Entwurf eines Theaterstücks:
Thema: Es geht um die Ernsthaftigkeit im Gegensatz zur Leichtfertigkeit. Leichtfertigkeit bedeutet Entleerung, Verlust des Sinns, Zerfall des Glaubens, des Glaubens überhaupt, und Dahinleben, dem bloßen äußeren Zwang folgend, ohne Überzeugung und ohne wirkliche Hoffnung. Dies spiegelt sich in den Charakteren als Auflösung und Passivität wider, und das Heldentum wird zur Farce. Gut und schlecht werden nicht mehr unterschieden. Und wenn man etwas tut, falls überhaupt, dann tut man es aus Selbstsucht, Feigheit oder aus Opportunismus. Die Werte sterben ab, die Kultur geht unter. Unter anderem soll in dieser Phase der Arbeit das Problem der verrotteten Gläubigen untersucht werden. Es fehlt ihnen nicht an Glauben, aber im praktischen Leben gehen sie den Weg der Maßlosigkeit. Wie ist das zu verstehen? Handelt es sich um einen falschen Glauben, bloße Routine ohne Wurzeln, in dessen Schutz der schlimmste Opportunismus gedeiht und die übelsten Geschäfte gemacht werden? Es ist zu erforschen, ob dieses Phänomen für das Stück nutzbar gemacht werden kann oder erst bei einer späteren Gelegenheit. Ernsthaftigkeit andererseits bedeutet Glauben, aber woran? Es genügt durchaus nicht, zu wissen, woran man glauben muß. Was zählt, ist vielmehr, daß unser Glaube die Wahrhaftigkeit des religiösen Glaubens hat und daß er die wunderwirkende Kraft besitzt, die das Heldentum erzeugt, sonst wäre er lediglich eine andere Art der Leichtfertigkeit, nur mit einem Anstrich der Ernsthaftigkeit. Dies alles muß durch die gesamte Konstellation und durch das Geschehen sichtbar gemacht werden. Ob man an den Menschen oder an die Wissenschaft oder an beides glaubt, ist dabei gleich. Um den Sachverhalt zu vereinfachen, sage ich, daß der Mensch einst durch die Leere zum Glauben kam. Heute steht er wieder davor. Wie kann er zum Glauben kommen? Es ist nichts davon zu erhoffen, daß man den Menschen mit einer anderen Sprache als der seinen anspricht. Wir haben eine neue Sprache gefunden, die der Wissenschaft, und nur mit ihr allein können wir die kleinen und die großen Wahrheiten bestätigen. Es sind Wahrheiten, die die Religion in der alten Sprache des Menschen formuliert hat. Es ist erforderlich, daß sie mit gleichem Nachdruck bestätigt werden, aber in der neuen Sprache.
Nehmen wir uns die Wissenschaftler zum Vorbild; es scheint, daß sie nie der Sittenlosigkeit verfallen. Warum? Vielleicht, weil sie keine Zeit dazu haben. Vielleicht, weil sie ein beständiges Verhältnis zur Wahrheit haben, sie verlassen sich auf ihren glücklichen methodischen Ansatz. Und so zweifeln sie nicht an der Wahrheit und verzweifeln nicht. Ein Wissenschaftler kann zwanzig Jahre damit zubringen, eine Gleichung zu lösen; diese Gleichung wird erneut Interesse finden und kann erneut Lebensläufe bestimmen. Damit werden feste Schritte auf dem Weg der Wahrheit getan. Die Wissenschaftler leben in einer Atmosphäre des Fortschritts und des Erfolgs. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, nach dem Woher, Wohin, Wozu des Lebens und seiner Bedeutung zu fragen. Die richtige Wissenschaft erzeugt eine neue Moral in einer Zeit der Unmoral. Sie ist beispielhaft in der Liebe zur Wahrheit, in der Unparteilichkeit des Urteils, in der Hingabe an die Arbeit und in der natürlichen Bereitschaft zu einer alles Menschliche umfassenden Sicht. Ob es auch auf der lokalen Ebene möglich ist, daß das wissenschaftliche Ethos den Opportunismus aus dem Herzen der jungen Generation verdrängt? Wie auch immer, ich sollte mir jetzt nicht über die Idee des Stücks den Kopf zerbrechen, ich werde darauf zurückkommen, wenn ich die nötigen Materialien für die Arbeit zusammengestellt habe.
Mir scheint, daß die Handlung auf folgende Weise verlaufen sollte. Ein Mädchen dringt in eine Männerclique ein, um sie zu verändern. Sie muß dabei auf kunstvolle Weise gewinnend sein, sonst verliert das Stück seine Bedeutung. Eine ernsthafte Frau und leichtfertige Männer. Es muß eine Liebesgeschichte darin vorkommen, und es wäre tatsächlich interessant, wenn alle von der Liebe zu ihr ergriffen würden. Sie hat einen zu wählen, oder sie verliebt sich, ohne es recht zu wissen, in einen, und damit ergibt sich die Möglichkeit eines Konflikts zwischen der Ernsthaftigkeit, der Liebe und dem Leichtsinn. Die Situation muß sich zuspitzen, damit das Stück nicht fade wird. Aber wird es wie eine Liebesgeschichte auf der Ebene einer geistigen Auseinandersetzung verlaufen? Bleibt es auf Diskussion und Schwärmereien beschränkt? Wie und wann vollzieht sich die Wende auf eine künstlerisch überzeugende Weise? Vollzieht sich die Wende auf intellektueller oder emotionaler Basis? Mir fehlt etwas Wesentliches. Aber was ist es? Auf welche Weise werden leichtfertige Leute zum Glauben geführt? Und wie umfassend wird dieser Glaube sein? Wird er ausreichen zur Bewältigung der sozialen Situation? Ich meine, reicht er, um Heldentum hervorzubringen?
Jedenfalls bin ich mir nun im klaren über die Gedanken, die ich noch präzisieren und verdeutlichen muß, um daraus die treibende Kraft des Stücks zu machen. Es wäre ratsam, meine grundsätzlichen Kenntnisse und Ideen über die Hauptpersonen — vorläufig unter ihren richtigen Namen — aufzuschreiben. Vielleicht finde ich dadurch einen Ausweg aus meinen Unklarheiten, denn es ist wahrscheinlich, daß die Handlung sich auf natürliche Weise fortentwickelt, wenn die Hauptmerkmale der Charaktere sich deutlich abzeichnen. Die Charaktere des Stücks:
Ahmad Nasr: Ein fleißiger Beamter, wie man sagt, mit ungewöhnlicher Erfahrung im praktischen und alltäglichen Leben. Er führt eine glückliche Ehe und hat eine halbwüchsige Tochter. Er ist gläubig, aber aus Gewohnheit, wie mir scheint. Alles in allem ein gewöhnlicher Typ, und ich weiß nicht, welche Rolle er im Stück spielen könnte. Und noch eine wichtige Frage: Warum ist er der Haschischpfeife ergeben? Lassen wir beiseite, was allgemein über sexuelle Motive geredet wird. Gibt es etwas, wovor er flieht? Auf alle Fälle muß man ihn neu gestalten, und zwar als einen Menschen, der in seinem Innersten sich dagegen wehrt, durch Beruf und Familie aufgezehrt zu werden. Irgendwie fühlt er, daß er verantwortlich sein sollte für das, was um ihn herum vorgeht. Weil er gläubig ist, ist er von allen am ausgeglichensten, aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb bekümmert es ihn, daß er ein Nichts ist. Wir können seine Beschäftigung mit den kleinen Sorgen genauso wie seine Sucht als ein Ausweichen vor dem ihn verfolgenden Gefühl der Bedeutungslosigkeit ansehen. Im Stück wird er sein verborgenes Unglück ohne ein Bewußtsein davon ertragen. Nach außen bleibt er der ausgeglichene, gläubige, fest im Leben stehende Mann, bis ihm die Heldin sein wahres Selbst entdeckt, vielleicht im Verlauf seiner Liebe zu ihr.
Mustafa Raschid: Rechtsanwalt. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß er im Stück diesen Beruf behält, seiner Redegabe wegen. Er ist ironisch und geistreich, mit einer Frau verheiratet, die er nicht liebt; und vielleicht hat er sie ihres Einkommens wegen genommen. Er behauptet, daß er noch immer nicht sein weibliches Ideal gefunden habe. Aber ein Mann in diesem Hausboot — das muß gesagt werden —, der nicht der Liebe nachjagt, muß ein absonderlicher Mensch sein.
Er birgt ohne Zweifel ein tiefes Geheimnis. Vielleicht ist es die Sucht. Er ist sich seiner Hohlheit vollkommen bewußt und findet seine Zuflucht bei der Haschischpfeife und dem Absoluten. Offenbar merkt er nicht, wie er sich selbst betrügt, denn er sucht nach dem Absoluten, aber planlos und ohne wirkliche Anstrengung, er verläßt sich nur auf die Halluzinationen im Rauschzustand. Die Suche nach dem Absoluten scheint nichts anderes als eine bloße Rechtfertigung für seine Sucht zu sein. Aber sie verleiht ihm ein erhabenes Gefühl in seiner tatsächlichen Hohlheit. Er gleicht vielen anderen, die ich bei irgendwelchen Veranstaltungen treffe, er hat ein einnehmendes Äußeres, aber im Inneren riecht es faul und schlecht.
Ali as-Sayyid: Ursprünglich Azharit[11], studierte später an der philosophischen Fakultät. Englisch hat er an der Berlitz School fließend gelernt. Er ist ein Streber, und er ist sich über seine nächsten Ziele im klaren. Er hat zwei Frauen, die alte vom Lande und die neue aus Kairo, aber auch eine Hausfrau, eine gewöhnliche Frau, die seine patriarchalischen Bedürfnisse nach Herrschaft befriedigt. Er preist sein großes Herz, weil er seine erste Frau nicht verstieß, aber er ist ein Schwein, wie seine sonderbare Beziehung zu Saniya Kamil beweist. Als Kunstkritiker ist er ein großer Schuft, der seine ästhetischen Maßstäbe nach dem materiellen Vorteil ausrichtet. Er sagt seine wahre Meinung lediglich dann, wenn er mit etwas anderem kein Glück hat. Dann aber verwandelt er sich in einen unbarmherzigen Polemiker. Verfolgt ihn das Gefühl der Nichtigkeit oder des Verrats oder verführt ihn der Leichtsinn, dann ergibt er sich der Haschischpfeife und seinen verworrenen Träumen von einer neuen Humanität, die vor seinen verschleierten Augen im Haschischdunst aufsteigen. Er ist typisch für viele Zeitgenossen, die dahinvegetieren ohne Glauben und ohne Moral. Er wird vor keiner Tat zurückschrecken, wenn er sich vor Strafe sicher glaubt.
Khalid Azzuz: Er hat ein Mietshaus geerbt, das ihm trotz seiner offensichtlichen Untüchtigkeit ein bequemes Leben sichert. Er fand seine Zuflucht in der Haschischpfeife, in der Sexualität und in einer verschwommenen Kunst, die seinen Verfall und seine Zügellosigkeit verrät. Es läßt sich schwer sagen, ob der Verlust des Glaubens seinen Niedergang bewirkte oder sein Niedergang den Verlust des Glaubens zur Folge hatte. Deshalb halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß er eines Tages in den Schoß des traditionellen Glaubens zurückkehrt. Im Unterschied zu den anderen ist er arbeitslos. Er nimmt, ohne etwas zu geben, es sei denn Geschichten von der Art des Flötenspielers, dessen Flöte sich in eine sich ringelnde Schlange verwandelt. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß er eines Tages von den Höhen des Absurden auf uns herabschaut.
Ragab al-Qadi: Er ist die Hoffnung des Stücks. Sollte er sich nicht entwickeln, dann wäre es um das Stück geschehen. Sein Vater ist, wie Ali as-Sayyid mir erzählte, Barbier, und trotz der glänzenden Karriere seines Sohnes übt er immer noch seinen Beruf in Kum Hamada aus, entweder aus Selbstachtung oder genötigt durch die Undankbarkeit seines Sohnes. Ragab ist ein Lebemann, einer der Götter, die im sechsten Lebensjahrzehnt sterben, und wie alle angebeteten Götter hart, nur die Liebe macht ihn etwas milder. Wie die anderen ist er ohne Glaube und ohne Prinzipien, aber weniger als sie von Nervosität und Krisen geplagt. Er ist schön und anziehend, berühmt wegen seiner dunklen Bräune und seiner Herrschaftsgelüste. Seine Zuflucht findet er in der Sexualität, die Haschischpfeife interessiert ihn nur wenig. Die Möglichkeiten, die er für das Stück bietet, sind klar.
Anis Zaki: Ein untauglicher Beamter, ehemaliger Ehemann und Vater, schweigsam und geistesabwesend Tag und Nacht. Ein Gebildeter, so wird gesagt; von den Gütern der Welt besitzt er nur eine gute Bibliothek. Mir scheint manchmal, daß er halb verrückt oder halb tot ist. Es ist ihm gelungen, vollständig zu vergessen, wovor er flieht, sogar sich selbst. Seine große Gestalt läßt große Kraft vermuten. Man könnte ihm jede beliebige Eigenschaft zuschreiben, ebensogut scheint er völlig ohne Eigenschaften zu sein. Sein Geheimnis steckt in seinem Kopf. Man kann sich ihm anvertrauen, wie man sich einem leeren Stuhl anvertrauen kann. Verwendbar wäre er in einer Komödie, aber nicht in diesem Stück.
***
Es wäre besser, die weiblichen Figuren auf zwei zu begrenzen: die Heldin, wegen ihrer Bedeutung im Handlungsverlauf, und Sana, um den emotionalen Konflikt im Drama zu steigern. Überdies ist sie eine moderne Jugendliche, die dem Stück eine aufreizende Atmosphäre verleihen könnte. Der Sieg der Heldin über sie würde das Symbol des Sieges der Ernsthaftigkeit über die Leichtfertigkeit sein. Denn solange Ernsthaftigkeit die Frau — als Mutter der Zukunft — nicht erfüllt, bleibt sie ohne Konsequenzen.
Saniya Kamil, die die Polygamie auf ihre eigene Weise ausübt, ist überflüssig, ebenso wie die blonde altjüngferliche Übersetzerin, die sich für eine tapfere Pionierin hält, während sie doch lediglich ein süchtiges, dekadentes, gieriges Geschöpf ist.
***
Damit endeten die Notizen. Es fand sich noch eine Überschrift mitten in einer Zeile: »Wichtige Bemerkungen«, aber es folgte nichts. Er durchblätterte die restlichen Seiten, aber kein Wort mehr. Er steckte das Notizbuch in die Tasche und murmelte: »Die Schlaue.« Er holte das Notizbuch wieder heraus, las es erneut und steckte es wieder ein. Er lachte. Er blickte in die leere Tasse und sagte sich: »Vergebens.« Er würde lange warten müssen, vielleicht würde er noch bis zum Beginn der Sitzung nüchtern bleiben. Von der Gebetskapelle klang Amm Abduhs Stimme zu ihm herüber, die zum Abendgebet rief. Er murmelte wieder: »Die Schlaue.«
Das Hausboot schaukelte und kündigte damit einen Besucher an. Er wandte sich zur Tür und fragte sich, wer so früh käme. Hinter dem Wandschirm erschien Sammara Bahgat.