prahlerei an den Tag legten und selbst die besonneneren Anhänger seines hochherzigen Sohnes Edward der lauten Freude sich nicht enthalten konnten, verbreiteten sich Bestürzung, Entsetzen und Trauer unter den mittleren und niederen Ständen des Volkes. Die Schranke war niedergerissen, die ihre Rechte und Freiheiten geschützt hatte, und die meisten von denjenigen, deren Schwerter solange für die Volkssache entblößt gewesen waren, lagen jetzt in ihrem Blut auf dem Schlachtfeld von Evesham. Nur Flüchtlinge und Geächtete blieben zurück, heimlich und im Verborgenen um sie trauernd.

Heinrich III. hielt nicht in der Hauptstadt des Königreichs seinen Hof, sondern in dem Palast zu Eltham, der einer der schönsten und glänzendsten Residenzen des englischen Königreichs war.

Etwa einen Monat nach der Schlacht von Evesham lag in einem kleinen Zimmer auf dem linken Flügel des Gebäudes auf einem Lager Hugh de Monthermer, eifrig beschäftigt, eine Handschrift zu entziffern, die von einer etwas schweren und zittrigen Hand stammte. Er war ganz in die Tracht des Friedens gekleidet, aber eine tiefe Schramme auf seiner Stirn und eine um seinen Arm gebundene Schärpe zeigten, daß er erst vor kurzem noch mit dem Kriegshandwerk zu schaffen gehabt hatte. Der junge Ritter war nicht ohne Wunden durch die Schlacht von Evesham gekommen, und die Verletzungen waren noch immer nicht völlig verheilt.

Als Gefangener des Prinzen war er im Gefolge des Hofes zunächst nach London, dann nach Eltham gebracht worden. Obgleich man schon vielen anderen Edelleuten gestattet hatte, sich zu unterwerfen und Gnadenbriefe zu empfangen, war mit Hugh de Monthermer noch kein Wort über sein künftiges Schicksal gesprochen worden. Auch die Bedingungen seiner Freilassung hatte man ihm noch nicht genannt. Jedoch wurde er freundschaftlich und achtungsvoll behandelt. Kaum ein Tag war verflossen, an dem er nicht von Edward selbst besucht worden wäre. Aber ein Gespräch über seine jetzige Lage war von dem Prinzen geflissentlich vermieden worden, und Hugh, ungeduldig über den langen Zwang, den er sich hatte antun müssen, lag jetzt in seinem Gemach, des Besuchs des Prinzen harrend und entschlossen, Fragen an ihn zu richten, die zu einer entscheidenden Antwort führen mußten.

Ungefähr eine halbe Stunde nach der gewohnten Zeit hörte man den festen Schritt Edwards im Vorzimmer, im nächsten Augenblick trat der Prinz ein. Sein Aussehen war ernst, aber sein Ton war voll Freundlichkeit gegen Hugh de Monthermer, und er ergriff seine Hand, als er sich nach seinem Befinden erkundigte.

»Ich bin beinahe wiederhergestellt, mein Lord«, antwortete Hugh. »Und wie Ihr, als ich Euch in dem Kastell zu Hereford besuchte, seufze ich nun nach frischer Luft und nach Freiheit, um meine krampfigen Glieder wieder gebrauchen zu können.«

»Aber warum macht Ihr Euch keine Bewegung?« fragte der Prinz. »Ihr solltet jeden Tag ausreiten.«

»Ich glaubte nicht, daß ich dazu Erlaubnis hätte«, antwortete Hugh.

»Nachdem Ihr Euch ohne Widerruf ergeben habt, Monthermer«, sagte der Prinz, »lege ich Euch keine Fesseln an, mein Freund, als die Fesseln Eures Wortes. Die großen Tore stehen Euch offen, und wenn ich Euch nicht die Freiheit gebe, so geschieht dies doch nur Euretwillen. Meines Vaters Zorn auf Euer Haus ist groß, Monthermer. Es ist der einzige Funke, den ich nicht zu löschen vermocht habe. Euch wird er verzeihen in einiger Zeit, aber ich fürchte, gegen Euern Oheim werden wir ihn nie besänftigen. Er meint, auf seinen Rat hin habe de Montfort gehandelt.«

Edward sagte die letzten Worte im Ton einer Frage oder vielleicht als eine Behauptung, die er widersprochen zu hören wünschte. Aber Hugh antwortete ernst: »Seine Majestät hat recht, mein Lord. Auf meines Oheims Rat hörte de Montfort. Aber Euer Gnaden Worte geben mir Trost und Beruhigung. Ich habe keine Nachrichten von meinem Oheim seit jener unheilvollen Schlacht, und obwohl ich Hoffnung hatte, er sei entkommen, so war doch diese Hoffnung schwach. Ich bitte Euch dringend, mir mitzuteilen, was Ihr von ihm wißt; denn nie hat ein Sohn seinen Vater inniger geliebt, als ich ihn hebe, unter dessen weiser Obhut ich von Jugend an aufwuchs.«

»Ich weiß wenig mehr als Ihr selbst«, antwortete der Prinz. »Alles, was ich Euch sagen kann, ist: Weder seinen Leichnam noch seine Waffen fand man unter den Toten. Und so sehr ist mein Vater von seinem Fortkommen überzeugt, daß er über ihn und sieben andere, die sich noch nicht zur Unterwerfung bequemt haben, die Acht verhängt hat.«

Hugh de Monthermers Gefühle waren geteilt zwischen Freude und Schmerz. Freundlich legte der Prinz die Hand auf seine Schulter und sagte ablenkend: »Kommt, alter Spielgenosse, schickt Euch an zu einem Ritt und trefft mich in einer Minute im Hof unten. Es kommen heute Gäste in den Palast, und vielleicht begegnen wir ihnen.«

Die Aussicht, seine Glieder bei einem Ritt wieder regen und frische Luft kosten zu dürfen, erfüllte Hugh de Monthermer mit freudiger Erwartung. So kleidete er sich denn eilig an und war bald an des Prinzen Seite.

Der erste Atemzug in freier Luft gab ihm neue Hoffnung, doch in demselben Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke an die vielen tapferen und mutigen Freunde, die jetzt den warmen Sonnenschein nicht mehr genießen konnten, der Gedanke an seinen rechtschaffenen, ritterlichen Oheim, der verwundet und allein als Verbannter und Geächteter umherschweifte.

So war er denn, als sie aus dem Palasttor ritten, düster gestimmt, und die Lustigkeit der jungen Ritter und munteren Knappen von Edwards Begleitung war ihm zuwider. Doch als die Gesellschaft nach einem etwa zweistündigen Ritt zurückkehrte, schien Hugh de Monthermers Lächeln so fröhlich wie das der übrigen.

Im Gefolge des Prinzen befand sich nämlich außer den Grafen von Gloucester und von Ashby eine Gesellschaft schöner Damen, und unter diesen war eine, deren sanfte dunkle Augen glänzten, sobald sie sich dem jungen Ritter zuwandte. An ihre Seite gesellte er sich so oft, wie es ihm nur möglich war.

Manche von den Gentlemen im Zuge, stolz, der Hofpartei anzugehören, betrachteten es als eine Unverschämtheit, daß der Gefangene und Rebell, wie sie ihn nannten, die Aufmerksamkeit eines so schönen Gastes ihres Königs in Anspruch zu nehmen wagte. Hugh de Monthermers Ruf als Ritter jedoch hielt ihren Verdruß in gebührenden Schranken, und obwohl sie es so einzurichten wußten, daß kein vertrauliches Wort zwischen Lucy de Ashby und ihrem Geliebten gewechselt werden konnte, vermochten sie ihn doch nicht von ihrer Gesellschaft auszuschließen.

Als man beim Palast ankam, schickte sich mancher Ritter an, dem Fräulein beim Absteigen behilflich zu sein. Aber Hugh de Monthermer, der sich bestimmter Ansprüche bewußt war, trat heran und hob die schöne Gestalt Lucys aus dem Sattel. Hierbei bot sich ihnen die einzige Gelegenheit, ein Wort miteinander zu wechseln, das sonst niemand hörte. Lucy selbst war es, die diese Gelegenheit ergriff.

»Ich habe Euch etwas Wichtiges zu sagen, Hugh«, flüsterte sie.

Ehe sie jedoch fortfahren konnte, stand der alte Graf von Ashby neben ihnen. Er hatte bisher keine Notiz von seinem früheren Verbündeten genommen und hätte es vielleicht auch jetzt nicht getan, hätte er nicht aus einem Gespräch mit dem Prinzen ersehen, daß Hugh de Monthermer in Edwards Augen alles andere als ein gefangener Feind war. So bot er ihm denn die Hand mit freundlichem Gruß dar, erkundigte sich nach seinem Befinden und setzte hinzu: »Jetzt, nachdem die Kämpfe glücklich beendigt sind, mein junger Freund, laßt uns alle früheren Streitigkeiten vergessen!«

Hugh zögerte ein wenig, die ihm dargebotene Hand zu ergreifen, hütete sich aber, durch seine Miene zu erkennen zu geben, daß er sich bewußt war, bei den frühern Mißhelligkeiten viel mehr der Beleidigte als der Beleidiger gewesen zu sein. Einige kurze Fragen und Antworten folgten, während Edward leise mit dem Grafen von Gloucester sprach. Endlich wandte sich der Prinz, und sich verbindlich gegen Lucy de Ashby und eine andere Dame verbeugend, sagte er ihnen, daß die Prinzessin Eleonore sie im Saal erwarte, da die Königin noch in Frankreich sei.

»Die Prinzessin ist eine Verwandte von Euch, schönes Fräulein«, fuhr er fort, zu Lucy sich wendend, und dann, an seinen Gefangenen das Wort richtend: »Wir haben ein großes Bankett heute abend, Monthermer, und Ihr müßt Eure Kraft aufbieten, um ihm beiwohnen zu können. - Ich habe von meinem Vater den Auftrag, Euch einzuladen.«

Hugh dankte mit einer Verbeugung und begab sich nachdenklich in sein Zimmer. Der König hatte ihn, den Neffen des alten Grafen Monthermer, eingeladen! Gewiß verdankte er dies der herzlichen Fürsprache Edwards, doch würde er auf der Hut sein müssen. Ablehnen konnte er in seiner Situation ohnehin nicht, sondern höchstens seinen alten Freunden nützlich sein, wenn er gute Miene machte. Es mochte jedoch im Augenblick weniger politische Klugheit sein, die ihn zu diesem Verhalten bewog, sondern vielmehr die Erwägung, daß er Lucy auf dem Bankett sehen würde. Durch sein erstes Wiederbegegnen mit ihr war seine Liebe hell aufgeflammt.

Ein geringfügiger, jedoch verdrießlicher Übelstand störte aber den jungen Ritter empfindlich. Getrennt von allen seinen Dienern, bis zu diesem Zeitpunkt sowohl durch seine Wunden als auch durch seine Lage zu strenger Gefangenschaft verdammt, fehlten ihm die Mittel, an des Königs Tafel mit dem Glanz zu erscheinen, den die Sitte des Tages erheischte. Der einzige Anzug, den er besaß, war das Wams, über dem er bei Evesham seine Rüstung getragen hatte.

Ich will zu dem Prinzen schicken, dachte er, und ihn wissen lassen, in welcher mißlichen Lage ich mich befinde.

In diesem Augenblick traten zwei Diener ein, eine jener langen, schweren Kisten von Leder, das über ein Holzgestell gespannt war, tragend, deren man sich damals bediente, um die Waffen und Kleider einem Heer nachzuführen.

»Dies wurde in der vorigen Nacht für Euch gebracht, mein Lord«, sagte einer der Diener. »Der Obervorschneider öffnete es durch ein Versehen, und als er sah, daß es Anzüge enthielt, schickte er uns damit hierher.«




Hugh lächelte; denn er glaubte, es sei eine wohlgemeinte List des Prinzen, um ihn mit dem Nötigen zu versehen. Aber ehe die zwei Männer das Vorzimmer verlassen hatten, trat Edward ein, um Hugh seinen Beutel und seine Garderobe anzubieten. Hugh deutete auf den Koffer und dankte ihm für das, was er ihm bereits geschickt habe. Der Prinz zeigte sich sehr überrascht; denn er hatte bisher noch nichts veranlaßt. Als Hugh die Kiste, nun selber neugierig geworden, von wem sie kommen mochte, öffnete, fand er, daß sie mit seinen eigenen Kleidern gefüllt war, die er Anfang des Jahres in Yorkshire zurückgelassen hatte.

»Das muß das Werk meiner Freunde sein, mein Lord«, sagte er.

»Laßt mich deshalb um die Erlaubnis bitten, einen Boten abzuschicken, um mich nach denen zu erkundigen, die bei Evesham zerstreut wurden. Sie können mir so viele Diener und Pferde bringen, wie mir gestattet werden mag, als Gefangener zu halten, sowie auch einiges Geld.«

»Wenn Ihr schreiben wollt«, antwortete Edward, »so will ich den Brief unverzüglich fortschicken. Aber verständigen wir uns ganz miteinander, Monthermer. Ich glaube, daß es in mancher Beziehung besser für Euch sein dürfte, ein paar Monate am Hof von England zu verweilen; ich vermute zudem, daß Ihr selbst nicht sehr begierig sein werdet, ihn zu verlassen, solange ein gewisses schönes Fräulein Gast der Prinzessin bleibt. Daß Ihr mein Gefangener seid, ist der einzige Vorwand, womit die Verlängerung Eures Aufenthalts gerechtfertigt werden kann. Euer Bleiben ist sehr notwendig, und dies ist der Grund, warum ich Euch nicht öffentlich in Freiheit setze. -Aber da man in dieser wechselvollen Welt«, fuhr er nachdrücklich fort, »nie voraus wissen kann, was der nächste Tag bringt, und es unter Umständen Eure Sicherheit durchaus erfordern kann, daß Ihr auf eine rasche Warnung hin plötzlich fliehen müßt - denn ich kann weder dem trotzigen Mortimer noch dem grausamen Pembroke trauen -, so verspreche ich, Euer Lösegeld festzusetzen, sobald Ihr es verlangt. Im Notfall aber mögt Ihr auf dieses Versprechen hin handeln, als hätte ich Euch schon Eure Freiheit gegeben. Ich werde Euch rechtfertigen, wenn der Fall eintritt. Inzwischen müßt Ihr jedoch die Rolle des Gefangenen spielen und Eure Gelegenheit so gut wie möglich benützen, mein Freund. Ich bin über den Stand Eurer Herzensangelegenheit unterrichtet und zweifle nicht, daß Eure Dame gern Eure Geschichte anhören wird, wenn Ihr eine passende Stunde wählt, sie vorzutragen. - Nein, keinen Dank, Monthermer! Nehmt aus meiner Börse Geld, soviel Ihr braucht, bis Euer eignes ankommt. Und jetzt: Adieu!«

Hugh begleitete den Prinzen bis zur Tür des Vorzimmers und kehrte dann um mit dem Vorhaben, die ihm so unverhofft übersandte Garderobe genauer zu untersuchen, ob nicht etwas ihm anzeige, von welcher Hand sie kam. Aber ehe er damit begann, setzte er sich nieder und schaute nachdenklich zu dem kleinen Fenster seines Zimmers hinaus. Seine Lage war glücklicher als vor wenigen Stunden: Er war über die Sicherheit seines Oheims einigermaßen beruhigt, die Freiheit winkte ihm, und er würde heute noch die Gehebte sehen.

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