THEON

Eben hatte er noch geschlafen; im nächsten Augenblick war er hellwach.

Kyra schmiegte sich an ihn an, ein Arm lag leicht über seinem, und ihre Brüste strichen sanft über seinen Rücken. Theon hörte ihren ruhigen, gleichmäßigen Atem. Die Bettlaken um sie herum waren zerwühlt. Es war mitten in der Nacht. Im Schlafgemach herrschte Dunkelheit und Stille.

Was ist? Habe ich etwas gehört? Oder jemanden?

Der Wind fuhr seufzend über die Fensterläden. Irgendwo in der Ferne jaulte eine rollige Katze. Sonst nichts. Schlaf, Graufreud, sagte er sich. Die Burg ist ruhig, und du hast Wachen aufgestellt. Vor deiner Tür, an den Toren, vor der Waffenkammer.

Er hätte alles vielleicht auf einen Albtraum geschoben, doch er konnte sich nicht erinnern, geträumt zu haben. Kyra hatte ihn erschöpft. Bis Theon nach ihr schickte, hatte sie die achtzehn Jahre ihres Lebens im Winterdorf verbracht, ohne auch nur einen Fuß in die Burg zu setzen. Sie war feucht und willig und geschmeidig wie ein Wiesel, und unleugbar hatte es einen besonderen Reiz, es in Lord Eddards Bett mit einem einfachen Schankmädchen zu treiben.

Sie murmelte verschlafen etwas vor sich hin, als Theon sich sachte von ihrem Arm befreite und aufstand. Im Kamin glühten noch ein paar Scheite. Wex schlief in seinen Mantel eingerollt am Fußende des Bettes auf dem Boden und war für die Welt nicht zu erreichen. Nichts regte sich. Theon ging hinüber zum Fenster und stieß die Läden auf. Die Nacht griff mit kalten Fingern nach ihm, und eine Gänsehaut breitete sich auf seinem nackten Körper aus. Er lehnte sich an die steinerne Fensterbank und blickte hinaus auf die dunklen Türme, die leeren Höfe und zum schwarzen Himmel, an dem mehr Sterne funkelten, als ein Mensch je zählen konnte, selbst wenn er hundert Jahre alt wurde. Der Halbmond hing über dem Glockenturm; sein Licht wurde vom Dach der gläsernen Gärten gespiegelt. Theon hörte keinen Laut, keine Stimmen, nicht einmal Schritte.

Alles ist gut, Graufreud. Hörst du die Stille? Du solltest trunken vor Freude sein. Du hast Winterfell mit weniger als dreißig Mann eingenommen, eine Leistung, über die man Lieder singen wird. Theon wollte schon zum Bett zurückkehren. Er würde Kyra herumdrehen und sie erneut nehmen, um die Gespenster zu vertreiben. Ihr Keuchen und Kichern würde der Stille ein Ende bereiten.

Da hielt er inne. An das Heulen der Schattenwölfe hatte er sich bereits so sehr gewöhnt, dass er es kaum mehr hörte … dennoch bemerkte irgendein Instinkt des Jägers in ihm seine Abwesenheit.

Urzen stand vor der Tür, ein sehniger Mann, der einen Schild über den Rücken gehängt hatte. »Die Wölfe sind still«, sagte Theon zu ihm. »Geh und sieh nach, was sie tun, und komm sofort zurück.« Bei dem Gedanken, dass die Schattenwölfe frei herumlaufen könnten, wurde ihm mulmig. Er erinnerte sich an den Tag im Wolfswald, an dem die Wildlinge Bran attackiert hatten. Sommer und Grauwind hatten die Angreifer in Stücke gerissen.

Als er Wex mit der Fußspitze anstieß, fuhr der Junge hoch und rieb sich die Augen. »Schau nach, ob Bran Stark und sein kleiner Bruder in ihren Betten sind, und beeil dich.«

»M’lord?«, fragte Kyra verschlafen.

»Schlaf weiter, das geht dich nichts an.« Theon schenkte sich einen Becher Wein ein und stürzte ihn hinunter. Die ganze Zeit lauschte er und hoffte, ein Heulen zu hören. Zu wenig Männer, dachte er säuerlich. Ich habe zu wenig Männer. Wenn Asha nicht kommt

Wex kehrte als Erster zurück und schüttelte heftig den Kopf. Fluchend suchte Theon Hemd und Hose auf dem Boden zusammen, wo er sie in seiner Hast, Kyra zu nehmen, fallen gelassen hatte. Über das Hemd zog er ein Wams aus nietenbeschlagenem Leder, und um die Hüften schlang er den Gurt mit Langschwert und Dolch. Sein Haar war zerzaust, doch jetzt hatte er andere Sorgen.

Inzwischen war Urzen wieder da. »Die Wölfe sind verschwunden. «

Theon ermahnte sich, so kühl und bedächtig vorzugehen wie Lord Eddard. »Weckt die Burg«, befahl er. »Versammelt alle im Hof, alle, damit wir sehen, wer fehlt. Und Lorren soll die Tore überprüfen. Wex, du begleitest mich.«

Er fragte sich, ob Stygg wohl bereits Tiefwald Motte erreicht hatte. Der Mann war keineswegs ein so begnadeter Reiter, wie er behauptete – keiner seiner Eisenmänner saß besonders gut im Sattel –, allerdings hatte er inzwischen genug Zeit gehabt. Asha wäre vielleicht schon unterwegs. Und wenn sie erfährt, dass mir die Starks entkommen sind … Er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken.

Brans Zimmer war leer, und Rickons eine halbe Treppe tiefer ebenso. Theon verfluchte sich selbst. Er hätte hier eine Wache postieren sollen; doch er hatte Männer auf den Mauern und an den Toren für wichtiger erachtet, als zwei Kinder bewachen zu lassen, von denen eins verkrüppelt war.

Draußen hörte er das Jammern der Burgbewohner, die aus den Betten gezerrt und in den Hof getrieben wurden. Ich werde ihnen Grund zum Jammern geben. Ich habe sie gut behandelt, und so haben sie es mir vergolten. Er hatte sogar zwei seiner Männer auspeitschen lassen, weil sie das Hundemädchen vergewaltigt hatten, um zu zeigen, dass er für Gerechtigkeit stand. Trotzdem geben sie mir die Schuld an der Vergewaltigung. Und an allem anderen. Das war nicht recht. Mikken hatte sein Leben mit seinem losen Mundwerk selbst verwirkt, genauso wie Benfred. Und was Chayle betraf, so hatte Theon schließlich irgendjemanden dem Ertrunkenen Gott opfern müssen, das erwarteten seine Männer von ihm. »Ich unterstelle Euch keine schlechten Absichten«, hatte er zu dem Septon gesagt, bevor er ihn in den Brunnen gestoßen hatte, »doch Ihr und Euer Gott habt an diesem Ort keinen Platz mehr.« Man sollte meinen, das gemeine Volk würde ihm dankbar sein, weil er keinen von ihnen ausgewählt hatte, aber nein! Wie viele hatten sich wohl an diesem Komplott gegen ihn beteiligt?

Urzen kehrte mit dem Schwarzen Lorren zurück. »Am Jägertor«, sagte Lorren. »Am besten kommt Ihr selbst und schaut es Euch an.«

Das Jägertor lag nah bei den Hundezwingern und der Küche. Es führte geradewegs in die Felder und Wälder hinaus und erlaubte Reitern Zutritt, ohne das Winterdorf passieren zu müssen, weshalb es bevorzugt von Jagdgesellschaften benutzt wurde. »Wer hat dort Wache gehalten?«, verlangte Theon zu wissen.

»Drennan und Schieler.«

Drennan war einer der Männer, die Palla vergewaltigt hatten. »Falls sie die Jungen haben entkommen lassen, werden sie diesmal kaum noch Haut auf dem Rücken behalten, das schwöre ich.«

»Das wird nicht notwendig sein«, antwortete der Schwarze Lorren knapp.

Das war es auch nicht. Schieler schwamm mit dem Gesicht nach unten im Burggraben, und seine Gedärme trieben hinter ihm her wie ein Nest heller Schlangen. Drennan lag halb nackt im Torhaus, in dem kleinen Raum, wo die Zugbrücke bedient wurde. Seine Kehle war von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt. Ein zerlumptes Hemd verbarg die kaum verheilten Narben auf seinem Rücken, seine Stiefel lagen achtlos auf den Binsen und die Hose hing ihm um die Knöchel. Auf einem kleinen Tisch neben der Tür stand Käse neben einem Krug Wein. Mit zwei Bechern.

Theon nahm einen in die Hand und schnupperte an den Weinresten. »Schieler war oben auf dem Wehrgang, oder?«

»Ja«, antwortete Lorren.

Theon schleuderte den Becher in den Kamin. »Ich würde sagen, Drennan hat sich gerade die Hose runtergezogen, um eine Frau zu stechen, als diese ihn gestochen hat. Mit seinem eigenen Käsemesser, scheint es. Jemand soll eine Pike holen und den anderen Narren da aus dem Graben fischen.«

Der andere Narr war in wesentlich schlechterem Zustand als Drennan. Der Schwarze Lorren zog ihn aus dem Wasser. Man hatte ihm den einen Unterarm abgerissen, die Hälfte seinen Halses fehlte, und wo sein Bauch gewesen war, klaffte ein riesiges Loch. Die Pike schnitt durch die Eingeweide, als Lorren den Leichnam heraushievte. Der Gestank war ekelhaft.

»Die Schattenwölfe«, entfuhr es Theon. »Beide, nehme ich an.« Angewidert ging er zur Zugbrücke. Winterfell wurde von zwei massiven Granitmauern geschützt, zwischen denen der breite Burggraben lag. Die äußere Mauer war fünfundzwanzig Meter hoch, die innere über dreißig. Da es Theon an Männern fehlte, hatte er nur die innere Mauer bemannen können. Er wollte es nicht riskieren, seine Leute auf der falschen Seite des Grabens zu haben, falls sich die Burgbewohner gegen ihn erhoben.

Es müssen zwei oder mehr gewesen sein, entschied er. Während die Frau Drennan abgelenkt hat, haben die anderen die Wölfe befreit.

Theon rief nach einer Fackel und führte die Männer zum Wehrgang hinauf. Er hielt die Fackel dicht über dem Boden vor sich und suchte nach … da. Auf der Innenseite des Wehrgangs zwischen zwei Zinnen entdeckte er es. »Blut«, verkündete er, »nur flüchtig fortgewischt. Vermutlich hat die Frau Drennan ermordet und die Zugbrücke heruntergelassen. Schieler hat die Ketten gehört und kam herbei, um nachzuschauen. Bis hierher hat er es geschafft. Sie haben die Leiche zwischen den Zinnen in den Graben hinuntergeworfen, damit keiner der anderen Wächter sie bemerkt.«

Urzen spähte die Mauer entlang. »Die anderen Wachtürme sind nicht weit. Ich kann die Fackeln sehen …«

»Fackeln, aber keine Wachen«, erwiderte Theon gereizt. »Winterfell hat mehr Türme als ich Männer.«

»Vier Wachen am Haupttor«, sagte der Schwarze Lorren, »und außer Schieler fünf auf den Mauern.«

Urzen sagte: »Wenn er wenigstens ins Horn gestoßen hätte …«

Meine Männer sind Dummköpfe. »Stell dir mal vor, du wärst an seiner Stelle gewesen, Urzen. Es ist dunkel und kalt. Du bist seit Stunden unterwegs und freust dich auf das Ende deiner Wache. Dann hörst du ein Geräusch und gehst zum Tor, und plötzlich siehst du Augen oben an der Treppe, die grün und golden im Licht der Fackeln leuchten. Zwei Schatten springen auf dich zu, schneller, als du zu glauben vermagst. Du erhaschst einen Blick auf Zähne, willst noch deinen Spieß senken, und dann haben sie dich schon erreicht, werfen sich auf dich und reißen dir den Bauch auf, zerfetzen das Leder wie Baumwolle.« Er stieß Urzen heftig an. »Und du gehst rücklings zu Boden, deine Eingeweide fallen dir aus dem Bauch, und eine der Bestien bohrt ihre Zähne in deinen Hals.« Theon packte den hageren Mann am Hals, schloss die Finger und lächelte. »Sag mir, in welchem Moment würdest du, während das alles passiert, in dein verdammtes Horn stoßen? « Er stieß Urzen grob zur Seite, sodass der gegen eine Zinne taumelte. Der Mann rieb sich den Hals. Ich hätte die Tiere umbringen sollen, nachdem wir die Burg eingenommen haben, dachte Theon verärgert. Ich hätte sie töten lassen sollen, ich wusste doch, wie gefährlich sie sind.

»Wir müssen sie verfolgen«, sagte der Schwarze Lorren.

»Nicht im Dunkeln.« Theon behagte der Gedanke nicht, die Schattenwölfe bei Nacht zu hetzen; dabei konnte der Jäger leicht zum Gejagten werden. »Wir warten bis Tagesanbruch. Bis dahin sollte ich mich am besten einmal mit meinen treuen Untertanen unterhalten.«

Unten im Hof hatte man die Männer, Frauen und Kinder an der Mauer zusammengedrängt. Viele hatten nicht einmal Zeit erhalten, sich anzuziehen, und nur eine Wolldecke oder einen Morgenmantel übergeworfen. Ein Dutzend Eisenmänner hatten sie mit Fackeln in der einen und Waffen in der anderen Hand umstellt. Es war windig, und das flackernde Licht tauchte Stahlhelme, dichte Bärte und harte Augen in ein dumpfes Orange.

Theon marschierte vor den Gefangenen auf und ab und musterte ihre Gesichter. Für ihn sahen sie alle schuldig aus. »Wie viele fehlen?«

»Sechs.« Stinker trat hinter ihn, er roch nach Seife. Sein langes Haar wallte im Wind. »Beide Starks, dieser Sumpfjunge und seine Schwester, der Schwachsinnige aus dem Stall und Eure Wildlingsfrau.«

Osha. Schon als er den zweiten Becher bemerkt hatte, war sein Verdacht auf sie gefallen. Ich hätte es besser wissen müssen und ihr nicht vertrauen dürfen. Sie ist genauso unnatürlich wie Asha. Sogar ihre Namen klingen ähnlich.

»Hat jemand im Stall nachgeschaut?«

»Aggar meinte, Pferde würden keine fehlen.«

»Tänzerin steht noch im Stall?«

»Tänzerin?« Stinker runzelte die Stirn. »Aggar sagt, alle Pferde sind noch da. Nur der Schwachkopf ist weg.«

Also sind sie zu Fuß unterwegs. Das war die beste Nachricht, die er seit dem Aufwachen gehört hatte. Bran würde ohne Zweifel in seinem Korb auf Hodors Rücken sitzen. Osha würde Rickon tragen müssen; auf seinen kleinen Beinen würde der Junge nicht weit kommen. Theon war zuversichtlich, dass er sie bald wieder in die Finger bekäme. »Bran und Rickon sind geflohen«, erklärte er den Burgbewohnern und sah ihnen in die Augen. »Wer weiß, wohin sie gegangen sind?« Keine Antwort. »Ohne Hilfe können sie nicht entkommen sein«, fuhr Theon fort. »Sie brauchten Vorräte und Kleidung, außerdem Waffen.« Er hatte alle Schwerter und Äxte in Winterfell eingeschlossen, doch gewiss waren Waffen vor ihm versteckt worden. »Ich will die Namen derer wissen, die ihnen geholfen haben. Und jener, die vor ihrer Flucht die Augen geschlossen haben.« Nur das Rauschen des Windes war zu hören. »Bei Tagesanbruch werde ich sie zurückbringen.« Er schob die Daumen in den Schwertgurt. »Dazu brauche ich Jäger. Wer will sich ein schönes warmes Wolfsfell verdienen, das ihn durch den Winter bringt? Gage?« Der Koch hatte ihn stets fröhlich gegrüßt, wenn er von der Jagd zurückkehrte, und ihn gefragt, ob er etwas Schönes für die Tafel mitgebracht habe, jetzt jedoch antwortete er nicht. Theon ging wieder auf und ab und suchte in ihren Gesichtern nach verräterischen Hinweisen auf ihre Schuld. »Die Wildnis ist doch kein Ort für einen Krüppel. Und der kleine Rickon, wie lange wird er dort draußen überleben? Nan, denk doch nur, wie sehr er sich fürchten muss.« Die alte Frau hatte zehn Jahre auf ihn eingeredet und ihm ihre endlosen Geschichten erzählt, doch jetzt starrte sie ihn an wie einen Fremden. »Ich hätte jeden Mann hier töten lassen und die Frauen meinen Soldaten zu ihrem Vergnügen überlassen können; stattdessen habe ich euch beschützt. Ist das der Dank dafür?« Joseth, der seine Pferde versorgt hatte, Farlen, der ihm alles über Hunde beigebracht hatte, was er wusste, Barth, das Weib des Braumeisters, die seine erste Frau gewesen war – niemand wagte es, ihm in die Augen zu blicken. Sie hassen mich, erkannte er.

Stinker trat zu ihm. »Zieht ihnen die Haut vom Leib«, drängte er, und seine dicken Lippen glänzten. »Lord Bolton hat immer gesagt, ein nackter Mann hat wenig Geheimnisse, aber ein gehäuteter Mann hat gar keine mehr.«

Der gehäutete Mann war das Wappen des Hauses Bolton, wie Theon wusste; vor vielen, vielen Jahren waren einige Lords sogar so weit gegangen, sich in die Häute ihrer toten Feinde zu kleiden. Die Starks hatten dem ein Ende gesetzt. Vermutlich war es bereits vor tausend Jahren damit vorbei gewesen, als die Boltons das Knie vor Winterfell gebeugt hatten. Jedenfalls behaupten sie das, aber die alten Sitten sterben schwer aus, wie ich nur allzu gut weiß.

»Im Norden wird niemandem die Haut abgezogen, solange ich auf Winterfell herrsche«, sagte Theon laut. Ich bin euer einziger Schutz gegen solche wie ihn, hätte er am liebsten gebrüllt. Er konnte das nicht so unverhohlen sagen, doch vielleicht begriffen es manche ja trotzdem.

Über den Mauern der Burg graute der Morgen. Die Dämmerung war nicht mehr fern. »Joseth, sattle Lächler und ein Pferd für dich. Murch, Gariss, Pickeltym, ihr kommt ebenfalls mit.« Murch und Gariss waren die besten Jäger in der Burg, und Tym war ein hervorragender Bogenschütze. »Aggar, Rotnase, Gelmarr, Stinker, Wex.« Er brauchte ein paar von seinen eigenen Männern, die ihm den Rücken deckten. »Farlen, ich will die Hunde mitnehmen, und du kannst mit ihnen umgehen.«

Der grauhaarige Hundemeister verschränkte die Arme. »Und warum sollte ich mich an der Hatz auf meine wahren Lords, und noch dazu auf Kinder beteiligen?«

Theon trat dicht an ihn heran. »Ich bin jetzt dein Lord, und der Mann, der für Pallas Sicherheit sorgt.«

Der Trotz in Farlens Augen erlosch. »Ja, M’lord.«

Theon wich zurück und überlegte, während er sich umsah, wen er noch mitnehmen könnte. »Maester Luwin«, verkündete er.

»Ich kenne mich mit der Jagd nicht aus.«

Nein, aber ich lasse Euch nicht in der Burg, solange ich abwesend bin. »Dann wird es Zeit für Euch, es zu lernen.«

»Lasst mich ebenfalls mitkommen. Ich will das Wolfsfell haben.« Ein Junge in Brans Alter trat vor. Theon brauchte einen Moment, bis er sich an ihn erinnerte. »Ich war schon oft auf der Jagd«, sagte Walder Frey. »Auf Rothirsche und Elchjagd und sogar auf Wildschweinjagd.«

Sein Vetter lachte ihn aus. »Er ist einmal mit seinem Vater auf eine Wildschweinjagd geritten, aber sie haben ihn nicht in die Nähe des Keilers gelassen.«

Theon betrachtete den Jungen skeptisch. »Komm mit, wenn du willst, aber wenn du nicht mithalten kannst, wird sich niemand um dich kümmern.« Er wandte sich an den Schwarzen Lorren. »Winterfell gehört in meiner Abwesenheit dir. Falls wir nicht zurückkehren, mach mit der Burg, was du willst.« Schon aus diesem Grund sollten sie verdammt noch mal für meinen Erfolg beten.

Sie versammelten sich am Jägertor, während die ersten bleichen Strahlen der Sonne die Spitze des Glockenturms berührten. Ihr Atem dampfte in der kühlen Morgenluft. Gelmarr hatte eine Langaxt mitgenommen, mit der er die Wölfe erschlagen konnte, ehe sie ihn erreichten. Die Klinge war schwer genug, um die Tiere mit einem Hieb zu töten. Aggar trug Beinschienen aus Stahl. Stinker hatte einen Wildschweinspieß und einen vollgestopften Sack, in dem sich wer weiß was befand. Theon hatte seinen Bogen; ansonsten brauchte er nichts. Einmal hatte er Bran das Leben mit einem Pfeil gerettet. Hoffentlich musste er es ihm nicht mit einem zweiten nehmen, doch falls es dazu kam, würde er nicht zögern.

Elf Männer, zwei Jungen und ein Dutzend Hunde überquerten den Burggraben. Jenseits der Außenmauer waren die Spuren im weichen Boden leicht zu erkennen; die Pfotenabdrücke der Wölfe, Hodors schwere Tritte, die flacheren Eindrücke der beiden Reets. Unter den Bäumen im Laub und auf dem steinigen Boden wurde es schwieriger, doch inzwischen hatte Farlens rote Hündin die Witterung aufgenommen. Die restlichen Hunde folgten dichtauf, schnüffelten und bellten, und zwei riesige Mastiffs bildeten die Nachhut. Deren Größe und Wildheit würden vielleicht das Zünglein an der Waage sein, wenn die Schattenwölfe in die Enge gedrängt worden waren.

Er hätte gedacht, dass Osha nach Süden zu Ser Rodrik fliehen würde, doch die Fährte führte in nördliche und nordwestliche Richtung, mitten hinein in den Wolfswald. Theon gefiel das ganz und gar nicht. Es wäre bitterste Ironie des Schicksals, wenn die Starks nach Tiefwald Motte flohen und somit Asha geradewegs in die Hände liefen. Lieber hätte ich es, wenn sie tot wären, dachte er. Es ist besser, als grausam zu gelten denn als töricht.

Zwischen den Bäumen hingen bleiche Nebelfäden. Wachbäume und Soldatenkiefern standen hier dichter, und nichts war so düster und dämmerig wie ein immergrüner Wald. Der Boden war uneben, die gefallenen Nadeln täuschten weiche Erde vor, waren jedoch für die Pferde tückisch, daher ging es nur langsam voran. Aber nicht so langsam wie ein Mann, der einen Krüppel trägt, oder ein mageres Weibsstück, das einen Vierjährigen auf dem Rücken hat. Er zwang sich zur Geduld. Noch vor dem Ende des Tages würde er sie gefunden haben.

Maester Luwin schloss zu ihm auf, während sie einem Wildpfad am Rand einer Schlucht entlang folgten. »Bisher scheint sich die Jagd kaum von einem Ritt durch den Wald zu unterscheiden, Mylord.«

Theon lächelte. »Sicherlich gibt es da gewisse Ähnlichkeiten. Aber eine Jagd endet stets mit Blutvergießen.«

»Muss es so kommen? Diese Flucht war eine große Torheit, aber könntet Ihr nicht Gnade walten lassen? Es sind Eure Pflegebrüder, die wir suchen.«

»Kein Stark außer Robb hat mich je brüderlich behandelt, trotzdem sind Bran und Rickon lebendig für mich wertvoller als tot.«

»Das Gleiche gilt für die Reets. Maidengraben liegt am Rand der Sümpfe. Lord Holand kann die Besetzung Eures Onkels zu einem Besuch in der Hölle machen, wenn er sich dazu entschließt, aber solange Ihr seine Erben in der Hand habt, muss er sich zurückhalten.«

Darüber hatte Theon noch gar nicht nachgedacht. Eigentlich hatte er an die Schlammmenschen keinen Gedanken verschwendet, nur auf Meera hatte er einen oder zwei Blicke geworfen und sich gefragt, ob sie wohl noch Jungfrau war. »Vielleicht habt Ihr Recht. Wir werden sie verschonen, falls es uns möglich ist.«

»Und Hodor ebenfalls, hoffe ich. Der Junge hat nur wenig Verstand, das wisst Ihr. Er tut, was man ihm sagt. Wie oft hatte er Euer Pferd gestriegelt, Euren Sattel geputzt, Eure Rüstung poliert?«

Hodor bedeutete ihm gar nichts. »Wenn er nicht gegen uns kämpft, wird ihm auch kein Leid geschehen.« Theon richtete den Finger auf Luwin. »Doch solltet Ihr mich jetzt auch noch um das Leben der Wildlingsfrau bitten, dürft Ihr mit ihr sterben. Sie hat mir einen Eid geleistet und darauf gepisst.«

Der Maester neigte den Kopf. »Für Eidbrüchige setze ich mich nicht ein. Tut, was Ihr tun müsst. Ich danke Euch für Eure Gnade.«

Gnade, dachte Theon, während sich Luwin zurückfallen ließ. Das ist eine verdammte Falle. Zu viel davon, und sie nennen dich schwach, zu wenig, und du bist ein Ungeheuer. Dennoch hatte der Maester ihm guten Rat gegeben. Sein Vater dachte nur in den alten Begriffen von Eroberung, doch was brachte es ein, wenn man ein Königreich eroberte und es nicht halten konnte? Zwang und Furcht führten nur bis zu einem bestimmten Punkt zum Erfolg. Wie schade, dass Ned Stark seine Töchter mit nach Süden genommen hatte; ansonsten hätte Theon seinen Anspruch auf Winterfell durch die Heirat mit einer der beiden untermauern können. Sansa war doch ganz hübsch, und inzwischen vermutlich alt genug fürs Bett. Doch leider war sie tausend Meilen entfernt in den Fängen der Lennisters. Schade.

Der Wald wurde immer undurchdringlicher. Die Kiefern und Wachbäume machten riesigen dunklen Eichen Platz. Weißdornbüsche verbargen trügerische Gräben und Furchen unter sich. Es ging steinige Hügel hinauf und hinunter. Sie passierten eine Pächterhütte, die verlassen und überwuchert war, und umrundeten einen gefluteten Steinbruch, dessen stilles Wasser grau wie Stahl schimmerte. Als die Hunde zu bellen anfingen, glaubte Theon, dass die Flüchtlinge in der Nähe sein mussten. Er trieb seinen Lächler an, doch er fand lediglich den Kadaver eines jungen Elchs … oder was davon übrig geblieben war.

Er stieg ab und sah sich das tote Tier genauer an. Es war noch frisch und offensichtlich von Wölfen zur Strecke gebracht worden. Die Hunde schnüffelten gierig daran herum, und einer der Mastiffs biss in einen Schenkel, doch Farlen rief ihn zurück. Nichts ist herausgeschnitten worden, fiel Theon auf. Die Wölfe haben gefressen, aber die Menschen haben sich nicht daran gütlich getan. Obwohl Osha bestimmt kein Feuer riskieren wollte, hätte sie ihnen in jedem Fall ein paar Stücke herausgeschnitten. Es hatte schließlich keinen Sinn, so gutes Fleisch verrotten zu lassen. »Farlen, bist du wirklich sicher, dass wir auf der richtigen Fährte sind?«, wollte Theon wissen. »Könnten die Hunde die falschen Wölfe verfolgt haben?«

»Meine Hündin kennt den Geruch von Sommer und Struppi sehr gut.«

»Das hoffe ich. Um deinetwillen.«

Keine Stunde später führte der Weg hinunter zu einem schlammigen Bach, der durch die Regenfälle der letzten Zeit stark angeschwollen war. Dort verloren die Hunde die Spur. Farlen und Wex wateten mit den Hunden hindurch und kamen kopfschüttelnd zurück, während die Tiere am anderen Ufer hin und her liefen und schnüffelten. »Sie sind hier hineingegangen, M’lord, aber wo sie herausgekommen sind, kann ich nicht erkennen«, erklärte der Hundemeister.

Theon stieg ab, kniete neben dem Bach nieder und tauchte die Hand ins Wasser. Es war kalt. »Sie werden nicht lange drin geblieben sein«, sagte er. »Nehmt die eine Hälfte der Hunde bachabwärts, ich gehe in die andere …«

Wex klatschte laut in die Hände.

»Was ist denn?«, wollte Theon wissen.

Der stumme Junge zeigte auf etwas.

Der Boden am Bach war nass und schlammig. Die Spuren, die die Wölfe hinterlassen hatten, waren deutlich genug. »Pfotenabdrücke, ja. Und?«

Wex trat mit dem Absatz in den Matsch und drehte seinen Fuß hin und her. Er hinterließ ein tiefes Loch.

Joseth begriff. »Ein Mann von Hodors Größe hätte eine deutliche Spur im Schlamm hinterlassen«, sagte er. »Vor allem, da er noch den Jungen auf dem Rücken trägt. Trotzdem sind außer unseren eigenen Abdrücken keine anderen zu finden. Seht nur selbst.«

Erschrocken erkannte Theon, dass Joseth Recht hatte. Nur die Wölfe waren in das angeschwollene braune Wasser gestiegen. »Osha muss schon vorher abgebogen sein. Vermutlich vor dem Elch. Sie hat die Wölfe allein weitergeschickt und gehofft, wir würden ihnen hinterherjagen.« Er drehte sich zu den Jägern aus Winterfell um. »Wenn ihr beide ein falsches Spiel mit mir getrieben habt …«

»Wir haben nur die eine Spur gefunden, Mylord, ich schwöre es«, beteuerte Gariss. »Und die Schattenwölfe würden sich niemals von den Jungen trennen. Jedenfalls nicht für lange Zeit.«

Das stimmt, dachte Theon. Sommer und Struppi waren vielleicht auf der Jagd gewesen, doch früher oder später würden sie sich wieder zu Bran und Rickon gesellen. »Gariss, Murch, nehmt vier Hunde, geht zurück und sucht die Stelle, an der wir sie verloren haben. Aggar, du bewachst sie, ich dulde keinen Verrat. Farlen und ich folgen den Schattenwölfen. Stoßt ins Horn, wenn ihr die Spur wieder aufgenommen habt. Zwei Stöße, wenn ihr die Tiere selbst findet. Wenn wir erst einmal herausgefunden haben, in welche Richtung sie gelaufen sind, werden sie uns zu ihren Herren führen.«

Er nahm Wex, den Freyjungen und Gynir Rotnase mit, um die Suche bachaufwärts fortzusetzen. Er und Wex ritten auf einer Seite des Baches, Rotnase und Walder Frey auf der anderen, jeder mit zwei Hunden. Die Wölfe konnten schließlich das Wasser auf beiden Seiten verlassen haben. Theon hielt nach Spuren Ausschau, Fußabdrücken, abgebrochenen Zweigen, nach allem, was darauf hindeuten konnte, wo die Schattenwölfe aus dem Wasser gekommen waren. Schnell entdeckte er die Spuren von Hirschen, Elchen und einem Dachs. Wex überraschte eine Füchsin, die am Bach trank, und Walder scheuchte drei Kaninchen aus dem Unterholz auf und erwischte eins sogar mit einem Pfeil. An einer hohen Birke sahen sie die Kratzspuren eines Bären. Nur von den Schattenwölfen fanden sie keine Spur.

Noch ein wenig weiter, sagte sich Theon. An der Eiche vorbei, über die Erhebung, bis zur nächsten Biegung des Baches, dort werden wir etwas finden. Er ritt noch lange weiter, nachdem ihm klar geworden war, dass er eigentlich umkehren sollte; ein nagendes Gefühl der Furcht machte sich in seinem Bauch breit. Es war bereits Mittag, als er aufgab und Lächler wendete.

Irgendwie waren Osha und diese erbärmlichen Bengel ihm entkommen. Es hätte nicht möglich sein sollen, nicht zu Fuß, nicht ein Krüppel und ein kleiner Junge. Mit jeder Stunde, die verstrich, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen die Flucht gelungen war. Wenn sie ein Dorf erreichen … Die Menschen des Nordens würden Ned Starks Söhnen, Robbs Brüdern, nichts verweigern. Sie würden Pferde bekommen und Vorräte. Die Männer würden sich um die Ehre streiten, sie zu beschützen. Der ganze verdammte Norden würde sich um sie scharen.

Die Wölfe sind bachabwärts gelaufen, das wird es sein. Er klammerte sich an diese Hoffnung. Die rote Hündin wird die Stelle finden, wo sie aus dem Wasser gekommen sind, und wir werden sie weiterverfolgen.

Doch als er auf Farlens Gruppe stieß, genügte ein Blick in das Gesicht des Hundemeisters, um Theons Hoffnungen zu begraben. »Diese Hunde taugen doch höchstens als Köder für Bärenkämpfe«, sagte er verärgert. »Ich wünschte, ich hätte einen Bären.«

»Die Hunde haben keine Schuld.« Farlen kniete zwischen einem Mastiff und seiner geliebten roten Hündin, und hielt beide mit den Händen fest. »Fließendes Wasser behält keine Witterung, M’lord.«

»Die Wölfe müssen doch irgendwo aus dem Wasser gekommen sein.«

»Ohne Zweifel. In einer der beiden Richtungen. Wir können weiter nach der Stelle suchen, doch wo?«

»Ich habe noch nie einen Wolf gesehen, der meilenweit durch einen Bach läuft«, sagte Stinker. »Ein Mensch, vielleicht. Wenn er wüsste, dass er verfolgt wird. Aber ein Wolf?«

Das verwunderte Theon nicht so sehr. Diese Tiere waren nicht wie andere Wölfe. Ich hätte den verdammten Biestern das Fell abziehen sollen.

Auch Gariss, Murch und Aggar hatten keine anderen Ergebnisse vorzuweisen. Die Jäger waren den halben Weg bis Winterfell zurückgegangen, ohne irgendwelche Spuren zu finden, wo die Starks mit ihren Helfern sich von den Schattenwölfen getrennt hatten. Farlens Hunde wirkten ebenso niedergeschlagen wie ihr Herr, sie schnüffelten vergeblich an Bäumen herum und schnappten gereizt nacheinander.

Theon wagte nicht, seine Niederlage einzugestehen. »Wir kehren zum Bach zurück. Dort sucht ihr noch einmal. Diesmal gehen wir so weit, wie wir müssen.«

»Wir werden sie nicht finden«, sagte der Freyjunge plötzlich. »Nicht solange die Froschfresser bei ihnen sind. Schlammmenschen sind Schleicher, sie kämpfen nicht wie anständige Männer, sie lauern ihrem Feind auf und schießen mit vergifteten Pfeilen. Ihr werdet sie nicht bemerken, aber sie sehen Euch. Wer ihnen in die Sümpfe folgt, verirrt sich und kommt niemals wieder heraus. Ihre Häuser bewegen sich, sogar Burgen wie Grauwasser Wacht.« Er musterte nervös das Grün, das sie auf allen Seiten umgab. »Vielleicht sind sie jetzt hier draußen und belauschen uns.«

Farlen lachte, um zu zeigen, was er von diesem Gerede hielt. »Meine Hunde würden sie sofort in den Büschen wittern. Sie hätten sie gestellt, ehe du furzen könntest, Junge.«

»Froschfresser riechen nicht wie Menschen«, beharrte Frey. »Sie stinken nach Sumpf, wie Frösche und Bäume und brackiges Wasser. Unter ihren Achseln wächst Moos an Stelle von Haar, und sie können nur von Schlamm und Sumpfwasser leben.«

Theon wollte ihm schon sagen, was er mit seinen Ammenmärchen tun könnte, als Maester Luwin das Wort ergriff. »In der Geschichtsschreibung heißt es, die Pfahlbaumenschen seien den Kindern des Waldes sehr nahe gekommen, als die Grünseher versuchten, den Hammer des Wassers auf die Eng hinunterzubringen. Vielleicht verfügen sie über ihr geheimes Wissen.«

Plötzlich schien es im Wald um einiges dunkler zu sein, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Wenn ein Junge Unfug redete, war das eine Sache, doch von Maestern erwartete man eigentlich Weisheit. »Die einzigen Kinder, die mich interessieren, sind Bran und Rickon«, sagte Theon. »Zurück zum Bach. Sofort.«

Einen Augenblick dachte er, sie würden ihm den Gehorsam verweigern, doch am Ende setzte sich alte Gewohnheit durch. Sie folgten zwar unwillig, doch sie kamen mit. Der Freyjunge war genauso nervös wie das Kaninchen, das er zuvor erlegt hatte. Theon teilte die Männer für beide Ufer ein und folgte der Strömung. Meilenweit ritten sie langsam und vorsichtig, stiegen ab, um die Pferde über trügerische Stellen zu führen, und ließen die Hunde, für Theon jetzt die Bärenköder, an jedem Busch schnüffeln. Wo ein umgefallener Baum den Bach staute, mussten sie einen tiefgrünen Teich umgehen, doch falls die Schattenwölfe das Gleiche getan hatten, ließ sich kein Beweis dafür finden. Die Biester waren geschwommen, schien es. Wenn ich sie erwische, können sie schwimmen, so lange sie wollen. Ich werde sie beide dem Ertrunkenen Gott opfern.

Schließlich wurde es dunkel im Wald, und Theon Graufreud wusste, dass er geschlagen war. Entweder kannten die Pfahlbaumenschen tatsächlich die Magie der Kinder des Waldes, oder Osha hatte sie mit einem Wildlingstrick getäuscht. Er drängte sich durch die Dämmerung weiter, dann jedoch, im letzten Tageslicht fasste Joseth sich endlich ein Herz und wandte sich an ihn: »Das ist nutzlos, Mylord. Die Pferde werden sich nur die Beine brechen.«

»Joseth hat Recht«, stimmte Maester Luwin zu. »Bei Fackellicht durch die Wälder zu streifen, wird uns nicht helfen. «

Theon kam die Galle hoch, und in seinem Magen schienen sich Schlangen zu winden und nacheinander zu schnappen. Wenn er mit leeren Händen nach Winterfell zurückkehrte, konnte er genauso gut das Narrenkostüm anlegen; der ganze Norden würde über ihn lachen. Und wenn mein Vater das erfährt oder Asha …

»Mylord Prinz.« Stinker drängte sein Pferd heran. »Es könnte sein, dass die Starks niemals hier entlanggekommen sind. Ich an ihrer Stelle wäre nach Norden und Osten gezogen. Zu den Umbers. Das sind treue Starkmänner, ganz gewiss. Bloß, bis zu ihrem Land ist es ein weiter Weg. Die Jungen werden an einem Ort Schutz suchen, der näher liegt. Vielleicht weiß ich, wo.«

Theon blickte ihn misstrauisch an. »Sag schon.«

»Kennt Ihr die alte Mühle, die so einsam am Ahornwasser steht? Wir haben dort angehalten, als man mich nach Winterfell verschleppt hat. Die Müllerin hat uns Stroh für die Pferde verkauft, während der alte Ritter mit ihren Kindern herumgeschäkert hat. Vielleicht verstecken sich die Starks dort.«

Die Mühle kannte Theon. Er hatte ein oder zwei Mal mit der Müllerin angebandelt. Weder die Mühle noch die Frau waren etwas Besonderes. »Warum dort? Es gibt ein Dutzend Festen und Dörfer, die genauso nah sind.«

Die blassen Augen leuchteten vor Vergnügen. »Warum? Das weiß ich auch nicht. Aber dass sie da sind, das habe ich im Gefühl.«

Langsam hatte er die oberschlauen Antworten des Mannes satt. Seine Lippen sehen aus wie zwei Würmer, die es miteinander treiben. »Was sagst du da? Wenn du mir irgendetwas vorenthalten hast …«

»M’lord Prinz?« Stinker stieg ab und bedeutete Theon, das Gleiche zu tun. Als sie am Boden standen, öffnete er den Sack, den er aus Winterfell mitgebracht hatte. »Seht Euch dies an.«

Inzwischen war es schwierig, etwas zu erkennen. Theon steckte ungeduldig die Hand in den Sack und strich über weiches Fell und raue Wolle. Eine scharfe Spitze stach in seine Haut, und seine Finger schlossen sich um etwas Kaltes und Hartes. Er zog eine Wolfskopfbrosche aus Silber und Jett hervor. Jäh begriff er. Er schloss die Hand zur Faust. »Gelmarr«, sagte er und fragte sich, wem er wohl vertrauen konnte. Keinem von ihnen. »Aggar. Rotnase. Mit uns. Der Rest von euch kann mit den Hunden nach Winterfell zurückkehren. Ich brauche sie nicht mehr. Jetzt weiß ich, wo sich Bran und Rickon verstecken.«

»Prinz Theon«, flehte Maester Luwin, »Ihr werdet Euch doch an Euer Versprechen erinnern? Ihr hattet mir Gnade zugesichert.«

»Gnade hätte es heute Morgen gegeben«, entgegnete Theon. Besser als grausam gelten denn als töricht. »Bevor sie mich zornig gemacht haben.«

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