Die Arowaken wohnten nun schon fast vier Wochen auf der kleinen Insel im Korallenmeer.
Irgendwelche feindliche Kanus hatten sie nicht gesehen. Das Wetter war die ganze Zeit schön gewesen, und der Fischfang hatte sich recht gut für sie angelassen, aber trotzdem waren sie mit ihrem Dasein nicht recht zufrieden.
Alle hatten ihre mitgebrachten Feldfrüchte bereits in den ersten Tagen aufgebraucht, noch ehe sie richtig dazu gekommen waren, sich ihre Nahrung aus dem Meer zu beschaffen. Es wäre auch sinnlos gewesen und hätte nichts genützt, wenn sie versucht hätten, sparsam mit den Vorräten umzugehen. Maniokwurzeln und Süßkartoffeln halten sich nicht lange.
Das einzige, was sie von den mitgebrachten Lebensmitteln noch besaßen, war etwas Mais, den man zu einer Art grobem Mehl zerstoßen und dann geröstet hatte. Er wurde in Beuteln aufbewahrt, die man in den Rauch der Kochfeuer hängte.
Dieser Mais war der Notproviant, den man nicht anrühren durfte, solange es etwas anderes zu essen gab.
Die Indianer waren gewohnt gewesen, fast jeden Tag Maissuppe, Casabekuchen und geröstete Bataten zu essen, ganz zu schweigen von dem Salat aus Iraca-Schößlingen und verschiedenen Arten von Bohnen, kleinen gelben Tomaten und saftigen Früchten.
All dies mußten sie jetzt entbehren. Die einzigen eßbaren Früchte, die es auf den Inseln gab, waren die runden schwarzen Beeren der Strandtraubenbüsche, und die waren nur gut für den Durst, den Magen füllten sie nicht.
Daher war es gar nicht so verwunderlich, daß die Arowaken manchmal mürrisch waren und meinten, das Essen sei zu einförmig.
„Brrrl" machte Lange Lanze, als er in ein und derselben Woche zum fünftenmal Seebarsch zum Frühstück bekam. „Fische und Muscheln und Muscheln und Fische, niemals etwas anderes! Wenn man doch bloß mal ein richtiges Stück fetten, saftigen Hirschbraten und eine große Schüssel Maisbrei oder frisch gekochte Bohnen essen könnte!" Seine Frau dachte sicher genau wie er, aber sie ärgerte sich doch so sehr, daß sie fast weinte.
„Das mußt du dem sagen, der das Essen heimbringt!" entgegnete sie zornig. „Warum paddelst du nicht hinüber zum Festland und holst ein paar Körbe Mais und Wurzelknollen von unseren Feldern? Und wenn es nur das Essen wäre, dann wollte ich noch nicht einmal etwas sagen. Aber auf diesem elenden kleinen Inselflecken gibt es ja auch keine Baumwollsträucher, so daß ich weder spinnen noch weben kann, keine Agaven, um Gürtel davon zu machen, und kein Sumpfgras mit starken Fasern. Wenn wir lange hierbleiben, werden wir am Ende alle nackt herumlaufen wie diese widerlichen Kariben, die mehr Kobolde als Menschen sind. Und dann werden wir mit der Zeit wohl auch Menschenfresser — wenigstens einige von uns. Das würde dir wohl passen, du widerliches, gefräßiges Untier!"
Lange Lanze hütete sich, ihr zu antworten. Er wußte aus langer Erfahrung, daß es keinen Zweck hatte, verständig mit Kaurischnecke zu reden, wenn sie so gelaunt war. Er mußte warten und versuchen, sie auf andere Weise wieder zu besänftigen.
Am selben Abend fuhren er, Fregattvogel und Habichtfeder mit einigen von den Jungen nach der größeren Insel hinüber und legten sich im Ufergebüsch auf die Lauer. Sie wurden von den Mücken und den kleinen Sandfliegen grausam gebissen und zerstochen und mußten doch geduldig warten; aber als der Vollmond seinen höchsten Stand am Himmel erreicht hatte, wurde ihre Geduld belohnt.
Eine große grüne Suppenschildkröte krabbelte auf eine lange Sandbank, um dort ihre Eier zu legen.
Als die Indianer aus dem Gebüsch stürzten und ihr den Rückweg zum Wasser verlegten, zog die Schildkröte nur Kopf und Beine in ihren Panzer zurück, so weit sie konnte. Das war ihre Art, Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen; aber diesmal war es vergebens.
Die Indianer schoben zwei dicke Hebelstangen zwischen ihren Bauchpanzer und den Erdboden und wälzten sie auf den Rücken. Da lag sie, griff mit den Schwimmbeinen plump in die Luft und war völlig hilflos. Diesen Trick kann man nicht bei allen Schildkröten anwenden, denn manche Arten können sich wieder in die richtige Lage bringen, aber bei der großen Suppenschildkröte macht er sich gut.
Alle im Lager aßen Schildkrötensuppe, Schildkrötenbraten und Schildkröteneier, die man in der heißen Asche gebraten hatte. Der Schmaus dauerte zwei Tage, dann galt es wieder mit Fischen und Muscheln vorliebzunehmen.
Es war übrigens ganz gut, daß die Schildkröte so rasch aufgezehrt wurde, denn von allen Gerichten ist Schildkröte wohl dasjenige, das man am schnellsten überbekommt, wenn man nichts anderes zur Abwechslung hat.
Die Bocaná-Arowaken waren sicher eins von den friedlichsten Völkern, die man sich nur denken kann; aber das einförmige Essen begann sich bei den meisten allmählich bedrückend auf die Stimmung auszuwirken.
Eines schönen Tages wurden ihre Gedanken jedoch auf etwas anderes gelenkt.
Einige von den Frauen waren wie gewöhnlich ins Meer hineingewatet, um große Strombus-Schnecken und Muscheln vom Meeresboden aufzusammeln. Davon gab es jetzt nicht mehr soviel wie vor einigen Wochen. Die Frauen mußten deshalb etwas weiter vom Ufer weggehen, um die größten und besten zu finden. Sie mußten sich nur davor hüten, auf einen der schwarzen Seeigel zu treten, die hier und da in großen Haufen lagen und ihre langen, nadelspitzen, giftigen Stacheln nach allen Seiten spreizten. Es schmerzt kaum etwas so sehr wie ein Stich von einem Seeigelstachel.
Strandlilie, Kaurischnecke und zwei weitere Frauen waren gerade dabei, eine Anzahl großer Schnecken an einer Stelle heraufzuholen, wo das Wasser ungefähr einen Meter tief war. Das bedeutete, daß sie jedesmal richtig untertauchen mußten, da sie ja nicht besonders groß waren.
Zuweilen bekam eine von ihnen das Übergewicht, wenn sie eine Schnecke vom Meeresboden heraufholen wollte, und kam mit den Beinen nach oben. Das machte ihnen jedoch nicht das geringste aus,• denn sie alle konnten schwimmen wie Ottern.
Sie lachten bloß über ihre nassen Purzelbäume und rangen das Meerwasser aus ihrem langen schwarzen Haar.
Da sah die Schwägerin des Häuptlings, Lachauge, einige besonders große und schöne Schnecken, die im tieferen Wasser lagen. Die wollte sie natürlich gern haben, um diese dann oben auf die anderen im Korb legen zu können.
Lachauge stieß sich mit den Beinen ab und tauchte weit hinaus.
Durch das kristallklare Wasser konnten die anderen Frauen sehen, wie sie mit jeder Hand eine riesengroße Schnecke packte.
Im selben Augenblick stieß Strandlilie einen lauten Schrei aus: „Barracuda!"
Ein langer, schmaler Fisch kam aus dem tieferen Wasser herangeschossen, geradewegs auf die tauchende Frau zu. Alle sahen, daß es ein Barracuda war, einer von den großen Pfeilhechten mit den dunklen Querstreifen, die wohl die gefräßigsten und raubgierigsten aller Fische des Meeres sind.
Ein ausgewachsener Barracuda kann dem Menschen ebenso gefährlich werden wie ein Hai, und dieser war wenigstens zwei Meter lang. Die Frauen schrien aus Leibeskräften und schlugen mit den Handflächen auf die Wasseroberfläche, daß es klatschte, um den Raubfisch zu vertreiben. Aber der Barracuda ist nicht feige und nicht so leicht zu erschrecken wie die meisten Haie. Er ließ sich nicht verjagen, sondern machte eine jähe Wendung und grub seine langen, scharfen Zähne in das eine Bein der Tauchenden.
Mehrere Männer hatten das Schreien gehört und kamen mit erhobenen Harpunen angerannt. Einer von ihnen stürzte sich ins Wasser und bekam das Mädchen am Arm zu fassen, als dieses in einem Strudel blutigen Schaums an die Oberfläche kam.
Der Barracuda riß und zerrte an seinem armen Opfer wie ein ausgehungerter Wolf.
Mit vereinten Kräften gelang es zwei Männern, die Verletzte in flacheres Wasser zu ziehen. Erst dann ließ sie der große Raubfisch los und schwamm ins tiefe Wasser hinaus.
Steinmesser und Habichtfeder schleuderten ihm ihre Harpunen nach, aber sie trafen ihn nicht.
Lachauge war sehr böse zerbissen. Sie hatte mehr als zwanzig tiefe Wunden, die ihr die furchtbaren wie derbe Nägel aussehenden Hauzähne geschlagen hatten. Aus der einen Wade war ein großes Stück Fleisch herausgerissen.
Der Medizinmann lief so schnell herbei, wie ihn seine alten Beine trugen, murmelte Beschwörungen und legte Verbände von Heilkräutern auf die Wunden. Schließlich gelang es ihm, das Blut zu stillen; aber die arme Lachauge kam bei diesem Abenteuer nur mit knapper Not mit dem Leben davon.
Aber damit nicht genug.
Als einige Frauen und zwei Männer am nächsten Morgen hinaus-wateten, um Schnecken zum Frühstück zu holen, kam der Barracuda wie ein Speer angeschossen, noch ehe sie eine Tiefe von einem Meter erreicht hatten.
Glücklicherweise erblickten sie ihn rechtzeitig, so daß sie sich auf eine Sandbank retten konnten; aber das Untier wollte sich nach seinem mißglückten Überfall nicht davonmachen. Die Indianer sahen, wie der Barracuda im tieferen Wasser hin und her schwamm, als warte er nur auf eine neue Gelegenheit.