Er überließ sich seinem Schicksal und sagte sich, auch das schlimmste Übel ist nur ein Possenspiel. Während er das Mittagessen zu sich nahm, teilte ihm Amm Abduh mit, daß er beim Händler keinen Stoff bekommen habe. Sie hätten einen Fehler gemacht und seinen Rat nicht befolgt. Was nun? Er werde sein Glück bei einem anderen versuchen, aber er sei nicht sicher, ob er Erfolg haben werde. Das Unheil braute sich zusammen wie die Winterwolken. Er warf sich aufs Bett und begann, ein Kapitel über die Zeit der Märtyrer zu lesen, aber der Schlaf blieb aus. Er hatte keine Lust mehr zu liegen und erhob sich, um die Zeit mit der Vorbereitung der Sitzung auszufüllen. Wenn die Katastrophen sich häufen, heben sie sich gegenseitig auf und ein wahnsinniges, ungewöhnlich schmeckendes Glück bemächtigt sich deiner, und du kannst lachen aus einem Herzen, das keine Angst mehr kennt. Überdies erwartet mich ein angenehmer Spaziergang durch die Dienstordnung. Wie heißen Sie mit vollem Namen: Anis Zaki, Sohn von Adam und Eva. Alter: geboren eine Milliarde Jahre nach Geburt der Erde. Beruf: berauschter Prometheus. Gehalt: dem Wert von 25 kg hiesigen Rindfleischs entsprechend. Der Händler mußte auf alle Fälle gefunden werden. Er betrat die Veranda. Dort traf ihn die Stimme Amm Abduhs, die die Gläubigen zum Abendgebet rief. Der Alte ging voran wie ein Riese, und sie folgten ihm nach wie Zwerge: Bauern, Diener und Bootswächter. Segelschiffe, mit Steinen beladen, zogen vorüber. Dunkelgrüne Wellen schlugen gleichmäßig gegen das Hausboot. Am Ufer erhoben sich Akazien wie einzelne einsame Inseln.
Nach dem Gebet trat Amm Abduh ein, aber er fand die Vorbereitungen für die Sitzung schon getroffen. Anis kehrte in das Zimmer zurück und sagte scherzend zu ihm: »Verfolgst du mich, Alter?«
»He!«
»Ich sah im Traum, wie du mich verfolgtest.«
»Hoffentlich ein gutes Zeichen.«
»Was würdest du machen, wenn ich dich hier rausschmeißen würde?« Er lachte.
»Alle mögen Amm Abduh.«
»Liebst du die Welt, Alter?«
»Ich liebe, was der Barmherzige geschaffen hat.«
»Aber manchmal ist sie hassenswert, nicht wahr?«
»Die Welt ist schön, Gott gebe Ihnen ein langes Leben!«
»Wehe dir, wenn du mit leeren Händen zurückkommst!«
»Der Herr wird mir schon helfen.«
Das übliche Schwanken ging durch das Hausboot, worauf Anis seine Augen auf die Tür richtete, um zu sehen, wer schon so früh käme. Amm Abduh verschwand, und Sammara erschien, niedergedrückt und bleich, in ihren Augen spiegelten sich Unruhe und Besorgnis, und der jugendliche Schimmer ihres Gesichts war dahin. Sie drückte ihm mechanisch die Hand. Dann setzten sie sich, weit voneinander entfernt. Mit Befremden entdeckte sie, daß die Sitzung schon vorbereitet war und murmelte: »Kann das Leben weitergehen wie vorher?«
»Nichts bleibt, wie es war.« Sie schloß die Augen.
»Ich habe heute keinen einzigen Augenblick geschlafen.«
»Ich auch nicht…« Sie stöhnte.
»Ein Stück von mir ist unwiderruflich gestorben.«
»Um die Wahrheit zu sagen, seit gestern ist uns der Tod auf den Fersen.«
Sie streckte ihm die Hand mit der Abendzeitung entgegen und sagte:
»Die Leiche eines Mannes von etwa fünfzig Jahren, fast nackt, das Rückgrat, die Beine und der Schädel gebrochen. Von einem Wagen überfahren, die Täter geflüchtet. Man konnte ihn nicht identifizieren und die Angehörigen ermitteln.« Er las und warf die Zeitung weg:
»Wir sind wieder in die Hölle zurückgekehrt.«
»Wir hatten die Hölle noch nicht verlassen.«
»Wir sind in Wirklichkeit Mörder«, dann fügte er hinzu und blickte dabei auf den Nil: »Und überdies treibt man mich noch zur Landstreicherei.«
Er erzählte ihr seine Geschichte mit dem Amtsleiter. Sie blickten sich ausdruckslos an, sie bedauerte ihn und fragte: »Haben Sie noch andere Einkünfte?«
Er lachte so, daß jede Antwort überflüssig wurde, und sagte: »Die Miete für das Hausboot und die anderen Kosten der Abende bezahlen die anderen.«
»Es kommt selten vor, daß einer mit Entlassung bestraft wird.«
»Er wird jedem sagen, ich sei heruntergekommen und süchtig.«
»Gott, wie sich das Unglück häuft!«
Beide zogen sich in ihr Schneckenhaus zurück. Das Hausboot erbebte mehrmals. Dann erschienen die Kameraden, alle mit verstörten Gesichtern. Sie befürchten Schwierigkeiten von Sammara, dachte Anis. Ragab deutete auf die Wasserpfeife und fragte, weshalb Anis nicht arbeite. Er antwortete: »Es ist kein Stoff da.«
Er gibt sich unbekümmert, dachte Anis, aber vergeblich. Es wurde ihm klar, daß alle die Nachricht gelesen hatten. Ja. Und alsbald erfuhren sie auch sein Unglück mit dem Amtsleiter. Ali as-Sayyid seufzte: »Was für Katastrophen!«
»Wir müssen sofort die Haschischpfeife und alles Zubehör loswerden«, sagte Ahmad Nasr nachdenklich. Aufgebracht blickten sie ihn an, doch er fuhr fort: »Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß der Amtsleiter die Bewohner des Hausboots in Schwierigkeiten bringen will.« Kurz entschlossen erhob er sich und warf die Wasserpfeife samt Zubehör und dem gesüßten Tabak in den Nil. Dann ließ er sich auf das Sitzkissen fallen:
»Wir müssen das Hausboot als gefährliches Gebiet betrachten, bis die Situation geklärt ist.«
Niedergedrückt, ohne jede Hoffnung, blickten sie sich an. »Mit dem Paradies ist es vorbei«, murmelte Anis. Als alles stumm blieb, sagte er wieder:
»Es war eine verhängnisvolle Fahrt. Warum mußtet ihr auch ans Ausgehen denken?« Scharf erwiderte Ragab: »Wir müssen die Vergangenheit vergessen.« Ja, laßt uns vergessen, aber eure Mienen können nicht vergessen. Sammara stieß hervor: »Wie sollten wir mit einem Mord im Rücken vergessen!«
»Gerade deshalb müssen wir vergessen«, sagte er rauh. »Aber das geht über unsere Kraft.«
Er warf einen langen Blick auf sie. Keiner ahnte, was er dachte, und keiner wußte, daß hier eine Liebe auf die Probe gestellt wurde. Wie, würden die Dinge noch schlimmer werden, als sie es schon waren?
Aufmerksam musterte Ragab die Gesichter: »Ich wußte schon, was hier geschehen würde, noch bevor ich hierherkam. Wir haben jetzt einen gewissen Abstand zum Geschehen, das macht es uns möglich, darüber ruhig nachzudenken. Wir müssen jetzt offen miteinander reden.« Darauf sagte Ali as-Sayyid unwillig: »Wollten wir nicht alles als erledigt betrachten?«
»Es scheint, daß Sammara anderer Ansicht ist.«
»Fangt das Gespräch nicht von neuem an. Ich bin völlig erledigt«, sagte Saniya beunruhigt.
»Ich habe eine höllische Nacht verbracht, und eine lange Qual steht uns bevor. Das genügt«, wehrte auch Laila ab. »Aber es scheint, wie gesagt, daß Sammara anderer Meinung ist.«
Ali as-Sayyid wandte sich an sie und sagte gefaßt: »Sammara, sag mir, was du möchtest! Wir sind alle traurig und bedrückt. Wir haben alle kein Auge zugetan. Es gibt keinen unter uns, der Mord gutheißt oder der sich so etwas vorstellen kann. Wir teilen deine Gefühle. Die Nachricht hat uns zutiefst erschüttert, ein armer Mann, vielleicht vom Lande gekommen, ein Unbekannter ohne Angehörige, und wir haben keine Möglichkeit, das Vorgefallene wiedergutzumachen. Gibt es einen Ausweg? Sollten Angehörige von ihm auftauchen, werden wir Mittel und Wege finden, ihnen zu helfen. Aber was sollen wir jetzt tun?«
Sie blieb stumm und blickte ihn nicht an. Er fuhr fort: »Vielleicht findest du, daß unsere Pflicht klar ist. In der Theorie ist das richtig. Wir hätten anhalten müssen, statt zu flüchten. Stellten wir seinen Tod fest, so hätten wir sofort zur Polizei gehen und gestehen müssen. Dann wären wir vor Gericht gestellt worden und hätten unsere Strafe bekommen, nicht wahr?«
»Gefängnis wäre meine Strafe, ohne Zweifel«, sagte Ragab. »Einen schmählichen Skandal gäbe es für alle, dich eingeschlossen.«
»Der Mann wird davon nicht wieder lebendig«, sagte Mustafa, »und er wird durch unser Opfer nichts gewinnen.« Wieder begann Ali as-Sayyid:
»Ich kenne dich besser als die anderen. Du bist eine idealistische Frau im wahrsten Sinne des Wortes, aber eine gewisse Wendigkeit ist nötig, um den Anforderungen des Lebens gerecht werden zu können. Bei dem bedauerlichen Fall handelt es sich nicht um eine Frage der Nation oder eine Frage des Prinzips. Die Sache ist einfach die: Ein Unbekannter wurde versehentlich getötet. Es gibt eine Verantwortung, die nicht zu leugnen ist. Eine nicht seltene Dummheit, bedauerlicherweise. Aber sind wir dir gar nichts wert? Willst du tatsächlich für nichts und wieder nichts unser Glück und unser Ansehen opfern, um nicht zu sagen dein Glück und dein Ansehen?«
»Ich werde zu nichts mehr taugen«, stammelte sie. »Das ist bloße Einbildung. Tausende werden jeden Tag grundlos getötet, und die Welt bleibt, wie sie ist. Du wirst immer eine Möglichkeit haben, Anerkennung zu finden. Deine Nachsicht uns gegenüber wird deiner erfolgreichen journalistischen Arbeit und deiner politischen Tätigkeit nicht hinderlich sein. Vielleicht wird sie dich ermuntern, deine Bemühungen noch zu steigern.«
»Wie manchmal auch das Schuldgefühl zur treibenden Kraft wird!«
»Es ist auf alle Fälle nicht deine Schuld. Uns aber dürfte sie Anlaß genug sein, alles neu zu durchdenken. Was aber Ragab betrifft, so hat er sich tatsächlich durch dich verändert, zumindest was seine Einstellung zu Frauen und zur Liebe angeht. Denk darüber mit großmütigem Herzen nach!«
»Ich bin zum Tode verdammt.«
»Wir gehen alle dem Tode entgegen«, entgegnete Khalid Azzuz.
»Einem schrecklichen Tod, meine ich.«
»Es gibt nichts Schrecklicheres als den Tod.«
»Es gibt aber einen Tod, der dich mitten im Leben ergreift.«
»Nein, nein. Man kann uns doch nicht einem Spiel mit Worten opfern!«
In wütender Erregung schrie Ragab unvermittelt: »Kümmert es dich nicht, in der Presse zu lesen, daß du spät in der Nacht in Begleitung von Personen warst, die sich herumtrieben und einen Mann töteten?« Seine Schärfe brachte sie auf: »Nein, es kümmert mich nicht!« Er wurde noch wütender und tobte:
»Du spielst die Rolle der Mutigen und bist unseres einstimmigen Widerspruchs sicher.«
»Das ist gelogen!«
»Dann komm mit mir zum Polizeirevier!« Mustafa Raschid schrie empört:
»Was wir mühsam aufgebaut haben, zerstörst du durch deine Dummheit in einem einzigen Augenblick.« Saniya stand auf, ging zu ihm, streichelte begütigend seine Hand und küßte ihm die Schläfe, bis er sich beruhigt hatte. Dann stellte sie sich vor Sammara und fragte sie sanft: »Willst du wirklich dich und uns opfern?«
Immer noch beharrte sie: »Ja!«
»So sei es. Tu mit uns, was du willst!«
Bevor Sammara noch antworten konnte, trat Amm Abduh ein, und sie verstummten. Er gab Anis ein kleines Päckchen und sagte:
»Ich habe es mit Mühe und Not ergattert.«
»Wirf das Zeug sofort weg!« befahl Ahmad Nasr. »Nein!«
»Ich habe genug gewarnt.«
»Nichts ist leichter, als es ins Wasser zu werfen, wenn es nötig ist.«
»Was ist geschehen?« fragte Amm Abduh. Anis gab dem Alten das Päckchen zurück, damit er für ihn eine Tasse Kaffee mache. Amm Abduh ging. Sein Erscheinen hatte die Atmosphäre etwas verändert. Schweigen herrschte, bis Mustafa Raschid voller Selbstmitleid sagte: »Der böse Blick hat uns getroffen.«
»Drehen wir uns eine Zigarette«, schlug Khalid Azzuz vor. »Dann sehen wir weiter.«
Ali as-Sayyids Gesicht erhellte sich plötzlich hoffnungsvoll. »Ich wette, daß Ragab Kinder haben wird.« Darauf lachte Anis, er lachte trotz seiner gespannten Nerven und sagte:
»Ihr habt aus einer Mücke einen Elefanten gemacht.« Als keiner reagierte, fuhr er fort:
»Sammara ist ein Mädchen mit Prinzipien, aber auch eine Frau mit einem Herzen.«
Sie blickten ihn warnend und mißbilligend an, aber er redete unbeirrt weiter: »Wir sind Schuldner der Liebe…«
Mehr als eine Stimme bat ihn, still zu sein, aber er fügte hinzu: »Die Liebe hat uns vor dem Richtspruch der Prinzipien gerettet.«
Sammara drehte und wendete sich unwillig und nervös, dann brach sie in heftige Tränen aus, als ginge ein Sturm über sie hinweg. Ali as-Sayyid näherte sich ihr gerührt und versuchte, sie zu beruhigen. Ragab aber stürzte sich auf Anis und schrie: »Du!… du!« und schlug ihn hart ins Gesicht.