TYRION

Pod kleidete ihn für seine Feuerprobe in ein Samtgewand im Scharlachrot der Lennisters und brachte ihm seine Amtskette. Tyrion ließ sie auf dem Nachttisch liegen. Seine Schwester wurde nicht gern daran erinnert, dass er die Hand des Königs war, und er wollte das Verhältnis zwischen ihnen nicht noch stärker belasten.

Varys holte ihn ein, als er den Hof überquerte. »Mylord«, sagte der Eunuch ein wenig atemlos. »Dies solltet Ihr besser sofort lesen.« In der weichen weißen Hand hielt er ein Pergament. »Ein Bericht aus dem Norden.«

»Gute oder schlechte Neuigkeiten?«, fragte Tyrion.

»Das vermag ich nicht zu beurteilen.«

Tyrion entrollte das Pergament. Er musste die Augen zusammenkneifen, um die Wörter beim Fackellicht im Hof entziffern zu können. »Bei den Göttern«, sagte er leise. »Beide?«

»Ich fürchte, ja, Mylord. Es ist so traurig. So unglaublich traurig. Sie waren so jung und unschuldig.«

Tyrion erinnerte sich daran, wie die Wölfe geheult hatten, als der Starkjunge abgestürzt war. Ob sie jetzt auch heulen? »Habt Ihr schon jemandem davon erzählt?«

»Noch nicht, allerdings werde ich das natürlich müssen.«

Er rollte den Brief zusammen. »Meiner Schwester werde ich es selbst sagen.« Er wollte sehen, wie sie die Nachricht aufnahm. Das wollte er sehr gern sehen.

Die Königin sah heute Abend besonders liebreizend aus. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus dunkelgrünem Samt, das die Farbe ihrer Augen wunderbar betonte. Ihr goldenes Haar lockte sich über den bloßen Schultern, und um die Taille hatte sie einen geflochtenen, mit Smaragden besetzten Gürtel geschlungen. Tyrion wartete, bis er zu seinem Platz geleitet worden war und man ihm einen Kelch Wein serviert hatte, ehe er ihr den Brief hinhielt. Er sagte kein Wort. Cersei blinzelte ihn unschuldig an und nahm ihm das Pergament aus der Hand.

»Ich hoffe, du bist zufrieden«, sagte er, während sie las. »Du wolltest doch den Tod des Starkjungen, glaube ich.«

Cersei schnitt ein säuerliches Gesicht. »Jaime war es, der ihn aus dem Fenster geworfen hat, nicht ich. Aus Liebe, behauptete er, als würde mir das gefallen. Trotzdem war es eine Dummheit, und eine gefährliche dazu, aber wann hat unser lieber Bruder schon einmal erst nachgedacht und dann gehandelt? «

»Der Junge hat euch gesehen«, sagte Tyrion.

»Er war noch ein Kind. Ich hätte ihn einschüchtern und damit sein Schweigen erzwingen können.« Nachdenklich betrachtete sie den Brief. »Warum wirft man es immer mir vor, wenn sich ein Stark den großen Zeh anstößt? Das war Graufreuds Werk, ich habe nichts damit zu tun.«

»Hoffen wir nur, dass Lady Catelyn das ebenso sieht.«

Die Königin riss die Augen auf. »Sie wird doch nicht …«

»… Jaime töten? Warum nicht? Was würdest du tun, wenn Joffrey und Tommen ermordet würden?«

»Ich habe immer noch Sansa!«, erwiderte die Königin.

»Wir haben Sansa«, berichtigte er sie, »und wir sollten sehr gut auf sie aufpassen. Nun, wo ist das Essen, das du mir versprochen hast, süße Schwester?«

Cersei hatte ein wunderbares Menü ausgewählt. Sie begannen mit Kastaniencremesuppe, knusprigem warmem Brot und Grüngemüse mit Äpfeln und Pinienkernen. Darauf folgte Neunaugenpastete, Honigschinken, Karotten in Butter, weiße Bohnen mit Speck und gebratener Schwan, der mit Pilzen und Austern gefüllt war. Tyrion war überaus höflich und bot seiner Schwester jeweils die beste Portion jeder Speise an, wodurch er sich gleichzeitig versicherte, dass er nur das aß, was sie ebenfalls zu sich nahm. Zwar glaubte er nicht ernsthaft, sie könne ihn vergiften wollen, allerdings konnte ein wenig Vorsicht nicht schaden.

Die Nachricht über die Starks hatte ihr die Laune verdorben, das entging ihm nicht. »Ist noch keine Nachricht aus Bitterbrück eingetroffen?«, fragte sie neugierig, während sie mit ihrem Dolch ein Stück Apfel aufspießte und gereizt daran knabberte.

»Nein.«

»Kleinfinger habe ich noch nie vertraut. Für genug Gold würde er von einem Augenblick zum nächsten zu Stannis überlaufen.«

»Stannis Baratheon ist zu verflucht rechtschaffen, um Männer zu kaufen. Außerdem wäre er für einen Mann wie Petyr nicht gerade der angenehmste Lehnsherr. Dieser Krieg hat schon die seltsamsten Bettgefährten zusammengeführt, das stimmt, aber diese beiden? Nein.«

Während er ein paar Scheiben von dem Schinken abschnitt, sagte sie: »Das Schwein verdanken wir Lady Tanda.«

»Ein Zeichen ihrer Liebe?«

»Ein Bestechungsversuch. Sie möchte gern zu ihrer Burg zurückkehren. Dazu braucht sie deine und meine Erlaubnis. Vermutlich befürchtet sie, du würdest sie wie Lord Gil unterwegs verhaften lassen.«

»Plant sie denn, sich mit dem Thronerben davonzumachen? « Tyrion legte seiner Schwester eine Scheibe Schinken auf und nahm eine für sich selbst. »Mir wäre es lieber, wenn sie bliebe. Falls sie sich dann sicherer fühlt, mag sie ihre Soldaten von Schurwerth hierherholen. So viele sie nur hat.«

»Wenn wir so dringend Männer brauchen, warum hast du dann deine Wilden fortgeschickt?« Cersei klang ein wenig gereizt.

»So konnte ich sie am besten einsetzen«, erklärte er ihr wahrheitsgemäß. »Sie sind wilde Krieger, aber keine Soldaten. In der Schlacht ist Disziplin wichtiger als Mut. Im Königswald haben sie uns schon mehr eingebracht, als sie innerhalb der Stadtmauern jemals erreichen könnten.«

Während der Schwan serviert wurde, fragte die Königin ihn über die Verschwörung der Geweihmänner aus. Sie wirkte eher verärgert als verängstigt. »Warum werden wir ständig verraten? Auf welche Weise hat das Haus Lennister diese Kreaturen je beleidigt?«

»Auf gar keine«, antwortete Tyrion, »sie glauben, sie hätten sich auf die Seite des Siegers gestellt … und demnach sind sie nicht nur Verräter, sondern zudem noch Narren.«

»Bist du sicher, dass du sie alle gefunden hast?«

»Varys meint, ja.« Der Schwan war für seinen Geschmack zu fett.

Auf Cerseis weißer Stirn zeigte sich eine Falte. »Du vertraust dem Eunuchen zu sehr.«

»Er leistet mir gute Dienste.«

»Oder macht es dich glauben. Denkst du, du seist der Einzige, dem er seine Geheimnisse zuflüstert? Er lässt jedem von uns gerade so viel zukommen, dass wir meinen, ohne ihn hilflos zu sein. Mit mir hat er das gleiche Spiel getrieben, als ich Robert geheiratet habe. Jahrelang war ich überzeugt, am Hof keinen ehrlicheren Freund zu haben, aber jetzt …« Sie betrachtete sein Gesicht einen Moment lang. »Er sagt, du willst Joffrey den Bluthund wegnehmen.«

Verfluchter Varys. »Ich brauche Clegane für wichtigere Aufgaben. «

»Nichts ist wichtiger als das Leben des Königs.«

»Das Leben des Königs ist nicht in Gefahr. Joff hat außerdem seinen tapferen Ser Osmund, der ihn beschützt, und dazu Meryn Trant.« Für etwas anderes taugen die sowieso nicht. »Ich brauche Balon Swann und den Bluthund, um Ausfälle anzuführen und um sicherzustellen, dass Stannis auf dieser Seite des Schwarzwassers nicht Fuß fassen kann.«

»Jaime würde die Ausfälle selbst anführen.«

»Von Schnellwasser aus? Das wäre ein ziemlicher Ausfall. «

»Joff ist noch ein Junge.«

»Ein Junge, der an der Schlacht teilnehmen will, und endlich hat er einmal etwas Verstand gezeigt. Ich beabsichtige nicht, ihn mitten ins Gewühl zu schicken, trotzdem sollte er sich wenigstens blicken lassen. Männer kämpfen erbitterter für einen König, der die Gefahr mit ihnen teilt, als für einen, der sich an den Rockzipfeln seiner Mutter festhält.«

»Er ist dreizehn, Tyrion.«

»Kannst du dich erinnern, wie Jaime mit dreizehn war? Wenn der Junge in die Fußstapfen seines Vaters treten soll, lass ihn auch diese Rolle spielen. Joff trägt die beste Rüstung, die für Gold zu haben ist, und ständig wird ihn ein Dutzend Goldröcke umschwirren. Sobald es auch nur im Entferntesten aussieht, als könnte die Stadt fallen, werde ich ihn sofort zum Roten Bergfried zurückbringen lassen.«

Er hatte geglaubt, das würde sie trösten, sah jedoch keine Spur von Freude in ihren grünen Augen. »Wird die Stadt fallen?«

»Nein.« Aber falls doch, bete darum, dass wir den Roten Bergfried so lange halten können, bis unser Hoher Vater uns mit seinen Truppen erreicht hat.

»Du hast mich schon früher belogen, Tyrion.«

»Aber immer aus gutem Grund, liebe Schwester. Ich habe mir ein gutes Einvernehmen zwischen uns gewünscht, genau wie du. Daher habe ich mich entschieden, Lord Gil freizulassen. « Eigentlich hatte er ihn nur für diese Geste überhaupt gefangen genommen. »Und Ser Boros Blount kannst du ebenfalls zurückhaben.«

»Ser Boros Blount kann von mir aus auf Rosby verrecken«, sagte sie, »aber Tommen …«

»… bleibt, wo er ist. Unter Lord Jaslyns Schutz ist er sicherer, als er es je bei Lord Gil gewesen wäre.«

Diener trugen den Schwan ab, der kaum angerührt worden war. Cersei ließ den Nachtisch kommen. »Hoffentlich magst du Brombeertorte.«

»Ich mag alle Torten.«

»Oh, das weiß ich schon lange. Soll ich dir verraten, warum Varys so gefährlich ist?«

»Stellen wir uns nun gegenseitig Rätsel? Nein.«

»Er hat keinen Schwanz.«

»Du auch nicht.« Und das ist dir ein Gräuel, oder nicht, Cersei?

»Vielleicht bin ich ja auch gefährlich. Du dagegen bist ein ebenso großer Narr wie jeder andere Mann. Dieser Wurm zwischen deinen Beinen übernimmt die Hälfte des Denkens für dich.«

Tyrion leckte sich die Krümel von den Fingern. Das Lächeln seiner Schwester gefiel ihm nicht. »Ja, und gerade jetzt denkt ebendieser Wurm, es könnte an der Zeit sein, dich zu verlassen.«

»Fühlst du dich nicht wohl, Bruder?« Sie beugte sich vor und gestattete ihm so einen tiefen Blick in ihr Dekolleté. »Du wirkst plötzlich so nervös.«

»Nervös?« Tyrion sah zur Tür. Er meinte, von draußen ein Geräusch vernommen zu haben. Inzwischen bedauerte er, allein gekommen zu sein. »Bisher hast du nie viel Interesse an meinem Schwanz gezeigt.«

»Es ist auch nicht dein Schwanz, für den ich mich interessiere, sondern, wo du ihn reinsteckst. Im Gegensatz zu dir muss ich mich nicht voll und ganz auf den Eunuchen verlassen; ich habe eigene Mittel und Wege, bestimmte Dinge herauszufinden … vor allem jene, die man vor mir verschweigen will.«

»Und was versuchst du mir damit zu sagen?«

»Nur dies – ich habe deine kleine Hure.«

Tyrion griff nach seinem Weinkelch und verschaffte sich so einen Augenblick Zeit, um seine Gedanken zu sammeln. »Ich dachte immer, du hättest eher eine Vorliebe für Männer. «

»Was für ein drolliger kleiner Scherzbold du bist. Erzähl: Hast du die hier schon geheiratet?« Da er darauf nicht antwortete, lachte sie. »Vater wird sehr erleichtert sein.«

Sein Bauch fühlte sich an, als würden sich Aale darin winden. Wie hatte sie Shae gefunden? Hatte Varys ihn verraten? Oder war alle Vorsicht umsonst gewesen, weil er in jener Nacht voller Ungeduld ohne Umschweife zu dem Anwesen geritten war? »Was geht es dich an, wer mir das Bett wärmt?«

»Ein Lennister bezahlt stets seine Schulden«, erwiderte sie. »Du schmiedest Komplotte gegen mich, seit du in Königsmund angekommen bist. Myrcella hast du verkauft, Tommen gestohlen, und jetzt willst du Joff töten lassen. Du willst seinen Tod, damit du mit Tommens Hilfe regieren kannst.«

Nun, der Gedanke wäre schon verlockend. »Das ist doch Wahnsinn, Cersei. In wenigen Tagen wird Stannis hier sein. Du brauchst mich.«

»Wofür? Damit du deine Tapferkeit in der Schlacht beweisen kannst?«

»Bronns Söldner werden ohne mich niemals kämpfen«, log er.

»Oh, ich vermute doch. Sie lieben dein Gold, nicht deinen gnomenhaften Witz. Aber keine Angst, sie werden dich nicht verlieren. Ich will nicht behaupten, dass ich nicht von Zeit zu Zeit daran gedacht hätte, dir die Kehle aufzuschlitzen, allerdings würde mir Jaime das nie verzeihen.«

»Und die Hure?« Er wagte es nicht, sie beim Namen zu nennen. Wenn ich sie überzeugen kann, dass Shae mir nichts bedeutet, vielleicht …

»Sie wird anständig behandelt, solange meinen Söhnen kein Leid widerfährt. Sollte Joff sterben oder Tommen dem Feind in die Hände fallen, wird deine kleine Hure allerdings qualvoller sterben, als du dir auszumalen vermagst.«

Sie glaubt tatsächlich, ich wolle meinen eigenen Neffen umbringen. »Die Jungen sind in Sicherheit«, versprach er ihr müde. »Bei den guten Göttern, Cersei, sie sind von meinem eigenen Blut. Für was für einen Mann hältst du mich eigentlich?«

»Für einen kleinen und verrückten.«

Tyrion starrte in die Neige am Boden seines Weinkelchs. Was würde Jaime an meiner Stelle tun? Höchstwahrscheinlich würde er das Miststück umbringen und sich erst hinterher Gedanken über die Folgen machen. Bloß hatte Tyrion weder ein goldenes Schwert noch die Fähigkeit, es zu führen. Er liebte den hemmungslosen Zorn seines Bruders, leider jedoch musste er seinem Vater nacheifern. Stein, ich muss wie Stein sein, ich muss der Fels von Casterlystein sein, hart und ohne Regung. Wenn ich diese Prüfung nicht bestehe, kann ich mich gleich der nächsten Menagerie anschließen. »Vielleicht hast du sie bereits getötet«, sagte er.

»Möchtest du sie sehen? Das habe ich erwartet.« Cersei durchquerte das Zimmer und stieß die schwere Eichentür auf. »Bringt die Hure meines Bruders herein.«

Ser Osmunds Brüder Osney und Osfryd glichen sich wie ein Ei dem anderen. Beide waren große Männer mit Hakennasen, dunklem Haar und grausamem Lächeln. Das Mädchen hing zwischen ihnen, und in ihrem dunklen Gesicht leuchteten ihre weit aufgerissenen Augen weiß. Blut rann von ihrer aufgeplatzten Lippe, und durch die zerrissenen Kleider konnte er blaue Flecken sehen. Man hatte sie geknebelt und ihr die Hände mit einem Seil gefesselt.

»Du hast gesagt, ihr würde kein Leid zugefügt.«

»Sie hat sich gewehrt.« Anders als seine Brüder war Osney Schwarzkessel sauber rasiert, und so konnte man die Kratzer auf seinen Wangen deutlich erkennen. »Sie hat Krallen wie eine Schattenkatze.«

»Blutergüsse und Schrammen verheilen«, sagte Cersei gelangweilt. »Die Hure wird sie überleben. Solange Joff nichts zustößt.«

Tyrion hätte am liebsten laut gelacht. Es wäre ein so süßes Lachen gewesen, so ungemein süß, doch damit hätte er den Sieg in diesem Spiel verschenkt. Du hast verloren, Cersei, und die Schwarzkessels sind noch größere Tölpel, als Bronn behauptet hat. Er brauchte nur die Worte zu sagen, das war alles.

Stattdessen blickte er dem Mädchen ins Gesicht. »Schwörst du, sie nach der Schlacht freizulassen?«

»Wenn du Tommen freilässt, ja.«

Er stemmte sich hoch und stand auf. »Dann behalt sie, aber pass gut auf sie auf. Falls diese Tiere glauben, sie dürften sich mit ihr vergnügen … also, süße Schwester, du weißt, eine Waage kann sich in beide Richtungen senken.« Seine Stimme klang ruhig, flach, unbeteiligt; er hatte seinen Vater nachahmen wollen, und das war ihm gelungen. »Was immer sie erleiden muss, wird Tommen ebenfalls über sich ergehen lassen, und das schließt Prügel und Vergewaltigung mit ein.« Wenn sie mich für ein solches Ungeheuer hält, will ich die Rolle gern für sie spielen.

Damit hatte Cersei nicht gerechnet. »Das würdest du nicht wagen.«

Tyrion zwang sich, träge und kalt zu lächeln. Sein grünes und sein schwarzes Auge lachten sie an. »Wagen? Ich würde es persönlich erledigen.«

Die Hand seiner Schwester schoss auf sein Gesicht zu, doch er packte sie am Gelenk und bog sie zurück, bis Cersei aufschrie. Osfryd setzte sich in Bewegung und wollte sie befreien. »Einen Schritt weiter, und ich breche ihr den Arm«, warnte der Zwerg ihn. Der Mann blieb stehen. »Du erinnerst dich vielleicht, Cersei, ich habe dir gesagt, du würdest mich nie wieder schlagen.« Er drückte sie auf den Boden und wandte sich an die Schwarzkessels. »Bindet sie los und nehmt ihr den Knebel ab.«

Das Seil war so fest gezogen, dass es Alayaya die Hände abgeschnürt hatte. Das Mädchen schrie vor Schmerz auf, als das Blut wieder hineinströmte. Tyrion massierte ihre Finger sanft, bis die Taubheit nachließ. »Liebes«, sagte er, »du musst jetzt tapfer sein. Es tut mir leid, dass sie dir wehgetan haben.«

»Ich weiß, Ihr werdet mich befreien, Mylord.«

»Das werde ich«, versprach er, und sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Die aufgeplatzte Lippe hinterließ einen Blutfleck. Ein blutiger Kuss ist mehr, als ich verdient habe, dachte Tyrion. Wenn ich nicht wäre, hätte man sie niemals misshandelt.

Das Blut zeichnete ihn noch immer, als er auf die Königin hinunterblickte. »Ich habe dich nie gemocht, Cersei, aber du warst meine Schwester, daher habe ich dir nie etwas zu Leide getan. Du hast diesen friedlichen Zustand selbst beendet. Für diese Angelegenheit wirst du leiden. Ich weiß noch nicht, wie, aber lass mir nur ein wenig Zeit. Der Tag wird kommen, an dem du dich in Sicherheit wiegst und glücklich bist, und plötzlich wird sich dein Frohsinn wie Asche in deinem Mund anfühlen, und dann wirst du wissen, dass ich meine Rechnung beglichen habe.«

Im Krieg, so hatte ihm sein Vater einst erklärt, ist die Schlacht vorbei, sobald eine Armee flieht. Gleichgültig wie zahlreich, gut gerüstet und bewaffnet sie dastand, suchte sie einmal das Heil in der Flucht, würde sie nicht mehr umkehren und sich erneut dem Kampf stellen. Genauso verhielt es sich mit Cersei. »Hinaus!«, war die einzige Antwort, die sie zu Stande brachte. »Geh mir aus den Augen.«

Tyrion verneigte sich. »Gute Nacht. Und angenehme Träume. «

Er begab sich auf den Rückweg zum Turm der Hand, und währenddessen marschierten tausend gepanzerte Stiefel durch seinen Schädel. Ich hätte es kommen sehen müssen, als ich zum ersten Mal durch Chatayas Kleiderschrank geschlichen bin. Vielleicht hatte er es nicht sehen wollen. Seine Beine schmerzten heftig, als er die Treppen hinter sich gebracht hatte. Er schickte Pod los, um eine Karaffe Wein zu holen, und ging in sein Schlafzimmer.

Shae saß mit gekreuzten Beinen auf seinem Himmelbett und war bis auf die schwere Goldkette, die ihr um die Brüste hing, nackt: eine Kette, deren Glieder aus goldenen Händen bestanden, von denen eine in die andere griff.

Tyrion hatte sie nicht erwartet. »Was machst du denn hier?«

Lachend strich sie über die Kette. »Ich wollte Hände auf meinen Brüsten spüren … aber diese kleinen goldenen sind sehr kalt.«

Einen Augenblick lang wusste er nicht, was er sagen sollte. Wie sollte er ihr erklären, dass eine andere Frau die Prügel hatte einstecken müssen, die für sie bestimmt waren, und vielleicht an ihrer Stelle sterben würde, falls Joffrey in der Schlacht fiel? Er wischte sich Alayayas Blut von der Stirn. »Lady Lollys …«

»Sie schläft. Schlafen ist alles, was sie tun will, die große Kuh. Sie schläft und isst. Manchmal schläft sie ein, während sie isst. Das Essen fällt unter die Decke, und sie wälzt sich darin, und hinterher muss ich sie waschen.« Sie verzog angeekelt das Gesicht. »Dabei haben die sie doch nur gefickt.«

»Ihre Mutter sagt, sie sei krank.«

»Sie hat ein Kind im Bauch, mehr nicht.«

Tyrion blickte sich im Zimmer um. Alles schien so, wie er es verlassen hatte. »Wie bist du hereingekommen? Zeig mir die verborgene Tür.«

Sie zuckte die Achseln. »Lord Varys hat mein Gesicht verhüllt. Ich konnte nichts sehen, außer … an einer Stelle konnte ich durch einen Schlitz den Boden erkennen. Da waren kleine Fliesen, solche, die man zu Bildern zusammensetzt.«

»Ein Mosaik?«

Shae nickte. »Sie waren rot und schwarz. Ich glaube, auf dem Bild war ein Drache. Wir sind eine Leiter hinuntergestiegen und lange Gänge entlanggegangen, bis ich mich nicht mehr orientieren konnte. Einmal sind wir stehen geblieben, da hat er ein Eisentor aufgeschlossen. Ich habe es berührt, als wir hindurchgingen. Der Drache war gleich hinter dem Tor. Dann kam noch eine Leiter, da stiegen wir wieder hinauf, dann folgte ein Tunnel. Ich musste mich bücken, und Lord Varys ist, glaube ich, halb gekrochen.«

Tyrion drehte eine Runde durch das Zimmer. Eine der Kerzenhalterungen wirkte locker. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte sie zu drehen. Langsam ließ sie sich bewegen und kratzte über die Wand. Als sie verkehrt herum stand, fiel der Kerzenstummel heraus. Die Binsen auf dem kalten Steinboden lagen noch genauso da wie vorher. »Möchte Mylord nicht zu mir ins Bett kommen?«, fragte Shae.

»Gleich.« Tyrion öffnete den Schrank, schob die Kleider beiseite und drückte gegen die Rückwand. Was für ein Bordell gut war, konnte durchaus auch in Burgen eingesetzt werden … doch nein, das Holz war dick und gab nicht nach. Ein Stein neben dem Fenster zog seine Aufmerksamkeit auf sich, kein Zerren und Ziehen konnte ihn hingegen lockern. Tyrion wandte sich niedergeschlagen und verärgert dem Bett zu.

Shae schnürte seine Hose auf und legte die Arme um seinen Hals. »Eure Schultern fühlen sich hart wie Stein an«, murmelte sie. »Beeilt Euch, ich möchte Euch in mir spüren.« Doch während sie die Beine um seine Hüften schloss, ließ ihn seine Manneskraft im Stich. Shae bemerkte, dass er schlaff wurde, kroch unter die Decke und nahm ihn in den Mund, doch selbst das konnte ihn nicht wieder aufrichten.

Nach ein paar Augenblicken hielt er sie zurück. »Was ist denn los?«, fragte sie. Alle Unschuld der Welt stand in dieses liebliche junge Gesicht geschrieben.

Unschuld? Du Narr, sie ist eine Hure, Cersei hat Recht, du denkst mit deinem Schwanz, du Narr, du Narr, du Narr!

»Schlaf einfach, Liebling«, drängte er sie und strich ihr übers Haar. Lange nachdem Shae seinen Rat beherzigt hatte, lag Tyrion noch wach, und bedeckte eine ihrer kleinen Brüste mit der Hand, während er auf ihren Atem lauschte.

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