Von ihrem Platz am Küchentisch in Shady Acres Addition blickte Nancy Howell durch das offene Fenster über die niedrige Hecke hinweg in den Garten des Nachbarhauses hinüber, das von Larry und Lila Connor bewohnt wurde. Die Connors hatten eine plattenbelegte Terrasse hinter dem Haus, und Nancy wartete eigentlich nur darauf, daß Lila Connor in ihrem zweiteiligen Badeanzug aus dem Haus kommen und auf der Terrasse ein Sonnenbad nehmen würde. Da aber Lila bis jetzt nicht erschienen war, bestand wenig Hoffnung, daß sie heute überhaupt noch kam. Es war auch sicher viel zu heiß zum Sonnen, über hundert Grad Fahrenheit in der Sonne. Da mußte man aufpassen, daß man keinen Sonnenbrand bekam, selbst wenn man schon so schön braungebrannt war wie Nancy und Lila.
Der eigentliche Grund für Nancys Warten auf Lila war der, daß sie dann ihrerseits in ihren zweiteiligen Badeanzug schlüpfen und Lila auf der Connorschen Terrasse Gesellschaft leisten konnte. Nicht etwa, weil sie an diesem Nachmittag unbedingt ein Sonnenbad nehmen wollte, sondern weil sie darauf spekulierte, von Lila ins Haus gebeten zu werden. Es war viel zu heiß, um es länger als höchstens eine Viertelstunde in der Sonne auszuhalten, und Lila würde bestimmt bald wieder hineingehen. Und ebenso sicher würde sie Nancy auffordern, mit hinein zu kommen.
Der springende Punkt war, daß Lilas Haus mit einer zentralen Klimaanlage ausgestattet war, und Nancys nicht. Doch nein, so ganz entsprach das nicht der Wahrheit; oben im Fenster von Nancys und Davids gemeinsamem Schlafzimmer war auch ein Klimagerät installiert, doch das war nicht dasselbe wie eine zentrale Anlage, bei der köstlich kühle Luft durch alle Heizungsrohre und von da durch Öffnungen in die Zimmer strömte. Es war ein erregendes, fast wollüstiges Gefühl, das einen überkam, wenn man in all dieser herrlichen Kühle durch die Räume spazierte, besonders wenn man nichts als einen Bikini trug. Nancy hielt es für regelrechte Verschwendung, daß Lila da drüben ganz allein war, während sie selbst hier im heißen Luftstrom des einzigen Ventilators vor sich hin kochte, und ihr überall auf der gebräunten Haut der Schweiß ausbrach und zwischen den festen Brüsten am Körper herabrann.
Nancy fühlte sich plötzlich schuldbewußt. Nicht, weil sie Lila um ihre Klimaanlage beneidete, sondern weil dieser Neid eine Kritik an David einschloß, die sie gewiß nicht beabsichtigte. David war ihre Freude und ihr Stolz. Nancy sah vollkommen ein, daß sich ein Lehrer wie David keine zentrale Klimaanlage leisten konnte, während ein erfolgreicher Wirtschaftsprüfer wie Larry Connor es sich sozusagen nicht leisten konnte, keine zu haben. Nancys ganze Liebe gehörte David, das stand fest, trotzdem aber mußte sie zugeben, daß Larry Connor ebenfalls ein sehr attraktiver Mann war und durchaus fähig, ein Mädchen, das vielleicht auf nüchternen Magen ein paar Martinis getrunken hatte, auf dumme Gedanken zu bringen. Mae Walters, die auf der gegenüberliegenden Seite des schmalen Durchgangs am Ende des Blockes wohnte, schätzte Larry und Lila nicht sehr, doch Nancy mochte sie beide, und David mochte sie auch, obgleich die Connors nicht übermäßig glücklich zu sein schienen und sich oftmals in Gegenwart anderer viele häßliche Dinge sagten.
Nancy sah auf die Armbanduhr, die David ihr vor drei Jahren, kurz vor der Hochzeit, zu Weihnachten geschenkt hatte. Es war genau drei Uhr. Zwar konnte man sich nicht unbedingt darauf verlassen, daß es Punkt drei Uhr war, nur weil die Uhr das behauptete, doch konnte man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß es gegen drei Uhr war. Nun, wie dem auch sei, es sah jedenfalls nicht so aus, als würde Lila heute noch zum Sonnen auf die Terrasse herauskommen.
Nancy seufzte und gab die Hoffnung auf. Sie beschloß, sich einen großen, eiskalten Gin-Tonic zu machen und sich damit oben ins Schlafzimmer mit der Klimaanlage im Fenster zurückzuziehen. Vielleicht würde sie sich auch hinlegen und ein bißchen schlafen. Und dann wäre es auf einmal fünf Uhr, und David würde aus der Schule kommen, wo er, obgleich heute Samstag war, den ganzen Tag zu arbeiten hatte. David gab während des Sommersemesters Nachhilfeunterricht in Englisch, weil sie dringend das zusätzliche Honorar brauchten, und das war ein großes Opfer für ihn, denn laut David brauchten nur ausgemachte Idioten Nachhilfeunterricht in Englisch. Häufig kam er so verärgert nach Hause, daß es einer behutsam und genau dosierten Mischung von Gin und Zärtlichkeit bedurfte, um ihn wieder freundlich zu stimmen.
Nachdem sie diesen Entschluß gefaßt hatte, erhob sich Nancy und zog mechanisch ihre Shorts herunter, die an der feuchten Haut der Schenkel klebten. Sie ließ Eiswürfel in ein hohes Glas fallen und füllte mit Gin und Tonic auf. Dann ging sie hinaus in den kleinen Flur und die Treppe hinauf ins Schlafzimmer.
Hier war es kühl, ein wohltuender Gegensatz zu den übrigen Räumen des Hauses, und hier merkte sie erst richtig, wie feucht ihre Bluse und die Shorts waren. Sie mußte unbedingt duschen. Also stellte sie ihr Glas auf das Nachttischchen, zog Shorts und Bluse aus und ging ins Badezimmer. Wohlig dehnte sie sich unter der warmen Brause und stellte dann kurz entschlossen auf kalt. Voll Vergnügen drehte und wand sie sich unter dem nadelscharfen Strahl.
Wieder im Schlafzimmer, betrachtete sich Nancy eingehend in dem hohen Spiegel, der innen an der Schranktür angebracht war. Was sie sah, gefiel ihr. Es war bestimmt nicht schlechter als das, was Lila Connor unter den gleichen Umständen zu sehen bekommen hätte… Mit einem kleinen Lächeln dachte sie, daß die zwei hellen Streifen oben und unten einfach schamlos wirkten. Zu schade, daß man sich nirgends ganz nackt sonnen konnte. Ja, sogar so weit mußte man mit den Konzessionen an das Schamgefühl der Nachbarn gehen, daß man zweiteilige Badeanzüge trug, statt richtige Bikinis. Mae Walters, zum Beispiel, war überhaupt gegen Bikinis, besonders wenn ihr Stanley in der Nähe war. Mehr als einmal hatte sie in Gegenwart von Nancy und Lila gesagt, daß sie klare, weiße Haut >so viel attraktiver< fände als sonnverbrannte. Außerdem trockne die Sonne die Haut nur aus und verursache frühzeitig Falten. Abermals lächelte Nancy ihrem faltenlosen Spiegelbild zu.
Sie fühlte sich jetzt kühl und sauber. Sie ging zum Bett, hockte sich auf den Rand und nahm ihr Glas. Langsam trank sie es aus; ihre Gedanken weilten voller Vorfreude beim heutigen Abend. Jack und Vera Richmond hatten die Howells, die Connors und die Walters’ zu einer Spießbratenparty im Garten eingeladen, und das bedeutete, daß sie heute einmal von der lästigen Pflicht, in der heißen Küche das Abendbrot machen zu müssen, befreit war, oder günstigstenfalls vom sorgfältigen Prüfen des Budgets im Hinblick darauf, ob man sich vielleicht ein Essen im Restaurant leisten könne. Die Richmonds bewohnten ein Ranch-Style-Haus auf der anderen Seite des Connorschen Grundstücks; Jack Richmond war Arzt, und das war ein noch lukrativerer Beruf als Wirtschaftsprüfer. Doch Jack und Vera waren schlichte, natürliche Menschen und gute Gesellschafter. Sie fühlten sich überall wohl. Sie waren etwa zehn Jahre älter als die Howells, die Walters’ und die Connors, die alle bis jetzt höchstens zweimal und mindestens einmal gewählt hatten.
Nach und nach war der Gin-Tonic schluckweise in Nancys Magen gelandet und begann dortselbst Wärme auszustrahlen. Sie setzte das Glas auf dem Nachttischchen ab und warf sich aufs Bett.
Sie wünschte, David käme nach Hause. Doch er hatte gesagt, fünf Uhr, und jetzt war es erst halb vier. Anderthalb Stunden sind eine lange Zeit für eine junge Frau, die untätig auf dem Bett liegt und sich nach ihrem Ehemann sehnt, dachte Nancy träge, und das nächste, das ihr zu Bewußtsein kam, war, daß sie die Augen aufschlug, und ER saß da, auf dem Bettrand, in die Betrachtung ihres Nabels versunken.
»Liebling«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Endlich bist du da.«
»Ja«, sagte er und streichelte sie. »Alle beide sind wir da.«
»War es schön heute?«
»Nein, höllisch heiß. Und enttäuschend.«
»Wieso enttäuschend? Samstags hast du doch keinen Unterrieht.«
»Aber ich muß Arbeiten zensieren, die das Ergebnis meines Unterrichts sind. Es ist einfach phantastisch, wie wenig ein gewissenhafter Dummkopf lernen kann, wenn er sich anstrengt.«
»Aber du darfst auch nicht zu viel erwarten von Schülern, die Nachhilfe in Englisch brauchen, Liebling. Wo bleibt deine Logik?«
»Du hast recht. Gott sei Lob und Dank für diese Kurve«, sagte er und zog geistesabwesend mit dem Finger eine von ihren Kurven nach. »Eine herrliche Einrichtung.«
»David, das kitzelt!« quietschte Nancy und gab ihm einen Klaps auf die Hand.
Unbekümmert lehnte sie sich in die Kissen zurück und betrachtete ihn mit einem Ausdruck, den man als blind begeistert bezeichnen konnte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: David bot keineswegs einen außergewöhnlichen Anblick; Nancys blinde Begeisterung war die Folge einer geheimnisvollen Anziehungskraft, die sie sich einfach nicht erklären konnte. Sie hatte sie vom ersten Augenblick ihres Kennenlernens an gespürt. Sie spürte sie noch, und war nur allzu willig, sie immer und ewig zu spüren, auch wenn sein kurzgeschorenes Haar eine Farbe besaß, die man bei allem Wohlwollen höchstens neutral nennen konnte, wenn seine Hände und Füße weit größer waren, als durch die übrigen Proportionen seines Körpers gerechtfertigt, und seine Nase fast ebenso schief war wie sein Lächeln. Mit einem Wort: David bildete in keiner Weise eine Gefahr für die Frauen, weder was ihre Hormone noch was ihre Moral betraf. Und doch, für Nancy war er eine Gefahr – und eine höchst angenehme dazu. Es war ein höchst zufriedenstellender Zustand.
»Liebling«, murmelte Nancy mit halbgeschlossenen Augen, »wieviel Uhr ist es?«
»Halb sechs. Warum?« fragte David und streckte einen Arm aus.
Flink rollte sich Nancy aus seiner Reichweite.
»Ich rechne nur aus, wieviel Zeit wir noch haben. Um sieben sollen wir bei den Richmonds sein, die wollen im Garten eine Spießbratenparty geben. Aber bis dahin kann man noch viel unternehmen. Wie wär’s, wenn du dich zunächst mal unter die Dusche begibst?«
»Große Lust habe ich nicht«, sagte David lüstern, »aber ich muß wohl.«
»Ja. Aber mach schnell, Liebling. Mir zuliebe, ja?«
Also schoß David ab ins Bad, und Nancy wartete, bis sie die Dusche hörte. Dann schlüpfte sie aus dem Bett, ging zum Toilettentisch und zog mit geistesabwesender Miene drei-, viermal die Bürste durchs Haar. Dann spähte sie durch die Vorhänge auf die Asphaltstraße hinaus. Vor dem Hause der Richmonds hielt der Lieferwagen einer einheimischen Bierfirma. Der Fahrer schob einen kleinen Handkarren die Einfahrt der Richmonds hinauf, der beladen war mit einem Fäßchen Bier mit Hahn und Pumpvorrichtung zum Zapfen, wie in einer Bar.
Na ja, dachte Nancy, jetzt, wo David bei mir ist und da drüben das Fäßchen wartet, kann ja aus dem Tag doch noch was werden. Und weiter kam sie nicht mit ihren Gedanken, denn auf sie zu kam, das Handtuch noch in der Hand, David, unverhüllte Lüsternheit im Gesicht.
»Und jetzt, Liebling, wehr dich!«
»Wer will sich denn wehren?« murmelte Nancy und öffnete ihm weit die Arme.