»Also, was machen wir mit dem Schnüffler?«, fragte Riccio. Prosper hatte frisches Brot zum Frühstück gekauft, aber keiner von ihnen bekam mehr als ein Stück davon hinunter. Die Einzigen, die gut geschlafen hatten, waren Bo und Mosca, der so lange friedlich auf seinem Wachtposten geschnarcht hatte, bis Riccio gekommen war, um ihn abzulösen. Wespe goss sich schon die dritte Tasse Kaffee ein. Die ganze Nacht hatte sie derselbe Alptraum geplagt: Eine Meute winziger, fetter Hunde hatte sie durch ein fremdes Haus gejagt und hinter jeder Tür, die sie öffnete, wartete ein gewaltig großer, hämisch grinsender Carabiniere, der aussah wie Victor, der Schnüffler.
»Mach die Zigarette aus, Riccio!«, knurrte sie müde. »Das ist nicht gut für Bo, wie oft soll ich dir das noch erzählen?« Mürrisch drückte Riccio die Kippe auf dem Boden aus. »Also, was machen wir?«, fragte er. »Die ganze Nacht hab ich kein Auge zugekriegt, weil der Kerl da im Klo herumliegt.«
»Was sollen wir schon machen?« Mosca zuckte die Achseln. »Wir lassen ihn erst laufen, wenn Scipio ein neues Versteck für uns gefunden hat. Scip sagt, mit dem Geld vom Conte können wir uns eine eigene Insel in der Lagune kaufen, wenn wir wollen.«
»Ich will aber keine Insel!« Riccio verzog angeekelt das
Gesicht. »Ich will hier bleiben, in der Stadt, oder glaubst du, ich will jeden Tag mit so einem schaukelnden Boot fahren? Pfui Teufel!«
»Erzähl das Scipio«, unterbrach Wespe ihn ungeduldig und sah auf ihre Uhr. »In zwei Stunden treffen wir uns mit ihm, hast du das vergessen?«
»Also, ich hätte gern eine Insel!« Mit einem Seufzer richtete Mosca sich auf. »Wir könnten uns selbst unsere Fische fangen. Und Gemüse anbauen.«
»Fische fangen, pah!« Riccio rümpfte verächtlich die Nase. »Die kannst du allein essen. Ich ess keine Fische aus der Lagune. Die sind vergiftet von all dem Dreck, den die Fabriken auf dem Festland ins Meer pumpen.« »Ja, ja.« Mosca schnitt ihm eine Fratze und stand auf. »Ich bring unserem Gefangenen mal einen Kaffee. Oder soll er bloß Wasser und Schimmelbrot kriegen?«
»Das war auch noch zu schade für den!«, rief Riccio. »Wieso seid ihr alle so scheißfreundlich zu dem Kerl? Nur wegen dem müssen wir uns ein neues Versteck suchen! Dabei ist das doch unser.«, er stockte, ». Zuhause hier. Das beste Zuhause, das wir je hatten. Und er hat es uns kaputtgemacht! Dafür kriegt er auch noch einen Kaffee?«
Bedrückt schwiegen die anderen. Es war für sie alle ein schrecklicher Gedanke, das Kino für immer verlassen zu müssen. Riccio hatte Recht, sie fühlten sich geborgen hier, obwohl der Saal sich nachts mit schwarzen Schatten füllte und es schon jetzt manchmal so kalt wurde, dass ihr Atem weiß in der Luft hing. Aber es war ihr Sternenversteck, ihre Zuflucht vor Regen und Kälte und vor der Nacht. Sicher wie eine Burg, zumindest hatten sie das geglaubt.
»Wir werden schon was Neues finden«, murmelte Mosca, während er für Victor den Rest Kaffee in einen Becher goss. »Was genauso Gutes. Vielleicht sogar besser.« »Ach ja?« Riccio starrte mit düsterer Miene den sternenbestickten Vorhang an. »Ich will aber nichts Besseres finden. Warum werfen wir den Kerl nicht einfach in den Kanal? Ja, das wär das Beste! Was schnüffelt er auch hinter uns her?«
»Riccio!« Entsetzt sah Wespe ihn an.
»Stimmt doch!« Riccios Stimme wurde schrill vor Wut. Tränen standen ihm in den Augen. »Nur wegen dem Scheißkerl verlieren wir unser Sternenversteck. So eins finden wir nie wieder! Egal, was Scipio faselt von viel Geld und einer Insel. Alles Blödsinn! Dieser Schnüffler kommt einfach hier rein und wir müssen unsere Sachen packen und wieder raus auf die Straßen. Das ist doch verrückt.«
Die anderen schwiegen. Keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte. »Wenn der Winter erst mal richtig da ist«, murmelte Mosca schließlich, »wird es bestimmt scheußlich kalt hier.«
»Na und? Bestimmt nicht so kalt wie draußen!« Riccio vergrub schluchzend den Kopf in den Armen. Bestürzt sahen die anderen sich an.
»He, Riccio, ist doch schon gut!«, sagte Wespe, setzte sich neben ihn und legte ihm tröstend den Arm um die Schulter. »Hauptsache, wir bleiben zusammen, oder?« Aber Riccio stieß sie weg. »Victor verrät uns sowieso nicht!«, verkündete Bo und goss seinen Kätzchen Milch in eine Schale. »Ganz bestimmt nicht.«
»Ach, Bo!«, murmelte Mosca.
Prosper hatte die ganze Zeit nichts gesagt, aber jetzt räusperte er sich. »Ihr müsst den Schnüffler nicht in den Kanal werfen, um hier bleiben zu können«, sagte er stockend. »Wenn Bo und ich verschwinden, hat er keinen Grund mehr, hier rumzuschnüffeln. Wir haben euch den Ärger eingebrockt, also werden wir gehen. Wir müssen sowieso weg, weit weg. Jetzt, wo unsere Tante weiß, dass wir in Venedig sind.«
Bo starrte seinen großen Bruder mit offenem Mund an. Und auch Wespe drehte sich mit entgeistertem Blick zu Prosper um. »Blödsinn!«, rief sie, »Alles Blödsinn. Wo willst du denn hin? Wir gehören doch zusammen. Euer Ärger ist unser Ärger.«
»Genau.« Mosca nickte. »Euer Ärger ist unser Ärger. Stimmt's, Riccio?« Er stieß Riccio den Ellbogen in die Seite, aber Riccio sagte nichts.
»Ihr bleibt hier und Victor, der Schnüffler, bleibt im Männerklo«, fuhr Wespe fort, »wir werden es so machen, wie Scipio gesagt hat. Wir schleichen uns in das Haus von Signora Spavento, stehlen ihr diesen Holzflügel, bringen ihn dem Conte und machen uns mit den fünf Millionen ein gutes Leben auf irgendeiner von den Inseln draußen in der Lagune, wo uns keiner findet. Auch nicht dieser Detektiv. Ans Bootfahren kann man sich bestimmt gewöhnen. Hoffe ich«, setzte sie hinzu. Wespe wurde es auf dem Wasser genauso schnell schlecht wie Riccio.
»Dann müssen wir aber seinen Schildkrötenmann füttern«, sagte Bo. »Damit er nicht verhungert, bis wir Victor laufen lassen.«
»Seinen Schildkrötenmann?« Mosca verschluckte sich fast an seinem kalten Kaffee.
»Er wohnt unter Victors Schreibtisch«, murmelte Prosper und spielte gedankenverloren mit einem von Bos Plastikfächern herum. »Seine Frau sitzt in einem Pappkarton bei Victor im Klo. Ihr müsst aufpassen, dass ihr nicht auf sie drauftretet, wenn ihr reingeht.« Ungläubig starrte Mosca ihn an.
»Na, hab ich vielleicht nicht Recht?«, rief Riccio aufgebracht. »Wo gibt's denn so was, dass man sich um die Haustiere von seinen Gefangenen kümmern muss? Habt ihr schon mal einen Film gesehen, wo die Gangster die Schildkröte oder Katze von irgendwem füttern?« »Wir sind aber keine Gangster!«, unterbrach Wespe ihn ärgerlich. »Und deshalb lassen wir auch keine unschuldigen Schildkröten verhungern. Los, bring dem Kerl endlich seinen Kaffee, Mosca.«