6

Wenn die Türen, die vom Hauptraum des Polizeipräsidiums zu den Nebenbüros führten, offenstanden – und das taten sie meist bei der großen Hitze – , war jedes Geräusch, das aus dem Hauptraum drang, überall zu vernehmen, auch von denjenigen, die sich vielleicht lieber um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert hätten.

Als das Telefon klingelte und der diensttuende Beamte antwortete, ertappte sich Leutnant Augustus Masters, eingepfercht in sein winziges, zum Schwitzbad gewordenes Büro, dabei, daß er unwillkürlich die Ohren spitzte. Jahrelange Erfahrung mit den Nuancen in der Stimme des Beamten sagte dem Leutnant, daß eine Meldung von ungewöhnlicher Bedeutsamkeit durchkam, ein logischer Schluß, der auf der Stelle Bestätigung fand, denn der Beamte rief den Chef an und bat ihn, das Gespräch zu übernehmen. Gleich darauf hörte Masters die Stimme des Chefs aus dessen Büro auf der anderen Seite des Hauptraumes. Lauschen auf eine derartige Entfernung verlangt äußerste Konzentration, und hätte Masters sich angestrengt, so hätte er Aufschlußreiches erfahren können; doch er machte sich die Mühe nicht.

Er machte sich die Mühe nicht, weil er wußte, daß der Chef ihn in jeder Angelegenheit von einiger Bedeutung sofort konsultieren würde. Der Polizeichef, reich an Jahren und auf ehrbare Senilität zusteuernd, war ein hilfloser Krüppel in bezug auf sämtliche Polizeivorgänge, die einige Geistesschärfe erforderten, und Masters war seine wertvollste Krücke.

Hier und da dachte Masters sehnsüchtig an die Möglichkeit, selbst Nachfolger des Chefs zu werden, doch es schien, als werde der Alte, von keinem Pensionierungsgesetz gezwungen, sich zur Ruhe zu setzen, ewig leben. Überdies sah Masters ein, daß er den Posten sowieso nicht bekommen würde. Er hatte nämlich ein einziges Handicap, doch das war entscheidend: Er sah aus wie ein Clown. Er wirkte in den Augen anderer stets so, als werde er sich gleich in eine Sahnetorte setzen oder der Länge nach hinfallen.

Als er merkte, daß der Chef aufgehört hatte zu sprechen, begann er zu zählen – pro Sekunde eine Zahl. Gewöhnlich dauerte es neun Sekunden, doch in letzter Zeit war der Chef langsamer geworden. Er brauchte jetzt etwa vierzehn Sekunden. Er war jedoch erst bei zwölf, als der Chef schon hereinkam und sich in den zweiten Stuhl fallen ließ. Masters stieß einen leisen Pfiff aus. Das mußte ja ein dickes Ding sein!

Ein Blick in das gefurchte, krebsrote Gesicht, und Masters wußte, daß der Anruf nicht nur etwas Wichtiges, sondern direkt eine Katastrophe betreffen mußte. Der Chef war nahezu hysterisch. Es ist eine Schande, dachte Masters, daß die hiesigen Bösewichter nicht einen Waffenstillstand ausriefen und dem alten Mann seinen Frieden ließen, bis die Totengräber ihre Pflicht an ihm tun konnten.

»Was ist es denn?« fragte Masters. »Ein Mord?«

Die Stirn des Alten, zerfurcht wie das ausgedörrte Bett eines trockenliegenden Arroyo, wurde plötzlich so glatt wie seine Schädeldecke.

»Woher wissen Sie das?« fragte er erstaunt.

»Ich bin ein Medium«, seufzte Masters. »Wer ist es denn?«

Mit einer altmodischen Bandana tupfte sich der Chef den Schweiß vom Gesicht. »Eine Frau namens Connor, Mrs. Lila Connor. Wohnt draußen in Shady Acres. Ihr Mann ist Larry Connor, der Wirtschaftsprüfer. Er ist verschwunden, und es scheint, daß er sie umgebracht hat.« Einen Augenblick machte der Alte ein gut gelauntes Gesicht. »Scheint ein ganz einfacher Fall zu sein, Gus. Wir brauchen nicht mehr als ein paar Einzelheiten, dann können wir gleich die Verhaftung vornehmen.«

»Wenn wir Connor gefunden haben, meinen Sie.«

»Natürlich. Die Connors sind ziemlich bekannt bei den jüngeren Leuten. Da werden die Zeitungen den Fall vermutlich ganz groß ‘rausbringen.«

»Nun ja, jeden Tag gibt’s hier ja auch keinen Mord. Möchten Sie, daß ich mich darum kümmere?«

»Ja, Gus. Das ist genau der richtige Fall für Sie. Außerdem gibt’s auch wohl kaum noch viel zu ermitteln.«

»Danke«, sagte Masters trocken.

»Sie müssen mit den Nachbarn sprechen, aber seien Sie vorsichtig. Ich wünsche keine Beschwerden. Der Mann, der angerufen hat, war Dr. Jack Richmond. Sie wissen doch, John R. Richmond, nicht? Leute von der Sorte können uns das Leben ziemlich sauermachen, wenn sie sich über uns ärgern.«

»Über mich ärgert sich keiner, Chef. Das wissen Sie doch. Gus, die Liebenswürdigkeit in Person, stimmt’s?«

»Na ja, schon gut. Also machen Sie, daß Sie dort hinkommen. Ich werde inzwischen den Coroner benachrichtigen. Hier ist die Adresse.«

Masters nahm den Zettel und ging. Er war nur ein klein wenig verbittert; das Lachen, das ihm in der Kehle brannte, verriet nur wenig Hohn. In knapp zehn Minuten war er in Shady Acres, und in weiteren fünf hatte er das Haus gefunden. Komisch, es war kein Mensch zu sehen.

Er ging ums Haus; jetzt hörte er Stimmen.

Auf der mit Platten belegten Terrasse saßen sechs Personen.

Augenblicklich verstummte ihr Gespräch, und sie beobachteten seinen Anmarsch mit kritischem Interesse. Masters hätte schwören können, daß sie sofort seine Ähnlichkeit mit VV. C. Fields bemerkten und ihm entsprechende Minuspunkte als Polizeibeamter gaben. Doch das störte ihn weiter nicht. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß ihm das nur von Nutzen sein konnte.

»Mein Name ist Masters«, stellte er sich vor. »Polizeileutnant. Wer von Ihnen ist Dr. Richmond?«

»Ich«, sagte Jack.

»Sie haben einen Mord gemeldet?«

»Ganz recht. Mrs. Connor ist erstochen worden. Sie liegt oben in ihrem Schlafzimmer. Das heißt, die Leiche liegt dort.«

»Haben Sie die Leiche gefunden?«

»Jawohl.«

»Ich war dabei«, sagte Nancy. »Ich bin Nancy Howell.«

»Ich auch«, sagte David. »Ich bin David Howell.«

»Warum?« wollte Masters wissen.

»Weil Jack nicht gehen wollte«, erwiderte Nancy. »Mein Mann wollte eigentlich auch nicht. Erst als ich drohte, allein zu gehen, sind sie mit mir gekommen.«

»Das meine ich nicht, Mrs. Howell. Warum ist überhaupt jemand gegangen? Ist das in dieser Gegend so üblich, daß man in anderer Leute Häuser eindringt und in ihre Schlafzimmer schaut?« Die alte Tour, dachte Masters: Nur ein bißchen hochzubringen braucht man sie, dann machen sie schon den Mund auf.

Doch in den leicht geröteten Gesichtern bemerkte er keinerlei Reaktion. Sie standen anscheinend noch zu sehr unter der Schockwirkung des Mordes. »Lila und Larry hatten gestern abend auf der Party Streit«, sagte die hübsche Kleine, die Nancy Howell hieß. »Und dann ist Larry hinterher weggefahren, und da sich auch Lila den ganzen Tag nicht sehen ließ, machte ich mir natürlich Gedanken.«

»Und da sind Sie herübergekommen und in Mrs. Connors Schlafzimmer eingedrungen.«

»Durchaus nicht. So einfach war das nicht. Zuerst bin ich mit einem Shaker Gin-Tonic herübergekommen, aber da habe ich höchstens einen Schritt ins Haus hinein gemacht. Ich habe gemerkt, daß die Klimaanlage abgestellt war. Das kam mir sehr sonderbar vor, und daher beschloß ich, in die Stadt zu Larrys Büro zu fahren und nachzusehen, ob er dort war. Aber niemand hat mir aufgemacht.«

»Wieso glaubten Sie, daß er an einem Sonntagmorgen in seinem Büro sein würde?«

»Weil er mir gesagt hatte, daß er ins Büro fahren wolle. Gestern abend, meine ich, als ich ihn wegfahren sah. Das macht er manchmal, im Büro übernachten, wenn er mit Lila Krach hat.«

»Ich verstehe«, sagte Masters.

Er verstand durchaus nicht, doch zumindest hatte er einen vagen Eindruck von dem, was sich abgespielt hatte. Dieser Eindruck würde klarer werden, wenn er die Leiche und das Schlafzimmer untersucht hatte. Zu gegebener Zeit würde er sich dann noch einmal diese Nachbarn, die hier auf der Connorschen Terrasse versammelt waren, vornehmen, vor allem diesen kleinen Irrwisch mit der lockeren Zunge.

»Würden Sie mir jetzt bitte die Tote zeigen, Doktor?« bat er Jack Richmond.

»Ich komme mit, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Nancy.

»Ich nicht«, sagte David, »falls Sie nicht darauf bestehen.«

»Einer genügt«, sagte Master. »Bitte, Doktor.«

An der Tür zum Mordzimmer trat Jack Richmond beiseite. Masters machte drei Schritte ins Zimmer hinein und blieb stehen. Die Frau lag auf dem Boden; aus ihrer linken Brust ragte der Griff der Waffe, die sie getötet hatte. Donnerwetter, muß ja ein Mordsweib gewesen sein, dachte Masters.

»Hat hier jemand etwas berührt, Doktor?«

»Nein. Nancy ist ohnmächtig geworden, als sie die Leiche sah, und David mußte sie nach unten tragen. Ich bin sofort ans Telefon unten im Flur gegangen und habe die Polizei angerufen.«

»Daran taten Sie recht.«

Masters kniete sich neben die Leiche und betastete sie mit den Fingerspitzen. Die Waffe, stellte er fest, war kein Messer, sondern ein Brieföffner aus Metall. Die Frau war offensichtlieh bereits seit geraumer Zeit tot. Fast hätte er den Doktor nach seiner Meinung gefragt, doch die Vorsicht gebot ihm, das lieber nicht zu tun. Es war besser, auf den Bericht des Polizeiarztes zu warten. Masters stand auf und wischte sich mit dem Taschentuch die Finger ab. Dann durchsuchte er kurz das Zimmer.

»Komisch«, sagte er.

»Das, würde ich sagen, hängt davon ab, was man unter komisch versteht«, sagte Jack Richmond von der Tür her.

»Merkwürdig, meine ich.«

»Was?«

»Das Zimmer. Es ist so ordentlich. Wenn dem Mord ein Streit zwischen ihr und ihrem Mann vorangegangen ist, müßten doch Anzeichen für einen Kampf zu finden sein.«

»Nicht unbedingt, Leutnant. Larry war in mancher Hinsicht ein eigenartiger Mensch. Ich könnte mir vorstellen, daß er in dem Augenblick, als er sich zu dieser drastischen Maßnahme gezwungen sah, sie sehr sauber und ordentlich ausführte. Vermutlich hat er einfach den Brieföffner genommen und zugestochen, noch ehe Lila erkannte, was er beabsichtigte.«

»Sie sind ja sehr sicher, daß er der Täter ist, Doktor.«

»Es deutet doch alles darauf hin, nicht? Er ist davongelaufen. Und wer sonst hätte Gelegenheit zur Tat gehabt?«

Masters knurrte. »Weshalb glauben Sie, daß die Mordwaffe ein Brieföffner ist?«

»Weil der Griff danach aussieht, deshalb.«

»Stimmt. Sie haben gute Augen, Doktor. Ich frage mich nur, warum die Klimaanlage abgeschaltet ist. Wüßten Sie darauf vielleicht eine Antwort?«

»Gewiß. Als die beiden gestern abend nach Haus kamen, war es inzwischen viel kühler geworden. Ich nehme an, sie wollten hier oben die Fenster öffnen. Frische Luft ist in jedem Fall besser als eine Klimaanlage. Meine Frau und ich haben das gleiche getan.«

»Aber es sind keine Fenster offen.«

»Dann sind sie eben nicht mehr dazu gekommen, sie zu öffnen. Vermutlich kam der Streit dazwischen.«

»Gut kombiniert, Doktor. Nun ja, hier gibt’s nichts mehr zu tun, bis nachher der Coroner und mein Fingerabdruckexperte kommen. Gehen wir wieder hinunter auf die Terrasse.«

Draußen im Flur blieb Masters unvermittelt stehen und starrte auf die Wand neben der Schlafzimmertür, als habe er plötzlich eine überaus wichtige Entdeckung gemacht.

»Ist das der Thermostat?«

»Ja, ich glaube schon.«

Er streckte den Arm aus und drehte mit dem Zeigefinger langsam den Zeiger, der die Temperatur regulierte. Gleich darauf kam aus den Luftöffnungen ein schwaches Klicken und ein leichter Luftstrom.

»Er geht«, sagte Masters.

»Natürlich geht er. Was dachten Sie denn?«

»Ich dachte, er wäre vielleicht kaputt. Aber er geht.« Er drehte den Zeiger in die alte Stellung zurück, und der Luftstrom versiegte. »Der Thermostat muß absichtlich so eingestellt worden sein, daß die Klimaanlage nicht ansprang.«

»Natürlich. War meiner auch, gestern abend. Sie wollten eben die Fenster öffnen.«

»Zweifellos eine äußerst logische Erklärung, Doktor. Na, dann wollen wir mal nach unten gehen.«

Auf der Connorschen Terrasse übernahm es Jack Richmond, Leutnant Masters offiziell vorzustellen, und Masters merkte sich jedes Gesicht, wobei er sich in Gedanken die entsprechenden Notizen dazu machte. Stanley Walters war eine Qualle; unter Druck gesetzt, positiver oder negativer Natur, würde er vermutlich weich werden und nachgeben. Seine bemerkenswerte Frau, Mae Walters, besaß sehr schlechte Nerven; ihr Einfluß auf Stanley, der fast in Zwang ausartete, ließ der Verbindung der beiden auf die Dauer nur geringe Chancen. David Howell war ein liebenswerter Bursche mit offenem, sauber geschrubbtem Gesicht, doch mochte dies eine gute Tarnung sein für einen Menschen, der unter Umständen ganz anders war. Nancy Howell, bereits notiert als Irrwisch, besaß nichtsdestoweniger eine Art naiver Neugier, die, gekoppelt mit Scharfsinn, sie sowohl nützlich als auch lästig werden lassen mochte, mit ihrem Charme bildete sie bereits jetzt eine Gefahr für Masters’ Objektivität. Vera Richmond, hübsch und fest in den Hüften, machte ihm den Eindruck einer Frau, die die Dinge so nahm, wie sie waren, ihre Nerven waren vermutlich so gut wie die von Mae Walters schlecht. Was den Doktor, ihren Mann, betraf, so sah er für Masters’ Geschmack viel zu gut aus, denn der gute Masters war auf Grund seiner eigenen Häßlichkeit einfach allergisch gegen gutaussehende Männer. Nach seiner Erfahrung gerieten solche Männer nur allzuleicht in Schwierigkeiten.

»Sagten Sie nicht, hier war eine Party gestern abend?« fragte Masters.

»Hier nicht«, sagte Dr. Richmond. »Bei mir, nebenan. Auf unserer Terrasse, um genau zu sein. Es waren nur ein paar Nachbarn zum Bier da.«

»Welche Nachbarn?«

»Die, die hier sind, plus Larry und Lila Connor.«

»Ist während der Party irgend etwas vorgefallen, das ein Licht auf die späteren Geschehnisse werfen könnte?«

»Auf keinen Fall etwas, woraus wir schließen konnten, daß Larry hingehen und Lila umbringen würde. Keiner von uns wäre überrascht gewesen, wenn sich die beiden getrennt hätten, aber Mord – nein, bestimmt nicht.«

»Soso. Sie scheinen Einwände zu haben, Dr. Richmond. Bitte, seien Sie offen zu mir; es könnte uns allen viel Zeit und Mühe sparen. Hatten die Connors während der Party einen Streit?«

»Nein. Gleich zu Beginn gab es zwar einen etwas prekären Moment, doch daraus entwickelte sich weiter nichts.«

»Was war denn da los, Doktor?«

Jack Richmond zögerte. Prompt nahm Mae Walters den Faden auf.

»Jack meint«, sagte sie, »daß Lila meinem Mann Avancen gemacht hat. Sie hat sich einfach schamlos benommen. Sie hat Stanley jedesmal Avancen gemacht, wenn er in ihre Nähe kam.«

Selbst bei wohlwollendster Beurteilung von Stanley Walters’ Erscheinung und selbst unter Berücksichtigung der Unberechenbarkeit weiblicher Drüsenfunktionen kam Masters diese Anschuldigung unglaubwürdig vor. Er hegte den Verdacht, daß Stanley lediglich ein willfähriges Werkzeug gewesen war, um Mae Walters auf die Palme zu bringen.

»Hat sie das wirklich getan, Mrs. Walters?« fragte Masters freundlich. »Hier, vor sieben Personen, ihren eigenen Mann eingerechnet?«

»Lila war schamlos, sage ich Ihnen. Sie hatte so viel Anstandsgefühl wie eine streunende Katze. Ich wundere mich nur, daß Larry sie nicht schon viel eher umgebracht hat.«

»Aber Mae!« sagte Stanley impulsiv und ganz gewiß undiplomatisch. »Von mir aus kannst du mich hier zum Idioten stempeln, denn der bin ich nun mal, aber Lila brauchst du nun wirklich nicht schlechter zu machen, als sie war. Sie war eben so, sie konnte nichts dafür. Es hatte nichts zu bedeuten.«

»Ja, Mae«, sagte Vera Richmond, »du darfst nicht übertreiben. Du weißt genau, daß Lila nichts weiter verbrochen hat, als Stanley einen völlig harmlosen Kuß zu geben. Und dann, Leutnant, haben wir sogar alle angefangen, uns gegenseitig abzuküssen, und ich muß sagen, Mae, es scheint dir ebenso gut gefallen zu haben wie uns.«

Mae Walters schoß einen wütenden Blick zu ihr hinüber.

»Und es ist nichts weiter vorgefallen, das ich vielleicht noch wissen sollte?« fragte Masters.

»Gar nichts, Leutnant«, sagte Vera. »Es war einfach eine kleine Gartenparty. Gangster hatten wir nicht geladen.«

»Aber offensichtlich einen Mörder«, sagte Masters.

»Larry?« Vera runzelte die Stirn. »Vielleicht stellt sich heraus, daß Larry Lila tatsächlich umgebracht hat, aber ich weigere mich, in ihm einen Mörder zu sehen.«

Diese Art, die Dinge zu nehmen, war so unlogisch, wenn nicht absurd, daß es Masters die Sprache verschlug. Sogleich sprang Nancy in die Bresche, mit einem Gesicht, als genüge sie einer unangenehmen Pflicht.

»Es stimmt nicht ganz, daß nichts weiter passierte«, sagte Nancy. »Ich meine, in einer solchen Situation kann sich doch jede Kleinigkeit als wichtig erweisen, nicht wahr?«

»Meine liebe Nancy, die Frage ist nur, ob es richtiger ist, darüber zu sprechen oder den Mund zu halten«, sagte Vera Richmond.

»Ich würde es vorziehen, wenn Mrs. Howell spräche«, sagte Masters. »Ja? Bitte, fahren Sie fort.«

»Ich mußte nur eben an das denken, was Larry mir auf der Bank gesagt hat«, sagte Nancy. »Weißt du noch, Jack?«

»Ja, ich weiß es noch«, sagte Jack. »Ich hatte gehofft, du hättest es vergessen.«

»Nun ja, es war ziemlich peinlich, als ihr, du und Lila, euch so an uns rangeschlichen und uns belauscht habt.«

»Wir sind nicht geschlichen, wir sind gegangen.«

»Ich möchte wissen, was gesagt wurde«, fiel Masters ein.

»Um ehrlich zu sein«, sagte Nancy, »Larry hatte einen kleinen Schwips, oder doch fast. Ich wollte eigentlich gar nicht zuhören, aber er bestand darauf, und so saß ich dann in der Falle, das heißt, auf der Bank. Er sagte, Lila sei eine krankhafte Lügnerin. Er sagte, sie habe gelogen, als er sie heiratete, und in Wahrheit ihr vierter Ehemann und nicht ihr zweiter gewesen, wie sie behauptet hatte. Ihr erster und dritter Mann, sagte er, hätten sich von ihr scheiden lassen, der zweite Selbstmord verübt. In Kansas City, wo sie wohnten, bevor sie hierher zogen, hätte sie ihn mit ihren Extravaganzen an den Rand des Ruins gebracht. Darum seien sie hierher gezogen. Larry glaubte, sie könnten hier von vorn anfangen, doch sie hätte genauso weitergemacht wie zuvor.«

»Wieviel davon hat Mrs. Connor mit angehört?« fragte Masters.

»Das kann ich nicht sagen.«

»Das meiste«, sagte Jack Richmond.

»Und wie reagierte sie?«

»Das ist ja das Komische«, sagte Nancy. »Sie hat weder eine Szene gemacht, noch schien sie böse. Und Larry ebenso wenig. Beide blieben ruhig, tödlich ruhig, als seien sie irgendwie am Ende.«

»Was«, meinte Masters, »ja wohl auch der Fall war.«

Er wandte sich brüsk ab; er hatte sie alle so satt. Doch sogleich drehte er sich wieder um, rieb die Hände an den Oberschenkeln und nahm auf der Holzbank neben dem Tisch Platz.

»Sie müssen mir sagen«, begann er, »wo jeder von Ihnen gestern nacht nach der Party war. Nur für die Akten.«

»Ich«, sagte David Howell prompt, »bin direkt zu Bett gegangen und habe geschlafen.«

»Stanley und ich auch«, sagte Mae Walters. »Nicht wahr, Stanley?«

»Aber nein«, sagte Stanley. »Nicht direkt.«

»Was soll das heißen, >nicht direkt

»Das soll heißen«, sagte Masters, »daß er nicht direkt zu Bett gegangen ist. Mr. Walters, was haben Sie noch getan?«

»Eigentlich«, erklärte Stanley, »bin ich doch sofort zu Bett gegangen, aber ich konnte nicht schlafen. Darum bin ich wieder aufgestanden und in den Garten gegangen, um noch eine Zigarette zu rauchen. Nancy kann das bestätigen, sie hat mich gesehen.«

»Das stimmt«, sagte Nancy. »Ich mußte unbedingt noch eine Zigarette haben, und da sah ich Stanleys Zigarette im Dunkeln glühen und dachte, daß er vielleicht auch eine für mich hätte. Ich ging also an den Zaun und rief, und er gab mir die Zigarette, und dann haben wir noch ein Weilchen herumgestanden und geplaudert und geraucht. Das war, nachdem ich Larry mit seinem Wagen hatte wegfahren sehen.«

»Hast du etwa die Stirn, offen zuzugeben, daß du mit Stanley mitten in der Nacht allein auf der Straße gestanden hast?« rief Mae Walters.

»Jawohl, Mae«, sagte Nancy. »Es ist wohl besser, ich gebe alles zu. Ich habe gesagt, daß wir nur geraucht und geplaudert haben, aber… Junge, haben wir geknutscht! Mitten zwischen den Abfalleimern. Tut mir leid, David, aber ich war einfach hin, als ich Stanley sah.«

»Schon gut«, sagte David. »Jeder Mensch hat hin und wieder das Recht auf einen kleinen Ehebruch.«

»Verdammt, jetzt reicht’s mir aber!« protestierte Stanley. »David, du weißt ganz genau, daß nichts dergleichen vorgefallen ist. Ehrenwort, Mae!«

»So?« sagte Mae zweifelnd. »Das muß ich mir aber erst noch mal gründlich überlegen.«

»So, und jetzt Schluß mit den Albernheiten«, sagte Masters. »Mrs. Howell, wieviel Uhr war es, als Sie Larry Connor das Haus verlassen sahen?«

»Genau kann ich das nicht sagen, aber es muß so ungefähr Mitternacht gewesen sein. Gegen elf waren David und ich von der Party zurückgekommen. Dann haben wir noch ein wenig miteinander geredet, dann ist David eingeschlafen und ich bin nach draußen gegangen. Eine Weile habe ich auf den Haustürstufen gesessen, und dann bin ich herumgewandert. Als ich bei der Einfahrt der Connors war, wurde die Garagentür plötzlich geöffnet, und Larry fuhr seinen Wagen heraus.«

»Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

»Wirkte er aufgeregt?«

»Nein, nur deprimiert. Er meinte, was für eine schöne Nacht es sei, mit den vielen Sternen und so, und daß er in die Stadt fahren und in seinem Büro übernachten werde. Er sagte, hoffentlich vergäße ich nicht, was er mir auf der Party von sich und Lila erzählt habe, weil er wolle, daß ich die Wahrheit kenne.«

»Mehr nicht?«

»Mehr nicht.«

»Sagten Sie nicht, daß Sie heute nachmittag auf der Suche nach ihm in sein Büro gefahren sind?«

»Richtig. David und Jack waren Golf spielen gegangen, und ich hatte nichts zu tun. Da bin ich zu Larrys Büro gefahren. Vorder- und Hintertür waren verschlossen, und auf mein Klopfen bekam ich keine Antwort. Wie ich schon sagte, fand ich jedoch seinen Wagen auf dem Parkplatz in der Seitenstraße. Ich nahm an, daß er irgendwo in der Nähe sei. Ich muß aber zugeben, daß ich das jetzt bezweifle.«

»Ich ebenso. Trotzdem, das mit dem Wagen ist merkwürdig. Wenn er sich davonmachen wollte, warum hat er ihn nicht mitgenommen?«

»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht kriegen Sie den Grund heraus?«

Masters wandte sich an Jack Richmond. »Und jetzt zu Ihnen, Doktor. Sind Sie sofort zu Bett gegangen?«

»Leider nein«, sagte Jack. »Ich wurde zu einer Entbindung gerufen. Das war kurz nach ein Uhr. Es stellte sich heraus, daß sich die Wehen in die Länge zogen, und ich mußte etwa zwei Stunden im Krankenhaus warten, bis ich die Patientin entbinden konnte. Als ich nach Hause kam, bin ich todmüde ins Bett gefallen. Und hier, fürchte ich, habe ich dann nichts mehr bemerkt, was meine Neugier erweckt hätte, wenn’s das ist, was Sie wissen wollen.«

»Genau. Vielen Dank, Doktor.«

Um die Hausecke herum erschien jetzt der Coroner, gefolgt von zwei Polizisten, einer in Zivil, der andere in Uniform. Masters ging ihnen entgegen. Die Beamten verschwanden im Haus, und Masters kam auf die Terrasse zurück.

»Das wäre im Augenblick alles«, sagte Masters. »Sie alle haben aufregende Stunden hinter sich. Am besten gehen Sie wohl nach Hause und ruhen sich aus.«

Er machte kehrt und folgte dem Coroner und den beiden Polizeibeamten, wobei er eine Figur machte, die weder dem Unschuldigen Zuversicht, noch dem Schuldigen Angst einflößen konnte.

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