Ein Ameisenhaufen, der es in sich hat


Der Herr Polizeihauptwachtmeister Alois Dimpfelmoser ließ auf sich warten. Die Freunde konnten sich nicht erklären, warum er so lange ausblieb. Ob ihn der Räuber Hotzenplotz unterwegs überfallen hatte?

„Wollen mal nachsehen", sagte Frau Schlotterbeck.

Sie setzte sich an den Tisch und begann an dem Kissen aus schwarzem Samt zu drehen, auf dem die Kristallkugel lag. Da schellte es an der Gartentür – und als Kasperl und Seppel hinausrannten, um zu öffnen, stand draußen Herr Dimpfelmoser mit seinem Fahrrad: krebsrot im Gesicht und gewaltig schnaufend wie eine alte Dampfmaschine.

„Ich konnte den vierten dreifachen Doppelknoten ewig nicht aufkriegen!", keuchte er. „In Zukunft, glaube ich, ist es mit dreien auch getan."

Er kramte die Schnur aus der Tasche und blickte sich um.

„Wo kann ich das Rad hier anbinden?"

„Stellen Sie es doch einfach zu Wastis Hütte!", schlug Kasperl vor.

„Recht hast du", sagte Herr Dimpfelmoser. „Dort ist es sogar vor Hotzenplotz sicher – auch ohne Schnur."

An der Wohnstubentür empfing ihn die Witwe Schlotterbeck mit dem Ruf: „Da sind Sie ja endlich!" Dann bot sie ihm eine Tasse Tee an.

„Danke", erklärte Herr Dimpfelmoser. „Statt Tee zu trinken, sollten wir lieber die polizeiliche Überwachung des Räubers aufnehmen. Jede Minute ist kostbar."

Er setzte sich vor die Kugel aus Bergkristall. Frau Schlotterbeck nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz, Kasperl und Seppel stellten sich hinter Herrn Dimpfelmoser und guckten ihm über die Schulter.

„Beginnen wir also!"

Frau Schlotterbeck drehte das Kissen mit spitzen Fingern ein wenig nach links und ein wenig nach rechts, langsam und vorsichtig: Da begann sich die magische Kugel aufzuhellen und nahm einen milchigen Schimmer an – als sei sie mit weißem Rauch oder Nebel gefüllt. „Wo wünschen Sie mit der Suche anzufangen?"

Herr Dimpfelmoser kratzte sich im Genick.

„Beginnen wir mit dem Weg durch den Räuberwald, der zu seiner Höhle führt!"

Frau Schlotterbeck drehte das Kissen ein weiteres Stück nach rechts. Der Nebel löste sich auf, das Bild eines Waldes erschien in der Kugel: Zunächst noch verschwommen, doch rasch nahm es klare Gestalt an.

„Der Räuberwald!", staunte Seppel. „Hier ist die Straße – und dort, an der Biegung ..."

„Wahrhaftig!", rief Kasperl. „Dort an der Biegung beginnt der Pfad, der zum Alten Steinkreuz führt – und vom Steinkreuz zur Räuberhöhle!"

Frau Schlotterbeck handhabte ihre magische Kugel mit viel Geschick. Kasperl und Seppel hatten den Eindruck, als

ob sie in Windeseile dem Waldpfad folgten: an Himbeersträuchern und Brombeerhecken vorbei, über Wurzelwerk, Steine und Dornenranken, durch dick und dünn. Da war schon die Brücke über den Moosbach – und dort, ein paar Schritte weiter, entdeckten sie Hotzenplotz, wie er durchs Heidekraut stapfte: Sie hatten ihn eingeholt.

„Pscht!", machte Kasperl. „Ich glaube, er singt sich eins."

Die Stimme des Räubers klang weit entfernt, doch die Worte des Liedes waren genau zu verstehen. Es hatte bloß eine einzige Strophe, die Hotzenplotz unentwegt wiederholte:


„Lustig war das Räuberleben

In dem grünen Wald, juchhei!

Trotzdem hab ich's aufgegeben,

Das ist nun vorbei-zwei-drei!

Trotzdem hab ich's aufgegeben,

Das ist nun vorbei."


Herr Dimpfelmoser hörte ihm eine Weile mit grimmiger Miene zu, dann brummte er:

„Alles Schwindel! So laut kann der gar nicht singen, dass ihm die Polizei das glaubt!"

Mit langen Schritten strebte der Räuber seiner Behausung zu. Die Bretter, mit denen Herr Dimpfelmoser den Eingang vernagelt hatte, riss er herunter. Dann öffnete er die Tür und verschwand.

Was ließ sich dagegen sagen? Es stand ja in seinen Papieren ausdrücklich, dass er „an seinen ständigen Wohnsitz" entlassen war.

„Warten wir ab, was er tun wird", knurrte Herr Dimpfelmoser.

Leider reichten die Kräfte der magischen Kugel nicht aus, um Hotzenplotz in das Innere seiner Höhle zu folgen. Es blieb eine Weile still drin – dann hörten sie ein Geräusch, das wie lautes Schnarchen klang. Daraus schlössen sie, dass der Räuber sich schlafen gelegt hatte.

Mehrere Stunden verbrachten sie in gespannter Erwartung. Frau Schlotterbeck kochte Tee und bewirtete sie mit Käseplätzchen und Zwiebelkuchen. Es dunkelte schon im Walde, als Hotzenplotz endlich wieder zum Vorschein kam.

Gähnend verließ er die Räuberhöhle. Er nahm eine Prise Schnupftabak, rieb sich die Nase und nieste ein paarmal. Dann holte er einen Spaten aus dem Gestrüpp, den schulterte er – und sie ließen ihn nicht aus den Augen, bis er vor einem großen Ameisenhaufen stehen blieb.

Ein Glück, dass der Mond schien!

So konnten sie trotz der Dunkelheit deutlich erkennen, dass es ein künstlicher Ameisenhaufen war, an dem sich der Räuber nun mit dem Spaten zu schaffen machte.

Er legte zwei Pulverfässer und eine mit Blech beschlagene Kiste frei.

Der Kiste entnahm er ein Dutzend Pistolen und mindestens sieben Messer, die steckte er alle in einen großen Sack.

Dann schob eine schwarze Wolke sich vor den Mond, das Bild in der Kugel verfinsterte sich – und mehr war an diesem Abend beim besten Willen nicht zu beobachten.




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