4.

Dienstagmorgen, der achte Dezember


Erik Maria Bark ist nach seinem nächtlichen Arbeitsbesuch im Karolinska-Krankenhaus, bei dem er Joona Linna begegnet ist, heimgekehrt. Der Polizist ist Erik sympathisch gewesen, obwohl er ihn dazu überreden wollte, seinen Schwur zu brechen, nie mehr zu hypnotisieren. Vielleicht hat die ganz unverhohlene und ehrliche Sorge um die ältere Schwester den Kommissar so sympathisch gemacht. Wahrscheinlich war ihr jemand in diesem Moment auf den Fersen.

Erik geht ins Schlafzimmer und betrachtet seine Frau Simone. Er ist sehr müde, die Tabletten wirken, seine Augen brennen und sind schwer, der Schlaf kündigt sich an. Das Licht liegt wie eine zerkratzte Glasscheibe auf Simone. Fast die ganze Nacht ist vergangen, seit er sie verlassen hat, um den verletzten Jungen zu untersuchen. In der Zwischenzeit hat Simone sich im Bett breitgemacht. Ihr Körper ruht schwer. Die Decke liegt bei den Füßen, das Nachthemd ist bis zur Taille hochgerutscht. Sie liegt schlaff auf dem Bauch, hat eine Gänsehaut auf Armen und Schultern. Erik deckt sie vorsichtig zu. Sie sagt kaum hörbar etwas und kauert sich zusammen. Er setzt sich, streichelt ihre Fesseln und sieht, dass die Zehen reagieren, sich bewegen.

»Ich gehe duschen«, sagt er und lehnt sich zurück.

»Wie hieß der Polizist?«, fragt sie undeutlich.

Aber noch ehe er ihr antworten kann, befindet er sich in dem Park am Observatorium. Er gräbt auf dem Spielplatz im Sand und findet einen gelben Stein, so rund wie ein Ei, so groß wie ein Kürbis. Er scharrt mit den Händen und erahnt an seiner Seite eine Reliefform, eine gezackte Zahnreihe. Als er den schweren Stein umdreht, erkennt er, dass es der Schädel eines Dinosauriers ist.

»Du kannst mich mal«, schreit Simone.

Er zuckt zusammen und begreift, dass er eingeschlafen ist und geträumt hat. Die starken Tabletten haben ihn mitten im Gespräch eingeschläfert. Er versucht zu lächeln und begegnet Simones kühlem Blick.

»Sixan? Was ist denn?«

»Hat es wieder angefangen?«, fragt sie.

»Was?«

»Was«, wiederholt sie gereizt. »Wer ist Daniella?«

»Daniella?«

»Du hast es versprochen, Erik, es war ein Versprechen«, sagt sie aufgebracht. »Ich habe mich auf dich verlassen, ich bin so bescheuert gewesen, mich tatsächlich auf dich …«

»Wovon redest du überhaupt?«, unterbricht er sie. »Daniella Richards ist eine Kollegin im Karolinska. Was ist mit ihr?«

»Lüg mich nicht an.«

»Das ist jetzt wirklich ein bisschen absurd«, sagt er lächelnd.

»Findest du das etwa komisch?«, fragt sie. »Manchmal habe ich gedacht … sogar geglaubt, dass ich vergessen kann, was damals passiert ist.«

Erik schläft für ein paar Sekunden ein, hört aber trotzdem, was sie sagt.

»Vielleicht ist es besser, wenn wir uns trennen«, flüstert Simone.

»Zwischen mir und Daniella ist nichts passiert.«

»Das spielt im Grunde auch keine Rolle«, sagt sie müde.

»Tut es nicht? Es spielt keine Rolle? Du willst dich wegen etwas von mir trennen, das ich vor zehn Jahren getan habe?«

»Etwas?«

»Ich war betrunken und …«

»Ich will nichts hören, ich weiß alles, ich … Verdammter Mist! Ich will diese Rolle nicht. Ich bin eigentlich gar nicht eifersüchtig, aber ich bin ein loyaler Mensch und fordere die gleiche Loyalität von dir.«

»Ich habe dich nie wieder betrogen, und ich werde dich nie wieder …«

»Warum beweist du es mir nicht«, unterbricht sie ihn. »Das könnte ich gebrauchen.«

»Du wirst mir wohl einfach vertrauen müssen«, sagt er.

»Ja«, seufzt sie und verlässt das Schlafzimmer mit Kissen und Decke.

Er atmet schwer und weiß, dass er ihr nachgehen und nicht einfach aufgeben sollte, sie zum Bett zurückziehen oder sich auf den Fußboden neben der Bettcouch im Gästezimmer legen sollte, aber der Schlaf ist in diesem Moment so viel stärker. Er hat nicht mehr die Kraft, sich gegen ihn zu wehren. Er sinkt ins Bett zurück, spürt die Dopamine in den Tabletten seinen Körper durchströmen, die genüssliche Entspannung, die sich bis ins Gesicht und in die Zehen- und Fingerspitzen ausbreitet. Der tiefe, chemische Schlaf schließt sich um sein Bewusstsein wie eine mehlige Wolke.

Zwei Stunden später öffnet Erik vorsichtig die Augen in dem bleichen Licht, das gegen die Rollos drückt. Sofort flimmern die Bilder der Nacht vorüber: Simones Vorwürfe und der Junge, der mit Dutzenden schwarzer Messerstiche auf seinem schweißglänzenden Körper vor ihm liegt. Die tiefen Wunden im Nacken, am Hals und am Brustkorb.

Erik denkt an den Kriminalkommissar, der überzeugt zu sein scheint, dass der Täter eine ganze Familie auslöschen wollte. Erst den Vater, danach Mutter, Sohn und Tochter.

Auf dem Nachttisch neben ihm klingelt das Telefon.

Erik steht auf, aber statt an den Apparat zu gehen, zieht er die Vorhänge auf und blinzelt zur gegenüberliegenden Fassade hinüber, wartet einen Moment und versucht, sich zu sammeln. Die Staubstreifen auf den Fensterscheiben sind im Licht der Straßenlaternen deutlich zu sehen.

Simone ist schon zu ihrer Galerie gegangen. Er versteht weder ihre Reaktion, noch warum sie von Daniella gesprochen hat. Er fragt sich, ob es im Grunde vielleicht um etwas ganz anderes geht. Zum Beispiel um die Tabletten. Ihm ist bewusst, dass er nur einen kleinen Schritt von einer schweren Tablettenabhängigkeit entfernt ist. Aber er braucht seinen Schlaf. Die vielen Nachtdienste im Krankenhaus haben bei ihm zu schweren Schlafstörungen geführt. Ohne Tabletten würde ich untergehen, denkt er und streckt sich nach dem Wecker, stößt ihn aber versehentlich auf den Fußboden.

Das Telefon verstummt, schweigt aber nur kurz, bevor es erneut zu klingeln beginnt.

Er überlegt, ob er zu Benjamin hineingehen und sich neben seinen Sohn legen, ihn vorsichtig wecken und fragen soll, ob er etwas geträumt hat.

Erik nimmt das Telefon vom Nachttisch und meldet sich.

»Erik Maria Bark.«

»Hallo, hier ist Daniella Richards.«

»Bist du noch in der Neurologie? Wie spät ist es eigentlich?«

»Viertel nach acht – ich werde allmählich ein bisschen müde.«

»Fahr nach Hause.«

»Von wegen«, sagt Daniella konzentriert. »Du musst zurückkommen. Der Kommissar ist auf dem Weg hierher. Er scheint sich mittlerweile noch sicherer zu sein, dass der Täter auf der Suche nach der älteren Schwester ist. Er sagt, er muss mit dem Jungen sprechen.«

Erik spürt eine plötzliche dunkle Schwere hinter den Augen.

»Das ist keine besonders gute Idee, wenn man bedenkt …«

»Aber was ist mit der Schwester«, unterbricht Daniella ihn. »Ich bin kurz davor, dem Kommissar die Erlaubnis zu geben, Josef zu verhören.«

»Wenn der Patient das deiner Einschätzung nach gut übersteht«, sagt Erik.

»Gut übersteht? Das tut er mit Sicherheit nicht, es ist noch viel zu früh dafür, sein Zustand ist … Er wird erfahren, was mit seiner Familie passiert ist, ohne auch nur im Geringsten darauf vorbereitet zu sein, ohne Schutzmechanismen aufbauen zu können … er könnte psychotisch werden, er …«

»Das musst du beurteilen«, unterbricht Erik sie.

»Ich will die Polizei nicht zu ihm lassen, das ist das eine, aber ich kann mich auch nicht hinsetzen und Däumchen drehen, ich meine, seine Schwester ist mit Sicherheit in Gefahr«, sagt sie.

»Obwohl das bloß eine …«

»Ein Mörder sucht nach seiner älteren Schwester«, unterbricht Daniella ihn mit erhobener Stimme.

»Vermutlich.«

»Entschuldige, ich weiß auch nicht, warum die Sache mich so mitnimmt«, sagt sie. »Vielleicht, weil es noch nicht zu spät ist, weil man tatsächlich etwas tun kann. Das ist selten genug der Fall, aber diesmal könnten wir eine junge Frau retten, bevor sie …«

»Was willst du eigentlich von mir?«, unterbricht Erik sie.

»Du musst herkommen und tun, was du so gut kannst.«

»Wenn es ihm besser geht, kann ich gerne mit dem Jungen darüber reden, was passiert ist.«

»Du sollst herkommen und ihn hypnotisieren«, erwidert sie ernst.

»Nein, kommt nicht in Frage«, sagt er.

»Es ist der einzige Ausweg.«

»Ich kann nicht.«

»Aber es gibt niemanden, der das so gut kann wie du.«

»Ich habe ja nicht einmal die Erlaubnis, im Karolinska Leute zu hypnotisieren.«

»Die besorge ich dir, bevor du hier bist.«

»Aber ich habe versprochen, nie wieder jemanden zu hypnotisieren.«

»Kannst du nicht einfach herkommen?«

Es wird kurz still, und dann fragt Erik:

»Ist er bei Bewusstsein?«

»Bald.«

Er hört seine eigenen Atemzüge im Hörer rauschen.

»Wenn du den Jungen nicht hypnotisierst, werde ich die Polizei zu ihm lassen.«

Sie legt auf.

Erik bleibt mit dem Hörer in seiner zitternden Hand stehen. Die Schwere hinter seinen Augen rollt zum Gehirn. Er öffnet den Nachttisch, aber die Holzschachtel mit dem Papagei ist nicht da. Er muss sie im Auto vergessen haben.

Er geht durch die Zimmer, um Benjamin zu wecken.

Der Junge schläft mit offenem Mund, sein Gesicht ist blass und wirkt trotz des Schlafs einer ganzen Nacht erschöpft.

»Benni?«

Benjamin öffnet seine schlaftrunkenen Augen und sieht ihn an, als wäre Erik ein wildfremder Mensch, ehe er auf eine Art lächelt, die sich seit seiner Geburt nicht verändert hat.

»Es ist Dienstag – Zeit aufzustehen.«

Benjamin setzt sich gähnend auf, kratzt sich in den Haaren und blickt anschließend auf das Handy hinunter, das um seinen Hals hängt. Es ist jeden Morgen das Erste, was er tut: zu kontrollieren, ob er in der Nacht eine Nachricht verpasst hat. Erik greift nach der gelben Tasche mit einem Puma darauf, die das Faktorpräparat, Desmopressin, Alsol-Lösung, die sterilen Kanülen, die Kompressen, Pflaster und Schmerzmittel enthält.

»Jetzt oder beim Frühstück?«

Benjamin zuckt mit den Schultern.

»Egal.«

Erik reibt schnell den schmalen Arm seines Sohnes ab, dreht ihn ins Tageslicht, spürt die weichen Muskeln, klopft gegen die Spritze und führt die Kanüle behutsam unter die Haut. Während sich die Spritze langsam leert, tippt Benjamin mit der freien Hand auf seinem Handy.

»Mist, der Akku ist fast leer«, sagt er und legt sich anschließend hin, während Erik eine Kompresse auf den Arm presst, um die Blutung zu stillen. Benjamin muss relativ lange so liegen bleiben, bis Erik sie mit einem Pflaster auf dem Arm festklebt.

Behutsam beugt und streckt er die Beine seines Sohns, trainiert danach die schmalen Kniegelenke und massiert abschließend Füße und Zehen.

»Wie fühlt es sich an?«, fragt er und sieht seinem Sohn unablässig ins Gesicht.

Benjamin verzieht das Gesicht zu einer Grimasse.

»Wie üblich«, sagt er.

»Möchtest du etwas gegen die Schmerzen haben?«

Sein Sohn schüttelt den Kopf, und Erik muss plötzlich an den bewusstlosen Zeugen, den Jungen mit den vielen Stichwunden denken. Vielleicht sucht der Mörder in diesem Augenblick nach seiner erwachsenen Schwester.

»Papa? Was ist?«, fragt Benjamin vorsichtig.

Erik begegnet seinem Blick und sagt:

»Wenn du willst, fahre ich dich zur Schule.«

»Und warum?«

Der Berufsverkehr wälzt sich langsam voran. Benjamin sitzt neben seinem Vater und lässt sich von den ruckelnden Bewegungen des Wagens langsam einschläfern. Er gähnt ausgiebig und spürt nach dem nächtlichen Schlaf immer noch eine sanfte Wärme in seinem Körper. Er denkt, dass sein Vater es eilig hat, sich aber trotzdem die Zeit nimmt, ihn zur Schule zu fahren. Benjamin lächelt in sich hinein. So ist es schon immer gewesen, überlegt er. Wenn Papa besonders schlimme Dinge im Krankenhaus erlebt, macht er sich noch größere Sorgen als sonst, dass mir etwas passieren könnte.

»Jetzt haben wir die Schlittschuhe doch vergessen«, sagt Erik unvermittelt.

»Stimmt.«

»Wir kehren um«, beschließt Erik.

»Nein, nicht nötig, das macht doch nichts«, erwidert Benjamin.

Erik versucht, die Spur zu wechseln, wird aber von einem anderen Auto daran gehindert. Als er zurückgedrängt wird, kollidiert er um ein Haar mit einem Müllwagen.

»Wir haben genügend Zeit, zurückzufahren und …«

»Vergiss die Schlittschuhe, es ist mir egal«, sagt Benjamin aufbrausend.

Erik wirft ihm einen erstaunten Seitenblick zu.

»Ich dachte, du läufst gerne Schlittschuh?«

Benjamin weiß nicht, was er antworten soll, er hasst es, ausgequetscht zu werden, und will nicht lügen.

»Tust du das nicht?«, fragt Erik.

»Was?«

»Gerne Schlittschuh laufen?«

»Warum sollte ich?«, murmelt er.

»Wir haben ganz neue gekauft …«

»Was soll daran schon Spaß machen«, unterbricht Benjamin ihn müde.

»Dann soll ich also nicht nach Hause fahren und sie dir holen?«

Als Antwort seufzt Benjamin nur.

»Schlittschuhlaufen ist langweilig«, sagt Erik. »Schach und Computerspiele sind langweilig. Was macht dir eigentlich überhaupt noch Spaß?«

»Keine Ahnung«, antwortet Benjamin.

»Nichts?«

»Doch.«

»Filme gucken?«

»Manchmal.«

»Manchmal?«, lächelt Erik.

»Ja«, antwortet Benjamin.

»Du würdest dir doch am liebsten drei, vier Filme am Abend ansehen«, sagt Erik heiter.

»Hast du was dagegen?«

»Nein, überhaupt nicht«, fährt Erik lächelnd fort. »Was sollte ich dagegen haben? Der eine oder andere könnte sich natürlich fragen, wie viele Filme du dir ansehen würdest, wenn du Filme richtig gerne sehen würdest. Wenn du Filme lieben …«

»Hör auf.«

»Dann würdest du dir wahrscheinlich zwei Bildschirme besorgen und schnell vorspulen, um alle zu schaffen.«

Benjamin kann sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sein Vater ihn so auf den Arm nimmt.

Plötzlich hört man einen matten Knall, und am Himmel taucht ein hellblauer Stern mit fallenden, rauchfarbenen Spitzen auf.

»Komische Zeit für ein Feuerwerk«, murmelt Benjamin.

»Was?«, sagt sein Vater.

»Da«, zeigt Benjamin.

Am Himmel hängt ein Stern aus Rauch. Aus irgendeinem Grund sieht Benjamin Aida vor sich, und sein Magen zieht sich zusammen, und ihm wird innerlich ganz warm. Letzen Freitag haben sie schweigend, ganz eng zusammen auf der Couch in Aidas kleinem Wohnzimmer im Vorort Sundbyberg gesessen. Sie haben sich den Film Elephant angesehen, während ihr jüngerer Bruder auf dem Fußboden gesessen und mit Pokemonkarten gespielt und vor sich hingebrabbelt hat.

Als Erik den Wagen vor dem Schulhof parkt, entdeckt Benjamin plötzlich Aida. Sie steht auf der anderen Seite des Zauns und wartet auf ihn. Als sie ihn sieht, winkt sie ihm zu. Benjamin greift nach seiner Schultasche und sagt gestresst:

»Tschüss, Papa, danke fürs Bringen.«

»Ich liebe dich«, sagt Erik leise.

Benjamin nickt und zieht sich zurück.

»Sollen wir heute Abend einen Film gucken?«, fragt Erik.

»Weiß nicht«, antwortet Benjamin mit gesenktem Blick.

»Ist das Aida?«, fragt sein Vater.

»Ja«, antwortet Benjamin fast lautlos.

»Ich würde ihr gerne guten Tag sagen«, erklärt Erik und steigt aus dem Wagen.

»Wieso denn das?«

Sie gehen auf Aida zu. Benjamin wagt sie kaum anzuschauen und kommt sich vor wie ein kleiner Junge. Hoffentlich denkt sie nicht, dass er sie von seinem Vater absegnen lassen will. Es ist ihm völlig egal, was sein Vater von ihr denkt oder nicht denkt. Aida wirkt nervös, als sie näher kommen. Ihr Blick flackert zwischen ihm und Erik hin und her. Noch ehe Benjamin zu einer Erklärung ansetzen kann, streckt Erik die Hand aus und begrüßt sie:

»Hallo.«

Aida gibt ihm zögernd die Hand. Benjamin merkt, dass sein Vater beim Anblick ihrer Tattoos zusammenzuckt: Sie hat sich ein Hakenkreuz auf den Hals tätowieren lassen. Direkt daneben sieht man einen kleinen Davidsstern. Ihre Augen sind schwarz geschminkt, die Haare hat sie zu zwei kindlichen Zöpfen geflochten, und sie trägt eine schwarze Lederjacke und einen weiten schwarzen Tüllrock.

»Ich bin Erik, Benjamins Vater«, sagt Erik.

»Aida.«

Ihre Stimme ist leise und hell. Benjamin läuft rot an und wirft einen nervösen Blick auf Aida, bevor er zu Boden schaut.

»Bist du ein Neonazi?«, fragt Erik.

»Sind Sie einer?«, gibt sie zurück.

»Nein.«

»Ich auch nicht«, sagt sie und begegnet flüchtig seinem Blick.

»Warum hast du …«

»Aus keinem bestimmten Grund«, unterbricht sie Erik. »Ich bin nichts, ich bin nur …«

Benjamin schaltet sich ein, er schämt sich so für seinen Vater, dass sein Herz in der Brust steinhart pocht.

»Sie ist vor ein paar Jahren in bestimmte Kreise geraten«, sagt er laut. »Aber sie fand, dass die alle Idioten waren und …«

»Du brauchst ihm das nicht zu erklären«, unterbricht Aida ihn gereizt.

Für einen kurzen Moment bleibt er stumm.

»Ich … ich finde nur, dass es mutig ist, zu seinen Fehlern zu stehen«, sagt er dann.

»Das mag sein«, sagt Erik, »aber ich deute es eher als fehlende Einsicht, es nicht wegmachen zu …«

»Hör auf«, ruft Benjamin. »Du weißt nichts über sie.«

Aida dreht sich bloß um und geht. Benjamin eilt ihr hinterher.

»Entschuldige«, keucht er. »Mein Vater ist so peinlich …«

»Aber hat er nicht eigentlich Recht?«, fragt sie.

»Nein«, antwortet Benjamin schwach.

»Doch, ich glaube, er könnte Recht haben«, sagt sie, lächelt kurz und nimmt seine Hand in ihre.

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