Großmutter saß in der Fensternische und strickte. Sie machte sich große Sorgen um Kasperl und Seppel. Hoffentlich hatte es mit den beiden kein Unglück gegeben!
Von Zeit zu Zeit blickte Großmutter auf die Pendeluhr an der Wand. „Schon halb neun – und noch immer kein Lebenszeichen von ihnen! Langsam kommt mir die Sache spanisch vor."
Großmutter strickte weiter – zwei glatt, zwei verkehrt –zwei glatt, zwei verkehrt.
Da klopfte es an das Fenster. Sie griff sich ans Herz und legte das Strickzeug weg.
„Ist da wer?"
„Ja", sagte Kasperl draußen. „Wir haben uns leider ein bisschen verspätet. Nicht böse sein!"
Großmutter öffnete ihnen die Haustür.
„Dass ihr nur endlich da seid! Ihr könnt einem aber auch richtig Angst machen!"
Kasperl fiel Großmutter um den Hals und küsste sie ab, dass sie kaum noch Luft bekam.
Unterdessen schlich Seppel mit Hotzenplotz heimlich die Treppe hinauf.
„Aufhören, Kasperl, aufhören!"
Großmutter rümpfte die Nase und wand sich los von ihm.
„Nicht genug, dass man halbe Nächte lang auf euch warten muss - jetzt stinkst du auch noch nach Knoblauch! Wo habt ihr euch bloß herumgetrieben?"
„Das ist eine lange Geschichte, Großmutter: Morgen ist auch ein Tag."
Kasperl gähnte so herzzerreißend, dass Großmutter meinte, er werde den Mund überhaupt nicht mehr zukriegen.
„Wollt ihr nicht wenigstens einen Happen zu Abend essen? Ihr müsst doch hungrig sein."
„Hungrig? Wir sind bloß müde und wollen ins Bett – das ist alles."
„Dann also gute Nacht", sagte Großmutter. „Und vergiss nicht die Zähne zu putzen! Ich werde noch ein paar Nadeln herunterstricken, dann mache ich auch Schluss."
Seppel erwartete Kasperl mit Hotzenplotz in der Schlafstube. „Hat sie Verdacht geschöpft?"
„Großmutter?" Kasperl legte von innen den Riegel vor. „Großmutter hat gemerkt, dass ich Knoblauch gegessen habe, sonst nichts."
Hotzenplotz hängte den Räuberhut an den Kleiderhaken neben der Tür. Er löste den Gürtel, er knöpfte die Weste auf.
„Wenn ich nur wüsste, wie ich euch danken soll!"
Ehe die Freunde ihn daran hindern konnten, zog er die Schnupftabaksdose hervor und bediente sich nicht zu knapp daraus.
Es geschah, was geschehen musste.
Hotzenplotz nieste aus Leibeskräften. Die Fenster klirrten, die Lampe schepperte, Großmutter kam die Treppe heraufgekeucht.
„Kasperl!", rief sie. „Bist du es, der da so schrecklich niest?"
Kasperl hielt sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase zu.
„Entschuldige bitte!" Es hörte sich an, als hätte er starken Schnupfen. „Ich muss mich erkältet haben."
Hotzenplotz nieste weiter.
„Soll ich dir etwas zum Schwitzen eingeben?", fragte Großmutter draußen. „Wie wäre es mit Kamillentee?"
„Nein, nein", wehrte Kasperl ab. „Ich fühle mich schon bedeutend besser ..."
Hotzenplotz nieste zum dritten Mal, Seppel hatte ihm rechtzeitig Kasperls Bettdecke über den Kopf geworfen.
„Du hörst ja, es lässt schon nach."
„Wie du meinst, Kasperl."
Großmutter wünschte ihm gute Besserung. Die Freunde warteten, bis sie die Treppe hinuntergestiegen war und die Wohnstubentür hinter sich geschlossen hatte; dann befreiten sie ihren Gast von der Decke.
„Das Schnupfen sollten Sie sich von jetzt an verkneifen, Herr Hotzenplotz!", sagte Kasperl. „Kein Mensch darf erfahren, dass Sie in diesem Haus sind – nicht einmal Großmutter!"
Hotzenplotz war zerknirscht.
„Von jetzt an", versprach er den Freunden, „sollt ihr mal hören, wie furchtbar leise ich sein kann, zum Donnerwetter!"
Er ballte die Faust – und wäre Seppel ihm nicht in den Arm gefallen, so hätte er zur Bekräftigung auf den Tisch gehauen.
„Gehen wir lieber schlafen!", schlug Kasperl vor.
Seppel und er krochen in die Betten, für Hotzenplotz war auf dem Sofa Platz.
„Es wird Ihnen hoffentlich nicht zu kurz sein?"
„Im Gegenteil! Nur meine Beine sind etwas zu lang dafür, aber das tut nichts. Bis morgen also!"
„Bis morgen, Herr Hotzenplotz!"