Die Insel


Der Conte wartete schon auf sie.

Sein Boot ankerte nicht weit vom Westufer der Bucht. Es war ein Segelboot. Die Positionslampen leuchteten hell über das Wasser, und am Heck hing weithin sichtbar eine rote Laterne. »Ein Segelboot!«, flüsterte Mosca, als sie darauf zuruderten. »Also hatte Ida Recht. Er ist von einer der Inseln gekommen.«

»Bestimmt.« Scipio setzte sich seine Maske auf. »Aber der Wind steht günstig. Da werden wir ihm mit dem Motorboot leicht folgen können.«

»Raus auf die Lagune.« Riccio stöhnte auf. »Oh, verdammt. Verdammt, verdammt.«

Prosper sagte nichts. Er ließ die rote Laterne nicht aus den Augen und hielt das Bündel mit dem Flügel fest umklammert. Der kalte Wind hatte sich fast gelegt und Moscas Boot glitt ruhig über das glatte Wasser. Aber Riccio krallte sich trotzdem am Bootsrand fest und starrte so gebannt auf seine Schuhe, als fürchte er, das Boot würde auf der Stelle umkippen, wenn er auch nur einen Blick auf das schwarze Wasser warf.

Der Conte stand am Heck seines Bootes, in einem grauen weiten Mantel. Er sah nicht so alt und gebrechlich aus, wie Prosper ihn sich nach dem Treffen im Beichtstuhl vorgestellt hatte. Sein Haar war weiß, aber er schien immer noch ein kräftiger Mann zu sein, so aufrecht, wie er da stand. Hinter dem Conte stand noch jemand, kleiner und schmaler als er, schwarz gekleidet von Kopf bis Fuß, aber das Gesicht verbarg eine Kapuze. Als Mosca längsseits ging, warf der zweite Mann Prosper ein Seil mit einem Haken zu, damit die Boote nicht wieder auseinander trieben. »Salve!«, rief der Conte ihnen mit heiserer Stimme zu. »Ich nehme an, euch ist genauso kalt wie mir, also lasst uns das Geschäft schnell hinter uns bringen. Der Winter kommt in diesem Jahr früh.«

»Gut. Hier ist der Flügel.« Prosper reichte Scipio das Bündel und der streckte es vorsichtig dem Conte entgegen. Das schmale Boot schwankte unter Scipios Füßen, er stolperte fast und der Conte beugte sich hastig über den Bootsrand zu ihm hinunter, als fürchte er, das, wonach er so lange gesucht hatte, könnte doch noch verloren gehen. Aber als er das Bündel entgegennahm, sah sein zerfurchtes Gesicht plötzlich wie das eines kleinen Jungen aus, der ein heiß ersehntes Geschenk in den Armen hält. Ungeduldig schlug er die Decke auseinander. »Das ist er!«, hörte Prosper ihn flüstern. Fast andächtig strich der alte Mann über das bemalte Holz. »Morosina, sieh ihn dir an.« Ungeduldig winkte er seinem Begleiter. Der hatte die ganze Zeit am Mast des Bootes gelehnt. Erst als der Conte ihn rief, trat er an seine Seite und schob die Kapuze zurück. Die Jungen sahen überrascht, dass es eine Frau war, nicht viel jünger als der Conte, mit hochgestecktem grauem Haar. »Ja, er ist es«, hörte Prosper sie sagen. »Geben wir ihnen ihren Lohn.« »Erledige du das«, sagte der Conte und schlug die Decke wieder über den Flügel.

Ohne ein Wort reichte die Frau Scipio eine alte Tasche. »Hier, nimm!«, sagte sie. »Und benutz das Geld, um dir einen anderen Beruf zu suchen. Wie alt bist du? Elf, zwölf?«

»Mit dem Geld bin ich erwachsen«, antwortete Scipio, nahm die schwere Tasche entgegen und stellte sie zwischen sich und Mosca ins Boot.

»Hast du das gehört, Renzo?« Die Frau stützte sich auf den Bootsrand und musterte Scipio mit spöttischem Lächeln. »Erwachsen will er sein. So verschieden sind die Wünsche.«

»Den Wunsch wird die Natur ihm bald erfüllen«, antwortete der Conte und schlug das Bündel mit dem Flügel zusätzlich in eine Plane ein. »Mit unseren Wünschen sieht es etwas anders aus. Willst du das Geld noch nachzählen, Herr der Diebe?« Scipio stellte die Tasche auf Moscas Schoß und öffnete sie. »Heiliger Pantalon!«, flüsterte Mosca, nahm ein Bündel Geldscheine heraus und begann mit ungläubigem Gesicht, die Scheine zu zählen. Neugierig beugte Prosper sich über seine Schulter. Selbst Riccio vergaß seine Angst vor dem Wasser und stand auf. Aber als das Boot zu schwanken begann, setzte er sich schnell wieder. »Teufel, hat einer von euch schon mal so viel Geld gesehen?«, flüsterte er.

Scipio hielt prüfend einen Schein vor seine Taschenlampe, zählte die Bündel in der Tasche und nickte Mosca zufrieden zu. »Scheint alles da zu sein«, rief er dem Conte und seiner Begleiterin zu. »Wir zählen es in unserem Versteck noch genau nach.« Die grauhaarige Frau nickte nur. »Buon ritorno!«, sagte sie. Der Conte trat neben sie. Prosper warf ihm das Seil zu, mit dem sie an dem größeren Boot festgemacht hatten, und der Conte fing es auf. »Buon ritorno und viel Glück für die Zukunft«, sagte er. Dann kehrte er ihnen den Rücken zu.

Auf ein Zeichen von Scipio nahmen Prosper und Mosca die Ruder auf und mit jedem Eintauchen der Ruderblätter entfernten sie sich weiter vom Boot des Conte. Die Mündung des Kanals, an der Ida auf sie wartete, schien weit, unendlich weit entfernt, und hinter ihnen, Prosper konnte es trotz der Dunkelheit deutlich erkennen, richtete der Conte den Bug seines Bootes dorthin, wo die Sacca della Misericordia sich zur Lagune öffnete.

Scipio hatte Recht gehabt, der Wind war auf ihrer Seite. Nur sacht kräuselte er das Wasser, und als sie Idas Boot erreichten, war das Segel des Conte immer noch zu sehen. Schnell machten sie Moscas Boot im Schutz der Brücke fest und stiegen um auf das größere Boot. »Nun erzählt schon, ist alles gut gegangen?«, fragte Ida ungeduldig, als die vier an Bord kletterten. »Ich konnte nur sehen, dass er ein Segelboot hat, sonst nichts, ihr wart viel zu weit draußen.«

»Alles klar, das Geld haben wir, und er hat den Flügel«, sagte Scipio und klemmte sich die Tasche mit der Beute zwischen die Beine. »Es war noch eine Frau bei ihm. Und Sie hatten Recht, er segelt raus auf die Lagune.« »Dachte ich's mir doch.« Ida gab Giaco ein Zeichen, doch der hatte den Motor schon angeworfen und knatterte auf die Bucht hinaus. »Die rote Laterne hat er leider ausgemacht«, rief Mosca ihm durch den Motorenlärm zu, »aber das Boot ist zum Glück ganz gut zu erkennen.«

Giaco brummte etwas Unverständliches und hielt Kurs, als wäre nichts leichter, als bei Mondlicht einem fremden Boot zu folgen. »Habt ihr das Geld nachgezählt?«, fragte Ida. »So ungefähr«, sagte Scipio. »Es ist auf jeden Fall eine ganze Menge.«

»Kann ich auch mal durch das Fernglas sehen?«, fragte Mosca.

Ida reichte ihm den Feldstecher und zog sich den Schal enger um den Kopf. »Siehst du es?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete Mosca. »Er kommt ziemlich langsam vorwärts, aber aus der Bucht ist er gleich raus.«

»Komm ihm nicht zu nah, Giaco!«, rief Ida nach vorn. Aber Giaco schüttelte den Kopf. »Keine Sorge,

Signora«, brummte er.

Sie ließen die Stadt hinter sich. Jedes Mal, wenn Prosper zurückblickte, kam sie ihm vor wie ein verlorener Schatz, der in der Dunkelheit schimmerte. Doch irgendwann war das Schimmern verschwunden und es umgab sie nichts als Nacht und Wasser. Das Knattern des Motors durchschnitt verräterisch die Stille, aber ab und zu drangen auch aus anderen Richtungen Motorengeräusche zu ihnen herüber. Sie waren nicht die Einzigen auf der Lagune, auch wenn es ihnen so vorkam. Immer wieder tauchten Lichter in der Dunkelheit auf, rot, grün und weiß, Positionslampen, wie auch Idas Boot sie hatte.

Aber selbst wenn der Conte ihr Boot bemerkt hätte, wie sollte er ahnen, dass er verfolgt wurde? Schließlich hatte er den Herrn der Diebe bezahlt.

Voll Unbehagen blickte Prosper über das Wasser, ein Meer aus Tinte, das irgendwo, kaum erkennbar, mit dem Dunkel des Himmels verschmolz. Bo und er waren noch nie hier draußen gewesen, obwohl die anderen ihnen viel von der Lagune erzählt hatten, von all den Inseln auf dem flachen Wasser, kleine schilfgesäumte Flecken Land mit Ruinen längst verfallener Dörfer und Festungen. Mit Obst- und Gemüsefeldern zur Versorgung der Stadt. Oder Klöstern und Spitälern, in die man früher die Kranken gebracht hatte, fort mit ihnen, fort übers schwarze Wasser.

Umsichtig lenkte der schweigsame Giaco das Boot an den bricole vorbei, hölzernen Pfählen, die überall aus dem Wasser ragten und mit ihren weiß markierten Seiten den Weg zwischen den Untiefen wiesen. Im Mondlicht waren sie manchmal kaum zu sehen.

»Da vorn liegt San Michele!«, flüsterte Mosca irgendwann. Langsam fuhren sie an den Mauern der Insel vorbei, auf der seit vielen hundert Jahren die Toten von Venedig begraben wurden. Als die

Friedhofsinsel wieder in der Nacht verschwand, nahm das Schiff des Conte Kurs nach Nordosten. Sie ließen Murano, die Glasinsel, hinter sich und fuhren weiter, immer tiefer hinein in das Gewirr von Inseln und grasbedeckten Eilanden. »Sind wir schon an der Insel vorbei, auf die sie früher die Pestkranken gebracht haben?«, fragte Riccio besorgt, als der Umriss eines verfallenen Hauses vorbeiglitt. In Venedig kannte er sich aus wie kein anderer von ihnen, aber hier zwischen den Inseln war er ein Fremder wie Prosper.

»Das ist doch lange her, Riccio«, murmelte Prosper und dachte, dass das Boot da vorne ewig so weitersegeln würde, ewig und immer. Hoffentlich schlief Bo noch, wenn er zurückkam, sonst würde Wespe eine schlimme Nacht erleben. Bo würde einen Höllenspektakel veranstalten, wenn er erfuhr, dass die anderen sich mit dem Conte trafen und Wespe ihn mit heißer Milch und einem Buch in den Schlaf gelullt hatte, damit sie sich ohne ihn fortschleichen konnten.

»Du meinst San Lazzaro.« Ida Spavento warf ihren glühenden Zigarettenstummel über Bord. »Nein, die Insel liegt auf der anderen Seite der Stadt, aber so unheimlich, wie man sich erzählt, ist es dort gar nicht. Madonna, wenn die ganzen Spukgeschichten über die Lagune wahr wären.«

»Spukgeschichten?« Riccio blies sich in die eiskalten Hände. »Welche denn?«

Mosca lachte, aber sein Lachen klang nicht echt. Sie alle kannten solche Geschichten, Wespe hatte ihnen schon Dutzende erzählt. In ihrem Versteck, eingemummelt in warme Decken, machte es Spaß, sich etwas zu gruseln, aber hier draußen auf dem offenen Wasser, mitten in der Nacht, sah das schon anders aus. »Lass mal sehen, Mosca.« Riccio griff nach dem Fernglas, um auf andere Gedanken zu kommen. »Wie weit will der Kerl denn noch segeln? Wenn das so weitergeht, sind wir bald in Burano und steif gefroren wie Tiefkühlhähnchen.«

Weiter und weiter ging es durch die Dunkelheit. Sie alle spürten, wie sie schläfrig wurden, trotz der Kälte. Da pfiff Riccio plötzlich leise durch die Zähne. Er kniete sich hin, um besser sehen zu können. »Ich glaube, jetzt dreht er bei!«, raunte er aufgeregt. »Da, er steuert auf die Insel da zu! Keine Ahnung, welche das sein könnte. Erkennen Sie sie, Signora?«

Ida Spavento nahm ihm das Fernglas aus der Hand und spähte hindurch. Prosper beugte sich über ihre Schulter. Auch ohne Fernglas erkannte er zwei Laternen am Ufer, eine hohe Mauer und weiter entfernt, hinter schwarzen Zweigen, den Umriss eines Hauses. »Madonna, ich glaube, ich weiß, welche Insel das ist!« Idas Stimme klang etwas erschrocken. »Giaco, nicht näher! Mach den Motor aus. Und lösch die Positionslampen.«

Als der Motor verstummte, umfing sie die Stille so plötzlich, dass sie Prosper vorkam wie ein unsichtbares Tier, das im Dunkeln lauerte. Er hörte das Wasser der Lagune gegen die Bootswand schwappen, das Atmen von Mosca neben sich und, aus der Ferne, Stimmen, die über das Wasser klangen. »Ja, sie ist es!«, flüsterte Ida. »Die Isola Segreta, die Geheime Insel. Über sie gibt es wirklich unheimliche Geschichten. Die Vallaresso, eine der ältesten Familien der Stadt, hatten dort früher einen Landsitz, aber das ist lange her. Ich dachte, die Familie wäre fortgezogen und das Anwesen längst verfallen. Doch da habe ich mich wohl getäuscht.«

»Isola Segreta?« Mosca starrte zu den Lichtern hinüber. »Das ist doch die Insel, zu der keiner fährt.«

»Stimmt, es ist nicht leicht, einen Bootsführer zu finden, der das tut«, antwortete Ida, ohne das Fernglas von den Augen zu nehmen. »Die Insel gilt als verhext, es sollen schlimme Dinge auf ihr passiert sein. Dort soll das Karussell stehen? Das Karussell der Barmherzigen Schwestern?«

»Hört doch mal!«, hauchte Riccio. Hundegebell schallte übers Wasser, laut und bedrohlich. »Das müssen mehrere Hunde sein!«, flüsterte Mosca. »Und große dazu.«

»Reicht es Ihnen jetzt nicht, Signora?« Riccios Stimme klang schrill vor Angst. »Wir sind dem Conte gefolgt, bis zu dieser dreimal verfluchten Insel. Von mehr war bei dem Handel nicht die Rede, also sagen Sie dem schweigsamen Kerl da, dass er uns nach Hause fahren soll.«

Aber Ida antwortete nicht. Sie beobachtete die Insel immer noch durch ihr Fernglas. »Sie gehen an Land«, sagte sie leise. »Aha, so sieht euer Conte aus. Ich habe ihn mir nach eurer Beschreibung älter vorgestellt. Und das neben ihm.«, sie senkte die Stimme noch etwas mehr, ». das ist wohl die Frau, von der Scipio erzählt hat. Wer können die zwei nur sein? Wohnen auf der Insel doch noch Vallaresso?«

Mosca, Prosper und Scipio starrten ebenso gespannt wie Ida zu der Insel hinüber. Nur Riccio hockte mit finsterer Miene neben der Geldtasche und starrte Giacos breiten Rücken an, als könnte das seine Angst besänftigen.

»Da ist ein Bootssteg«, flüsterte Scipio, »und eine steinerne Treppe, die das Ufer hinaufführt, zu einem Tor in der Mauer.«

»Wer ist da auf der Mauer?« Mosca klammerte sich erschrocken an Prospers Arm. »Da stehen zwei weiße Gestalten!«

»Das sind Statuen«, beruhigte Ida ihn. »Steinerne Engel. Jetzt öffnen sie das Tor. Oh, die Hunde sind wirklich groß.« Selbst die Jungen konnten sie sehen, auch ohne das Fernglas: riesige weiße Doggen, groß

wie Kälber. Plötzlich, als hätten sie etwas Ungewohntes gewittert, kehrten sie die Schnauzen dem Wasser zu und begannen zu bellen, so laut und wütend, dass Ida zusammenfuhr und das Fernglas fallen ließ. Prosper griff noch danach, aber der Feldstecher rutschte ihm durch die Finger und landete mit einem lauten Platscher im Wasser. Das Geräusch durchschnitt die Stille wie ein Schuss. Entsetzt presste Riccio die Hände auf die Ohren, als könnte er so ungeschehen machen, was passiert war, während die anderen sich erschrocken im Boot zusammenkauerten. Nur Giaco schien das Ganze nicht aus der Ruhe zu bringen. Ungerührt stand er hinter dem Steuer. »Die haben uns gehört, Signora!«, sagte er gelassen. »Sie sehen in unsere Richtung!« »Stimmt!«, raunte Scipio und lugte über den Bootsrand. »So ein verfluchtes Pech!«

»Tut mir wirklich Leid!«, flüsterte Ida. »O mein Gott! Zieht die Köpfe ein, du auch, Giaco! Ich glaub, die Frau hat ein Gewehr!«

»Auch das noch!« Mosca stöhnte und zog sich die Jacke über den Kopf.

»Na, dich sehen sie doch sowieso nicht!«, zeterte Riccio und kauerte sich mit der Geldtasche auf den Boden. »Aber wir anderen leuchten wie Mondkäse in der Dunkelheit! Ich hab doch gesagt, das ist alle eine Schnapsidee! Ich hab gesagt, wir sollen umdrehen!« »Riccio, halt die Klappe!«, fuhr Scipio ihn an.

Die Doggen drüben auf der Insel bellten immer aufgeregter. In das Gebell mischte sich eine Frauenstimme, laut und ärgerlich, und dann - fiel ein Schuss. Prosper duckte sich und zog Scipio mit nach unten, als das Mündungsfeuer aufblitzte. Riccio begann zu schluchzen.

»Giaco!« Idas Stimme klang scharf. »Dreh um! Sofort!« Ohne ein Wort warf Giaco den Motor an.

»Und was ist mit dem Karussell?« Scipio wollte sich aufrichten, aber Prosper zerrte ihn wieder an seine Seite.

»Das Karussell kann keine Toten zum Leben erwecken!«, rief Ida.

»Gib Gas, Giaco! Und du, Herr der Diebe, lass den Kopf unten!«

Der Motorenlärm dröhnte ihnen in den Ohren und das Wasser spritzte, als Giaco die Isola Segreta hinter sich ließ. Immer kleiner wurde sie, bis die Nacht sie verschluckte.

Zusammengedrängt hockten Ida und die Jungen da, Enttäuschung auf den Gesichtern, Angst, aber auch Erleichterung, dass sie alle mit heiler Haut davongekommen waren.

»Das war knapp!«, sagte Ida und zog sich den verrutschten Schal über die Ohren. »Tut mir Leid, dass ich euch zu diesem Blödsinn überredet habe. Giaco!«, rief sie ärgerlich. »Warum hast du mir die Sache nicht ausgeredet?«

»So was kann man Ihnen nicht ausreden, Signora!«, antwortete Giaco, ohne sich zu ihr umzudrehen.

»Ach, ist doch jetzt auch egal«, meinte Mosca. »Hauptsache, wir haben das Geld.«

»Genau!«, murmelte Riccio, obwohl er noch reichlich verschreckt dreinblickte.

Scipio aber starrte mit finsterer Miene in die schäumende Spur, die das Boot hinterließ.

»Komm, vergiss es«, sagte Prosper und stieß ihn an. »Ich hätte das Karussell auch gern gesehen.«

»Es ist da!«, sagte Scipio und sah ihn an. »Ganz sicher.«

»Na, meinetwegen«, sagte Riccio. »Aber jetzt sollten wir unser Geld zählen.« Als Scipio und Prosper keine Anstalten machten zu helfen, machten er und Mosca sich an die Arbeit, während Ida mit nachdenklichem Gesicht neben ihnen saß und eine Zigarettenkippe nach der anderen in die Lagune warf. Als die ersten Lichter der Stadt sich schon im Wasser spiegelten, zählten Riccio und Mosca immer noch.

Erst als Giaco das Boot in die Sacca della Misericordia zurücksteuerte, klappten sie die Tasche zu. »Scheint zu stimmen«, sagte Mosca. »So ungefähr jedenfalls. Man verzählt sich ja dauernd bei all den Scheinen.«

Ida nickte und musterte die Tasche besorgt. »Habt ihr einen Platz, wo ihr es lassen könnt? Das ist wirklich eine Menge Geld.« Verunsichert blickte Mosca zu Scipio hinüber. Der zuckte nur die Schultern. »Versteckt es da, wo wir das Geld von Barbarossa aufbewahren. Da ist es erst mal sicher.«

»Gut.« Ida seufzte. »Dann setze ich euch jetzt bei eurem Boot ab. Einen warmen Platz zum Schlafen habt ihr ja wohl hoffentlich. Grüß den Kleinen von mir, Prosper, und das Mädchen. Ich.« Sie wollte noch etwas sagen, aber Riccio unterbrach sie, hastig, als müsste er die Worte loswerden, bevor sie ihm die Lippen verbrannten: »Scipio muss woandershin. Vielleicht

können Sie den nach Hause fahren.«

Prosper senkte den Kopf, Mosca spielte mit den Schnallen der Geldtasche und vermied es, in Scipios Richtung zu sehen.

»Ach ja, natürlich.« Ida drehte sich zu Scipio um. »Der Waffenstillstand ist beendet. Willst du wieder zur Accademia-Brücke, wo ich dich abgeholt habe, Herr der Diebe?«

Scipio schüttelte den Kopf. »Fondamenta Bollani«, sagte er leise. »Geht das?«

Wir gehören nicht mehr zusammen, dachte Prosper. Er versuchte sich an seine Wut zu erinnern, an die Enttäuschung, als er entdeckt hatte, dass Scipio sie belogen hatte. Aber er sah nur Scipios blasses, starres Gesicht, die zusammengepressten Lippen, mit denen er wohl die Tränen zurückhielt. Stocksteif saß Scipio da, die Schultern gestrafft, als fürchte er zusammenzufallen, wenn er auch nur einmal Luft holte. Oder einen seiner Freunde ansah. Auch Ida schien zu spüren, wie mühsam er sich beherrschte. »Gut, Giaco, erst zum Boot und dann zur Fondamenta Bollani!«, sagte sie schnell.

Als sie in den Kanal fuhren, in dem Moscas Boot lag, begann es wieder zu schneien, ganz leicht nur, winzige Flocken wehten über das Wasser. Ida bekam eine Flocke ins Auge und musste blinzeln. »Nun ist mein Flügel weg«, sagte sie und blickte hinauf zu den Häusern am Kanalufer. »Wahrscheinlich werde ich die ganze Nacht die Wand über meinem Bett anstarren und mich fragen, ob er jetzt wirklich auf einem Löwenrücken steckt. Oder wer dieser geheimnisvolle Conte und die grauhaarige Frau waren.« Fröstelnd zog sie ihren Mantel enger um sich. »Im warmen Bett lässt sich darüber ja gefahrlos nachdenken.«

Moscas Boot schaukelte friedlich dort, wo sie es zurückgelassen hatten. Eine Katze hatte es sich unter der Ruderbank bequem gemacht und sprang erschrocken ans Kanalufer, als das Motorboot sich näherte.

»Buona notte!«, sagte Ida, bevor Prosper, Riccio und Mosca wieder in ihr eigenes Boot kletterten. »Kommt mich mal besuchen, aber wartet damit nicht, bis ihr erwachsen seid und ich euch nicht mehr erkenne. Und wenn ihr irgendwann mal Hilfe braucht - ich weiß, ihr seid jetzt reich, doch man weiß ja nie -, dann denkt an mich.« Die Jungen sahen sich verlegen an.

»Danke!«, murmelte Mosca und klemmte sich die Tasche des Conte unter den Arm. »Das ist wirklich nett. Wirklich.«

»Wir werden auch bestimmt nie wieder in die Casa Spavento einbrechen. Ganz bestimmt nicht«, fügte Riccio hinzu. Was ihm einen Ellenbogenstoß von Mosca einbrachte. Die beiden kletterten schon von Bord, als Prosper sich noch einmal zu Scipio umdrehte. Mit abgewandtem Gesicht saß der Herr der Diebe da und starrte zu den dunklen Häusern hoch. »Du kannst dir natürlich jederzeit deinen Anteil abholen, Scip«, sagte Prosper.

Einen Augenblick lang dachte er, Scipio würde nicht antworten. Aber dann wandte er sich doch um. »Mach ich«, sagte er und sah Prosper an. »Grüß Wespe und Bo von mir.« Dann drehte er ihm schnell wieder den Rücken zu.



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