CATELYN

Bis sie das Dorf gefunden hatten, war es vollständig dunkel. Catelyn fragte sich, ob der Ort wohl einen Namen hatte. Falls dem so war, hatten seine Bewohner dieses Wissen bei der Flucht samt ihren Habseligkeiten mitgenommen, sogar die Kerzen in der Septe hatten sie nicht zurückgelassen. Ser Wendel zündete eine Fackel an und führte Catelyn durch die niedrige Tür.

Im Inneren waren die sieben Mauern schief und von Rissen durchzogen. Gott ist eins, hatte Septon Osmynd ihr als jungem Mädchen beigebracht, doch hat er sieben Aspekte, so wie die Septe ein Gebäude mit sieben Wänden ist. In den reichen Septen der Städte stand jeweils eine Statue von jedem der Sieben und davor ein Altar. In Winterfell hatte Septon Chayle geschnitzte Masken an jeder Wand aufgehängt. Hier gab es nur grobe Kohlezeichnungen. Ser Wendel steckte die Fackel in einen Halter und ging hinaus, um mit Robar Rois zu warten.

Catelyn betrachtete die Gesichter. Der Vater war wie immer bärtig. Die Mutter lächelte liebevoll und behütend. Unter dem Gesicht des Kriegers war das Schwert gezeichnet, unter dem Schmied der Hammer. Die Jungfrau war wunderschön, und das Alte Weib runzlig und weise.

Und das siebte Gesicht … der Fremde war weder männlich noch weiblich und doch beides, stets der Ausgestoßene, der Wanderer von fernen Orten, mehr oder weniger menschlich, unbekannt und unerkennbar. Hier war sein Antlitz ein schwarzes Oval, ein Schatten mit Sternen als Augen. Catelyn fühlte sich unbehaglich. In dieser Septe würde sie nur kargen Trost finden.

Sie kniete vor der Mutter. »Mylady, betrachte diese Schlacht mit den Augen einer Mutter. Sie sind alle Söhne, jeder Einzelne. Verschone sie, wenn du kannst, und verschone auch meine eigenen Söhne. Halte Wache über Robb und Bran und Rickon. Wenn ich bloß bei ihnen sein könnte.«

Durch das linke Auge der Mutter verlief ein Riss in der Wand. Er gab ihr den Anschein, als würde sie weinen. Catelyn hörte von draußen Ser Wendels dröhnende Stimme und hin und wieder Ser Robars leise Antworten. Die beiden unterhielten sich über die bevorstehende Schlacht. Haben deine alten Götter dir jemals geantwortet, Ned?, fragte sie sich im Stillen. Wenn du vor dem Herzbaum knietest, haben sie dich angehört?

Das Flackern der Fackeln tanzte auf den Wänden und ließ die Gesichter fast lebendig wirken, verzerrte sie, veränderte sie. Die Statuen in den großen Septen der Städte trugen stets jene Gesichter, die die Steinmetze ihnen verliehen hatten, doch diese einfachen Kohlezeichnungen mochten wer weiß wen darstellen. Der Vater erinnerte sie an ihren eigenen Vater, der auf Schnellwasser im Sterben lag. Der Krieger war Renly und Stannis, Robb und Robert, Jaime Lennister und Jon Schnee. Sie entdeckte sogar Arya in den Zügen, wenngleich nur für einen Augenblick. Dann fuhr ein Windstoß durch die Tür, die Fackel verlosch beinahe, und die Ähnlichkeit war verschwunden, im orangefarbenen Schein verloren.

Der Rauch brannte ihr in den Augen. Sie rieb sie mit den Ballen ihrer vernarbten Hände. Als sie erneut die Mutter betrachtete, erkannte sie ihre eigene Mutter. Lady Minisa Tully war bei der Geburt von Lord Hosters zweitem Sohn im Kindbett gestorben, zusammen mit dem Säugling. Vater war danach nicht mehr derselbe gewesen. Sie war immer so ruhig, dachte Catelyn und erinnerte sich an die sanften Hände ihrer Mutter und an ihr warmes Lächeln. Wie anders wäre unser Leben verlaufen, wäre sie nicht gestorben. Sie fragte sich, was Lady Minisa wohl denken mochte, wenn ihre älteste Tochter hier vor ihr kniete. Ich bin so viele Meilen weit gereist, und wofür? Wem habe ich damit einen Dienst erwiesen? Ich habe meine Töchter verloren, Robb will meinen Rat nicht mehr, und Bran und Rickon halten mich wahrscheinlich für eine kalte und schlechte Mutter. Ich war nicht einmal bei Ned, als er starb …

Die Welt verschwamm vor ihren Augen, die Septe drehte sich um sie. Die Schatten schwankten und bewegten sich verstohlen wie Tiere über die gerissenen weißen Wände. Catelyn hatte heute noch nichts gegessen. Vielleicht war das nicht klug gewesen. Sie hatte sich eingeredet, sie habe keine Zeit dafür, doch in Wahrheit schmeckte ihr das Essen ohne Ned nicht mehr. Als sie ihm den Kopf abschlugen, haben sie auch mich getötet.

Hinter ihr zischte die Fackel, und plötzlich sah sie das Gesicht ihrer Schwester auf der Wand, obwohl die Augen härter waren, sie gehörten nicht Lysa, sondern Cersei. Cersei ist ebenfalls Mutter. Gleichgültig, wer die Kinder gezeugt hat, sie hat ihre Tritte in ihrem Bauch gespürt, sie hat sie unter Schmerzen in ihrem Blut zur Welt gebracht, sie hat sie an ihrer Brust gestillt. Wenn sie tatsächlich von Jaime stammen …

»Betet Cersei auch zu dir, Mylady?«, fragte Catelyn die Mutter. Sie sah die stolzen, kalten, lieblichen Züge der Lennister-Königin auf der Mauer. Der Riss war nicht verschwunden; selbst Cersei konnte um ihre Kinder weinen. »Jeder der Sieben verkörpert alle der Sieben«, hatte Septon Osmynd sie gelehrt. Das Alte Weib war genauso schön wie die Jungfrau, und die Mutter konnte wilder sein als der Krieger, wenn ihre Kinder bedroht wurden. Ja …

Damals, bei Robert Baratheons Besuch auf Winterfell hatte sie genug gesehen und wusste, dass der König nicht viel Liebe für Joffrey empfand. Wenn der Junge tatsächlich durch Jaimes Samen gezeugt war, hätte Robert ihn zusammen mit seiner Mutter zum Tode verurteilt, und wenige nur hätten ihn deswegen verflucht. Bastarde waren nichts Ungewöhnliches, Inzest jedoch war sowohl den alten als auch den neuen Göttern gegenüber eine entsetzliche Sünde, und die Kinder solcher Verruchtheit wurden in Septen und Götterhainen gleichermaßen als Abscheulichkeit bezeichnet. Bei den Drachenkönigen hatte der Bruder die Schwester geheiratet, doch sie waren vom Blut des alten Valyria, wo solche Sitten üblich gewesen waren, und wie ihre Drachen hatten sich die Targaryen weder vor Menschen noch Göttern verantworten müssen.

Ned musste es gewusst haben, und vor ihm Lord Arryn. Kein Wunder, dass die Königin beide hatte töten lassen. Würde ich nicht für meine Kinder das Gleiche tun? Catelyn ballte die Hände zur Faust und spürte die Steifheit an der Stelle, wo der Stahl des Mörders bis auf den Knochen durchgedrungen war, während sie ihren Sohn verteidigt hatte. »Bran weiß es auch«, flüsterte sie und senkte den Kopf. »Bei den guten Göttern, er muss etwas gesehen oder gehört haben, deshalb wollten sie ihn in seinem Bett töten.«

Verwirrt und müde überließ sich Catelyn Stark ihren Göttern. Sie kniete vor dem Schmied, der Dinge, die zerbrochen waren, richtete, und bat ihn um Schutz für ihren süßen Bran. Sie ging zur Jungfrau und bat sie, Arya und Sansa mit Mut zu segnen und sie in ihrer Unschuld zu behüten. Den Vater betete sie um Gerechtigkeit an, um die Stärke, danach zu suchen, und die Weisheit, sie zu erkennen, und den Krieger bat sie darum, Robbs Stärke zu erhalten und ihn in seinen Schlachten zu beschützen. Zum Schluss wandte sie sich an das Alte Weib, dessen Statuen es oft mit einer Laterne in der Hand zeigten. »Führe mich, weise Dame«, betete sie. »Weise mir den Weg, den ich gehen muss, und lass mich an den dunklen Orten, die vor mir liegen, nicht stolpern.«

Schließlich hörte sie Schritte hinter sich und ein Geräusch an der Tür. »Mylady«, rief Ser Robar leise, »verzeiht, aber die Zeit ist um. Wir müssen zurück sein, ehe der Morgen graut.«

Catelyn erhob sich steif. Ihre Knie schmerzten, und sie hätte viel für ein Federbett und ein Kissen gegeben. »Danke, Ser. Ich bin bereit.«

Schweigend ritten sie durch das offene Waldland, dessen Bäume sich wie betrunken in die vom Meer abgewandte Richtung neigten. Das nervöse Wiehern von Pferden und das Scheppern von Stahl führten sie zurück zu Renlys Lager. Die langen Reihen von Mann und Pferd waren in Finsternis gerüstet, so schwarz, als habe der Schmied selbst sie in der Nacht aus Stahl getrieben. Zur Rechten und Linken sah sie Banner, doch wegen der Dunkelheit kurz vor dem Morgengrauen konnte sie weder Farben noch Wappen erkennen. Eine graue Armee, dachte Catelyn. Graue Männer auf grauen Pferden unter grauen Bannern. Während Renlys Schattenritter warteten, hielten sie ihre Lanzen aufrecht, sodass Catelyn durch einen Wald hoher, kahler Bäume ritt, der seiner Blätter und seines Lebens beraubt war. Wo Sturmkap stand, sah sie nur tiefere Finsternis, eine Wand aus Schwärze, die kein Stern erhellte; doch dort, wo Lord Stannis sein Lager aufgeschlagen hatte, bemerkte sie Fackeln, die sich hin und her bewegten.

Die Kerzen in Renlys Pavillon ließen die schimmernden Seidenwände glühen und verwandelten das große Zelt in eine magische Burg aus smaragdgrünem Licht. Zwei Männer der Regenbogengarde hielten Wache vor dem Eingang. Das grüne Licht verlieh den Purpurpflaumen auf Ser Parmens Mantel einen eigentümlichen Farbton und den Sonnenblumen, die jeden Zentimeter von Ser Emmons emaillierter gelber Rüstung bedeckten, ein kränkliches Aussehen. Die langen seidigen Federbüsche hingen von ihren Helmen, und ihre Regenbogenumhänge hatten sie um die Schultern geworfen.

Im Inneren traf Catelyn Brienne an, die ihren König für die Schlacht rüstete, während dieser sich mit den Lords Tarly und Esch über Taktik und Schlachtaufstellung unterhielt. Es war angenehm warm hier, da in einem Dutzend kleiner eiserner Becken Kohlen glühten. »Ich muss mit Euch sprechen, Euer Gnaden«, sagte sie und gewährte ihm dies eine Mal den Titel eines Königs, alles, solange er ihr nur Gehör schenkte.

»Einen Augenblick, Lady Catelyn«, erwiderte Renly. Brienne verband gerade Rücken- und Brustpanzer über seinem gesteppten Wams miteinander. Des Königs Rüstung war dunkelgrün wie das Laub in einem Sommerwald, so dunkel, dass sie das Licht der Kerzen verschluckte. Golden glitzerten Intarsien und Schnallen wie ferne Feuer in diesem Wald und flackerten jedes Mal, wenn er sich bewegte. »Bitte fahrt fort, Lord Mathis.«

»Euer Gnaden«, sagte Mathis Esch und warf Catelyn einen Seitenblick zu, »wie ich gerade sagte, ist unsere Streitmacht bereit. Warum sollen wir bis Tagesanbruch warten? Lasst zum Vormarsch blasen!«

»Um mir hinterher nachsagen zu lassen, ich hätte durch Verrat gewonnen, durch einen unritterlichen Angriff? Die Dämmerung war die gewählte Stunde.«

»Von Stannis gewählt«, wandte Randyll Tarly ein. »Er will, dass wir gegen die aufgehende Sonne angreifen. Wir werden halb blind sein.«

»Nur bis zum ersten Zusammenprall«, entgegnete Renly zuversichtlich. »Ser Loras wird die Reihen aufbrechen, und danach wird das reinste Chaos herrschen.« Brienne zog grüne Lederriemen straff und schloss goldene Schnallen. »Wenn mein Bruder fällt, sorgt dafür, dass seine Leiche nicht geschändet wird. Er ist von meinem Blut, deshalb wünsche ich seinen Kopf nicht auf einem Speer zu sehen.«

»Und wenn er sich ergibt?«, fragte Lord Tarly.

»Ergibt?« Lord Esch lachte. »Als Maes Tyrell Sturmkap belagerte, hat Stannis lieber Ratten gefressen, als ihm die Tore zu öffnen.«

»Daran erinnere ich mich noch.« Renly hob das Kinn, damit Brienne die Halsberge befestigen konnte. »Kurz vor dem Ende haben Ser Gawen Wyld und drei seiner Ritter versucht, sich durch ein Seitentor hinauszuschleichen, um sich zu ergeben. Stannis hat sie erwischt und hat befohlen, sie mit Katapulten von der Mauer hinausschießen zu lassen. Ich sehe noch Gawens Gesicht vor mir, als sie ihn fesselten. Er war unser Waffenmeister.«

Lord Esch war verwirrt. »Da wurden keine Männer von den Mauern geschleudert. Daran könnte ich mich erinnern. «

»Maester Cressen hat Stannis erklärt, dass wir möglicherweise gezwungen sein würden, unsere Toten zu essen, und es liege kein Gewinn darin, gutes Fleisch zu verschwenden.« Renly strich sich das Haar zurück. Brienne band es mit einem Samtband zusammen und zog ihm die gepolsterte Kappe über die Ohren, die das Gewicht des Helms dämpfen sollte. »Dank des Zwiebelritters mussten wir niemals Leichen essen, aber es war eine knappe Angelegenheit. Zu knapp für Ser Gawen, der in seiner Zelle gestorben ist.«

»Euer Gnaden.« Catelyn hatte geduldig gewartet, doch die Zeit verstrich. »Ihr habt mir eine Unterredung versprochen. «

Renly nickte. »Trefft die letzten Vorbereitungen für die Schlacht, Mylords … ach, und falls Barristan Selmy bei meinem Bruder ist, so soll er verschont werden.«

»Von Ser Barristan hat man nichts mehr gehört, seit Joffrey ihn verbannt hat«, wandte Lord Esch ein.

»Ich kenne diesen alten Mann. Er braucht einen König, den er beschützen kann. Das ist sein ganzer Lebensinhalt. Allerdings hat er sich nie bei mir gemeldet, und Lady Catelyn sagt, auch bei Robb Stark auf Schnellwasser sei er nicht. Wo sollte er also sonst sein, wenn nicht bei Stannis?«

»Wie Ihr befehlt, Euer Gnaden. Ihm soll kein Leid zugefügt werden.« Die Lords verneigten sich und gingen hinaus.

»Was möchtet Ihr, Lady Stark?«, fragte Renly. Brienne legte ihm den Umhang über die breiten Schultern. Er war aus echtem Goldtuch, sehr schwer und mit dem schwarzen gekrönten Hirsch der Baratheons in Jettsplittern bestickt.

»Die Lennisters haben versucht, meinen Sohn Bran zu töten. Tausend Mal habe ich mich gefragt, aus welchem Grund. Euer Bruder hat mir die Antwort gegeben. An dem Tag, an dem er abstürzte, wurde eine Jagd veranstaltet. Robert, Ned und die meisten anderen Männer haben Keiler gejagt, nur Jaime Lennister ist in Winterfell geblieben und die Königin ebenso.«

Renly erfasste die Bedeutung ihrer Worte sofort. »Ihr glaubt also, der Junge habe die beiden bei ihrem Inzest …«

»Ich bitte Euch, Mylord, gewährt mir, zu Eurem Bruder Stannis zu gehen und ihm zu berichten, was ich vermute. «

»Aus welchem Grund?«

»Robb wird seine Krone absetzen, wenn Ihr und Euer Bruder das Gleiche tun«, sagte sie und hoffte, es entspräche der Wahrheit. Sie würde es durchsetzen, wenn es sein musste; Robb würde auf sie hören, selbst wenn seine Lords sich ihrem Rat verweigerten. »Beruft zu dritt einen Großen Rat ein, wie ihn das Reich seit hundert Jahren nicht mehr gesehen hat. Wir werden nach Winterfell schicken, damit Bran seine Geschichte erzählen kann und alle erfahren, dass die Lennisters die wahren Thronräuber sind. Mögen die versammelten Lords der Sieben Königslande entscheiden, wer sie regieren soll.«

Renly lachte. »Sagt mir, Mylady, wählen Schattenwölfe denjenigen, der das Rudel führen soll?« Brienne brachte die Handschuhe des Königs und den großen Helm, der mit einem goldenen Geweih verziert war und seinen Träger einen halben Meter größer machte. »Die Zeit des Redens ist vorbei. Jetzt wollen wir sehen, wer stärker ist.« Renly zog einen der gepanzerten grüngoldenen Handschuhe über die linke Hand, während Brienne sich hinkniete und ihm den schweren Gürtel umschnallte, an dem Langschwert und Dolch hingen.

»Im Namen der Mutter, ich flehe Euch an«, begann Catelyn, als plötzlich eine Bö die Tür des Zeltes aufstieß. Sie glaubte, eine Bewegung wahrzunehmen, doch als sie den Kopf wandte, war es nur der Schatten des Königs auf den Seidenwänden. Sie hörte Renly, der mit einem Scherz antworten wollte, während sich sein Schatten bewegte, sein Schwert hob, Schwarz auf grüner Seide. Die Kerzen flackerten, zitterten, irgendetwas war seltsam, falsch, und dann sah sie es: Renlys Schwert steckte noch in der Scheide, doch das Schattenschwert …

»Kalt«, sagte Renly mit leiser, verwirrter Stimme, einen Herzschlag, bevor sich der Stahl seiner Halsberge wie morscher Stoff unter dem Schatten der Klinge teilte, die gar nicht da war. Er hatte gerade noch Zeit, gurgelnd zu stöhnen, ehe das Blut aus seiner Kehle spritzte.

»Euer Gn- nein!«, schrie Brienne die Blaue, als sie den tödlichen Strom bemerkte, und sie klang wie ein verängstigtes kleines Mädchen. Der König taumelte in ihre Arme, ein Blutschwall rann über seine Rüstung, eine dunkelrote Flut, die das Grün und das Gold überschwemmte. Weitere Kerzen erloschen. Renly versuchte zu sprechen, würgte jedoch an seinem eigenen Blut. Seine Beine gaben nach, und allein Briennes Kraft hielt ihn noch aufrecht. Sie warf den Kopf in den Nacken und schrie, ein wortloser Laut der Pein.

Der Schatten. Etwas Düsteres und Böses war hier geschehen, das wusste sie, etwas, das sie nicht verstehen konnte. Renly hat diesen Schatten nicht geworfen. Der Tod ist zur Tür hereingekommen und hat sein Leben ausgeblasen wie der Wind die Kerzen.

Robar Rois und Emmon Cuy stürmten nur wenige Augenblicke später herein, obwohl es Catelyn vorkam wie die halbe Nacht. Zwei Soldaten folgten ihnen mit Fackeln. Als sie Renly in Briennes Armen sahen, die über und über mit dem Blut des Königs besudelt war, stieß Ser Robar einen entsetzten Schrei aus. »Verfluchtes Weibstück!«, brüllte Ser Emmon mit dem Sonnenblumenstahl. »Fort von ihm, abscheuliches Geschöpf!«

»Bei den guten Göttern, Brienne, warum?«, fragte Ser Robar.

Brienne blickte von der Leiche ihres Königs auf. Der Regenbogenumhang, der ihr von den Schultern hing, hatte sich rot gefärbt, wo er das Blut des Königs aufgesogen hatte. »Ich … ich …«

»Dafür wirst du sterben.« Ser Emmon ergriff eine Streitaxt von dem Waffenstapel nahe am Eingang. »Für das Leben des Königs wirst du mit deinem eigenen bezahlen!«

»NEIN!«, schrie Catelyn gellend, nachdem sie endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte, doch es war zu spät. Der Blutrausch hatte die Männer übermannt, und sie stürzten mit Gebrüll vor, das ihre schwache Stimme übertönte.

Brienne bewegte sich schneller, als Catelyn hätte glauben mögen. Ihr eigenes Schwert hatte sie nicht zur Hand, daher zog sie Renlys aus der Scheide und hob es, um Emmons Axthieb abzuwehren. Ein blauweißer Funke blitzte auf, als Stahl klirrend auf Stahl traf, und Brienne sprang auf und stieß den Leichnam des Königs zur Seite. Ser Emmon stolperte über den Toten, und Briennes Klinge durchtrennte den hölzernen Schaft der Axt, deren Kopf davonflog. Ein zweiter Mann stieß Brienne eine brennende Fackel in den Rücken, doch der Regenbogenumhang war nass vom Blut und fing kein Feuer. Brienne fuhr herum und schlug zu, und Hand und Fackel flogen durch die Luft. Die Flammen krochen über den Teppich. Der verstümmelte Mann brüllte auf. Ser Emmon ließ den Axtschaft fallen und griff nach seinem Schwert. Der zweite Soldat griff an, Brienne parierte, und die Schwerter tanzten und klangen. Als Emmon Cuy sich dazugesellte, war Brienne zum Rückzug gezwungen, trotzdem hielt sie beide in Schach. Auf dem Boden fiel Renlys Kopf zur Seite, und ein zweiter Mund klaffte in seinem Hals, aus dem das Blut nun in langsamen Stößen quoll.

Ser Robar hatte unsicher gezögert, doch jetzt griff er nach dem Heft seines Schwertes. »Robar, nein, hört zu!« Catelyn packte seinen Arm. »Ihr tut ihr Unrecht, sie war es nicht. Helft Ihr! Hört mich an, es war Stannis.« Der Name war ihr über die Lippen gegangen, ehe sie darüber nachdenken konnte, doch indem sie ihn aussprach, wusste sie, es stimmte. »Ich schwöre es, Ihr kennt mich, es war Stannis, der ihn getötet hat.«

Der junge Regenbogenritter starrte die Verrückte, die vor ihm stand, mit weit aufgerissenen Augen an. »Stannis? Wie?«

»Ich weiß es nicht. Zauberei, dunkle Magie, da war ein Schatten, ein Schatten.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme wahnsinnig, doch die Worte sprudelten aus ihr heraus, während die Klingen hinter ihr weiter aufeinanderprallten. »Ein Schatten mit einem Schwert, ich schwöre es, ich habe ihn gesehen. Seid Ihr denn blind, das Mädchen hat ihn geliebt! Helft ihr!« Sie blickte über die Schulter, sah den zweiten Soldaten fallen, die Klinge löste sich aus seinen tauben Fingern. Draußen hörte man Geschrei. Jeden Augenblick würden weitere zornige Männer hereinstürmen. »Sie ist unschuldig, Robar. Ihr habt mein Wort darauf, beim Grabe meines Gemahls und meiner Ehre als Stark!«

Das erlöste ihn. »Ich werde sie aufhalten«, sagte Ser Robar. »Bringt sie fort.« Er drehte sich um und ging hinaus.

Das Feuer hatte die Wand erreicht und kroch daran hinauf. Ser Emmon bedrängte Brienne hart, er in emailliertem Stahl gerüstet, sie in Wolle. Er hatte Catelyn vollkommen vergessen, bis das eiserne Kohlenbecken krachend auf seinem Hinterkopf landete. Da Emmon einen Helm trug, richtete der Hieb keinen bleibenden Schaden an, doch der Mann ging in die Knie. »Brienne, kommt mit mir«, befahl Catelyn. Das Mädchen erkannte seine Chance sofort. Ein Schnitt, und die grüne Seide teilte sich. Sie traten hinaus in die Kälte und Dunkelheit der Dämmerung. Auf der anderen Seite des Pavillons wurden Stimmen laut. »Hier entlang«, drängte Catelyn, »und langsam. Wir dürfen nicht rennen, sonst fragt man uns, warum. Tut, als sei nichts geschehen.«

Brienne schob die Klinge durch ihren Gürtel und ging neben Catelyn. Die Nachtluft roch nach Regen. Hinter ihnen stand der Pavillon des Königs in Flammen, die hoch in die Dunkelheit hinaufloderten. Niemand machte Anstalten, die beiden Frauen aufzuhalten. Männer rannten an ihnen vorbei, schrien »Feuer!«, »Mord!« und »Zauberei!« Andere standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Einige beteten, und ein junger Knappe war auf die Knie gefallen und schluchzte laut.

Renlys Schlachtreihen lösten sich auf, während sich das Gerücht ausbreitete und von Mund zu Mund ging. Die Lagerfeuer waren niedergebrannt, und als der Himmel im Osten heller wurde, tauchte Sturmkap riesig wie ein Traum aus Stein auf, während bleicher Nebel über das Schlachtfeld zog und auf den Flügeln des Windes vor der Sonne floh. Morgengeister, hatte die Alte Nan die Nebelfinger einmal genannt, Geister, die in ihre Gräber zurückkehren. Und Renly war jetzt einer von ihnen, tot, wie sein Bruder Robert, tot, wie ihr geliebter Ned.

»Ich habe ihn nur ein einziges Mal in den Armen halten dürfen, nur als er starb«, sagte Brienne leise, während sie sich einen Weg durch das Chaos suchten. Ihre Stimme klang gebrochen. »Eben hat er noch gelacht, im nächsten Augenblick war überall Blut … Mylady, ich verstehe das alles nicht. Habt Ihr es gesehen …?«

»Ich habe einen Schatten gesehen. Zuerst dachte ich, es sei Renlys Schatten, aber es war der seines Bruders.«

»Lord Stannis?«

»Ich habe ihn gespürt. Das ergibt keinen Sinn, ich weiß …«

Für Brienne ergab es genug Sinn. »Ich werde ihn töten«, verkündete das hochgewachsene reizlose Mädchen. »Mit dem Schwert meines Herrn werde ich ihn töten. Das schwöre ich. Ich schwöre es. Ich schwöre es.«

Hal Mollen und der Rest ihrer Eskorte warteten mit den Pferden. Ser Wendel Manderly war völlig außer sich und wollte augenblicklich wissen, was passiert war. »Mylady, im Lager ist ein Aufruhr ausgebrochen«, platzte er heraus, als er sie sah. »Lord Renly, ist er …« Er hielt abrupt inne und starrte Brienne und das Blut, das sie bedeckte, an.

»Tot, aber nicht durch unsere Hand.«

»Die Schlacht …«, setzte Hal Mollen an.

»Es wird keine Schlacht geben.« Catelyn stieg auf, und ihre Eskorte formierte sich, Ser Wendel zu ihrer Linken, Ser Perwyn Frey zu ihrer Rechten. »Brienne, wir haben genug Pferde. Wählt eins und begleitet uns.«

»Ich habe mein eigenes Pferd, Mylady. Und meine Rüstung …«

»Lasst sie zurück. Wir müssen fort sein, ehe sie nach uns suchen. Wir waren beide beim König, als er ermordet wurde. Das wird man nicht vergessen.« Wortlos drehte sich Brienne um und tat, wozu sie aufgefordert worden war. »Vorwärts«, befahl Catelyn ihrer Eskorte, nachdem alle aufgesessen hatten. »Falls uns jemand aufzuhalten versucht, macht ihn nieder.«

Während die langen Finger der Dämmerung über die Felder krochen, kehrte die Farbe in die Welt zurück. Wo zuvor graue Männer auf grauen Pferden gesessen hatten, glitzerten jetzt Zehntausende Lanzenspitzen silbern und kalt, und auf unendlich vielen Bannern sah Catelyn Rot, Rosa und Orange, tiefes Blau und Braun, helles Gold und Gelb. Die ganze versammelte Streitmacht von Sturmkap und Rosengarten, die Macht, über die Renly noch vor einer Stunde geboten hatte. Jetzt gehören sie Stannis, erkannte sie, auch wenn die Männer es selbst noch nicht wissen. Wem sonst sollen sie sich zuwenden, wenn nicht dem letzten Baratheon? Stannis hat mit diesem einen bösen Streich alles gewonnen.

Ich bin der rechtmäßige König, hatte er verkündet und dabei das eisenharte Kinn vorgereckt, und Euer Sohn ist genauso ein Verräter wie mein Bruder. Auch sein Tag wird kommen.

Ein Schauer durchfuhr sie.

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