Eigentlich hatte Kasperl sich vorgenommen Seppel davon zu berichten, dass ihm die Fee Amaryllis im Traum erschienen war; aber nun hatten sie andere Dinge im Kopf und die waren entschieden wichtiger.
An Frau Schlotterbecks Gartentor trafen sie mit Herrn Dimpfelmoser und Wasti zusammen, die beide in höchster Eile waren.
„Jetzt geht es dem Räuber Hotzenplotz an den Kragen! Der Bursche kann sich auf was gefasst machen, wenn wir zwei ihn erwischen – und wir erwischen ihn!"
„Dann viel Glück!", meinte Kasperl. „Wo wollen Sie mit der Jagd denn beginnen?"
„Im Wald bei der Räuberhöhle. Dort nehmen wir seine Spur auf – und spätestens heute Abend sitzt er im Loch."
„Waff-waff!", machte Wasti, wobei er voll Ungestüm an der Leine zerrte. „Für mich und die Polizei ist das eine Kleinigkeit."
Frau Schlotterbeck saß im Lehnstuhl neben dem Fenster, umwölkt von Zigarrenrauch; kaum dass sie Kasperls und Seppels Gruß erwiderte.
„Bitte, Frau Schlotterbeck – Seppel und ich hätten ein paar Fragen an Sie ..."
„Ein paar Fragen?"
„Wir müssen herauskriegen, wer Ihre Kugel tatsächlich gestohlen hat."
Frau Schlotterbeck schob die Zigarre aus einem Mundwinkel in den anderen.
„Hotzenplotz ist es gewesen – und niemand sonst!"
„Wer sagt das?"
„Die Polizei sagt es – und ich auch. Räuber bleibt Räuber!"
„Seppel und ich sind da anderer Ansicht", entgegnete Kasperl. „Herr Dimpfelmoser ist nicht der Doktor Allwissend. Sie sollten mal Ihre Karten um Rat fragen."
„Meine Karten?" Frau Schlotterbeck winkte traurig ab. „Man kann zwar für andere Leute wahrsagen, aber nicht für sich selber. Ob Karten, ob Kaffeesatz: Wo es um meine eigenen Dinge geht, ist da nichts zu machen."
„Schade!", rief Kasperl. „Dann müssen wir eben zusehen, ob Sie uns nicht auf andere Weise helfen können! Was haben Sie denn Herrn Dimpfelmoser schon alles zu Protokoll gegeben?"
Frau Schlotterbeck schnappte die Asche von der Zigarre.
„Muss ich euch wirklich die ganze Geschichte noch einmal erzählen?"
„Auf jeden Fall!", sagte Seppel.
„Na schön – dann hört zu!"
Frau Schlotterbeck schloss die Augen und sammelte ihre Gedanken.
„Vorgestern Abend", begann sie, „habe ich die Kristallkugel auf dem Tisch in der Wohnstube liegen lassen – der Einfachheit halber. Ihr wisst ja, dass ich Herrn Dimpfelmoser versprochen hatte, die Überwachung des Räubers am Morgen fortzusetzen."
„Wollten Sie nicht den Wecker eigens auf vier Uhr früh stellen?", fragte Kasperl.
„Das war ja der große Fehler!"
„Wie sollen wir das verstehen, Frau Schlotterbeck?"
„Weil es um diese Stunde im Herbst noch dunkel ist – und das hatte ich nicht bedacht."
Sie tat ein paar Züge an der Zigarre, bevor sie mit einem Seufzer fortfuhr:
„Da ich schon einmal wach war, habe ich Wasti das Frühstück zurechtgemacht: gelbe Rüben mit Zwiebelringen und Petersilie, eine ganze Schüssel voll. Dann habe ich ihm die Haustür geöffnet, wie jeden Morgen und habe mich in den Lehnstuhl gesetzt um das Tageslicht abzuwarten."
„Und dann?", fragte Kasperl.
Frau Schlotterbeck senkte den Blick.
„Nun ja – ich bin eingeschlafen", gestand sie den Freunden. „Und als ich erwachte, es mag gegen neun gewesen sein, war die Kugel vom Tisch verschwunden. Hotzenplotz muss sie mir unterdessen gestohlen haben."
„Und Wasti? Wieso hat er nicht gebellt?", hakte Kasperl ein. „Er hätte den Räuber doch fassen müssen!"
Frau Schlotterbeck griff nach dem Aschenbecher und drückte den Rest der Zigarre aus.
„Wenn ich schlafe, dann schlafe ich. Kann es nicht sein, dass auch Wasti sich nach dem Frühstück noch einmal zur Ruhe gelegt hat? Wer will ihm das übel nehmen, dem braven Hundchen!"