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Alle Augen richteten sich auf die neu Hinzukommende, sie wurde aber nicht verlegen und begegnete ihnen mit einem mutigen Lächeln.

Ragab legte seinen Arm um ihre Taille, begleitete sie zu seinem Platz, ließ sie neben sich niedersitzen und sagte: »Rette mich, du Vorsteher der guten Gaben!«

»Vor dem Fräulein?« fragte Ahmad.

»Vor einer aufrichtigen Verehrerin darf man nichts verbergen«, wehrte Ragab ab.

Er nahm einen langen, tiefen, kräftigen Zug, so daß die Kohlestückchen aufglühten und eine kleine Flamme aufzüngelte. Genießerisch schloß er die Augen, öffnete sie wieder und wandte sich Sana zu:

»Laß mich dir die Freunde vorstellen, die von dieser Nacht an deine Familie sein werden.«

Erst jetzt nahm er Saniya Kamil wahr, drückte ihr herzlich die Hand und erging sich in Vermutungen über die Hintergründe ihres Besuchs. Sie stimmte seinen Vermutungen lächelnd zu. Darauf stellte er sie Sana vor:

»Eine Schülerin der Mere de Dieu, Ehefrau und Mutter; in Zeiten familiärer Verstimmung kehrt sie zu ihren alten Freunden zurück, eine erfahrene Frau, die das Frausein als Jungfrau, als Ehefrau und Mutter erlebte; sie ist der Hort der Erfahrungen für die jungen Mädchen in unserem Hausboot.« Die Stimmen lachten laut, Sana lächelte ebenfalls, Saniya aber wehrte mit ihren Blicken ab, die jedoch noch keine Verärgerung ausdrückten. Ragab wandte sich Laila Zaidan zu: »Fräulein Laila Zaidan, Graduierte der Amerikanischen Universität, Übersetzerin im Außenamt; neben Schönheit und Bildung besitzt sie einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Emanzipation der Frau in unserem Land. Übrigens sind ihre goldenen Haare echt, weder künstlich noch gefärbt.« Dann wandte er sich Anis Zaki zu, der völlig mit seinem Tun beschäftigt war:

»Anis Zaki, Beamter im Gesundheitsministerium, Vormund unseres Hausboots, Minister unserer Rauschangelegenheiten, gebildet wie du. Das ist seine Bibliothek. Er durchlief die Fakultäten der Medizin, der Naturwissenschaften und des Rechts, erwarb sich ihr Wissen ohne ihre Zeugnisse, ein Mann, der keinen Wert auf Äußerlichkeiten legt. Er stammt aus einer ehrbaren bäuerlichen Familie, lebt aber seit langem allein in Kairo wie ein Weltbürger. Du darfst sein Schweigen nicht mißdeuten! Wann immer er schweigt, schwebt er in höheren Regionen.« Der nächste kam an die Reihe:

»Ahmad Nasr, Leiter eines Rechnungsamtes im Ministerium für Soziales, ein gefährlicher Beamter, Experte in Angelegenheiten des Ein- und Verkaufs und ein Experte in verschiedenen praktischen und nützlichen Dingen. Er hat eine Tochter in deinem Alter. Ein ungewöhnlicher Ehemann, der ein Studium wert ist. Seit dreißig Jahren verheiratet; nicht einmal hat er seine Frau betrogen und ist der Gemeinsamkeit nicht überdrüssig. Im Gegenteil, seine Anhänglichkeit an das eheliche Leben wird größer und größer. Deshalb schlage ich vor, ihn beim nächsten medizinischen Kongreß zum Gegenstand der Untersuchung zu machen.«

Er deutete auf Mustafa Raschid und fuhr fort: »Herr Mustafa Raschid, der bekannte Rechtsanwalt, ein erfolgreicher Mann, dazu Philosoph, verheiratet mit einer Inspektorin im Erziehungsministerium. Er schaut wahrhaftig auf das Absolute und wird es eines Nachts erlangen. Aber sei vorsichtig, denn er behauptet, daß er sein weibliches Ideal bis heute noch nicht getroffen hat…« Er streichelte Ali as-Sayyid den Rücken:

»Herr Ali as-Sayyid, der bekannte Kunstkritiker. Selbstverständlich hast du viel von ihm gelesen. Ich vertraue dir auch an, daß er des öfteren von einer utopischen Stadt der Tugenden träumt. In Wirklichkeit ist er mit zwei Frauen verheiratet, obendrein ist er der Freund von Saniya Kamil, aber das ist noch nicht alles…«

Schließlich nickte er Khalid Azzuz zu:

»Herr Khalid Azzuz, er steht in der ersten Reihe der Kurzgeschichtenschreiber. Er besitzt ein Mietshaus, eine Villa, ein Auto und ein ansehnliches Guthaben in der Kunst der L'art pour l'art, überdies einen Jungen und ein Mädchen. Er hat auch heute noch seine Privatphilosophie, von der ich nicht weiß, wie ich sie nennen soll, aber einer ihrer hervorstechenden Züge ist der sexuelle Anarchismus…«

Er lächelte Sana zu und ließ dabei seine schönen weißen Zähne sehen:

»Von denen, die zu unserem Hausboot gehören, bleibt noch Amm Abduh vorzustellen. Auf unserem Wege durch den Garten hierher sind wir an seinem Schatten vorbeigelaufen. Du wirst ihn selbstverständlich kennenlernen. Es gibt keinen in der Nilstraße, der ihn nicht kennt.«

Anis rief Amm Abduh und trug ihm auf, das Wasser der Pfeife zu erneuern. Amm Abduh nahm die Pfeife, verschwand mit ihr durch die Nebentür, brachte sie nach einer Weile zurück und verschwand wieder. Sanas Augen weiteten sich vor Staunen über die mächtige Gestalt des Mannes. Ragab meinte: »Es ist ein Glück, daß er ein Muster an Gehorsam ist, denn wenn er wollte, könnte er uns alle versenken.«

Es besteht keine Gefahr, daß wir ertrinken, solange der Wal im Wasser ist. Die Hand des unmündigen Mädchens ist so klein wie die Hand Napoleons, aber ihre Nägel sind rot und spitz wie der Schnabel eines Rettungsboots. Mit ihr wird die Reihe der Straftaten vervollständigt, die unser Boot betreffen. Und da beginnt die Finsternis zu sprechen. »Worauf hat sich das Fräulein in der Philosophischen Fakultät spezialisiert?« wollte Mustafa Raschid wissen, und wieder hüpfte sein Adamsapfel dabei auf und nieder. »Geschichte«, gab sie brav zur Antwort. »Allah«, stöhnte Anis auf. Aber Ragab fuhr ihn an:

»Ihre Geschichte ist nicht deine blutige Geschichte, sie kümmert sich um die schönen Dinge.«

»Es gibt nichts Schönes in der Geschichte!«

»Und die Liebe zwischen Antonius und Kleopatra?«

»Das ist eine blutige Liebschaft…«

»Sie beschränkt sich nicht auf Schwert und Giftschlange.« Sana wurde unruhig.

»Fürchtet ihr nicht die Polizei?« fragte sie, während sie auf den Wandschirm blickte. Mustafa Raschid lächelte. »Die Sittenpolizei?«

Als das Lachen der anderen verstummt war, fragte sie weiter: »Und die Geheimpolizei?«

»Weil wir die Polizei, die Armee, die Engländer, die Amerikaner, das Bewußte und das Unbewußte fürchten, sind wir so weit, daß wir nichts mehr fürchten.«, meinte Ali as-Sayyid lässig.

»Aber die Tür ist offen!«

»Draußen ist Amm Abduh, er ist Manns genug, jeden Angriff abzuwehren.«

»Du brauchst keine Sorgen zu haben, mein Augenlicht«, tröstete Ragab sie lächelnd. »Der Staat ist mit dem Aufbau beschäftigt, er hat zuviel zu tun, als daß er uns störte.« Mustafa Raschid reichte ihr die Pfeife: »Probier mal diese Art von Mut!«

Aber sie entschuldigte sich sanft, und Ragab stand ihr bei: »Schritt für Schritt, der Mensch hat mit den Fingernägeln angefangen und landete bei den Raketen. Dreh eine Zigarette für sie!«

Im Nu war eine fertig. Zögernd ergriff sie die Zigarette, aber sie steckte sie zwischen die Lippen. Ahmad Nasr warf einen bedauernden Blick auf sie, Anis begriff, daß er in Wirklichkeit Angst um seine Tochter hatte. Und lebte die eigene Tochter, wäre auch sie eine Gefährtin Sanas gewesen.

Aber was hat das für einen Wert, ob sie bleibt oder geht oder ob sie so lange wie eine Schildkröte lebt. Da die historische Zeit nichts ist im Vergleich zur kosmischen, ist Sana in Wirklichkeit eine Zeitgenossin Evas. Eines Tages wird das Nilwasser etwas Neues zu uns herantragen, aber man tut besser daran, es nicht zu benennen. Die Stimme der Finsternis flüsterte ihm zu: »Hervorragend!« Es ist nicht ausgeschlossen, daß mir eines Tages dieselbe Stimme den Befehl erteilt, ein Wunder zu vollbringen, das diejenigen, die an Wunder nicht glauben, in Erstaunen versetzt. Die Wissenschaft hat ihre Ansicht über die Sterne kundgetan, aber in Wirklichkeit sind sie nichts anderes als Glieder einer Welt, die die Einsamkeit liebten, und so entfernten sie sich voneinander über Tausende von Lichtjahren. Und du Etwas, tu etwas, denn das Nichts hat uns zermalmt.

»Findest du Zeit zum Lernen?« fragte Ahmad Nasr sie freundlich.

»Selbstverständlich«, antwortete Ragab für sie, »aber sie liebt auch die Künste!«

Warnend erhob sie ihren Zeigefinger: »Mach mich nicht zum Gegenstand der Unterhaltung!«

»Weh dem, der so etwas im Sinne hat!«

»Willst du Schauspielerin werden?« fragte Ahmad Nasr weiter. Sie lächelte ohne Widerspruch, und er fuhr fort: »Aber…«

»Schweig, du Reaktionär!« unterbrach ihn Ragab. »Der schlimmste Vorwurf in unserer Zeit ist der, ein Reaktionär zu sein.« Er faßte mit einem Finger unter ihr Kinn, drehte ihr Gesicht zu sich und sagte, während er sie aufmerksam beobachtete: »Laß mich dein Gesicht betrachten! Schön, dein Blick birgt eine geheime Macht wie eine süße Dattel ihren harten Kern. Der Blick eines jungen Mädchens. Wird das Gesicht aber finster, strahlt es die Erfahrung einer reifen Frau aus. Welche Rolle könnte dir entsprechen? Vielleicht die Rolle des Mädchens in dem Drehbuch »Das Rätsel des Sees«?«

Interessiert ging sie darauf ein: »Welche Rolle spielt sie?«

»Ein Beduinenmädchen verliebt sich in einen listigen Fischer, einen Frauenjäger. Zunächst will er sie nicht ernst nehmen, dann aber gewinnt sie Macht über ihn und bestimmt sein Leben.«

»Eigne ich mich wirklich für diese Rolle?«

»Ich spreche aus künstlerischem Instinkt, an den Produzenten ebenso wie Regisseure glauben. Einen Augenblick, bitte, schließ die Lippen, zeig mir, wie du küssen kannst. Keine Scham, sie ist die Feindin der Schauspielkunst. Einen echten Kuß vor den Augen aller, einen Kuß, der die internationale Lage verbessert…« Er umarmte sie mit seinen langen, kräftigen Armen. Ihre Lippen begegneten sich heftig. Stille herrschte, selbst das Blubbern der Pfeife verstummte.

»Das ist der Augenblick des Absoluten, um den ich mich schon lange bemühe«, brüllte Mustafa los.

»Meine Herren, ich gratuliere«, riet Khalid Azzuz begeistert, »wir sollten uns alle gratulieren. Wir sollten diesen außerordentlichen kulturellen Augenblick hochleben lassen. In dieser Stunde können wir sagen, daß der Faschismus vollständig niedergeschlagen ist und daß die euklidischen Axiome aufgehoben sind. Nimm, Sana — von nun an ohne förmliche Anrede —, meine Bewunderung entgegen!« Lächelnd mahnte ihn Laila Zaidan: »Überlaß das Reden einem anderen, mir zuliebe!«

»Eifersucht ist kein Instinkt, wie Ahnungslose glauben, sondern eine feudale Tradition«, tadelte er.

Ich bin keine Dirne. Verflucht! O Nilgeruch, durchtränkt mit dem Duft einer schlammigen anstrengenden Fahrt! Manch alter Baum erhob sich schon in Brasilien über dem Erdboden, bevor noch die Pyramiden gebaut wurden. Bin ich der einzige unter diesen Berauschten, der mit der leichtsinnigen Welle scherzt? Hör' ich sie alleine mir zuflüstern, ich solle vierzigmal an die Tür klopfen, dann würde sich für dich verwirklichen, was sich sonst nicht verwirklichen ließe? Wann werde ich mit dem Sonnensystem spielen wie mit einem Ball? Eines Tages wurde ich in einen blutigen Kampf verwickelt, als ich versuchte, zwei Streitende zu trennen.

Draußen schoß eine Fledermaus wie eine Gewehrkugel vorbei. Er vertiefte sich in die Ziselierung des Kupfertabletts; sie hatte die Form ineinander verschlungener Kreise, deren Überschneidungen mit Perlmutt ausgelegt waren; jetzt waren sie mit Asche und Tabaksresten übersät. Er nickte für eine kurze Weile auf seinem Platz ein. Als er die Augen öffnete, waren Mustafa Raschid und Ahmad Nasr fortgegangen. Das Zimmer, das auf den Garten schaute, schloß sich hinter Laila und Khalid, das mittlere Zimmer hinter Saniya und Ali as-Sayyid. Nur sein Zimmer war noch leer, und höchstwahrscheinlich würde sich auch diese Tür heute nacht vor seiner Nase schließen. Er hörte das Liebespärchen tuscheln: »Nein…«

»Nein! Eine unzeitgemäße Antwort!«

»Zu Hause glauben sie, daß ich bei einer Freundin lerne.«

»Laß den Unterricht bei einem Freund stattfinden!« Er streckte sein Bein aus und stieß gegen die Wasserpfeife, die umfiel. Der schwarze Sud floß bis zur Schwelle der Veranda. Nichts ist von Bedeutung. Sogar die Ruhe ist bedeutungslos. Nichts Wahrhaftigeres hat der Mensch hervorgebracht als die Farce.

Plötzlich verdunkelte Amm Abduhs hohe Gestalt das von Mücken umschwirrte Licht der Lampe. »Ist schon Schluß?«

»Ja!«

Schwungvoll begann Amm Abduh die Gerätschaften aufzuräumen und die Überreste zusammenzukehren, dann schaute er fragend zu ihm hinüber: »Wann gehst du in dein Zimmer?«

»Es beherbergt eine neue Braut.«

»Uoh!«

»Gefällt dir das nicht?« Er lachte.

»Die Mädchen der Nilallee sind netter und billiger…« Anis lachte lauthals los, so daß seine Stimme über dem Nil widerhallte.

»Du Ahnungsloser, sind diese wie jene?«

»Haben sie mehr Glieder?«

»Nein, aber es sind vornehme Damen…«

»Uoh!«

»Sie verkaufen sich nicht, sondern sie verschenken sich, und sie nehmen sich, was sie wollen, wie die Männer.«

»Uoh!«

»Uoh…«

»Wirst du deshalb auf der Veranda schlafen, bis dich der Tau wäscht?«

»Wie schön, daß der Tau uns wäscht…« Amm Abduh verabschiedete sich und ging. »Ich gehe zum Frühgebet.«

Er betrachtete die Sterne und begann sie zu zählen. Es strengte ihn an. Da streifte ihn eine duftende Brise vom Palastgarten. Harun ar-Raschid sitzt auf einem Diwan unter einem Pfirsichbaum, Sklavinnen spielen unter seinen Händen, und du schenkst ihm den berauschenden Trank aus einem goldenen Krug ein. Der »Fürst der Gläubigen« wird sanft, sanfter als der Hauch des Zephirs, und wendet sich dir zu: »Trag vor, was du hast!«

Du aber hast nichts vorzubringen. Du müßtest dir sagen, daß du verloren bist. Eine Sklavin schlägt die Saiten der Zither und singt:


»Gedenke ich der Tage der Inbrunst, krümme ich mich um mein Inneres, aus Furcht, es könnte zerbersten. Dir kehren die Nächte der Inbrunst nicht zurück, aber das Dunkle in deinen Augen weint.«


Harun ar-Raschid ist so entzückt, daß er mit Händen und Füßen Beifall klatscht. Da sagst du dir, das sei deine Chance, zu entkommen. Du ziehst dich auf leisen Sohlen zurück, aber der riesige Wächter erblickt dich und eilt auf dich zu. Du rennst, und er rennt dir nach mit gezücktem Schwert. Du schreist laut um den Beistand der Sippe des Propheten Allah. Der Wächter aber schwört, dich vor ihren Augen in den Kerker zu werfen.

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