Schnauzball


Die Aufregung war, wie sich zeigen sollte, völlig umsonst gewesen. Kasperl und Seppel wollten gerade lossausen, um die Verfolgung des Räubers aufzunehmen, als Hotzenplotz freiwillig in den Garten zurückkam. Er brachte das Fahrrad geschoben und lehnte es gegen die Hausbank.

„Sie hatten vergessen es abzuschließen, Herr Hauptwachtmeister. Da habe ich mir gedacht, dass es besser ist, wenn ich es Ihnen hereinstelle."

Damit lüftete er den Räuberhut und empfahl sich endgültig.

Herr Dimpfelmoser stand da wie vom Schlag gerührt. Es dauerte eine halbe Minute und siebenunddreißig Sekunden, bis er die Sprache wiederfand; und obzwar er im Dienst und ein pflichtbewusster Beamter war, sagte er: „Darauf Großmutter, brauche ich, bitte schön – einen Schnaps."

Großmutter fand, dass sie auch einen Schluck vertragen könnte, „weil das die Nerven so schön beruhigt". Während sie schon ins Haus eilte, wandte Herr Dimpfelmoser sich Kasperl und Seppel zu.

„Lauft zu Frau Schlotterbeck", trug er den beiden auf, „und bestellt ihr, ich würde euch auf dem Fuße folgen. Sie soll in der Zwischenzeit alles vorbereiten, damit ich sofort mit der Überwachung des Räubers beginnen kann."

Er wollte das Fahrrad abschließen, konnte jedoch in seinen vielen Taschen den Schlüssel nicht finden. Da band er es kurz entschlossen mit einem Stück Bindfaden an der Hausbank fest.

„Vier dreifache Doppelknoten müssten genügen, schätze ich."

Nachdem er die Knoten geknüpft hatte, ging er auch ins Haus.

„Prost!", riefen Kasperl und Seppel ihm nach.

Dann flitzten sie los zu Frau Schlotterbeck und zwar auf dem kürzesten Weg: durch das hintere Gartentürchen, dicht am Kompost vorbei.

„Ob Wasti wohl so was frisst?", fragte Kasperl mit einem Seitenblick auf die Kürbisse.

„Warum nicht?", meinte Seppel. „Probieren geht über Studieren."

Zwei von den kleineren Kürbissen nahmen sie mit. Dass Großmutter sie gezählt hatte, konnten sie ja nicht ahnen; und dass es sich noch dazu um besondere Kürbisse handelte, daran hätten sie nicht im Traum gedacht: So gut hatte Großmutter das vor ihnen geheim gehalten.

Frau Schlotterbeck ließ sich wie immer Zeit. Sechs– oder siebenmal mussten Kasperl und Seppel am Gartentor läuten, bis sie sich endlich bequemte herbeizuschlurfen. Sie war noch ein bisschen verheult im Gesicht, doch im Großen und Ganzen schien sie sich wieder gefasst zu haben. „Kommt ihr schon wieder mit neuen Kräutern für Wasti?"

Sie sprach durch die Nase, als hätte sie Heuschnupfen.

„Nein", sagte Kasperl. „Wir kommen im Auftrag der Polizei. Herr Dimpfelmoser braucht Ihre Unterstützung – hören Sie nur, was er Ihnen bestellen lässt ..."

Frau Schlotterbeck schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als ihr die Freunde berichteten, was sich ereignet hatte. Obgleich sie ja eine staatlich geprüfte Hellseherin war, musste sie zugeben, dass sie von alledem keine Ahnung gehabt hatte.

„Zeiten sind das – da kann einem angst und bange werden bei meinem Beruf!"

Sie erklärte sich unverzüglich bereit Herrn Dimpfelmoser zu helfen: Mit der Kristallkugel sei das ein Kinderspiel. Dann schlurfte sie durch den Garten ins Haus und die Freunde folgten ihr.

Im Hausflur kam Wasti ihnen entgegen. Freudig bellend fuhr er auf Kasperl und Seppel los und schnappte nach ihren Händen.

„Wirst du wohl artig sein!", schimpfte Frau Schlotterbeck. „Das gehört sich nicht für ein braves Hundchen!"

Während sie in die Wohnstube eilte um die Kristallkugel aus dem Schrank zu holen, blieben die Freunde bei Wasti im Flur zurück.

„Wir haben dir etwas mitgebracht." Kasperl hielt den einen Kürbis hin. „Da – probier mal!"

Wasti war eigentlich furchtbar satt. Erst vorhin hatte er anderthalb Dutzend Kartoffelklöße verzehrt, mit gedünsteten grünen Bohnen und Gurkensalat als Beilage. Anstandshalber beschnupperte er den Kürbis von allen Seiten – und nur, weil er Kasperl und Seppel nicht kränken wollte, biss er ihn schließlich an.

„Na, wie schmeckt uns das?"

Wasti ließ ein erstauntes „Waff-waff" hören, etwa zu übersetzen mit: „Hoppla, das ist ja ein Leckerbissen!" Dann fraß er den Kürbis auf, dass es nur so schnurpste.

„Und jetzt", meinte Seppel, „den zweiten auch noch!"

Wasti beschnupperte auch den zweiten Kürbis. Er biss aber nicht hinein, dazu war er viel zu voll gefressen, sondern er stupste ihn bloß mit der Schnauze an – und dann rollte er ihn geschickt vor sich her: durch den Hausflur, zur Tür hinaus und ein Stück durch den Garten, schnurstracks auf seine Hütte zu.

„Sieh mal!", rief Seppel. „Er spielt mit dem Kürbis Schnauzball, gleich schießt er ein Eigentor!"

Vor der Hundehütte verlangsamte Wasti den Lauf. Er senkte die Schnauze, er zielte – und schwuppdich! beförderte er den Kürbis mit kräftigem Stoß hinein.

„Gut gemacht!"

Kasperl und Seppel klatschten ihm Beifall, doch Wasti tat ihnen nicht den Gefallen das Kunststück zu wiederholen. Ohne sich weiter um sie zu kümmern, verkroch er sich in die Hütte.

„Lasst mich gefälligst zufrieden!", knurrte er in der Hundesprache. „Jetzt möchte ich meine Ruhe haben, waff-waff, und ein bisschen schlafen."

Die Freunde konnten sich denken, was er gemeint hatte.

„Komm", sagte Kasperl zu Seppel. „Gehen wir zu Frau Schlotterbeck!"

Die Vorhänge in der Wohnstube waren wie immer zugezogen. Der Schein einer einzigen Kerze erhellte den Raum. Sie stand in der Mitte des runden, mit allerlei seltsamen Zeichen bedeckten Tisches. Neben der Kerze ruhte auf einem Kissen von schwarzem Samt die berühmte Kugel aus Bergkristall. Mit ihrer Hilfe konnte man alles beobachten, was sich im Umkreis von dreizehn Meilen ereignete: vorausgesetzt, dass es unter freiem Himmel geschah.

Bisher hatten Kasperl und Seppel Frau Schlotterbecks Kugel nie zu Gesicht bekommen.

„Eigentlich", dachte Kasperl bei ihrem Anblick, „sieht sie wie einer von Großmutters kleineren Kürbissen aus – nur dass sie nicht grün, sondern bläulich ist ..."

In der Tat: Bis auf diesen geringen Unterschied waren sich Großmutters Kürbisse und die magische Kugel der Witwe Portiunkula Schlotterbeck zum Verwechseln ähnlich.




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