Ein ganzer Chor wütender Zurufe ertönte aus dem Kreis der Männer. Aber diesmal stimmte es, was Fledermaus sagte. Die ganzen Berichte von dem Kriegsgott, seinem Bogen und seinen Pfeilen waren von den Medizinmännern erfunden worden, um die übrigen Stammesmitglieder dadurch einzuschüchtern und gefügig zu machen, aber im Lauf der Zeit war daraus etwas entstanden, woran fast kein Karibenkrieger zweifelte.

So etwas konnte man nun nicht so ohne weiteres als Unwahrheit abtun, und das hätte wohl auch Fledermaus erkannt, wäre er nicht von einer so furchtbaren Wut gegen den Schwarzen Habicht erfüllt gewesen.

Der Medizinmann hatte kaum Freunde. Außerdem waren die Männer erregt, und es ist oft nur ein kurzer Schritt von der Furcht zum Jähzorn.

„Schweig, elender Greis!" schrie ein Krieger.

„Beleidige den Kriegsgott nicht!" rief ein anderer.

Ein dritter sagte gar nichts, sondern nahm nur seinen Streitkolben mit den eingesetzten Haifischzähnen vom Boden auf und ging auf Fledermaus zu.

Die anderen Medizinmänner hatten bereits erkannt, daß ihnen Gefahr drohte, und waren von dem Ratsplatz verschwunden.

Fledermaus begriff, daß er schnell handeln mußte.

Mit erzwungener Ruhe stellte er sich zwischen die beiden Feuer, breitete die Arme aus und legte den Kopf zurück, als lausche er.

„Hört mich, Häuptlinge und Krieger!" rief er. „Eben jetzt höre ich den Kriegsgott reden. Er spricht zu seinem getreuen Volk durch seinen Diener Fledermaus. Er sagt, ihr hättet die Botschaft der Pfeile falsch verstanden. Es ist sein Wille, daß ihr die Arowaken schon morgen angreift, kurz vor Morgengrauen."

Der Kreis der empörten Krieger beruhigte sich und begann zuzuhören. Fledermaus verharrte eine halbe Minute in Schweigen, und dann fuhr er fort: „Jetzt sagt der Kriegsgott, wie ihr vorgehen sollt. Zuerst sollen sechs Kanus vom Meer aus angreifen und alle Verteidiger an den Strand locken. Unterdessen sollen die übrigen Krieger am Waldrand entlanggehen, ein Stück diesseits des Lagers in den Wald hinein abbiegen und ..."

Fledermaus verstummte jäh. Wieder fuhr ein scharfes Pfeifen durch die Luft, wieder kam von dem seltsamen Kanu ein weißer Pfeil angeflogen. Aber diesmal fuhr er nicht in den Erdboden.

Er traf den Medizinmann mitten in die Brust. Fledermaus stieß einen kurzen Schrei aus und fiel wie vom Blitz getroffen zu Boden.

Um die Feuer wurde es so still, daß man ein welkes Blatt hätte fallen hören. Die Krieger standen ratlos da und starrten entsetzt auf Fledermaus.

„Der Kriegsgott hat so gesprochen, daß ihn alle verstehen müssen", sagte endlich Schwarzer Habicht. „Nun wissen wir, was er will, und wir haben nichts anderes zu tun, als ihm zu gehorchen. Keiner rühre Fledermaus an! Es ist nicht gut, einem Menschen nahe zu kommen, den der Zorn der Götter geschlagen hat."

Damit hob er seinen Bogen, seine Pfeile und seine Kriegskeule vom Boden auf, trat an das nächste Feuer und steckte die Waffen zwischen die brennenden Zweige.

Ein Krieger nach dem anderen folgte seinem Beispiel. Dann gingen sie auseinander und begaben sich langsam und mit gesenkten Köpfen in ihre Hütten. Einer von ihnen nahm einen brennenden Zweig aus dem Feuer und schleuderte ihn auf das Dach der Hütte, in der Fledermaus gewohnt hatte.

Das dürre Palmenblätterdach flammte auf, und eine Minute später stürzten drei oder vier Gestalten heraus und stoben nach dem Wald davon.

Es waren die Zauberer, die den Stamm verließen.

Einige Krieger warfen ihnen Steine hinterher, aber die meisten blickten nur gleichgültig zu Boden.

Sie bemerkten nicht einmal, wie das Kanu des Kriegsgottes langsam wieder aufs Meer hinauszutreiben begann, der Flut und den Wellen direkt entgegen. Und wenn es einige von ihnen dennoch sahen, so waren sie doch viel zu niedergeschlagen und bedrückt, als daß sie sich tiefere Gedanken darüber machen konnten.

Sobald sich das geheimnisvolle Kanu weit genug aus dem Lichtkreis entfernt hatte, hielt es wieder. Zwei junge Männer kletterten über Bord, nahmen die Paddel vom Boden auf und begannen aufs Meer hinauszufahren.

Ein dritter erhob sich von einem Lager und zog die Füße aus einem doppelten Futteral von hartem dunklem Holz.

„Der letzte war ein richtiger Meisterschuß, Häuptling", sagte Adlerauge voll Bewunderung.

„Es war vor allem großes Glück, daß es gelang", erwiderte Sägefisch. „Nach den ersten beiden Schüssen kannte ich ja die Entfernung, und wir hatten direkten und gleichmäßigen Rückenwind, daher war es gar nicht so schwer, wie ich es mir vorstellte. Die Hauptsache war, daß ihr beide das Kanu ruhig hieltet, während ich zielte, und daß euch kein Barracuda in die Beine biß. Seht, da drüben sind unsere Kameraden."

Acht große Kanus schaukelten in der Dünung vor der Flußmündung, in ziemlicher Entfernung vom Strand. Man mußte schon ganz in ihrer Nähe sein, um sie sehen zu können, denn der Mond befand sich noch hinter einer niedrigen Wolkenbank auf der Landseite.

Die drei paddelten an das größte Kanu heran. Am hinteren Ende des Fahrzeugs erhob sich eine dunkle Gestalt.

„Sollen wir jetzt angreifen?" fragte Puma flüsternd.

„Es ist wohl besser, wir lassen es", erwiderte Sägefisch. „Die Kariben haben im Augenblick anderes zu bedenken, als einen Angriff vorzubereiten, und ich bin sicher, de beschließen, sich aus dieser Gegend zu verziehen, sobald es tagt — wenn wir de nur in Ruhe lassen. Wenn wir sie in dieser Nacht jedoch angreifen, müssen sie sich verteidigen, und da weiß man nie, wie es ausgeht."

„Bist du sicher, daß sie uns künftig in Ruhe lassen?"

„Haifischzahn!" sagte Sägefisch. „Wenn du ein Karibe wärst und wenn der Kriegsgott soeben drei Pfeile in dein Lager geschossen hätte — würdest du dann einen Kriegszug unternehmen?"

„Ebenso gern würde ich dann unbewaffnet einer Jaguarmutter mit Jungen entgegentreten !" antwortete der Halbkaribe. „Wo sind denn die Pfeile eingeschlagen?"

„Zwei fielen zwischen die Feuer. Der dritte traf den Medizinmann." „Ist er tot?"

„Ja."

„Und was haben die Kariben dann getan?"

„Es sah aus, als ob sie ihre Waffen in die Feuer warfen." Haifischzahn nickte kurz und schwieg eine Zeitlang.

„Wollen wir nun heimfahren?" fragte er dann. „Mit den Kariben wird es so lange keinen Krieg mehr geben, wie jene Häuptlinge am Leben sind."

Sägefisch überlegte einige Minuten.

„Haifischzahn hat wahrscheinlich recht", sagte er dann, „aber es ist wohl das beste, wenn wir uns vorsichtig verhalten."

„Was sollten wir deiner Meinung nach tun, mein Bruder?" fragte Puma.

„Wir werden ein Stück zurückfahren und uns in einer Flußmündung verbergen. Der Großen Schildkröte senden wir eine Botschaft, daß er und seine Krieger sich dem Dorf fernhalten sollen. Sie können ihr Lager weiter hinten an einer der Pflanzungen aufschlagen, sie sollen jedoch darauf achten, daß sie niemand sieht. Dann lassen wir einige Späher auf hohe Bäume klettern und Ausschau halten, ob sich die Kariben wirklich davonmachen. Bleiben sie hier, dann können wir sie ja morgen in der Nacht angreifen.”

„Sie werden nicht hierbleiben", sagte Haiflschzahn.

In der Morgendämmerung meldeten die Späher, in dem Dorf am Reiherfluß seien weder Rauch noch andere Lebenszeichen zu bemerken. Adlerauge nahm ein Dutzend der besten Bogenschützen mit und schlich sich vorsichtig an das Dorf heran. Noch ehe sie den halben Weg hinter sich hatten, stießen sie auf eine Schar unbewaffneter Männer, Frauen und Kinder. Es waren Arowaken, ehemalige Sklaven der Kariben.

„Die Kariben sagten, wir wären frei und könnten gehen, wohin wir wollten", erklärte einer der Männer. „Sie sind gleich nach Mitternacht in ihren großen Kanus davongefahren. Sie sagten, die Arowaken würden künftig Ruhe vor ihnen haben, sie gedächten weit, weit wegzufahren, viele Mondzeiten weit, und nie zurückzukehren."

Er zeigte hinaus aufs Meer. Dort waren die letzten Karibenboote als kleine schwarze Punkte zu sehen.

Das war das letzte, was die Arowaken an der großen Meeresbucht für viele, viele Jahre von ihren Feinden sahen.

Sie bauten ihre Dörfer rasch wieder auf und legten neue, größere Pflanzungen in den Uferwäldern an.

In ihrer schönsten Medizinhütte verwahrten sie den Bogen des Kriegsgottes. Zwei der geschicktesten Weberinnen des Stammes fertigten ein schönes Futteral dafür an, und er wurde in Ehren gehalten, weil er dem Volk zum Frieden verholfen hatte.

Adlerauge, Grauer Reiher, Feuersteinherz und Haifischzahn wurden zu Häuptlingen ernannt. Einige Jahre später teilte sich der Stamm, und die einzelnen Gruppen ließen sich an verschiedenen Stellen nieder.

Haifischzahn und seine kleine Gruppe fühlten sich draußen im Meer am wohlsten, deshalb fuhren sie auf die Inseln hinaus und wurden dort seßhaft. Aber die Inseln waren nicht groß genug, um viel darauf anzubauen; daher lebten die Bewohner größtenteils vom Fischfang. Später kehrte eine Anzahl von ihnen in Sägefischs größtes Dorf zurück, das ein Stück landeinwärts in der Nähe der großen Seen angelegt worden war. Dort wohnen sie noch heute.

Adlerauge, Grauer Reiher und Feuersteinherz nahmen einen Teil des Stammes mit sich und fuhren den großen Fluß hinauf. Man gab ihnen den heiligen Bogen mit, und dieser wurde schließlich in einem steinernen Tempel auf dem Berg der Gewittergöttin aufgehängt.

Wie der Bogen des Kriegsgottes jedoch dorthin gelangte und wie es kam, daß Adlerauge dem Volk, das Hügel baute, dem Volk, das auf Bäumen wohnte und dem Volk der Boaschlange sowie der Priesterin Pacurtú-né begegnete und wie er mit dem Ungeheuer Nusi kämpfte das ist eine andere Geschichte.


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