Der Himmel im Süden war schwarz vor Rauch. Wallend stieg der Qualm von hundert fernen Feuern auf, und seine rußigen Finger verwischten die Sterne. Jenseits des Schwarzwassers flackerten in einer langen Reihe Flammen am Horizont, während der Gnom auf dieser Seite das gesamte Ufer niedergebrannt hatte: Anleger und Lagerhäuser, Hütten und Bordelle, einfach alles außerhalb der Stadtmauern.
Sogar im Roten Bergfried lag Aschegeschmack in der Luft. Als Sansa Ser Dontos in der Stille des Götterhains entdeckte, fragte er sie, ob sie geweint habe. »Das kommt nur vom Rauch«, log sie. »Es sieht aus, als würde der halbe Königswald brennen.«
»Lord Stannis will die Wilden des Gnoms ausräuchern.« Dontos schwankte, während er sprach, und stützte sich mit einer Hand an einem Kastanienbaum ab. Ein Weinfleck hatte die roten und gelben Karos seines Gewandes verfärbt. »Sie töten seine Kundschafter und überfallen seine Wagen. Und auch die Wildlinge legen Feuer. Der Gnom hat der Königin gesagt, dass Stannis seinen Pferden lieber beibringen solle, Asche an Stelle von Gras zu fressen, weil er kein Hälmchen Gras mehr finden würde. Ich habe selbst gehört, wie er es gesagt hat. Der Narr hört sehr viel, was dem Ritter, der ich früher war, niemals zu Ohren gekommen wäre. Sie reden, als sei ich nicht da, und« – er beugte sich vor und hauchte ihr seinen Weinatem ins Gesicht – »die Spinne bezahlt für jede winzige Kleinigkeit mit Gold. Ich glaube, Mondbub arbeitet schon seit Jahren für ihn.«
Er ist schon wieder betrunken. Mein armer Florian nennt er sich, und das ist er auch. Aber er ist der Einzige, den ich habe. »Stimmt es, dass Lord Stannis den Götterhain von Sturmkap niedergebrannt hat?«
Dontos nickte. »Er hat die Bäume seinem neuen Gott geopfert. Die Rote Priesterin hat ihn dazu angestiftet. Es heißt, sie würde ihn inzwischen beherrschen, mit Leib und Seele. Er hat auch geschworen, die Große Septe von Baelor niederzubrennen, nachdem er die Stadt eingenommen hat.«
»Soll er nur.« Als Sansa die Große Septe mit ihren Marmormauern und den sieben Kristalltürmen zum ersten Mal erblickt hatte, war sie ihr wie das schönste Bauwerk der Welt erschienen, doch das war gewesen, bevor Joffrey ihren Vater auf den Stufen hatte enthaupten lassen. »Mir wäre es recht.«
»Pst, Kind, die Götter werden Euch hören.«
»Warum sollten sie? Meine Gebete erhören sie auch nicht.«
»Doch, doch. Sie haben Euch mich geschickt, nicht wahr?«
Sansa stocherte mit dem Finger an der Rinde eines Baumes. Sie fühlte sich benommen, fast als hätte sie Fieber. »Sie haben Euch geschickt, doch was habt Ihr bisher für mich getan? Ihr habt versprochen, mich nach Hause zu bringen, aber ich bin noch immer hier.«
Dontos legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich habe mit einem gewissen Mann gesprochen, einem guten Freund von mir … und von Euch, Mylady. Er wird ein schnelles Schiff mieten, das uns in Sicherheit bringt, wenn der rechte Zeitpunkt gekommen ist.«
»Der rechte Zeitpunkt ist jetzt«, beharrte Sansa, »sofort, ehe die Kämpfe beginnen. Sie haben mich vergessen. Bestimmt könnten wir fliehen, wenn wir es versuchten.«
»Kind, Kind.« Dontos schüttelte den Kopf. »Aus der Burg vielleicht, ja, das würde uns wohl gelingen, aber die Stadttore werden schärfer bewacht als je zuvor, und der Gnom hat sogar den Fluss sperren lassen.«
Das stimmte. Der Schwarzwasser war so leer, wie Sansa ihn noch nie gesehen hatte. Alle Fähren hatten am Nordufer angelegt, und die Handelsgaleeren waren entweder geflohen oder vom Gnom beschlagnahmt worden, um in der Schlacht eingesetzt zu werden. Die einzigen Schiffe, die man sah, waren die Kriegsgaleeren des Königs. Endlos fuhren sie auf und ab, hielten sich im tiefen Wasser in der Flussmitte und wechselten Pfeilsalven mit Stannis’ Bogenschützen am Südufer.
Lord Stannis selbst war noch immer auf dem Weg hierher, doch seine Vorhut war vor zwei Tagen in einer mondlosen Nacht eingetroffen. Am Morgen hatte sich Königsmund der Anblick der Zelte und Banner geboten. Fünftausend Soldaten seien es, hatte Sansa gehört, beinahe ebenso viele, wie sich Goldröcke in der Stadt aufhielten. Sie marschierten unter dem roten oder dem grünen Apfel der Fossoweys, der Schildkröte Estermonts, dem Fuchs-und-Blumen-Banner der Florents, und ihr Kommandant war Ser Guyard Morrigen, ein berühmter Ritter aus dem Süden, den die Männer jetzt Guyard den Grünen nannten. Sein Banner zeigte eine fliegende Krähe, welche die Schwingen weit vor einem sturmgrünen Himmel ausbreitete. Doch es waren insbesondere die hellgelben Banner, die in der Stadt Besorgnis erregten. Lange ausgefranste Streifen flatterten hinter ihnen her wie flackernde Flammen, und an Stelle des Wappens eines Lords zeigten sie das Symbol eines Gottes: das flammende Herz des Herrn des Lichts.
»Alle sagen, wenn Stannis eintrifft, wird er zehn Mal mehr Männer haben als Joffrey.«
Dontos drückte ihre Schultern. »Die Größe des Heeres ist nicht entscheidend, solange es sich auf der falschen Seite des Flusses aufhält. Stannis kann ihn ohne Schiffe nicht überqueren. «
»Er hat aber Schiffe. Mehr als Joffrey.«
»Von Sturmkap ist es eine weite Fahrt, und die Flotte muss erst einmal um Massies Haken herum, dann durch die Gurgel und schließlich die Schwarzwasser-Bucht überqueren, um herzukommen. Vielleicht senden die guten Götter einen Sturm, der sie vom Meer fegt.« Dontos lächelte hoffnungsfroh. »Es ist nicht leicht für Euch, ich weiß. Dennoch müsst Ihr Euch in Geduld üben, Kind. Wenn mein Freund in die Stadt zurückkehrt, werden wir unser Schiff haben. Vertraut Eurem Florian und fürchtet Euch nicht.«
Sansa vergrub die Fingernägel in ihrer Hand. Sie fühlte die Furcht in ihrem Leib, und jeden Tag nagte sie stärker an ihr. Albträume von jenem Tag, an dem Prinzessin Myrcella abgefahren war, verfolgten sie noch immer im Schlaf; düstere, erdrückende Träume ließen sie mitten in finsterster Nacht aufwachen und nach Luft schnappen. Sie hörte, wie die Menschen sie anschrien, sie ohne Worte anschrien, wie Tiere. Sie hatten sie umzingelt und warfen Dreck nach ihr und versuchten, sie vom Pferd zu zerren, und sie hätten ihr Schlimmeres angetan, wäre der Bluthund nicht zu ihr vorgedrungen. Den Hohen Septon hatten sie in Stücke gerissen, Ser Arons Kopf mit einem Stein zermalmt. Fürchtet Euch nicht!, sagte er.
Die ganze Stadt fürchtete sich. Sansa konnte es von den Burgmauern aus sehen. Das gemeine Volk versteckte sich hinter verrammelten Türen und Fenstern, als ob es dahinter sicher wäre. Als Königsmund das letzte Mal gefallen war, hatten die Lennisters nach Belieben geplündert und geschändet und Hunderte ermordet, obwohl die Stadt ihre Tore freiwillig geöffnet hatte. Diesmal wollte der Gnom kämpfen, und eine Stadt, die sich wehrte, durfte überhaupt keine Gnade erwarten.
Dontos plapperte weiter. »Wenn ich noch immer Ritter wäre, müsste ich eine Rüstung anlegen und mit den anderen Männern auf den Mauern stehen. Ich sollte König Joffrey die Füße küssen und ihm danken.«
»Wenn Ihr ihm dafür dankt, dass er Euch zum Narren gemacht hat, wird er Euch umgehend wieder zum Ritter schlagen«, warnte ihn Sansa scharf.
Dontos kicherte. »Meine Jonquil ist ein kluges Mädchen, nicht wahr?«
»Joffrey und seine Mutter sagen, ich sei dumm.«
»Sollen sie nur. Auf die Weise ist es sicherer für Euch, meine Süße. Königin Cersei und der Gnom und Lord Varys und sie alle beobachten einander mit Adleraugen, und jeder bezahlt seine Spione, um zu erfahren, was die anderen tun, doch niemand kümmert sich um Lady Tandas Tochter, oder?« Dontos bedeckte den Mund, um einen Rülpser zu unterdrücken. »Die Götter mögen Euch beschützen, meine kleine Jonquil.« Er wurde rührselig. Das kam vom Wein. »Gebt Eurem Florian einen Kuss. Einen Glückskuss.« Er schwankte auf sie zu.
Sansa wich seinen feuchten Lippen aus und küsste ihn leicht auf die unrasierte Wange, dann wünschte sie ihm eine gute Nacht. Sie musste sich sehr anstrengen, nicht zu weinen. In letzter Zeit hatte sie viel zu oft geweint. Das schickte sich nicht, das wusste sie, trotzdem konnte sie sich nicht beherrschen; die Tränen kamen einfach ungebeten, manchmal wegen einer Kleinigkeit, und keine Macht der Welt konnte sie zurückhalten.
Die Zugbrücke zu Maegors Feste war nicht bewacht. Der Gnom hatte die meisten Goldröcke auf die Stadtmauern versetzt, und die weißen Ritter der Königsgarde hatten Wichtigeres zu tun, als ihr auf Schritt und Tritt zu folgen. Sansa konnte gehen, wohin sie wollte, solange sie die Burg nicht verließ, allerdings gab es hier keinen Ort, nach dem es sie verlangte.
Sie überquerte den trockenen Burggraben mit den grausigen Eisenstacheln und stieg die schmale Wendeltreppe hinauf, doch als sie die Tür ihres Zimmers erreichte, konnte sie sich nicht überwinden einzutreten. Innerhalb der Wände des Gemachs fühlte sie sich gefangen; selbst wenn das Fenster weit offen stand, fehlte ihr die Luft zum Atmen.
Sie wandte sich wieder zur Treppe um und stieg weiter hinauf. Der Rauch verdunkelte die Sterne und die dünne Mondsichel, daher war es auf dem Dach dunkel. Dennoch konnte sie alles von hier aus sehen: die hohen Türme und großen Plätze des Roten Bergfrieds, das Labyrinth der Straßen darunter, im Süden und Westen den schwarzen Lauf des Flusses, die Bucht im Osten, die Rauchsäulen und die Glut und Feuer, überall Feuer. Soldaten wimmelten über die Stadtmauern wie Ameisen mit Fackeln. Unten am Schlammtor konnte sie gegen den dahintreibenden Rauch die riesigen Schemen der drei Katapulte ausmachen, die größten, die man je gesehen hatte; sie überragten die Mauern um gute sieben Meter. Trotzdem besänftigten sie ihre Angst nicht. Ein heftiger Stich durchfuhr Sansa, sodass sie aufschluchzte und sich den Bauch hielt. Beinahe wäre sie gestürzt, doch plötzlich bewegte sich im Dunkeln ein Schatten, packte sie mit kräftigen Händen und hielt sie aufrecht.
Sie stützte sich auf eine Zinne, und ihre Finger kratzten über den rauen Stein. »Lasst mich los«, rief sie. »Lasst los.«
»Der kleine Vogel glaubt, er hätte Flügel, wie? Oder willst du so verkrüppelt enden wie dein Bruder?«
Sansa wand sich in seinem Griff. »Ich wäre nicht hinuntergefallen. Es war nur … Ihr habt mich erschreckt, mehr nicht.«
»Du willst sagen, ich hätte dir Angst eingejagt. Und tue es noch immer.«
Sie holte tief Luft und beruhigte sich wieder. »Ich habe geglaubt, ich wäre allein, ich …« Sie blickte zur Seite.
»Der kleine Vogel kann mir immer noch nicht ins Gesicht schauen, was?« Der Bluthund ließ sie los. »Trotzdem hast du dich gefreut, mich zu sehen, als der Pöbel über dich herfiel. Erinnerst du dich?«
Sansa erinnerte sich nur zu gut daran. Sie erinnerte sich an das Heulen des Mobs, daran, wie Blut über ihre Wange gelaufen war, weil sie ein Stein getroffen hatte, an den Knoblauchgestank des Mannes, der sie vom Pferd zerren wollte. Sie spürte noch immer das grausame Zwicken seiner Finger, während sie das Gleichgewicht verlor und langsam aus dem Sattel rutschte.
Sie hatte geglaubt, sterben zu müssen, doch die Finger hatten gezuckt, alle fünf auf einmal, und der Mann hatte so laut gebrüllt wie ein Stier. Nachdem seine Hand verschwunden war, hatte eine andere stärkere Hand Sansa zurück in den Sattel gestoßen. Der Mann mit dem Knoblauchatem lag auf dem Boden, und Blut spritzte aus dem Stumpf seines Arms, doch er war nicht der Einzige, der sie umzingelte, und manche hatten Knüppel in der Hand. Der Bluthund war auf sie losgegangen, seine Klinge war hin und her gesaust und hatte roten Dunst durch die Luft gezogen. Als der Pöbel endlich vor ihm davongelaufen war, hatte er gelacht, und sein schreckliches, verbranntes Gesicht hatte sich für einen Augenblick verwandelt.
Jetzt zwang sie sich, in dieses Gesicht zu schauen, wirklich hinzuschauen. Es war ein Gebot der Höflichkeit, und die Höflichkeit durfte eine Dame niemals missachten. Die Narben sind gar nicht das Schlimmste, nicht einmal die Art, wie sein Mund zuckt. Es sind die Augen. Niemals zuvor hatte sie Augen gesehen, in denen solcher Zorn loderte. »Ich … ich hätte danach zu Euch kommen sollen«, sagte sie zögerlich. »Um Euch zu danken … weil Ihr mich gerettet habt … Ihr wart so tapfer.«
»Tapfer?« Sein Lachen klang wie ein Knurren. »Ein Hund braucht keinen Mut, um Ratten zu vertreiben. Sie waren mir dreißig zu eins überlegen, und trotzdem hat es niemand gewagt, sich mir in den Weg zu stellen.«
Sie hasste es, wie er redete, stets so schroff und wütend. »Macht es Euch Freude, den Menschen Angst einzujagen?«
»Nein, es macht mir Freude, Menschen zu töten.« Sein Mund zuckte. »Verzieh dein Gesicht, so viel du willst, aber erspare mir diese falsche Frömmigkeit. Du bist das Balg eines hohen Lords. Erzähle mir nicht, Lord Eddard Stark von Winterfell habe niemals einen Mann getötet.«
»Das war seine Pflicht. Aber es hat ihm nie gefallen.«
»Hat er dir das erzählt?« Clegane lachte erneut. »Dein Vater hat gelogen. Töten ist das Süßeste der Welt.« Er zog sein Langschwert. »Hier ist deine Wahrheit. Dein werter Vater hat das auf den Stufen von Baelor herausgefunden. Lord von Winterfell, Hand des Königs, Wächter des Nordens, der mächtige Eddard Stark aus einem Geschlecht, das achttausend Jahre alt ist … und trotzdem hat Ilyn Payns Klinge seinen Hals ganz einfach durchtrennt, nicht? Erinnerst du dich an den Tanz, den er vollführt hat, als ihm der Kopf von den Schultern fiel?«
Sansa verschränkte die Arme, weil ihr plötzlich kalt wurde. »Warum seid Ihr immer so hasserfüllt? Ich wollte Euch danken …«
»So wie einem dieser wahren Ritter, die du so sehr liebst, ja. Wozu, denkst du, ist ein Ritter da, Mädchen? Meinst du, es geht dabei bloß um die Gunst einer Dame und eine prächtige goldene Rüstung? Ritter sind dazu da, um zu töten.« Er legte ihr die Klinge des Langschwerts knapp unter dem Ohr an den Hals. Sansa spürte die Schärfe der Klinge. »Ich habe meinen ersten Mann mit zwölf getötet. Inzwischen habe ich zu zählen aufgehört, wie viele es waren. Hohe Lords mit alten Namen, fette Reiche in Samt und Seide, Ritter, die vor lauter Ehre aufgeplustert waren wie Gockel, ja, und auch Frauen und Kinder – alles nur Fleisch, und ich bin der Schlachter. Mögen sie ihre Ländereien und ihre Götter und ihr Gold haben. Mögen sie ihre Sers haben.« Sandor Clegane spuckte ihr vor die Füße, um ihr zu zeigen, was er davon hielt. »Solange ich das hier habe«, sagte er und hob das Schwert von ihrem Hals, »brauche ich keinen Mann der Welt zu fürchten.«
Außer Eurem Bruder, dachte Sansa, hatte jedoch genug Verstand, das nicht laut auszusprechen. Er ist ein Hund, genau wie er sagt. Ein halbwilder, gereizter Hund, der jede Hand beißt, die ihn zu streicheln versucht, und dennoch jeden anfällt, der seinem Herrn zu nahe kommt. »Nicht einmal die Männer jenseits des Flusses?«
Clegane wandte den Blick auf die fernen Brände. »All diese Feuer.« Er schob das Schwert in die Scheide. »Nur Feiglinge kämpfen mit Feuer.«
»Lord Stannis ist kein Feigling.«
»Er ist aber auch nicht der Mann, der sein Bruder war. Robert hat sich niemals von einer Kleinigkeit wie einem Fluss aufhalten lassen.«
»Was werdet Ihr tun, wenn er herüberkommt?«
»Kämpfen. Töten. Vielleicht auch sterben.«
»Habt Ihr keine Angst? Die Götter könnten Euch für all das Böse, das Ihr getan habt, in die Hölle verbannen?«
»Welches Böse?« Er lachte. »Welche Götter?«
»Die Götter, die uns alle erschaffen haben.«
»Uns alle?«, spottete er. »Sag mir, kleiner Vogel, was für ein Gott erschafft ein Ungeheuer wie den Gnom oder eine Schwachsinnige wie Lady Tandas Tochter? Wenn es Götter gibt, haben sie Schafe gemacht, damit Wölfe sie fressen, und sie haben die Schwachen gemacht, damit die Starken mit ihnen spielen können.«
»Wahre Ritter beschützen die Schwachen.«
Er schnaubte. »Wahre Ritter gibt es nicht, genauso wenig wie Götter. Wenn du dich nicht selbst beschützen kannst, stirb und geh jenen aus dem Weg, die es können. Scharfer Stahl und starke Arme regieren diese Welt, und du solltest nichts anderes glauben.«
Sansa wich vor ihm zurück. »Ihr seid schrecklich.«
»Ich bin lediglich ehrlich. Die Welt ist es, die schrecklich ist. Und jetzt flieg davon, kleiner Vogel, ich bin dein Piepen leid.«
Wortlos floh sie. Sie fürchtete sich vor Sandor Clegane … und doch wünschte sie sich insgeheim, Ser Dontos besäße ein wenig von der Grimmigkeit des Bluthundes. Es gibt doch Götter, redete sie sich ein, und wahre Ritter auch. Die ganzen Geschichten können nicht erlogen sein.
In dieser Nacht träumte Sansa abermals von dem Aufruhr. Der Pöbel drängte sich um sie und brüllte wie eine wahnsinnige Bestie mit tausend Gesichtern. Überall, wohin sie sah, erblickte sie Gesichter, die sich zu monströsen unmenschlichen Fratzen verzerrten. Sie weinte und sagte ihnen, sie habe niemals jemandem von ihnen ein Leid getan, und trotzdem zogen sie Sansa vom Pferd. »Nein«, schrie sie, »nein, bitte nicht, nicht«, doch niemand hörte auf sie. Sie rief nach Ser Dontos, nach ihren Brüdern, nach ihrem toten Vater und ihrem toten Wolf, nach dem galanten Ser Loras, der ihr einst eine rote Rose geschenkt hatte, doch keiner von ihnen kam. Sie rief nach den Helden aus den Liedern, nach Florian und Ser Ryam Rothweyn und Prinz Aemon dem Drachenritter, doch keiner hörte sie. Frauen fielen wie Frettchen über sie her, kniffen ihr in die Beine und traten ihr in den Bauch, und dann schlug ihr jemand ins Gesicht, und sie spürte, wie ihre Zähne zerbrachen. Plötzlich sah sie das helle Funkeln von Stahl. Das Messer bohrte sich in ihren Bauch und riss und riss und riss daran, bis untenherum nichts mehr außer feuchten roten Fetzen übrig war.
Als sie erwachte, fiel das bleiche Licht des Morgens durch das Fenster herein, und dennoch fühlte sie sich schwach und zerschlagen, als habe sie überhaupt nicht geschlafen. Zwischen ihren Schenkeln war es feucht. Sie warf die Decke zurück und entdeckte das Blut, und alles, was sie denken konnte, war, dass ihr Traum irgendwie wahr geworden sein musste. Voller Schrecken wich sie zurück, stieß die Laken fort und fiel keuchend zu Boden, nackt, blutig und verängstigt.
Doch als sie dort auf Händen und Knien hockte, begriff sie langsam. »Nein, bitte«, wimmerte sie, »bitte, nein.« Sie wollte nicht, dass ihr das passierte, nicht jetzt, nicht hier, nicht jetzt, nicht jetzt, nicht jetzt, nicht jetzt.
Der Wahnsinn übermannte sie. Sie zog sich am Bettpfosten hoch, ging zum Becken, wusch sich zwischen den Beinen und scheuerte die rote Feuchtigkeit fort. Als sie damit fertig war, war das Wasser rosa gefärbt. Wenn die Dienstmädchen das sahen, würden sie Bescheid wissen. Dann erinnerte sie sich an die Bettwäsche. Sie lief zum Bett und starrte entsetzt auf den dunkelroten Fleck, der die ganze Geschichte verriet. In ihrem Kopf kreiste nur ein einziger Gedanke: Sie musste den Fleck verschwinden lassen, sonst würden sie ihn sehen. Und das durften sie nicht, sonst würde man sie mit Joffrey verheiraten, und dann müsste sie das Bett mit ihm teilen.
Also holte sie ihr Messer hervor und schnitt den Flecken aus dem Laken. Und was sage ich, wenn sie mich nach dem Loch fragen? Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie riss das beschädigte Laken und auch die beschmutzte Decke vom Bett. Ich muss sie verbrennen. Sie ballte die Beweisstücke zusammen, stopfte sie in den Kamin, goss Öl aus der Lampe neben dem Bett darüber und zündete sie an. Dann entdeckte sie, dass das Blut durch das Laken in die Federmatratze gesickert war, und so knüllte sie diese ebenfalls zusammen, doch sie war groß und sperrig und schwer zu bewegen. Sansa bekam nur die Hälfte ins Feuer. Sie hockte sich auf die Knie und schob die Matratze weiter in die Flammen. Dicker grauer Rauch hüllte sie ein und füllte das Zimmer, als die Tür aufging und sie hörte, wie ihre Zofe vor Schreck nach Luft schnappte.
Am Ende waren drei Dienstmädchen notwendig, um sie vom Kamin fortzuzerren. Und alles war vergeblich. Zwar waren die Bettsachen verbrannt, doch als man sie wegzog, waren ihre Schenkel bereits wieder blutig. Ihr eigener Körper hatte sie an Joffrey verraten, hatte ein Banner im Scharlachrot der Lennisters, gehisst vor aller Augen.
Nachdem das Feuer gelöscht war, trug man die versengte Federmatratze fort, lüftete, bis der ärgste Rauch abgezogen war, und holte eine Wanne. Frauen kamen und gingen, murmelten etwas und schauten sie seltsam an. Sie füllten die Wanne mit brühheißem Wasser, badeten sie, wuschen ihr das Haar und gaben ihr ein Tuch, das sie zwischen den Beinen tragen sollte. Inzwischen hatte sich Sansa wieder beruhigt und schämte sich für ihre Einfalt. Der Rauch hatte die meisten ihrer Kleider verdorben. Eine der Frauen ging hinaus und kehrte mit einem grünen Wollkleid zurück, das ungefähr ihre Größe hatte. »Es ist nicht so schön wie Eure eigenen, aber es wird genügen«, sagte sie, während sie es Sansa über den Kopf streifte. »Eure Schuhe sind nicht verbrannt, daher braucht Ihr der Königin wenigstens nicht barfuß gegenüberzutreten. «
Cersei Lennister saß beim Frühstück, als Sansa in ihr Solar geführt wurde. »Du darfst dich setzen«, sagte die Königin huldvoll. »Bist du hungrig?« Sie wies mit einer Geste auf den Tisch. Es gab Haferbrei, Honig, Milch, gekochte Eier und knusprig gebratenen Fisch.
Beim Anblick der Speisen wurde Sansa übel. Ihr Bauch hatte sich zu einem schmerzhaften Knoten verkrampft. »Nein danke, Euer Gnaden.«
»Ich kann dir keinen Vorwurf machen. Bei dem, was Tyrion und Lord Stannis treiben, schmeckt alles, was ich esse, nach Asche. Und jetzt legst du auch noch Feuer. Was wolltest du denn damit erreichen?«
Sansa senkte den Kopf. »Das Blut hat mich erschreckt.«
»Das Blut ist das Siegel unserer Weiblichkeit. Lady Catelyn hätte dich darauf vorbereiten sollen. Du erblühst zum ersten Mal, mehr nicht.«
Selten hatte sich Sansa weniger blühend gefühlt. »Meine Hohe Mutter hat es mir erklärt, aber ich … ich hatte es mir ganz anders vorgestellt.«
»Anders? Inwiefern?«
»Ich weiß nicht. Weniger … weniger schmutzig und eher magisch.«
Königin Cersei lachte. »Warte, bis du dein erstes Kind zur Welt bringst, Sansa. Das Leben einer Frau besteht zu neun Teilen aus Schmutz und zu einem Teil aus Magie, das wirst du noch früh genug lernen … und die Dinge, die wie Magie aussehen, enden oft im größten Schmutz.« Sie trank einen Schluck Milch. »Also bist du jetzt eine Frau. Hast du eine Vorstellung davon, was das bedeutet?«
»Es bedeutet, dass ich nun reif bin, die Ehe zu schließen und zu vollziehen«, erwiderte Sansa, »und dem König Kinder zu gebären.«
Die Königin lächelte sie schief an. »Diese Aussicht scheint dir lange nicht mehr so gut zu gefallen wie noch vor einiger Zeit, das sehe ich wohl. Aber ich will dir das nicht übel nehmen. Joffrey war schon immer schwierig. Sogar bei seiner Geburt … Ich habe anderthalb Tage in den Wehen gelegen, um ihn zur Welt zu bringen. Du kannst dir den Schmerz nicht vorstellen, Sansa. Ich habe so laut geschrien, dass ich dachte, selbst Robert im Königswald müsse mich hören.«
»Seine Gnaden war nicht bei Euch?«
»Robert? Robert war auf der Jagd. So hat er es immer gehalten. Wann immer meine Zeit nahte, ist mein königlicher Gemahl mit seinen Jägern und Hunden zu den Bäumen geflohen. Wenn er zurückkehrte, präsentierte er mir ein paar Pelze oder den Kopf eines Hirsches, und ich präsentierte ihm einen Säugling.
Nicht, dass ich ihn gern dabei gehabt hätte. Schließlich hatte ich Großmaester Pycelle und eine Armee von Hebammen und außerdem meinen Bruder. Als sie Jaime sagten, ihm sei die Anwesenheit im Entbindungsgemach nicht gestattet, hat er nur gelächelt und gefragt, wer von ihnen vorhabe, ihn davon abzuhalten.
Joffrey wird solche Hingabe wohl kaum zeigen, fürchte ich. Du könntest deiner Schwester dafür danken, wenn sie nicht tot wäre. Den Tag am Trident, als du mit angesehen hast, wie sie ihn beschämt hat, wird er wohl nie vergessen, also beschämt er im Gegenzug dich. Aber du bist viel stärker, als du aussiehst. Ein wenig Demütigung wirst du schon ertragen. Das habe ich auch getan. Vielleicht wirst du den König niemals lieben, aber bestimmt seine Kinder.«
»Ich liebe Seine Gnaden von ganzem Herzen«, beteuerte Sansa.
Die Königin seufzte. »Du solltest dir ein paar neue Lügen ausdenken, und zwar schnell. Diese wird Lord Stannis nicht besonders gut gefallen, das verspreche ich dir.«
»Der neue Hohe Septon sagte, die Götter würden Lord Stannis niemals den Sieg schenken, weil Joffrey der rechtmäßige König ist.«
Ein schwaches Lächeln huschte über das Gesicht der Königin. »Roberts Sohn und Erbe. Obwohl Joff immer schrie, wenn Robert ihn auf den Arm nahm. Seiner Gnaden gefiel das nicht. Seine Bastarde haben stets fröhlich gelallt, und an seinem Finger gesaugt, wenn er ihn ihnen in die niederen kleinen Mäuler gesteckt hat. Robert war immer scharf auf Lächeln und Jubelrufe gewesen. Deshalb ging er für gewöhnlich dorthin, wo er sie fand, zu seinen Freunden und seinen Huren. Robert wollte geliebt werden. Mein Bruder Tyrion hat die gleiche Krankheit. Willst du auch geliebt werden, Sansa?«
»Jeder will doch geliebt werden.«
»Nun, durch dein Erblühen bist du auch nicht weiser geworden«, erwiderte Cersei. »Sansa, erlaube mir, an diesem für dich so besonderen Tag eine weibliche Weisheit mit dir zu teilen. Liebe ist Gift. Ein süßes Gift, gewiss, aber umbringen wird es dich trotzdem.«