Kasperl brachte vor Schreck keinen Ton heraus. Durfte er Seppel jetzt einfach im Stich lassen? – nie und nimmermehr! Mochte der Räuber mit ihnen tun, was er wollte!
„Na, ihr zwei Oberkünstler?"
Hotzenplotz hockte sich neben Kasperl nieder und fühlte Seppel den Puls.
„Wollen versuchen ihn wieder wach zu kriegen." Er holte aus seiner Hosentasche die Schnupftabaksdose hervor. „Das Zeug, musst du wissen, wirkt manchmal Wunder."
„Meinen Sie?"
Hotzenplotz stopfte Seppel die Nase mit Schnupftabak voll.
„Pass mal auf, wie das hilft!"
Es dauerte keine zwei Sekunden und Seppel brach in ein fürchterliches Geniese aus. Er nieste und nieste, als wollte es ihn von innen heraus in Stücke reißen.
Kasperl packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn.
„Haptschü", machte Seppel und japste nach Luft. „Ich muss einen grässlichen Schnupfen erwischt haben, Kasperl – haptschi, haptschiii!"
Kasperl lieh ihm sein Taschentuch. Seppel schnauzte sich aus und rieb sich die Augen. Dann erst bemerkte er Hotzenplotz: „Sie sind das?"
„Ich, wenn du nichts dagegen hast. Und nun sagt mir gefälligst, was da passiert ist!"
„Ach", druckste Kasperl herum, „das wissen wir eigentlich selbst nicht. Ein Zufall, verstehen Sie – nichts wie ein dummer Zufall, Herr Hotzenplotz ..."
„Und der Sack voll Sand? Und der Stolperstrick?" Der Räuber tat Kasperls Antwort mit einem verächtlichen Grunzen ab. „Ich habe euch nämlich beobachtet, eine ganze Weile schon – und ich finde, das solltet ihr lieber bleiben lassen."
„Was?", fragte Kasperl so unschuldig, wie er nur konnte.
„Dass ihr mir Fallen stellt! Erstens kann das ins Auge gehen ..."
„Ins Auge ist gut", meinte Seppel. „Es ist auf den Hut gegangen. – Und zweitens?"
„Zweitens, beim Teufel und seiner Großmutter, wiederhole ich hiermit, dass ich seit gestern ein friedlicher Bürger bin! Wozu dann der Sandsack, den ihr mir auf den Kopf fallen lassen wolltet – auf meinen guten, alten, ehemaligen Räuberkopf?"
Das fehlte gerade noch, dass sich Hotzenplotz über sie lustig machte!
„Werden Sie bloß nicht albern!", rief Kasperl. „Seppel und ich wissen haargenau, was mit Ihnen los ist, Herr Plotzenhotz!"
„Und zum Glück", sagte Seppel, „weiß auch die Polizei Bescheid!"
Hotzenplotz tat, als könnte er nicht bis drei zählen.
„Ich weiß wirklich nicht, was ihr meint."
„Dann denken Sie doch an gestern Abend!", half Kasperl ihm nach. „Ich sage bloß: Ameisenhaufen!"
Der Räuber maß ihn mit einem erstaunten Blick.
„Meint ihr das halbe Dutzend Pistolen?"
„Es waren auch mindestens sieben Messer dabei – und außerdem zwei Fass Schießpulver. Sollten Sie das vergessen haben, Herr Klotzenmotz?"
Hotzenplotz patschte sich auf die Schenkel.
„Wenn das alles ist, könnt ihr beruhigt sein, hö-hö-hö-höööh!"
„Sie!", brauste Kasperl auf. „Wir finden das gar nicht lustig!"
Hotzenplotz lachte, dass ihm die Tränen über die Wangen kullerten: echte, wirkliche, dicke Räubertränen.
„Ich hab ja den ganzen Plunder bloß ausgegraben, weil ich ihn loswerden wollte, verdammt nochmal!"
„Loswerden?", fragte Seppel.
„Weil man als ehrlicher Mensch für Pistolen und Messer und Schießpulver keine Verwendung hat – klar?"
Durften die Freunde den Worten des Räubers trauen?
„Was haben Sie mit dem Zeug denn getan?", wollte Kasperl wissen.
„Vorläufig nichts", meinte Hotzenplotz. „Weil es mir gestern Abend zu finster war."
„Und jetzt?", fragte Kasperl.
„Jetzt werden wir reinen Tisch machen", antwortete ihm der Räuber. „Steht auf – und kommt mit!" Er knuffte sie in den Rücken. „Vorwärts!"
Sie brauchten nicht weit zu laufen. Nach wenigen Schritten erreichten sie eine kleine Lichtung im Wald, dort lagen in einer Mulde die beiden Pulverfässer.
„Da wären wir", sagte Hotzenplotz. „Alles ist vorbereitet – gleich haben wir's hinter uns gebracht!"
Kasperl und Seppel ließen die Köpfe hängen und wünschten, sie wären im Hottentottenland. Was auch der Räuber mit ihnen vorhaben mochte: Es konnte nichts Gutes sein.
„Seht ihr den grauen Faden da, auf dem Waldboden?"
„Ja", sagte Kasperl nach einigem Suchen.
„Es ist eine Zündschnur, sie führt zu den Pulverfässern.
Ich wollte die Dinger gerade hochgehen lassen: Da sind mir zwei große Räuber Jäger dazwischengekommen – Glück muss man haben!"
Kasperl bekam eine weiße Nase.
„Sie werden uns – in die Luft sprengen?"
„Unsinn!", rief Hotzenplotz. „Zusehen sollt ihr mir bei dem Feuerwerk, weiter gar nichts."
Die Freunde mussten sich neben ihn auf den Boden legen.
„Schön flach machen!", schärfte er ihnen ein, bevor er das Ende der Lunte mit einem Streichholz in Brand setzte. Zischend und knisternd fraß sich ein blaues Flämmchen mit Windeseile durch Gras und Heidekraut auf die Fässer zu.
„Runter jetzt!"
Hotzenplotz packte Kasperl und Seppel am Kragen, er drückte sie mit den Nasen ins Moos.
Dann hörten sie einen Knall wie zwölf Böllerschüsse auf einmal. Erde und Holzsplitter wirbelten durch die Luft, dass es nur so prasselte.
Als sich die Freunde getrauten den Kopf zu heben, waren die Pulverfässer verschwunden. Ein schwarzer Fleck im Gras, nackt und kahl: Das war alles, was davon übrig geblieben war.