Auf der Hohen Heide


Die Sonne war eben untergegangen, als Kasperl und Seppel verschwitzt und müde zur Hohen Heide kamen. An einen Steinblock gelehnt, saß ein Mann im Heidekraut. Gegen den hellen Abendhimmel hob er sich deutlich ab: Er trug einen Räuberhut auf dem Kopf – und am Hut eine lange Feder.

„Herr Hotzenplotz!"

Kasperl und Seppel sprangen vom Rad und dann nichts wie hin zu ihm!

„Warum sind Sie weggelaufen, Herr Hotzenplotz – wo doch nun alles in Butter ist! Wollen Sie nicht zurückkommen?"

Hotzenplotz rieb sich das Kinn, dass die Bartstoppeln knisterten.

„Habt ihr gelesen, was ich euch an die Wand des Kartoffelkellers geschrieben habe?"

„Ach was!", meinte Kasperl. „Die Sache mit der Kristallkugel hat sich längst geklärt. Jetzt brauchen Sie keine Angst mehr zu haben – selbst vor der Polizei nicht!"

„Waff!", machte Wasti, als wollte er Kasperls Worte bekräftigen.

Hotzenplotz schob sich den Hut ins Genick.

„Ich weiß ja, ihr zwei meint es gut mit mir – aber alle anderen? Jede Gaunerei, die von jetzt an in dieser Gegend geschieht: Die Leute werden sie mir in die Schuhe schieben! Und damit noch nicht genug – oder könnt ihr mir raten, was ich in Zukunft tun soll? Ich meine das ganz im Ernst. Man muss schließlich von etwas leben, nicht wahr?"

Kasperl und Seppel beteuerten, dass sie darüber nachdenken wollten.

„Wir werden uns schon was einfallen lassen, Herr Hotzenplotz!"

Hotzenplotz lachte bitter auf.

„Das habt ihr Frau Schlotterbeck auch versprochen – und trotzdem ist Wasti noch immer ein Krokodil."

Was sollten die Freunde ihm darauf antworten?

„Alles braucht eben seine Zeit", meinte Kasperl. „Kann sein, dass wir mit der Kräuterkur noch Erfolg haben."

„Daran glaubst du doch selber nicht!"

Es war dunkel geworden ringsum – und bald ging der Mond auf: ein großer, gelber, fetter Septembermond, rund und voll.

Kasperl erinnerte sich an den Traum von der Fee Amaryllis, er fing zu erzählen an. Hotzenplotz, Seppel und Wasti hörten ihm schweigend zu; doch als Kasperl mit seiner Geschichte zu Ende gekommen war, packte ihn Seppel am Arm.

„Ich kann mir nicht helfen!", rief er. „Was sollte die Fee wohl gemeint haben, wenn nicht das Feenkraut?"

„Mensch!", sagte Kasperl. „Wie konnte ich bloß so dumm sein, dass ich das nicht gemerkt habe! Wollen wir unser Glück mal versuchen, Wasti?"

Der Krokodilhund riss sich mit einem Ruck von der Leine los. Laut bellend rannte er zu der Wetterfichte am schwarzen Teich hinüber.

Zu Füßen des Baumes schimmerte ihm das Feenkraut silbrig entgegen. Er wühlte sich mit der Schnauze hinein – und mit einem Mal war die alte Fichte von unten bis oben in strahlendes Licht getaucht.

„Seht nur, seht nur!"

Es dauerte kaum einen halben Augenblick, dann hatte das Feenkraut seine Wirkung getan und der Schein erlosch.

Wasti Schlotterbeck war am längsten ein Krokodil gewesen. Als lustiger kleiner Langhaardackel kam er zurückgelaufen: mit wehendem Schwanz und schlackernden Ohren.

„Waff-waff-waffwaff!"

Seine Schnauze, sie sahen es voll Erstaunen, leuchtete durch die Nacht – wie mit Silberfarbe bestrichen. Er hatte, so schien es, vom Feenkraut etwas zu viel erwischt.

„Was sagen Sie nun, Herr Hotzenplotz?", fragte Kasperl.

„Nun sage ich überhaupt nichts mehr."

Hotzenplotz streichelte Wasti das Fell. Dann erhob er sich von der Heide und zog den Gürtel fest.

„Wisst ihr was?"

Damit legte er Kasperl den einen Arm um die Schulter und Seppel den anderen.

„Wenn ihr meint, dass ich lieber nicht nach Amerika gehen sollte, dann gehe ich eben nicht nach Amerika! Aber lasst euch gefälligst einen Beruf für mich einfallen, hört ihr – damit ich nicht eines Tages gezwungen bin wieder ein Räuber zu werden!"

Wasti nahm Kasperl und Seppel die Antwort ab. Er strich Hotzenplotz um die Waden und machte:

„Waff-waff!"

Das bedeutete in der Dackelsprache, dass er bereit war, für Kasperl und Seppel den Schwanz ins Feuer zu legen.




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