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Die Party war, wie sich herausstellte, gar keine Spießbratenparty. Das war natürlich keine beabsichtigte Irreführung; es war lediglich zur Gewohnheit geworden, Zusammenkünfte, bei denen im Garten gegrillt wurde, Spießbratenpartys zu nennen. Es gab Buletten, und Jack Richmond briet sie auf einem Grill über Holzkohlenfeuer. Dr. Jack Richmond war ausgesprochen paranoid in bezug auf seine Kunst, über Holzkohlenfeuer die Buletten genau richtig zu grillen, und es war jedermann strikt untersagt, ihm zu helfen oder sich einzumischen. Die Tatsache, daß er die gestärkte Mütze und Schürze eines Meisterkochs trug, durfte nicht zu Fehlschlüssen verleiten; seine Buletten waren tatsächlich so gut, wie er behauptete.

Sie in Shorts und er in langer Hose, gingen Nancy und David, die inzwischen noch eine ganze Menge unternommen hatten, um sieben Uhr hinüber. Sie nahmen den kürzeren Weg durch den Garten der Connors, und gerade als sie an deren Haus vorbeikamen, wurde oben ein Fenster geöffnet, und Larry Connors Stimme ertönte.

»He, Leute! Wir kommen gleich rüber!«

Nancy und David winkten zum Fenster hinauf, das sich sofort wieder schloß, und gingen weiter. Durch eine zweite niedrige Hecke betraten sie den Garten der Richmonds und dann die Terrasse, wo Dr. Jack seine gesamte Aufmerksamkeit auf eine herrlich rotglühende Schicht Holzkohle konzentrierte. Er drehte sich um und hob zum Gruß die Kohlenzange, und Nancy mußte – still für sich – zugeben, daß er so ziemlich der anziehendste Mann war, den sie je gesehen hatte. Sie war erstaunt, daß diese Feststellung sie so kalt ließ. Vielleicht ließ das auf eine Art Perversion oder Ähnliches schließen. War es anomal, wenn man eine schiefe Nase einer geraden vorzog?

»Willkommen, Nachbarn«, sagte Jack. »War das nicht Old Larry, der euch da gerade etwas nachgerufen hat?«

»Ja«, sagte Nancy. »Er sagte, er und Lila kämen gleich.«

»Ich muß sagen, es klang ziemlich vergnügt. Hoffentlich hält seine gute Laune an.«

»Ach, Larry ist schon in Ordnung«, sagte David.

»Na klar, und Lila ist ‘ne großartige Frau, und beide sind ein ganz reizendes Paar. Aber wenn sie anfangen, sich gegenseitig anzugiften, dann schafft das eine etwas gespannte Atmosphäre.«

Nancy mußte zugeben, daß das stimmte, doch sie gab es nur heimlich zu, ganz für sich. Sie fand, Jack Richmond hätte so etwas über Lila und Larry Connor nicht sagen dürfen, auch wenn es der Wahrheit entsprach. Gewiß, man spürte, daß die beiden in gewisser Weise verbittert waren, und diese Bitterkeit kam oft urplötzlich zum Ausbruch, wenn sie etwas getrunken hatten. Nancy nahm an, das kam davon, daß Lila nicht gerade vorsichtig war in der Wahl der Männer, für die sie ihren recht beachtlichen Sex-Appeal in Aktion treten ließ. Immerhin, Larry war seinerseits in gewissen Situationen auch nicht gerade mit Hemmungen belastet, was Nancy aufgrund persönlicher Erfahrungen bescheinigen konnte. Doch wie dem auch sei, sie glaubte nicht, daß Lila eine echte Nymphomanin war. Im Gegenteil, sie hegte sogar den Verdacht, daß Lila unter ihrer fast fiebrig wirkenden Oberfläche eher eiskalt war; jedenfalls machte Lila manchmal auf sie den Eindruck einer grausam-falschen Schlange. Zum Beispiel, wie sie den armen, alten Stanley Walters bearbeitete. Stanley war in keiner Weise ein Idealbild von Mann, ganz gewiß nicht, und es war ekelhaft, wie Lila ihn manchmal vorsätzlich dermaßen in Erregung versetzte, daß er das bißchen Verstand, das er besaß, dann auch noch verlor. Nancy hatte das Gefühl, daß sie das nur tat, um Stanleys Frau zu ärgern; vermutlich kam es Lila gar nicht zu Bewußtsein, wie grausam ihr Verhalten Stanley gegenüber war, der von Lila immer wieder enttäuscht und dem von Mae ständig die Hölle heißgemacht wurde, und der so in zweifacher Hinsicht das Opfer war. Nancy zuckte die Achseln. Sie mochte Lila trotz allem, und sie beabsichtigte nicht, das Thema, das Jack Richmond angeschnitten hatte, weiterzuverfolgen.

Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Vera Richmond mit einer Riesenschüssel Tomaten-, Gurken- und Zwiebelsalat aus dem Haus. Sie stellte die Schüssel auf ein Tischchen, und Nancy begrüßte sie und fragte, ob sie ihr helfen könne. Ja, sagte Vera, das könne sie.

»Mein Gott, Nancy!« sagte Vera. »Was hast du für herrlich braune Beine! Es ist richtig gemein von dir, Shorts zu tragen und uns andere hier alle in den Schatten zu stellen.«

Vera trug selber Shorts, und sie bewunderte Nancys Beine lediglich deshalb in so großzügiger Weise, weil sie, was ihre eigenen betraf, auch nichts zu fürchten hatte. Veras Gesicht wurde beherrscht von einer zu großen Nase und zu viel Zähnen, doch ihre Beine waren lang und schön, und wenn sie nicht ganz so gut waren wie Nancys, dann nur höchstens soviel, daß man gewiß keine Staatsaktion daraus zu machen brauchte.

Nancy machte auch eine dahingehende Bemerkung, und Vera lachte und zeigte dabei ihre langen Schneidezähne. Sie nahm Nancy mit in die Küche, wo weitere Platten, Schüsseln und Teller mit allerlei Leckerbissen bereitstanden. Auf eines durfte man sich bei Vera Richmond verlassen: Auf ihren Partys gab es stets nur das Beste vom Besten. Selbst bei einer so kleinen Sache wie dieser, wo nur ein paar Nachbarn zum Bulettenessen kamen. Kein Gedanke an Hackfleisch, das zu fünfzig Prozent aus Fett bestand! Vera kaufte immer das teuerste Rindfleisch und reichte die köstlichsten Beigaben dazu. Sie war Krankenschwester an dem Krankenhaus gewesen, an dem Jack Richmond hospitiert hatte und kam aus einer sehr armen Familie, deren zahlreiche Kinder niemals genug zu essen bekommen hatten.

Noch zweimal gingen sie hin und her, dann war alles draußen auf der Terrasse. Inzwischen waren auch Lila und Larry Connor herübergekommen und ebenfalls Mae und Stanley Walters von jenseits des Gäßchens. Lila unterhielt sich mit David, Larry sprach mit Mae, und Stanley stand am Grill bei Jack, der aus einem tragbaren Eiskasten die saftigen, dunkelroten Fleischklopse nahm und sie nebeneinander auf den Rost legte.

»Also«, sagte Nancy, »wieso kriegen eigentlich ausgerechnet die, die alle Arbeit tun, kein Bier?«

Sofort ging Stanley Walters ans Faß, zapfte zwei Glas Bier und reichte sie Vera und Nancy mit einer Bewegung, die er für galant-schwungvoll hielt. Stanley war unbeholfen und fett, und alles, was er tat, wirkte wie unbeabsichtigte, doch eher absurde als komische Clownerie. Er war als Manager der Filiale eines Schuhladenunternehmens in die Stadt gekommen, hatte aber bald seinen Job verloren, und Mae hatte ihm zugeredet, ein Bankdarlehen aufzunehmen und selbst ein Geschäft aufzumachen. Schuhe für die ganze Familie, zu Familienpreisen. Nach einem schleppenden Start begann es jetzt langsam zu florieren. Das Darlehen war fast ganz zurückgezahlt. Mae hielt die Bücher in Ordnung, und sie hielt auch Stanley in Ordnung. Mae war groß und hatte leuchtend rotes Haar und weiße Haut, die keine Sonne vertrug. Für ihre Größe war sie nicht zu dick, aber sie hatte große Brüste und breite Hüften und wirkte dadurch schwerer als sie war.

»Der Nektar der Götter für unsere Göttinnen«, strahlte Stanley.

»Stanley«, sagte Mae und wandte sich um, »es ist noch zu früh, dich zum Narren zu machen. Warte doch bitte, bis du wenigstens zwei Bier getrunken hast.«

Stanley hatte kein Talent zur Verstellung. Er errötete und biß sich auf die Lippen wie ein kleiner Junge, der mühsam die Tränen zurückhält. Stumm ging er zum Grill zurück. Unglücklicherweise mußte er an Lila vorbei. Sie streckte die Hand aus und nahm ihn beim Arm.

»Stanley, Liebling«, sagte sie, »du hast mir noch keinen Willkommenskuß gegeben. Was ist los? Bist du mir böse?«

Einladend hob sie das Gesicht, und Stanley küßte sie mit dem automatischen Reflex eines guttrainierten Hundes. Doch sogleich wurde ihm klar, was er getan hatte, und er machte ein ganz entsetztes Gesicht. Betretenes Schweigen überall. Dann rettete David die Situation.

»Ich möchte mal wissen«, grollte er, »warum Stanley bevorzugt wird. Ich habe auch noch niemandem einen Willkommenskuß gegeben.«

Und er gab Lila einen Kuß, der Nancy verdächtig liebevoll vorkam, doch dann sagte Larry Connor: »Wie heißt’s in der Bibel? Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Und er kam zu Nancy herüber und küßte sie mit einer Leidenschaft, die sie nicht ganz für gespielt hielt. Mae Walters, die eigentlich näher bei der Hand gewesen wäre, schien das auch zu spüren, doch Jack Richmond machte das wieder gut, indem er prompt seinerseits Mae abküßte, und dann küßte jeder jeden, und die Party war gerettet.

Kurz darauf waren die Buletten gar und konnten vom Grill genommen werden. Alle fingen an zu essen und statteten auch fleißig dem Fäßchen Besuche ab. Selbst Mae war schließlich so gelöst, daß sie sich der betonten Aufmerksamkeit Dr. Jacks, die dazu beitragen sollte, dem armen Stanley gut Wetter zu verschaffen, ehrlich freuen konnte.

Kurz nach acht begann es dunkel zu werden, und eine schmale Mondsichel wanderte am Himmel herauf. Die Party kam in Schwung.

Etwas später – so zwischen neun und zehn – fand sich Nancy mit Larry Connor auf einer Rotholzbank. Lilas Mann hatte ein Glas nach dem anderen gekippt und war immer nüchterner, deprimierter und enttäuschter geworden. Nancy hatte immer gefunden, daß Larry enttäuscht wirkte. Enttäuscht von seiner Liebe, die erkaltet war; enttäuscht von einer Arbeit, die ihm keine Freude mehr machte; enttäuscht von seinen Hoffnungen, die sich nicht erfüllt hatten: Larry hätte Dichter werden sollen, fand Nancy. Zumindest sah er so aus: heiße Augen, schmal und dunkel, schwarzes Haar, immer ein wenig wirr. Er erinnerte sie an François Villon. François Villon, wie er die Mauern seines geliebten Paris verließ, um für immer zu verschwinden.

»Wie war Paris, als du es verließest?« fragte Nancy ernsthaft.

»Was?« fragte Larry Connor.

»Ach nichts, Larry. Ich hab nur ‘nen kleinen Schwips.«

»Ist er groß genug, um einen nachbarlichen Kuß zu gestatten?«

Er küßte sie, bevor sie etwas entgegnen konnte, und sie war erstaunt und gerührt, weil dieser Kuß nur kurz und sehr zärtlich war, und ganz und gar nicht die Einleitung zu weiteren Intimitäten zu sein schien, die hätten zurückgewiesen werden müssen.

»Du bist ein liebes Mädchen, Nancy«, sagte Larry Connor. »Ich wünschte, ich wäre David.«

»Warum denn? David ist jetzt bestimmt irgendwo in der Nähe und küßt Lila.«

»Wenn das wahr ist, so helfe ihm Gott.«

»Ach, hör auf, Larry. Lila ist eine schöne Frau. Sie sieht Natalie Wood so ähnlich, daß es schon richtig gemein ist.«

»Wirklich? Ist mir noch nicht aufgefallen. Ich glaube, ich habe mein Wahrnehmungsvermögen verloren. Und auch die Fähigkeit, zu empfinden.«

»Armer Larry! Alt und hinfällig geworden.«

»Na schön, das klingt vielleicht hochtrabend, ist aber wahr. Ich habe kürzlich viel über F. Scott Fitzgerald nachgedacht«, sagte Larry unvermittelt.

»Vielleicht solltest du Jack bitten, daß er dir etwas dagegen verschreibt.«

»Ja, vielleicht. Fitzgerald hatte eine Art Leitspruch, weißt du. Das Schlimmste im Leben ist, wenn man die Fähigkeit verliert, intensiv zu empfinden. Entartung nannte er es. Entartung der Lebenskraft. Horch doch mal einen Augenblick, Nancy. Was hörst du?«

Nancy lauschte. Doch in ihrem Kopf wirbelte es, und alles, was sie hörte, war ein angenehmes Klingen im Ohr – größtenteils Musik, die aus Jacks Hi-Fi-Anlage im Haus auf die Terrasse herausdrang.

»Nicht viel«, sagte sie.

»Siehst du, das meine ich. Um uns herum gibt es unzählige Geräusche, aber wir vernehmen sie nicht. Kannst du dich noch erinnern, was du als Kind in einer Nacht wie dieser empfunden hast? Ich zum Beispiel saß immer da und lauschte auf jedes Geräusch für sich. Es war ein intensiv trauriges, fast quälendes Gefühl – eine Art bitterer, herrlicher Ekstase. Doch nun ist das alles vorbei. Ich erinnere mich daran, aber ich höre und empfinde es nicht mehr.«

»Du mußt dir nur Mühe geben, Larry. Dann kommt es wieder.«

»Nein, es kommt nicht wieder. Niemals.«

Larry war so merkwürdig, daß Nancy unruhig wurde. Gleichzeitig verspürte sie den Wunsch, seinen Struwwelkopf an ihre Brust zu ziehen. Sie unterdrückte ihn jedoch. Er entsprang hauptsächlich der Wirkung des Alkohols, sagte sie sich, und konnte leicht zu einem Gefühl überleiten, das gefährlich mehr war als mütterliche Zärtlichkeit. Sie wartete, daß Larry weitersprach.

»Weißt du eigentlich, wie ich Lila kennengelernt habe?« fragte er. »Hat Lila dir das mal erzählt?«

»Nein.«

»Na, ist ja auch egal. Sie hätte dir auch nur Lügen aufgetischt.«

»Larry, so etwas darfst du nicht sagen! Du bist betrunken, sonst hättest du das nicht gesagt.«

»In vino veritas, oder wie immer Bier auf Latein heißt«, sagte Larry mit bitterem Lachen. »Lila ist die geschickteste Lügnerin der Welt. Wußtest du das nicht, Nancy? Ich hab’ eine ganze Zeit gebraucht, bis ich dahinterkam, und mehr noch, ihre Lügerei ist schon psychopathisch. Stets zieht sie die Lüge der Wahrheit vor. Sie hat kein Gewissen, kann nicht unterscheiden zwischen Recht und Unrecht. Sie ist nicht richtig im Kopf, Nancy, und dafür gibt es kein Heilmittel, es sei denn, man erlöste sie von ihrem Leiden, wie man einen tollen Hund erlöst, den man einfach abknallt.«

Wenn Larry Connor einen betrunkenen Eindruck gemacht hätte, wäre Nancy einfach von der Bank aufgesprungen und weggegangen. Doch er klang nicht betrunken. Er klang stocknüchtern, ja sogar kühl und überlegt, als denke er laut über ein schwieriges Problem nach.

»Larry, bitte sag nichts, das dir hinterher leid tut«, bat Nancy. »Da sind Lila und Jack. Komm, wir gehen hinüber.«

»Augenblick, Nancy. Ich wollte dir doch erzählen, wie ich Lila kennengelernt habe. Das war in Kansas City. Ich arbeitete dort mit zwei älteren Wirtschaftsprüfern in einem Büro, und alles lief großartig. Es gab sogar ein Mädchen, das ich heiraten wollte. Und dann ging ich eines Abends zu einer Cocktailparty, und dort traf ich Lila. Sie saß ganz allein mit einem Martini in der Hand in einer Ecke. Ich ging hin und unterhielt mich mit ihr. Gemeinsam verließen wir die Party und aßen zu Abend, und hinterher gingen wir in ihre Wohnung. Sie fing an, von sich zu erzählen. Sie war gerade geschieden, wie sie sagte, und zwar von einem Sadisten, der sich gefreut hatte, wenn sie litt. Ich wurde wütend und ritterlich und entwickelte einen prächtigen Haß auf den armen Teufel.

Nichts davon war wahr. Ich traf ihn, als Lila und ich etwa ein Jahr verheiratet waren, und da stellte es sich heraus, daß er der netteste Kerl war, den man sich denken kann. Außerdem war er gar nicht ihr erster Mann gewesen, wie sie behauptete, sondern ihr dritter. Ich bin der vierte, und sie ist erst sechsundzwanzig. Mit sechzehn hatte sie angefangen; ziemlich früh. Von Ehemann Nummer eins und drei hatte sie sich scheiden lassen, Nummer Zwei beging Selbstmord.«

»Larry, du mußt aufhören damit. Ich will nichts mehr hören.«

»Glaubst du mir nicht?«

»Ich will dir einfach nicht mehr zuhören.«

»Bitte, Nancy! Du bist die einzige hier, aus der ich mir etwas mache. Ich möchte, daß du alles verstehst, was vielleicht später noch geschieht.«

»Bitte, sprich nicht so, Larry. Du machst mir angst.«

»Nein, nein, erschrecken will ich dich nicht. Für mich ist es eine Art Therapie, mit dir zu sprechen, Nancy. Bitte, erlaube es mir. Hast du jemals darüber nachgedacht, warum Lila und ich vor einem Jahr hierhergezogen sind?«

Nancy lehnte sich zurück. »Ihr seid gekommen, weil du die Firma des alten Mr. Campbell übernommen hast, nicht wahr? Ich hörte, daß du sie kurz vor seinem Tode gekauft hast.«

»Nein, in Wahrheit dachte ich, wir könnten hier, in der Kleinstadt, noch einmal von vorne anfangen, Lila und ich. Sie hatte etwa tausend Dollar Schulden gemacht, die ich nicht bezahlen konnte, trotz meines guten Einkommens. Ich dachte, hier würde sie vielleicht anders werden. Aber sie ist nicht anders geworden. Ich habe erst die Hälfte der Schulden in Kansas City abgezahlt, und schon wieder stürzt sie mich bis an den Hals in neue Schulden. Ich weiß nicht mehr aus noch ein, Nancy. Vielleicht schmeiße ich eines Tages alles hin und verschwinde.«

»Weglaufen nützt nichts, Larry.« Nancy fühlte sich äußerst unbehaglich.

»Ich weiß nicht recht. Nette Nachbarn habt ihr, Nancy.«

»Jawohl, genau das finden wir auch, David und ich«, murmelte Nancy hilflos.

»Das kommt, weil ihr die Wahrheit nicht kanntet und sie vermutlich auch nicht geglaubt hättet, wenn sie euch jemand gesagt hätte. Trotzdem, vielen Dank.«

»Jawohl, Nancy«, kam plötzlich Lilas Stimme hinter der Bank hervor. »Nett von dir, das zu sagen. Larry, Liebling, bist du Nancy mit deinen betrunkenen Phantastereien auf die Nerven gefallen? Was treibt dich nur immer, solche monströsen Lügengeschichten zu erzählen, wenn du blau bist?«

Nancy fuhr hoch, erschreckt und beschämt. Lila Connor betrachtete ihren Mann mit eigenartigem Lächeln. Jack Richmond, der neben ihr stand, trug seine Berufsmiene zur Schau, als befinde er sich in seiner Praxis. Larry zuckte nur die Achseln; er wandte noch nicht einmal den Kopf.

»Mußt du dich unbedingt so heranschleichen, Lila? Ich habe Nancy gerade erzählt, was für eine Psychopathin du bist.«

»Ja, das hörte ich. Nancy, du darfst ihm das nicht übelnehmen. Er sagt alles mögliche, wenn er damit das Mitgefühl einer netten, kleinen Frau erringen kann.«

»Ach, laßt doch«, sagte Jack Richmond. »Kommt, holt euch noch ein Bier.«

»Lieber nicht«, sagte Lila. »Ich glaube, wir gehen besser nach Hause. Meinst du nicht, daß es besser ist, wenn wir jetzt nach Hause gehen, Larry?«

»Ja, natürlich.« Larry erhob sich seufzend, die personifizierte Niederlage, als habe er verloren, verloren und noch mal verloren. »Gute Nacht, Nancy. Gute Nacht, Jack. Das nächstemal paß besser auf, wen du dir einlädst, Jack.«

Er ging davon, in die Dunkelheit hinter der Terrasse hinein, auf sein Haus zu. Lila Connor stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. Sie schien etwas sagen zu wollen, doch dann hob sie die Arme, ließ sie wieder fallen und ging ihrem Mann nach.

»Tja«, sagte Jack, »immer dasselbe mit den beiden. Worum, in aller Welt, hat sich’s denn eigentlich gedreht, Nancy? Ich hab’ nur die letzten Worte mitgekriegt.«

»Ich möchte lieber nicht darüber sprechen, Jack.«

»Recht hast du«, stimmte der Doktor sofort zu. »Komm, sehen wir nach, ob wir nicht noch mehr Feuer löschen müssen, Nancy. Ich glaube, Mae macht Stanley mal wieder das Leben schwer.«

Doch Mae und Stanley Walters befanden sich zur – willkommenen – Abwechslung einmal im Waffenstillstand, und bald sagten, ohne daß sich weitere Zwischenfälle ereigneten, die Walters gute Nacht und gingen über das Gäßchen nach Hause. Jack und David tranken noch ein letztes Bier, während Nancy Vera half, die Terrasse aufzuräumen. Dann verabschiedeten sich auch Nancy und David. Sie nahmen wieder ihren Weg durch den Connorschen Garten. Obgleich es noch zeitig war, kaum elf Uhr, sahen sie nur noch ein Licht im Connorschen Haus; es kam aus einem Zimmer im ersten Stock.

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