13

Sir James stürzte an Hersheimer vorbei und beugte sich hastig über die am Boden liegende Frau. «Das Herz! Der Schrecken, uns so plötzlich zu sehen, muss einen Herzanfall herbeigeführt haben. Schnell etwas Kognak oder sie stirbt uns unter den Händen!»

«Hier ist keiner», rief Tuppence über ihre Schulter Hersheimer zu. «In der Karaffe im Esszimmer. Zweite Tür rechts.»

Sir James und Tuppence hoben Mrs Vandemeyer auf und legten sie aufs Bett. Sie betupften ihr Gesicht mit Wasser, aber es blieb ohne Erfolg. Der Anwalt fühlte ihren Puls. «Es steht auf der Kippe», murmelte er. «Wenn nur Hersheimer sich mit dem Kognak etwas beeilte.»

In diesem Augenblick betrat Hersheimer wieder das Zimmer. Er trug ein halb gefülltes Glas in der Hand, das er Sir James reichte. Tuppence hob Mrs Vandemeyers Kopf, während der Anwalt versuchte, ihr ein wenig Kognak zwischen die Lippen zu träufeln. Schließlich öffnete die Frau die Augen. Tuppence hielt ihr das Glas an die Lippen. «Trinken Sie!»

Mrs Vandemeyer gehorchte. Nachdem sie den Kognak getrunken hatte, stieg wieder etwas Farbe in ihre Wangen und sie lebte überraschend schnell auf. Sie versuchte sich aufzurichten und sank mit einem Stöhnen wieder zurück.

«Es ist mein Herz», flüsterte sie, «ich darf nicht reden.»

Sir James fühlte noch eine Weile ihren Puls, erhob sich dann und nickte. «Jetzt wird sie es schaffen.»

Alle drei entfernten sich ein wenig und sprachen mit leiser Stimme. Im Augenblick war wenig zu tun, da es gar nicht in Frage kam, Mrs Vandemeyer einem Verhör zu unterwerfen. Tuppence berichtete, dass Mrs Vandemeyer sich bereit erklärt hatte, das Geheimnis um Mr Brown zu lüften, und ihnen helfen wolle, Jane Finn ausfindig zu machen. Hersheimer beglückwünschte sie zu ihrem Erfolg.

«Wunderbar, Miss Tuppence, großartig! Ich bin überzeugt, dass Mrs Vandemeyer die hunderttausend Pfund morgen ebenso gefallen wie heute Abend. Wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen. Ohne das Geld in Händen wird sie ja sowieso nichts sagen.»

Das war zweifellos richtig und Tuppence fühlte sich ein wenig beruhigt.

«Was Sie da sagen, stimmt», mischte sich Sir James ein. «Aber ich wünschte, wir wären nicht gerade in diesem Augenblick gekommen. Nun, es lässt sich nicht ändern. Wir müssen bis morgen Früh warten.»

«Na schön», sagte Tuppence und versuchte unbeschwert zu wirken, «warten wir eben. Aber ich glaube, wir sollten die Wohnung nicht verlassen.»

«Wie wäre es, wenn wir Ihren Fahrstuhlführer als Bewachung hier lassen? Er ist doch ein heller Junge?»

«Albert? Und wenn sie dann wieder zu sich kommt und uns durchbrennt? Albert könnte sie nicht aufhalten.»

«Ich glaube, sie wird das Geld nicht aufgeben wollen.»

«Möglich wäre es. Sie schien ‹Mr Brown› sehr zu fürchten. Sie sah sich um und meinte, die Wände hätten Ohren.»

«Vielleicht dachte sie an ein Mikrofon?», fragte Hersheimer interessiert.

«Miss Tuppence hat Recht», sagte Sir James. «Wir dürfen die Wohnung nicht verlassen – und sei es nur um Mrs Vandemeyers Sicherheit willen.»

Hersheimer sah ihn an. «Sie glauben, er könnte ihr etwas antun? Heute Nacht? Wie sollte er denn erfahren, was geschehen ist?»

«Sie vergessen, dass Sie selber eben noch von einem eingebauten Mikrofon sprachen», erwiderte Sir James. «Wir haben es mit einem gefährlichen Gegner zu tun. Mrs Vandemeyer ist eine wichtige Zeugin, die wir schützen müssen. Ich möchte vorschlagen, dass Miss Tuppence jetzt schlafen geht und Sie und ich, Mr Hersheimer, uns in der Wache ablösen.»

Tuppence wollte schon protestieren, aber als ihr Blick über das Bett hinstreifte, sah sie in Mrs Vandemeyers halb offenen Augen einen solchen Ausdruck der Furcht und des Entsetzens, dass es ihr die Sprache verschlug.

Einen Augenblick lang überkam sie der Verdacht, Ohnmacht und Herzanfall seien nur gespielt, aber dann dachte sie wieder daran, wie bleich sie geworden war, und verwarf diesen Gedanken. Und während sie noch die Frau beobachtete, schwand dieser Ausdruck wie durch Zauberei aus ihrem Gesicht und Mrs Vandemeyer lag wieder regungslos da wie zuvor. Tuppence war entschlossen, die Augen offen zu halten.

«Gut», sagte nun Hersheimer, «aber ich glaube, wir verlassen dieses Zimmer.»

Die anderen stimmten ihm zu. Sir James fühlte Mrs Vandemeyer nochmals den Puls. «Ganz ordentlich», sagte er leise zu Tuppence. «Die Nachtruhe wird genügen, um sie wiederherzustellen.» Er ging hinaus. Hersheimer folgte.

Tuppence blieb einen Augenblick zögernd am Bett stehen. Mrs Vandemeyer öffnete ein wenig die Augen. Sie schien reden zu wollen und es nicht zu können. Tuppence beugte sich über sie.

«Gehen Sie nicht…», aber sie schien unfähig, weiterzusprechen. Sie murmelte noch etwas, das so klang wie: «Schläfrig.» Tuppence beugte sich noch tiefer über sie. Ihre Worte waren nur noch wie ein Hauch. «Mr Brown…», die Stimme brach ab.

Aber die halb geschlossenen Augen, noch immer voller Angst, schienen ihr etwas mitteilen zu wollen.

Von einer plötzlichen Eingebung getrieben, sagte Tuppence: «Ich werde die Wohnung nicht verlassen, sondern die ganze Nacht wach bleiben.»

Ein Ausdruck der Erleichterung erhellte für einen Augenblick das Gesicht, bevor sich die Augen erneut schlossen. Was hatte sie mit ihrem leisen Gemurmel gemeint: «Mr Brown…?» Tuppence ertappte sich dabei, wie sie nervös einen Blick über ihre Schulter warf. Ihre Augen fielen auf den großen Kleiderschrank, Platz genug, um einem Mann als Versteck zu dienen. Tuppence machte die Schranktür auf und blickte hinein. Niemand – natürlich! Sie sah unter das Bett. Ein anderes Versteck gab es nicht. Es war wirklich zu dumm, wenn einem die Nerven in dieser Weise durchgingen. Langsam verließ sie das Zimmer. Hersheimer und Sir James unterhielten sich mit leiser Stimme. Sir James wandte sich ihr zu.

«Schließen Sie bitte die Tür von außen, Miss Tuppence, und ziehen Sie den Schlüssel ab. Wir müssen unbedingt verhindern, dass jemand das Zimmer betritt.»

Er war so ernst, dass dies seinen Eindruck auf die anderen nicht verfehlte; und Tuppence schämte sich nun auch weniger ihrer eigenen «schwachen Nerven».

«Ach», rief Hersheimer plötzlich, «wir haben ja Tuppences hellen Jungen völlig vergessen. Ich glaube, ich sollte lieber hinuntergehen und seine Neugier ein wenig stillen. Der Bursche gefällt mir, Tuppence.»

«Wie sind Sie überhaupt hereingekommen?», fragte Tuppence. «Ich habe ganz vergessen, danach zu fragen.»

«Die Sache war so: Albert erreichte mich tatsächlich telefonisch. Ich holte sogleich Sir James ab und wir fuhren her. Der Junge hatte vor der Wohnung gehorcht, aber nichts hören können. Jedenfalls schlug er uns vor, im Kohlenaufzug nach oben zu fahren und nicht zu läuten. So landeten wir in der Küche. Albert ist noch immer unten und wahrscheinlich schon ganz durchgedreht.» Mit diesen Worten ging Hersheimer.

«Nun, Miss Tuppence», sagte jetzt Sir James, «Sie kennen doch diese Wohnung besser als ich. Wo sollten wir uns wohl Ihrer Ansicht nach niederlassen?»

Tuppence überlegte einen Augenblick. «Ich glaube, Mrs Vandemeyers kleiner Salon wäre am geeignetsten», sagte sie schließlich und ging voraus.

Sir James sah sich um. «Ja, das ist am besten. Und jetzt gehen Sie endlich zu Bett.»

Tuppence schüttelte energisch den Kopf. «Danke, Sir James, aber das könnte ich gar nicht. Ich würde die ganze Nacht von Mr Brown träumen.»

«Aber Sie müssen doch müde sein!»

«Nein, ich möchte wirklich lieber aufbleiben.»

Der Anwalt gab nach.

Einige Minuten später erschien auch Hersheimer wieder, nachdem er Albert beruhigt und ihn für seine Dienste großzügig entlohnt hatte. Auch ihm gelang es nicht, Tuppence zu bewegen ins Bett zu gehen, und so sagte er: «Auf jeden Fall müssen Sie etwas zu essen bekommen. Wo ist die Speisekammer?»

Tuppence führte ihn hin und einige Minuten später erschien er mit kaltem Fleisch und drei Tellern.

Nachdem sie alle kräftig zugelangt hatten, fühlte sich Tuppence wesentlich besser; ihre Angstvorstellungen, die sie eine halbe Stunde zuvor noch geplagt hatten, kamen ihr plötzlich lächerlich vor. Sie war auch überzeugt, dass die Bestechung Erfolg haben würde.

«Und nun erzählen Sie uns mal Ihre Abenteuer, Miss Tuppence», forderte Sir James sie auf.

Tuppence berichtete, was sich zugetragen hatte. Hin und wieder warf Hersheimer ein Wort der Bewunderung ein. Sir James schwieg, bis sie geendet hatte. Seine wenigen Worte der Anerkennung aber ließen Tuppence vor Stolz erröten.

«Aber da ist noch eins, was ich nicht ganz verstehe», warf Hersheimer ein. «Was hat sie eigentlich veranlasst, plötzlich das Weite suchen zu wollen?»

«Ich weiß es nicht», gab Tuppence zu.

Sir James strich sich nachdenklich über das Kinn. «Das Zimmer war in großer Unordnung. Es sieht so aus, als ob ihre Flucht keineswegs von langer Hand geplant war. Fast so, als hätte sie eine Warnung erhalten.»

«Wahrscheinlich von Mr Brown», rief Hersheimer spöttisch.

Der Anwalt betrachtete ihn eine Weile aufmerksam. «Warum nicht?», sagte er. «Vergessen Sie nicht, dass er Sie selber auch schon einmal hereingelegt hat.»

Hersheimer wurde rot vor Zorn. «Ich kann es noch immer nicht fassen, wenn ich daran denke, dass ich ihm Janes Fotografie ausgehändigt habe. Mein Gott, wenn ich den einmal erwische!»

«Diese Möglichkeit erscheint mir recht gering», erwiderte Sir James trocken.

«Ich fürchte, Sie haben Recht. Und im Übrigen bin ich ja auf der Jagd nach dem Original, da kann mir das Bild schließlich gleichgültig sein. Was glauben Sie, Sir James, wo sie sein könnte?»

«Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, wo sie gewesen ist.»

«Wirklich? Wo?»

«Am Schauplatz Ihrer nächtlichen Abenteuer, im Privatsanatorium in Bournemouth.»

«Dort? Unmöglich. Ich habe doch gefragt.»

«Nein, mein Lieber, Sie haben gefragt, ob jemand mit dem Namen Jane Finn dort gewesen sei. Hatte man das Mädchen dort untergebracht, so doch höchstwahrscheinlich unter einem falschen Namen.»

«Daran habe ich nie gedacht.»

«Dabei lag es ziemlich auf der Hand.»

«Vielleicht gehört auch der Arzt zu diesem Ring», meinte Tuppence.

Hersheimer schüttelte den Kopf. «Das glaube ich nicht. Hall hat mir gleich von Anfang an gefallen.»

«Sagten Sie Hall?», fragte Sir James. «Das ist seltsam – wirklich sehr seltsam.»

«Wieso?», fragte Tuppence.

«Weil ich ihm heute Morgen begegnet bin. Ich kenne ihn seit Jahren, wenn auch flüchtig, und heute Morgen habe ich ihn zufällig auf der Straße getroffen. Er wohnt, wie er mir sagte, im Metropole.» Er wandte sich an Hersheimer. «Hatte er Ihnen nicht erzählt, dass er in die Stadt kommen wollte?»

Hersheimer schüttelte den Kopf.

«Seltsam», murmelte Sir James nochmals. «Sie haben heute Nachmittag seinen Namen nicht erwähnt, sonst hätte ich Ihnen vorgeschlagen, ihn wegen weiterer Informationen aufzusuchen. Ich hätte Ihnen meine Karte zur Einführung mitgegeben.»

«Ich bin ein Idiot», erklärte Hersheimer niedergeschlagen, was bei ihm ganz ungewöhnlich war. «Natürlich hätte ich an die Möglichkeit eines falschen Namens denken sollen.»

«Erstaunlich genug, dass Sie überhaupt noch denken konnten, nachdem Sie vom Baum gefallen waren!», rief Tuppence. «Jeder andere wäre tot gewesen.»

«Jetzt ist das wahrscheinlich sowieso nicht mehr wichtig», erklärte Hersheimer. «Wir haben Mrs Vandemeyer und mehr brauchen wir nicht.»

«Ja», antwortete Tuppence nicht sehr überzeugt.

Es wurde still zwischen ihnen. Nach und nach zog die Nacht sie in ihren Bann. Möbelstücke knackten, in den Vorhängen raschelte es geheimnisvoll. Plötzlich sprang Tuppence mit einem Schrei auf.

«Ich kann mir nicht helfen, aber ich weiß, dass Mr Brown hier in der Wohnung ist! Ich fühle seine Nähe geradezu.»

«Aber Tuppence, wie sollte er! Diese Tür geht auf die Diele hinaus. Niemand könnte zur Wohnungstür hereinkommen, ohne dass wir ihn sehen oder hören.»

«Ich kann es nicht erklären. Ich fühle, dass er hier ist!»

Sie sah Sir James hilfeflehend an, der ernst erwiderte. «Bei allem Respekt vor Ihren Gefühlen, Miss Tuppence – ich sehe wirklich nicht, wie es möglich sein sollte, dass jemand ohne unser Wissen diese Wohnung betritt.»

Tuppence war durch seine Worte ein wenig beruhigt. «Wenn man nachts so herumsitzt, wird man wohl ein bisschen nervös», sagte sie entschuldigend.

«Ja», sagte Sir James, «uns geht es so ähnlich wie Menschen, die eine Séance abhalten. Wenn wir ein Medium hier hätten, würden wir vielleicht großartige Erfolge erzielen.»

«Glauben Sie an Spiritismus?», fragte Tuppence.

Der Anwalt zuckte mit den Schultern. «Zweifellos ist etwas daran – obwohl die meisten Aussagen darüber einer strengen Prüfung nicht standzuhalten pflegen.»

Die Stunden schleppten sich langsam hin. Beim ersten schwachen Aufdämmern des neuen Tages zog Sir James die Vorhänge zurück. Mit der Wiederkehr des Lichtes erschienen ihnen die Ängste und fantastischen Gedanken der vergangenen Nacht absurd. Tuppence hatte nun ihre alte Zuversicht wiedergewonnen.

«Es wird ein herrlicher Tag», rief sie. «Und wir werden Tommy finden! Und Jane Finn!» Tuppence machte Tee und kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem die Teekanne und vier Tassen standen.

«Für wen ist denn die vierte Tasse?», fragte Hersheimer.

«Natürlich für unsere Gefangene.»

«Dass wir jetzt hier ihren Tee trinken, erscheint einem nach den Vorgängen von gestern Abend einigermaßen merkwürdig», sagte Hersheimer nachdenklich.

«Ja», sagte Tuppence. «Aber ich bringe ihr eine Tasse Tee; vielleicht kommen Sie mit, für den Fall, dass sie mich anspringt oder so etwas!»

Sir James und Hersheimer begleiteten Tuppence bis zur Tür. «Wo ist der Schlüssel? Ach ja, ich habe ihn ja selber.» Sie steckte ihn ins Schloss und hielt inne. «Und wenn sie nun trotz allem entwichen wäre?»

«Völlig unmöglich», antwortete Hersheimer zuversichtlich.

Sir James sagte nichts.

Tuppence tat einen tiefen Atemzug und trat ein. Sie fühlte sich erleichtert, als sie Mrs Vandemeyer im Bett liegen sah. «Guten Morgen», sagte sie aufmunternd. «Ich bringe Ihnen eine Tasse Tee!»

Mrs Vandemeyer antwortete nicht. Tuppence stellte die Tasse auf den Nachttisch und trat zum Fenster, um die Jalousien hochzuziehen. Als sie sich umwandte, lag Mrs Vandemeyer noch immer regungslos da. Von einer jähen Befürchtung ergriffen, lief Tuppence zum Bett. Die Hand, die sie anhob, war kalt… Mrs Vandemeyer war ganz offenbar im Schlaf gestorben. Tuppence schrie auf.

«Wenn das nun nicht ein Mordspech ist», rief Hersheimer verzweifelt.

Der Anwalt nahm die Angelegenheit ruhiger auf, aber in seinen Augen leuchtete ein seltsames Feuer. «Pech?», fragte er. «Nur Pech? Sollte da nicht eine gewisse Hand im Spiel sein?»

«Sie wollen doch nicht etwa sagen…? Aber das ist unmöglich! Keiner hätte hereinkommen können.»

«Stimmt, ich wüsste nicht, wie. Und dennoch… Sie steht im Begriff, Mr Brown zu verraten – und stirbt. Ist das wirklich ein Zufall?»

«Aber wie…?»

«Ja, wie! Das müssen wir eben feststellen.» Schweigend stand er da und strich sich das Kinn. «Wir müssen es feststellen», sagte er sehr ruhig und Tuppence dachte, dass ihr – wenn sie Mr Brown wäre – der Tonfall in diesen paar Worten nicht gefallen hätte.

Hersheimer blickte zum Fenster. «Das Fenster ist offen», bemerkte er. «Glauben Sie…»

Tuppence schüttelte den Kopf. Sie war ganz durcheinander. «Der Balkon führt nur bis zum kleinen Salon. Dort saßen wir.»

«Er könnte sich irgendwie hinausgeschlichen haben», meinte Hersheimer.

Aber nun mischte sich Sir James wieder ein. «Mr Browns Methoden sind nicht so grob. Zunächst einmal müssen wir einen Arzt kommen lassen; bevor wir es jedoch tun, wollen wir untersuchen, ob es in diesem Zimmer irgendetwas von Wert für uns gibt.»

In aller Eile machten sich die drei ans Werk. Auf dem Kaminrost lagen verkohlte Papierreste, die anzeigten, dass Mrs Vandemeyer vor ihrem Fluchtversuch einige Schriftstücke verbrannt hatte. Nichts von Bedeutung war geblieben, obwohl sie auch noch in den anderen Zimmern suchten.

«Da wäre noch etwas», sagte Tuppence plötzlich und zeigte auf einen kleinen altmodischen Safe, der in die Wand eingelassen war. «Er ist für Schmuck, glaube ich, aber es könnte ja auch etwas anderes darin liegen.»

Der Schlüssel steckte und Hersheimer durchsuchte das Innere. Er war einige Zeit damit beschäftigt.

«Nun?», rief Tuppence ungeduldig.

Es dauerte eine Weile, bevor Hersheimer antwortete. Dann zog er den Kopf wieder hervor und schloss die Tür. «Nichts», sagte er.

Nach weiteren fünf Minuten traf ein energischer junger Arzt ein, den sie herbeigerufen hatten. Sir James, den er wohl erkannte, behandelte er mit Hochachtung.

«Ein Herzanfall oder möglicherweise auch eine zu starke Dosis eines Schlafmittels.» Er zog die Luft ein. «Es riecht ziemlich stark nach Chloralhydrat.»

Tuppence dachte an das Glas, dessen Inhalt sie verschüttet hatte. Einem neuen Einfall folgend, trat sie an das Waschbecken. Sie sah die kleine Flasche, aus der Mrs Vandemeyer ein paar Tropfen in ihr Glas gegossen hatte.

Gestern Abend war die Flasche noch drei viertel voll gewesen. Nun war sie leer.

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