Frau Schlotterbeck hat einen schlechten Tag



Kasperl und sein Freund Seppel waren in letzter Zeit oft bei der Witwe Schlotterbeck zu Besuch. Sie hatten ihr ja versprochen, dass sie sich etwas einfallen lassen wollten, um Wasti, dem Krokodilhund, wieder zu seinem früheren Aussehen zu verhelfen. Seither bewirtete sie Frau Schlotterbeck jedes Mal, wenn sie kamen, mit Tee und Wurstbrot.

Auch heute ließen sich Kasperl und Seppel den Tee und die Brote schmecken. Frau Schlotterbeck, die im Lehnstuhl neben dem Fenster saß, zog traurig an einer dicken schwarzen Zigarre. Wasti lag ihr zu Füßen, er ließ ein zufriedenes Knurren hören und wackelte mit dem Schwanz.

Ihn störte es wenig, dass er in jungen Jahren ein Langhaardackel gewesen war, bis ihn Frau Schlotterbeck eines Tages versehentlich in ein Krokodil verhext hatte. Umso mehr litt Frau Schlotterbeck unter diesem Missgeschick. Kasperl und Seppel kannten zwar die Geschichte längst auswendig; aber sie hörten auch diesmal wieder geduldig zu, als ihnen Frau Schlotterbeck alles noch einmal von vorn erzählte: wie es zu Wastis Verhexung gekommen war; wie sie auf jede erdenkliche Weise versucht hatte ihn zurückzuhexen – und wie ihr das nicht gelungen war.

„Zuletzt bin ich so verzweifelt gewesen, dass ich das Hexenbuch kurzerhand in den Ofen gesteckt und verbrannt habe", schloss sie. „Ich bin eine staatlich geprüfte Hellseherin, aber keine gelernte Hexe. Man soll im Berufsleben möglichst die Finger von Dingen lassen, von denen man nichts versteht."

„Trotzdem!", erwiderte Kasperl. „Hätten Sie doch das Buch nicht ins Feuer geworfen, sondern es Seppel und mir geschenkt!"

Frau Schlotterbeck schnauzte sich in den Saum ihres Morgenrockes, den sie auch tagsüber stets zu tragen pflegte und fragte mit ihrer tiefen, verräucherten Stimme: „Euch beiden?"

„Dann hätten wir Wasti bestimmt schon helfen können! Aber verbrannt ist verbrannt – und nun müssen Sie eben leider Geduld haben."

Auf Großmutters Dachboden hingen zahlreiche Säckchen und Beutel herum: Die einen waren mit Krautern und Wurzeln gefüllt, die anderen mit getrockneten Blättern und Rindenstücken – alles erprobte Mittel, die Großmutter anwandte, um die verschiedenartigsten Krankheiten zu kurieren.

„Vielleicht", hatten Kasperl und Seppel sich überlegt, „sind welche darunter, die zufällig gegen Verhexung helfen, wie andere gegen Bauchweh und Schüttelfrost ..."

Ihrer Ansicht nach konnte es Wasti nicht schaden, wenn sie ihn einer Krauter- und Wurzelkur unterzogen. Seit einigen Wochen probierten sie Großmutters Vorräte an ihm aus: auf gut Glück zwar, doch streng nach dem ABC.

Mit Anispulver hatten sie angefangen. Dann hatten sie Wasti getrocknete Arnikawurzeln verabreicht, dann Baldriantee, dann Basilienkraut, dann mit Honig gesüßten Bitterklee, dann gemahlene Chinarinde, dann Eibischblätter, dann Enzian – und so fort bis zum heutigen Tage, an dem sie ihm einen Absud von Huflattich eingeflößt hatten.

Leider war die Behandlung vorläufig ohne Erfolg geblieben.

Das Einzige, was sie damit erreicht hatten, war, dass sich Wasti seit vorletztem Donnerstag standhaft weigerte Fleisch zu fressen. Stattdessen legte er eine erstaunliche Vorliebe für Salat an den Tag; auch Grünkohl, Tomaten, Radieschen und Zwiebeln verschmähte er keineswegs – und auf Salzgurken war er besonders erpicht: Die verschlang er wie Knackwürste.

„Armer Wasti!", seufzte Frau Schlotterbeck. „Nun bist du zu allem Unglück auch noch ein vegetarisches Krokodil geworden! – Ich weiß nicht, ob die Behandlung richtig ist. Wenn er nun eines Tages plötzlich zu krähen anfängt? Oder zu meckern? Oder i-ah zu schreien? Nicht auszudenken, was alles mit ihm geschehen könnte, wenn ihr so weitermacht!"

„Ebenso gut", sagte Kasperl, „könnte er eines Tages wieder zu einem Dackel werden."

Und Seppel meinte: „Das sollten Sie nicht vergessen, Frau Schlotterbeck!"

Aber Frau Schlotterbeck hatte heut ihren schlechten Tag. Statt den Freunden zu antworten, fing sie zu weinen an. Jammernd rang sie die Hände und während ihr dicke Tränen auf die Zigarre tropften, schluchzte sie:

„Ich bin schuld an dem ganzen Elend, mit Wasti – ja, ich bin schuld daran!"

Kasperl und Seppel versuchten sie zu beschwichtigen, doch umsonst. Einmal ins Heulen gekommen, heulte Frau Schlotterbeck weiter: Und wie es den Anschein hatte, gedachte sie nicht so bald wieder aufzuhören.

Da aßen die beiden Freunde rasch ihre Brote auf. Sie tätschelten Wasti zum Abschied den Rücken, dann sagten sie Lebewohl, überließen Frau Schlotterbeck ihrem Kummer und gingen nach Hause.




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