Nachschrift

Die Handlung dieses Buches spielt einige Jahre vor der ersten Reise des Kolumbus — in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Das Gebiet, das darin geschildert wird, liegt an der Nordküste der Republik Kolumbia, und zwar zwischen der Stadt Cartagena und der Mündung des Flusses Sinú. Die große Meeresbucht heißt jetzt Golf von Morrosquillo, der von mir genannte „Reiherfluß" ist der Strom Pechilin, und heute befindet sich dort das Dorf Tolú, wo einst die alte Wohnstätte der Bocanás war.

Die „Flache Landzunge" ist das Cabo San Bernardo, und die Inseln, zu denen die Bocanás ihre Zuflucht nahmen, gehören zu der San-Bernardo-Gruppe.

Eben in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts fanden unter den Indianerstämmen an der Küste des nördlichen Südamerikas und draußen auf den Antillen gewisse Umgruppierungen statt. Die Karibenindianer, die offenbar aus dem heutigen Venezuela und Guyana kamen, drangen an der Küste entlang von Insel zu Insel vor. Zu der Zeit vor der ersten Reise des Kolumbus hatten sie bereits Puerto Rico bevölkert, waren jedoch noch nicht über die Meerenge nach Haiti vorgedrungen.

Viele der Völker, die sich langsam vor den Kariben zurückzogen, wurden Arowaken genannt. Eine Anzahl heutiger Forscher erhebt Einspruch gegen diesen Namen; sie halten ihn aus gewissen Gründen für nicht zutreffend. Ob man die Bocaná-Indianer wirklich Arowaken nennen kann, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen; sie scheinen jedenfalls dem Kulturkreis angehört zu haben, den man gewöhnlich mit diesem Namen bezeichnet und zu dem vermutlich auch die Ahnen der Goajira-Indianer gehörten, ehe sie ein Hirtenvolk wurden. Die Gegend um den Golf von Morrosquillo und den Unterlauf des Flusses Sinü war offenbar eine Art Mittelpunkt und Versammlungsplatz verschiedener Indianervölker. Ausgrabungen, die von dem hervorragenden Archäologen und bekannten Erforscher der Indianer Kolumbiens, Professor Gerard Reichel-Dolmatoff, vorgenommen wurden, zeigten, daß sich in der Gegend um Tolúviejo und um das Dorf Las Piedras nicht weniger als drei Kulturen begegnet sind — nur etwa zwanzig bis dreißig Kilometer von dem heutigen Dorf Tolú entfernt. Eine Stelle in der Nähe des Momil-Sees und nahe am Unterlauf des Sinú ist, wie die Ausgrabungen zeigen, dreitausend Jahre lang so gut wie ohne Unterbrechung besiedelt gewesen. Das dürfte die längste ununterbrochene Kulturperiode sein, die man gegenwärtig in diesem Teil Südamerikas kennt. Dort kann man beobachten, wie neue Kulturelemente hinzugekommen sind, wie ein Stamm von Maniokbauern den Anbau von Mais lernte, wie man neue Geräte anzuwenden begann und so weiter.

Ich schulde Professor Reichel-Dolmatoff Dank für viele Hinweise und dafür, daß er mir großzügig Einblick in sein ungemein reichhaltiges Material gestattete und mich an mehreren seiner Forschungsreisen teilnehmen ließ, unter anderen an den Betanci-See und an den oberen Sinú. Ich muß jedoch darauf hinweisen, daß ich keinerlei Anspruch auf ethnologisches, archäologisches und ethnographisches Fachwissen erhebe und daß Fachspezialisten manches finden können, was einer Berichtigung bedarf. Einem intensiv arbeitenden Zoologen bleibt leider nicht viel Zeit für eingehendere Studien auf anderen Wissensgebieten.

Was die natürliche Umgebung angeht, besonders die Tier- und Pflanzenwelt, so mag vielleicht der Hinweis genügen, daß ich als Naturforscher insgesamt fünfzehneinhalb Jahre in diesen und den angrenzenden Gebieten tätig gewesen bin, hauptsächlich in den heutigen Departements Bolivar und Cordoba.

Was die Schilderung der Indianer und ihres täglichen Lebens betrifft, so sind meine Quellen zum großen Teil die noch heute lebenden Indianerstämme gewesen, die die wesentlichen Dinge ihrer ursprünglichen Kultur beibehalten haben. Kurz vor dem zweiten Weltkriege lebte ich zwei Jahre hintereinander als Mitglied eines Stammes der Choc6-Indianer in der Gegend um die Quellgebiete des Rio Tarazá und des Rio San Jorge, und danach habe ich verschiedentlich kürzere Perioden — von ein paar Wochen bis zu mehreren Monaten — unter den Engverá- und Tuchin-Indianern gelebt. Kontakte mit anderen Stämmen haben dabei nicht gefehlt.

Sicher ist das, was ich geschrieben habe, in hohem Grade von den eigenen Erlebnissen unter meinen indianischen Freunden geprägt und bessere Freunde als die freien Waldindianer kann man lange suchen.

Wenn die Indianer nach der Arbeit des Tages am Feuer sitzen — insbesondere in den Jagd- und Fischlagern während der Streifzüge in der Trockenzeit —, geschieht es oft, daß einer von den Älteren Geschichten und alte Sagen erzählt. Da sie nicht schreiben können, müssen sie dieses Verfahren anwenden, um den Sagenschatz einer Gruppe der ja ihre Literatur ist — durch die Jahrhunderte am Leben zu erhalten.

Wenn ein neues Stammesglied geweiht wird oder gerade die Proben für die Weihe abgelegt hat, muß ihm entweder sein Vater (oder bei einer Anzahl von Stämmen sein Onkel mütterlicherseits) oder einer von den „weisen Männern" des Stammes Unterricht in den Dingen erteilen, die ein Indianer wissen muß.

Nachdem ich sozusagen zum Choc6-Indianer „ernannt" worden war, wurden der Medizinmann Mari-gamá und sein Sohn Hai-námbi von der Boaschlangengruppe, später Do-chamá von der Eichhörnchengruppe und der Medizinmann Du-lá von der Eisvogelgruppe meine Lehrer. Vieles habe ich ihnen zu verdanken. Auch viele andere haben Sagen und Legenden erzählt. Ein Motiv, das zuweilen in diesen

Sagen auftaucht, ist der „Bogen der Macht", der in dieser Erzählung zum Bogen des Kriegsgottes Keb geworden ist. Ich hörte sie

von Du-lá erzählen, als wir eines Tages an einem kleinen Waldfluß mit Pfeil und Bogen Fische jagten. Hai-námbi, der mein „Geistesbruder" war, erzählte die Sagen von Carrauta — über die

ich in meinem nächsten Buch schreiben werde —, als wir die ganze Nacht hindurch in unserem Jagdlager oben an den Ausläufern der Westanden saßen und das Fleisch eines eben geschossenen Bären räucherten.

Wenn auch vieles in diesem Buch in der Wirklichkeit verankert ist, so beruht natürlich mancherlei auf Vermutungen. Die Personen sind mehr oder weniger nach Indianern gestaltet, die ich gekannt habe und mit denen ich befreundet war.

Als Junge las ich mit Begeisterung die Indianerbücher Coopers und anderer Verfasser. Sie waren schön, ich habe sie immer wieder gelesen. Vielleicht war das Schöne an ihnen, daß die Schreiber mit den Dingen vertraut waren, die sie schilderten. Dann kamen andere, denen ich keine Freude abgewinnen konnte, weil mir in ihren Büchern alles unwirklich vorkam. Es schienen Leute zu sein, die nie an einem Lagerfeuer im Walde oder in der Savanne gesessen, nie eine Spur in unbekanntem Gelände verfolgt und nie gefühlt hatten, wie sehr es von ihren Eigenschaften als Jäger oder Fischer abhing, ob sie heute essen oder hungrig herumlaufen würden. So entschloß ich mich schließlich, den Versuch zu unternehmen, ein Buch über die freien Indianer in ihrer natürlichen Umgebung zu schreiben, und so entstand „Adlerauge und der Bogen des Kriegsgottes". Wenn junge Menschen Freude daran finden, dann ist dies reicher Lohn für meine Mühe.

Georg Dahl


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