Eine Kette flackernder Lichtpunkte bewegte sich durch den dunklen Mangrovenwald. Das Volk der Lagune und die sechs Arowaken befanden sich auf der Fahrt nach der Flußmündung.
Am Bug eines jeden Kanus saß ein Indianer mit einer Fackel in der Hand. Der Feuerschein huschte matt über die dunklen Baumstämme und spiegelte sich in dem stillen Wasser zwischen den Wurzelgewölben. Einmal sahen sie, wie nur einige Meter über ihren Köpfen ein dicker Ast plötzlich lebendig zu werden schien und sich aus dem Lichtschein wand. Es war eine Boaschlange, die auf ihrer nächtlichen Jagd gestört worden war und die nun die Männer mit ihren kleinen, unbeweglichen, kurzsichtigen Augen anstarrte.
Zuweilen hörten sie den krächzenden Schrei eines Nachtreihers, und einmal ertönte in dem Dunkel ein schauerlich röchelndes Brüllen. Es war ein altes Krokodilmännchen.
Hin und wieder leuchteten zwei rote Punkte aus dem Wasser. Sie sahen im Dunkeln aus wie glühende Zigarren. Es waren die Augen schwimmender Kaimane oder Krokodile, die neugierig nach den Kienfackeln starrten. Kamen ihnen die Kanus allzu nahe, dann versanken sie lautlos und verschwanden, tauchten jedoch bald wieder im Kielwasser auf. Einige von ihnen folgten den Kanus eine ziemliche Strecke, als warteten sie auf etwas.
Die Arowaken fühlten sich in ihrem festen Kriegskanu zwar sicher, aber sie fragten sich, wie die Männer von der Lagune es wagen konnten, in ihren leichten Fahrzeugen bei Nacht zwischen all diesen Krokodilen dahinzufahren. Bald bekamen sie eine Antwort.
Zwei Lichtpunkte glitten unter einem Wurzelgewölbe hervor. Sie schienen ungewöhnlich groß zu sein und ziemlich weit auseinander zu liegen. Langsam und bedächtig bewegten sie sich auf das letzte Kanu zu.
Ein scharfes Pfeifsignal ertönte schneidend durch die Stille der Nacht, und augenblicklich begannen die Männer vom Schilfsee mit den nackten Fersen auf den Boden ihrer Kanus zu trommeln. Es ging in rasend schnellem Takt, und alle hielten den Rhythmus, bis der ganze Sumpfwald zu zittern schien.
Die zwei roten Lichtpunkte sanken für einen Augenblick unter die Wasseroberfläche, kamen jedoch sogleich wieder nach oben und begannen sich im Wasser zu entfernen. Die Männer trommelten weiter, und bald blieben die drohenden Augen weit hinter dem Kanu zurück.
Einer der Sumpfbewohner, der im Kriegskanu der Arowaken saß, lachte leise.
„Krokodil mag nicht dieses Trommeln", flüsterte er Adlerauge zu, der ihm am nächsten saß. „Mag nicht unter Wasser sein, wenn wir trommeln — und Krokodil oben im Wasser ist nicht gefährlich." Die Männer von den Inseln glaubten bereits die halbe Nacht unterwegs zu sein, als sie endlich an einer Stelle anlangten, die sie wiedererkannten. Sie lag nur einige hundert Meter vom Rand der Mangroven entfernt.
„Alle Fackeln außer den ersten löschen!" sagte Otter mit leiser Stimme, und der Befehl wurde von Kanu zu Kanu flüsternd weitergegeben. Vier Kienfackeln wurden ins Wasser getaucht; sie zischten auf und erloschen. Das Dunkel hüllte die Kanus ein. Nur die Fackel des ersten leuchtete wie ein gelbroter Stern.
Jetzt verließen die Fahrzeuge die offene Fahrrinne und bogen nach links ab, wo sie dann in den Wurzelgewölben untertauchten. Immer dichter schloß sich das Dach von Ästen über ihnen.
In weiter Ferne ertönte das Gelärme der Krokodile aus den dunklen Schlammlöchern des Sumpfwaldes.
Das erste Kanu hatte haltgemacht. Das zweite lag längsseits daneben, und die übrigen wurden an den beiden ersten vertäut.
Ein Mann nach dem anderen erhob sich, nahm seine Waffen und Geräte und tastete sich von Kanu zu Kanu ans Ufer. Bei den ersten Schritten schmatzte schwarzer Schlamm um ihre Füße. Dann drangen sie durch eine Reihe dichter Büsche und gelangten an den offenen Sandstrand. Frische, salzgesättigte Meeresluft wehte ihnen entgegen. Sechs Männer trugen das große Netz auf einer Trage von Ästen. Einige andere verschwanden im Strandtraubengebüsch und schleppten ein kurzes, breites Kanu heraus.
Darin verstauten sie das Netz. An ein Ende des Netzes banden sie zwei lange Leinen und stießen dann von Land. Eine Anzahl von Männern blieb am Strand und hielt die Leinen.
Der Mann, der die Kienfackel getragen hatte, löschte sie vorsichtig aus. Man brauchte sie jetzt nicht, denn in dem Licht der Sterne über dem weißen Sand und dem offenen Wasser konnte man die Gegenstände noch auf einige Schritt Entfernung ganz gut erkennen. Sägefisch berührte behutsam Otters Arm.
„Sollten wir nicht Wachen ausstellen, für den Fall, daß etwa die Kariben kommen?" fragte er mit leiser Stimme.
„Du redest klug, Häuptling", erwiderte der andere. „Wir wollen einen von deinen und einen von meinen Männern auf Wache schicken, so daß sie uns warnen können."
Feuersteinherz und einer von den Eisvogelmännern gingen ungefähr hundert Meter südwärts und verbargen sich dort im Gebüsch einer kleinen Landzunge, während Haifischzahn und ein anderer junger Mann in die entgegengesetzte Richtung geschickt wurden, um an der Flußmündung Ausschau zu halten.
„Halte eine Fackel bereit!" sagte Otter zu einem seiner Männer. „Stell dich damit direkt vor das Netz, aber brenn sie nicht eher an als notwendig!"
Der Mann nahm einen Feuertopf und eine neue Kienfackel und bezog, ein Stück von den Männern entfernt, die die Leinen hielten, seinen Posten.
In dem schwachen Licht der Sterne kam jetzt das Kanu wie ein dunkler Schatten zurück. Es ankerte einige Meter vor dem Strand. Die Besatzung stieg über Bord und watete an Land, wobei die Männer lange Zugleinen in den Händen hielten. Sie waren etwa in einem Abstand von fünfzig Metern von der anderen Gruppe gelandet.
Das Netz — oder richtiger das Schleppnetz — war in einiger Entfernung vom Ufer ausgelegt, und zwar so, daß beide Enden landwärts zeigten.
Ein halbes Dutzend Männer packten an beiden Enden die Zugleinen und begannen das Schleppnetz langsam dem Strand entgegen zu ziehen. Hin und wieder schlugen sie mit den Leinen auf das Wasser, um die Fische aufzuscheuchen, damit sie nicht zwischen den Netzenden und dem Uferstreifen entwischten.
Zuweilen hörte man klatschende Laute, wenn ein aufgescheuchter Fisch die Kette der Balsaschwimmer übersprang oder in einer der Maschen hängenblieb und aus Leibeskräften zappelte, um wieder freizukommen.
Jetzt hatten die Netzenden das Ufer erreicht. Adlerauge, der dicht neben dem Mann mit der Fackel stand, konnte hören, wie die eingeschlossenen Fische um sich schlugen und in dem seichten Wasser emporschnellten. Der Sack des Schleppnetzes, den ein paar besonders große Schwimmer markierten, kam immer näher an das Ufer heran. An der einen Seite wurde ein großer Adlerfisch herausgezogen. Mit seinen scharfkantigen Kiemendeckeln hatte er einige Maschen zerschnitten, aber als er dann versuchte, durch das Loch zu entkommen, war er steckengeblieben.
In dem anderen Arm des Schleppnetzes blinkte ein wild zappelnder Tarpon, ein Fisch, der in seinem Äußeren am ehesten an einen Hering erinnerte — nur daß er so lang war wie ein erwachsener Mann und ebenso schwer wie dieser.
Die Männer zogen noch einige Meter, und dann lag der Rest des Schleppnetzes auf dem Sand. In dem Sack befand sich ein ganzer Haufen von Fischen, die sich hin und her warfen und nach Wasser schnappten. Es waren Adlerfische, Seebarsche, kleine, breite Mojarras, tükkische Stachelwelse, große, silberschimmernde Meeräschen — und drei dunkle, platte Stachelrochen.
Der Mann mit der Fackel schwenkte diese einige Male und tauchte sie dann in den Feuertopf. Sie war mit Bienenwachs eingerieben und fing sofort Feuer. Er hielt sie über den Sack des Netzes, um seinen Kameraden zu leuchten, während sie die Fische herauslasen.
Der Teil des Fanges, der den Leuten zur Nahrung diente, wurde an den Waldrand hinaufgetragen und in einige große Körbe gelegt. Den Stachelrochen wurden die Stacheln ausgebrochen — jeder hatte einen großen und einen kleineren — dann wurden sie in die Uferbüsche geworfen. Denn sobald die Indianer mit fischen fertig waren, wollten sie den Rochen die Rückenhaut abziehen, um daraus Raspeln anzufertigen.
Als der gesamte Fang geborgen war, wurde die Fackel wieder gelöscht und das Schleppnetz erneut ausgelegt, diesmal etwas weiter entfernt. Man schaffte einige Züge in der Stunde.
Nach und nach füllten sich die Körbe, und Sägefisch hatte bald eine ganz beachtliche Anzahl von Rochenstacheln in einem Bambusfutteral. Es war zu gefährlich, sie anders zu transportieren.
Als die Fischer das Netz jedoch zum siebenten oder achten Mal auf dem Trocknen hatten, ertönte von der Flußmündung her ein Eulenschrei.
Augenblicklich ließen die Indianer alles fallen, was sie in den Händen hielten, richteten sich auf und lauschten gespannt — alle außer dem Fackelträger. Der steckte den brennenden Teil seiner Fackel in den Sand und erstickte die Flamme, indem er mit dem Fuß Sand darüber stieß.
Wieder ertönte der Eulenschrei. Er klang wachsam, eindringlich und warnend. Einen Augenblick später hörte man das erregte Pfeifen eines Eisvogelmannes.
Dann war es einen Augenblick lang still.
Doch nun waren andere Laute zu hören. Sehnen, die Pfeile abgeschossen hatten, schlugen gegen die Bogen, ein kurzer Schrei — dann noch einer.
Eifrige Hände packten die Fischkörbe, trugen sie an den Waldrand, versteckten sie im Dickicht und ergriffen nun Pfeil und Bogen, Wurfspeer, Keule und Steinaxt.
Überall auf dem Sandstrand tauchten Schatten auf: Männer, die Bogen spannten, Männer, die Speerschäfte in die Haken der Wurfstöcke einpaßten, Männer, Keulen und Steinäxte in den Händen, standen reglos und lauschten.
Otter berührte leicht den Arm von Sägefisch.
„Ich gehe zu den Wächtern und sehe nach, was es gibt. Bleib du hier!" flüsterte er.
Im nächsten Augenblick war der Häuptling vom Schilfsee im Dunkeln verschwunden, aber er ging nicht allein.
Adlerauge schlich sich am Ufer durch die Büsche, in gleicher Richtung, leise und geschmeidig wie ein Panther.
Vor ihm knirschte der Sand unter schnellen Fußtritten. Adlerauge ließ sich auf das eine Knie sinken. Mit halberhobenem Bogen starrte er nach dem Strand.
Da vorn bewegten sich mehrere Gestalten. Er konnte sie nur undeutlich erkennen. Es war unmöglich, festzustellen, wie viele es waren. Sah Otter sie nicht? Adlerauge begriff, daß der Häuptling von der Lagune die Gestalten nicht sehen konnte, weil dunkles Buschwerk hinter ihnen stand.
Jetzt blieb Otter stehen und pfiff. Zwei Gestalten rannten auf ihn zu. Waren es die Wachen? Nein, es kamen noch zwei. Alle vier stürzten sich auf Otter.
Adlerauge hörte die Laute eines heftigen Ringkampfes; dumpfe Aufschläge und keuchenden Atem von Männern. Er erhob sich und suchte ein Ziel für seinen Pfeil. Aber im selben Augenblick kam jemand mit langen, leisen Schritten durch das Gebüsch geschlichen, direkt auf ihn zu.
Leise legte der Arowake Bogen und Pfeil auf den Boden und duckte sich. Der andere sah ihn nicht, sondern schlich kaum einen Meter entfernt an ihm vorbei. Im richtigen Augenblick warf sich Adlerauge nach vorn und packte den Gegner am Bein, so daß er in die Büsche stürzte. Adlerauge war über ihm, ehe der Feind wieder auf die Beine kam.
Es kam zu einem kurzen, erbitterten Ringen, aber nach einer Viertelminute saß Adlerauge auf der Brust des anderen, die Knie auf seinen Armen, und hielt ihm die Spitze seines scharfen Knochendolches an die Kehle.
„Wenn du schreist, stirbst du, Karibe!" fauchte der Sieger.
„Wen nennst du einen Kariben?" flüsterte Haifischzahn mit halberstickter Stimme. „Laß mich los, du Dummkopf!"
Rasch waren die beiden wieder auf den Beinen, nahmen ihre Waffen auf und schlichen durch die Büsche hinunter an den Fluß.
Dort unten leuchtete eine Fackel, und zwei Kriegskanus lagen dicht am Ufer. Mehr als zehn Feinde wollten gerade an Bord steigen. Sie schleppten Otter mit sich, den sie mit Baststricken gefesselt hatten. Zwei bewaffnete Kariben standen noch am Ufer, während die anderen das Kanu abstießen und zu dem Mangrovensumpf paddelten.
Jetzt sah Adlerauge, daß eine reglose Gestalt unmittelbar am Wasserrand lag und eine zweite etwas weiter oben am Ufer.
Einer der beiden Kariben, die zurückgeblieben waren, brannte eine Kienfackel an und hielt sie hoch. Der andere beugte sich über einen der Toten und hob einige lange Pfeile auf, die neben diesem lagen. Adlerauge wartete, bis die Kanus außer Sichtweite waren, dann stieß er Haifischzahn mit dem Ellbogen an.
„Ziel auf den mit der Fackel!" flüsterte er. „Ich nehme mir den anderen vor."