Drei Wochen lang blieb der Status auf Rowley Lodge so ziemlich quo.
Ich strich schwer in den Nennungsformularen meines Vaters herum und schickte sie dann ein; außerdem verkaufte ich sechs der halben Anteile an verschiedene Bekannte, ohne Lancat auch nur einem von ihnen anzubieten.
Margaret gewöhnte sich grünen Lidschatten an, und Susies Freundin berichtete, daß Alessandro ein Telefongespräch mit der Schweiz geführt hatte und keinen Pyjama trug. Auch daß der Chauffeur immer für alles bezahlte, weil Alessandro selbst kein Geld hatte.
Etty wurde, da der Beginn der Saison näher rückte, immer angespannter, und die ängstlichen Furchen auf ihrer Stirn glätteten sich nur noch selten. Ich überließ viel mehr ihrem Urteil, als mein Vater das tat, und daher fühlte sie sich unsicher. Sie sehnte sich sichtlich nach seiner Rückkehr.
Die Pferde arbeiteten jedoch trotz allem gut. Abgesehen von einer zweijährigen Stute, die eine Nasennebenhöhlenerkrankung bekam, hatten wir keine weiteren Mißgeschicke mehr zu verzeichnen, und soweit ich das als Zuschauer beurteilen konnte, waren die Leistungen der anderen fünfundvierzig Ställe, die die Heide von Newmarket benutzten, keinesfalls besser als die von Rowley Lodge.
Alessandro kam jeden Tag zum Training und ritt schweigend, wenn auch mit trotzig besenstielsteifem Rückgrat, nach Ettys Anweisungen. Er wies nicht mehr darauf hin, daß er keine Befehle von einer Frau entgegennehme, und ich nahm an, daß selbst er sehen konnte, daß es ohne Etty weniger Gewinner geben würde. Sie selbst hatte fast vollkommen aufgehört, sich über ihn zu beklagen, und sah ihn jetzt mit objektiveren Augen; denn es bestand kein Zweifel, daß er nach einem Monat konzentrierten Trainings besser ritt als die anderen Lehrlinge.
Er wurde außerdem sichtbar dünner und sah nicht mehr gesund aus. Und obwohl er eher klein war, waren die einundvierzig Kilo, auf die er seinen Körper zusammenschrumpfen lassen wollte, bei einer Größe von einsdreiundsechzig immer noch extrem.
Alessandros Verbohrtheit war ein lästiger Faktor. Wenn ich geglaubt hatte, ich müsse es ihm so schwermachen, wie ich es gerade noch wagte, damit er seine Phantasterei aufgeben und verschwinden würde, so hatte ich mich verrechnet. Das hier war keine Phantasterei. Es erwies sich nur allzu deutlich als ein verzehrender Ehrgeiz; ein Ehrgeiz, der so stark war, daß er sich dafür fast tothungerte, Befehle von einer Frau entgegennahm und wahre Wunder der Selbstdisziplin vollführte — unglaublich, wenn man bedachte, daß dies wahrscheinlich das erste Mal in seinem Leben war, daß ihm eine solche Disziplin abverlangt wurde.
Entgegen Ettys Willen setzte ich ihn eines Morgens auf Archangel.
«Er ist noch nicht soweit«, protestierte sie, als ich ihr sagte, was ich vorhatte.
«Es gibt keinen anderen Reiter auf dem Hof, der besser mit ihm umgehen könnte«, sagte ich.
«Aber er hat nicht die Erfahrung dafür.«
«O doch, die hat er. Archangel ist nur wertvoller, nicht schwieriger zu reiten als die anderen.«
Alessandro quittierte die Neuigkeit nicht mit Freude, sondern mit einem» Na endlich«-Blick, eher höhnisch als zufriedengestellt. Wir gingen hinunter zur Waterhall-Bahn, weitab jeder öffentlichen Aufmerksamkeit. Dort lief Archangel schnelle zwölfhundert Meter und sah, als er stehenblieb, so aus, als wäre er gerade erst aus seiner Box gekommen.
«Er hatte ihn im Gleichgewicht«, sagte ich zu Etty.»Die ganze Zeit.«
«Ja, stimmt«, sagte sie widerwillig.»Nur schade, daß er so ein abscheulicher kleiner Scheißer ist.«
Alessandro kam mit einer» Ich hab’s Ihnen doch gesagt«: — Miene zurück, die ich ihm sogleich vom Gesicht wischte, indem ich ihm sagte, ich würde ihn morgen auf Lancat setzen.
«Warum?«wollte er zornig wissen.»Ich habe Archangel sehr gut geritten.«
«Ziemlich gut«, stimmte ich ihm zu.»Und Sie können ihn wieder reiten, in ein oder zwei Tagen. Aber ich möchte, daß Sie Lancat bei einem Probegalopp am Mittwoch reiten, also können Sie ihn morgen auch schon nehmen und sich an ihn gewöhnen. Nach dem Probegalopp möchte ich, daß Sie mir Ihre Meinung über das Pferd sagen und darüber, wie es gegangen ist. Und ich möchte keinen von Ihren kurzen, spöttischen Kommentaren, sondern eine durchdachte Einschätzung. Für einen Jockey ist die Analyse dessen, was sein Pferd bei einem Rennen geleistet hat, fast genauso wichtig wie das Reiten selbst. Ein Trainer muß sich weitgehend auf das verlassen können, was sein Jockey ihm sagt. Also können Sie mir über Lancat berichten, und ich werde zuhören.«
Er warf mir einen langen, konzentrierten Blick zu, aber ausnahmsweise einmal ohne die gewohnte Hochnäsigkeit.
«Gut«, sagte er.»Mache ich.«
Wir hielten den Probegalopp am Mittwochnachmittag auf der Probebahn jenseits der Limekilns ab, ein gutes Stück entfernt von Newmarket. Sehr zu Ettys Mißfallen hatte ich den Probegalopp so angesetzt, daß er genau im selben Augenblick anfing wie die Fernsehübertragung des Champion-Hürdenrennens in Cheltenham. Die Rechnung ging auf. Wir brachten das nahezu Unmögliche fertig, einen vollen Probegalopp ohne einen einzigen Beobachter oder Turfspion in Sichtweite.
Abgesehen von den beiden Pferden, die Etty und ich ritten, hatten wir nur vier Tiere mitgenommen: Pease Pudding, Lancat, Archangel und einen der vielversprechendsten Gewinner des letzten Jahres, einen vierjährigen Hengst namens Subito, dessen beste Distanz eine Meile war. Tommy Hoylake war aus Berkshire hergekommen, um Pease Pudding zu reiten, Andy setzten wir auf Archangel und einen wortkargen Pfleger namens Faddy auf den Fuchs Subito.
«Quetscht sie mir nicht zu sehr aus«, sagte ich, bevor die Reiter starteten.»Wenn ihr merkt, daß ihnen die Luft ausgeht, verlangsamt ihr einfach ein wenig.«
Viermaliges Nicken. Vier ungeduldig tänzelnde Hengste mit glänzendem Fell.
Etty und ich galoppierten zu einer Stelle, die knapp hundert Meter vom Ende der Trainingsbahn entfernt war, und als wir an einem guten Aussichtspunkt stehengeblieben waren, schwenkte sie ein großes weißes Taschentuch über ihrem Kopf. Die Pferde starteten auf uns zu, bewegten sich schnell und immer schneller, die Reiter über ihre Widerriste gebeugt, die Köpfe gesenkt, die Zügel ganz kurz, die Füße gegen die Flanken der Pferde gepreßt.
Sie kamen in immer noch vollem Tempo an uns vorbei und blieben ein kleines Stück weiter weg stehen. Archangel und Pease Pudding hatten den ganzen Galopp Seite an Seite bestritten und waren zusammen ins Ziel gegangen. Lancat hatte nach dem Start zehn Längen verloren, acht wieder gutgemacht, dann wieder zwei verloren, aber sich immer noch sicher und leicht bewegt. Subito war am Anfang vor Lancat gewesen, dann, als jener schneller wurde, hinter ihn zurückgefallen und lief neben ihm, als die Pferde an Etty und mir vorbeikamen.
Sie drehte sich mit zutiefst besorgter Miene zu mir um.
«Pease Pudding kann unmöglich für das Lincoln bereit sein, wenn Lancat so knapp neben ihm einlaufen kann. Überhaupt zeigt die Art, wie Lancat ins Ziel gegangen ist, daß weder Archangel noch Subito so weit sind, wie ich dachte.«
«Beruhige dich, Etty«, sagte ich.»Keine Bange. Betrachte es doch einfach von der anderen Seite.«
Sie runzelte die Stirn.»Was soll das heißen? Mr. Griffon wird sich sehr aufregen, wenn er hört…«
«Etty«, unterbrach ich sie.»Hattest du den Eindruck, daß sich Pease Pudding schnell und leicht bewegt oder nicht?«
«Na ja, eigentlich schon«, sagte sie zweifelnd.
«Dann ist vielleicht Lancat viel besser, als wir erwartet haben. Und nicht die anderen schlechter.«
Sie sah mich mit vor Unentschlossenheit verzogenem Gesicht an.»Aber Alex ist nur ein Lehrling, und Lancat war letztes Jahr nutzlos.«
«In welcher Hinsicht war er nutzlos?«
«Oh… Unkontrolliert. Verspielt. Ohne Aktion.«
«Heute war nichts Unkontrolliertes an ihm«, bemerkte ich.
«Nein«, gab sie zögernd zu.»Wirklich nicht.«
Die Reiter führten die Pferde auf uns zu, und Etty und ich stiegen beide ab, um besser hören zu können, was sie zu sagen hatten. Tommy Hoylake, gebaut wie ein Zwölfjähriger mit einem fehl am Platz wirkenden dreiundvierzig Jahre alten Männergesicht obendrauf, sagte mit seinem angenehmen Berkshire-Akzent, daß er gedacht habe, Pease Pudding sei einen exzellenten Probegalopp gelaufen, bis er Lancat so dicht hinter sich sah. Er hatte Lancat im vergangenen Jahr häufig geritten und hielt nicht viel von ihm.
Andy sagte, Archangel sei wunderbar gegangen, wenn man in Betracht zog, daß es noch fast sechs Wochen bis zum Guineas waren, und Faddy stellte mit seiner hohen, affektierten Stimme fest, daß Subito letztes Jahr seiner Meinung nach nur um Haaresbreite von Pease Pudding entfernt gewesen sei, und er hätte ihm noch näher kommen können, wenn er es wirklich versucht hätte. Tommy und Andy schüttelten den Kopf. Wenn sie es wirklich versucht hätten, hätten auch sie schneller sein können.
«Alessandro?«fragte ich.
Er zögerte.»Ich… ich habe am Anfang an Boden verloren, weil mir nicht klar war… ich habe nicht erwartet, daß sie so schnell sein würden. Als ich ihn forderte, ist Lancat einfach nach vorn geschossen… Und ich hätte ihn am Ende auch näher bei Archangel halten können, nur daß er ein wenig müde zu werden schien, und Sie sagten…«Er hielt inne, und seine Stimme schwebte sozusagen im Raum.
«Gut«, sagte ich.»Das haben Sie richtig gemacht. «Ich hatte nicht erwartet, daß er so ehrlich sein würde. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft hatte er eine objektive Selbsteinschätzung von sich gegeben, aber mein schwaches und sogar leicht herablassendes Lob reichte aus, um das Hohngrinsen wieder zurückzubringen. Etty sah ihn mit unkontrollierter Abneigung an, was Alessandro jedoch nicht im mindesten störte.
«Ich muß Sie wohl kaum daran erinnern«, sagte ich zu ihnen allen, wobei ich die zur Schau gestellten Gefühle ignorierte,»daß Sie die Ereignisse dieses Nachmittags für sich behalten sollen. Tommy, Sie können im Lincoln auf Pease Pudding zählen und im Guineas auf Archangel, und wenn Sie jetzt mit mir ins Büro kommen, werden wir Ihre anderen Ritte für die nächsten Wochen durchgehen.«
Alessandros Grinsen wurde säuerlich, und der Blick, den er Tommy zuwarf, war reinster Rivera. Und unverhohlen gefährlich: mörderisch. Der Anschein, daß wir ihn auch nur ein wenig gezähmt hatten, erwies sich plötzlich als so trügerisch wie Treibsand im Sonnenlicht. Ich erinnerte mich an die unmißverständliche Botschaft von Enzos auf meine Brust gerichtete Pistole; daß nämlich, wenn ein Mord wünschenswert schien, er ganz beiläufig ausgeführt werden würde. Ich hatte Tommy Hoylake in Gefahr gebracht, und ich würde ihn da wieder rausholen müssen.
Ich schickte die anderen voraus und sagte Alessandro, er solle einen Augenblick bleiben. Als die anderen außer Hörweite waren, stellte ich fest:»Sie werden akzeptieren müssen, daß Tommy Hoylake als erster Jockey des Stalls reitet.«
Ich bekam eine geballte Ladung Rivera-Blick, finster, durchdringend und voller böser Absichten. Ich konnte den Haß beinahe spüren, der in heißen Wellen aus ihm heraus in die kühle Märzluft strömte.
«Wenn sich Tommy Hoylake ein Bein bricht«, sagte ich klar und deutlich,»werde ich Ihnen auch eins brechen.«
Das erschütterte ihn, obwohl er versuchte, es nicht zu zeigen.
«Außerdem wäre es sinnlos, Tommy Hoylake außer Gefecht zu setzen, da ich dann jemand anders engagieren würde. Nicht Sie. Ist das klar?«
Er gab mir keine Antwort.
«Wenn Sie ein Spitzenjockey werden wollen, müssen Sie das aus eigener Kraft schaffen. Sie müssen gut genug sein. Sie müssen Ihre Schlachten selbst schlagen. Es kommt nichts dabei heraus, wenn Sie glauben, Ihr Vater würde jeden ausschalten, der Ihnen im Weg steht. Wenn Sie gut genug sind, wird Ihnen niemand im Weg stehen, und wenn nicht, wird Ihnen kein noch so weitgehendes Ausschalten anderer Menschen zum Erfolg verhelfen.«
Immer noch kein Laut. Aber Zorn, ja. Nur allzu deutlich zu Tage tretender Zorn.
Mit ernster Stimme fuhr ich fort:»Wenn Tommy Hoylake zu Schaden kommt, in welcher Weise auch immer, werde ich dafür sorgen, daß Sie nie wieder ein Rennen reiten. Gleichgültig, welche Konsequenzen das für mich selbst hat.«
Er löste den finsteren Blick von meinem Gesicht und ließ ihn über die weite, windige Heide gleiten.
«Ich bin gewohnt…«:, begann er arrogant und hielt dann inne.
«Ich weiß, was Sie gewohnt sind«, sagte ich.»Sie sind gewohnt, auf Kosten anderer Ihren Willen zu bekommen. Ihren Willen, erkauft mit Elend, Schmerz und Furcht. Nun… Sie hätten sich auf etwas versteifen sollen, das man mit Geld bezahlen kann. Weder Mord noch Zerstörung, gleichgültig, in welchem Ausmaß, werden Ihnen Können erkaufen.«
«Alles, was ich wollte, war, Archangel im Derby zu reiten«, erklärte er.
«Einfach so? Einfach aus einer Laune heraus?«
Er drehte sich zu Lancat um und raffte die Zügel zusammen.
«So hat es angefangen«, sagte er undeutlich und ging in Richtung Newmarket davon.
Am folgenden Morgen und an allen anderen Tagen danach kam er zum Stall und ritt die ihm zugewiesenen Pferde. Das Gerücht, daß der Probegalopp stattgefunden habe, machte die Runde, und es kam mir zu Ohren, daß man meinte, ich hätte den Zeitpunkt des Champion-Hürdenrennens gewählt, um die schlechte Form von Pease Pudding diskret verborgen zu halten. Die Eventualquoten gingen in die Höhe, und ich setzte bei einem Kurs von zwanzig zu eins hundert Pfund auf ihn.
Mein Vater wedelte wütend mit der Sporting Life und bestand darauf, daß ich das Pferd vom Rennen zurückzog.
«Setz lieber ein bißchen was auf ihn«, sagte ich.»Ich hab’s auch getan.«
«Du weißt nicht, wovon du sprichst.«
«Doch, das weiß ich.«
«Hier steht. «Er stotterte richtiggehend, so sehr frustrierte es ihn, daß er nicht in der Lage war, aus dem Bett zu springen und mir einen Strich durch die Rechnung zu machen.»Hier steht, es sei ja zu erwarten gewesen, daß der Probegalopp unbefriedigend ausgehen würde. Ohne mich als Trainer.«
«Hab’ ich gelesen«, gab ich zu.»Das ist aber nur eine Vermutung. Er war nicht unbefriedigend, wenn du es wissen willst. Er war sehr vielversprechend.«
«Du bist verrückt«, sagte er laut.»Du ruinierst den Stall. Das werde ich nicht zulassen. Ich lasse es nicht zu, hörst du?«
Er funkelte mich wütend an. Ein heißer, bernsteinfarbener Blick, kein kalter schwarzer. Mal eine Abwechslung.
«Ich schicke Tommy Hoylake zu dir«, sagte ich.»Dann kannst du ihn ja fragen, was er davon hält.«
Drei Tage vor Beginn der Rennsaison kam ich um halb drei ins Büro, um festzustellen, ob Margaret meine Unterschriften unter irgendwelchen Briefen brauchte, bevor sie ihre Kinder von der Schule abholte, und zu meiner Überraschung fand ich Alessandro bei ihr. Er saß auf der Kante ihres Schreibtischs, trug einen marineblauen Trainingsanzug und schwere weiße Laufschuhe, und sein schwarzes Haar hatte sich von der Feuchtigkeit seines Schweißes zu Locken zusammengekraust.
Sie sah ihn mit offensichtlicher Erregung an, und ihr Gesicht war leicht gerötet, als hätte man all ihre Sinne in Brand gesetzt.
Sie sah mich eher als er, da er mit dem Rücken zur Tür saß. Verwirrt wandte sie den Blick von ihm ab, und er drehte sich um, um festzustellen, wer sie gestört hatte.
Auf seinem dünnen, bläßlichen Gesicht lag ein Lächeln. Ein echtes Lächeln, warm und unkompliziert, das die Haut um seine Augen in Falten legte und die Oberlippe anhob, um eine Reihe gesunder Zähne zu entblößen. Zwei Sekunden lang sah ich einen Alessandro, von dem ich nicht geahnt hätte, daß es ihn gab, dann ging das Licht in ihm aus, und die Gesichtsmuskeln ordneten sich nach und nach wieder zu den vertrauten Linien von Wachsamkeit und Verdruß.
Er ließ seinen mageren Körper zu Boden gleiten und wischte sich mit dem Daumen einen Teil des Schweißes weg, der auf seiner Stirn stand und ihm von den Schläfen über die Wangen tröpfelte.
«Ich will wissen, welche Pferde ich diese Woche in Doncaster reiten werde«, sagte er.»Jetzt, da die Saison beginnt, können Sie mir Pferde für die Rennen geben.«
Margaret sah ihn verwundert an, denn er klang ganz so, als sei er der Boß. Ich antwortete ihm auf eine Weise und in einem Tonfall, die sorgsam sowohl Entschuldigung als auch Aggressivität umschifften.
«Wir haben nur eine Nennung in Doncaster, und zwar Pease Pudding im Lincoln am Samstag, und Tommy Hoylake wird ihn reiten«, sagte ich.»Und der Grund, warum wir nur eine Nennung haben«, fuhr ich fort, als ich seinen Zorn über das bemerkte, was er als Manöver zur Vereitelung seiner Pläne betrachtete,»ist, daß mein Vater in der Woche, in der diese Nennungen hätten gemacht werden müssen, einen Autounfall hatte, so daß die Formulare nicht eingereicht wurden.«
«Oh«, sagte er ausdruckslos.
«Trotzdem«, sagte ich,»wäre es eine gute Idee, wenn Sie jeden Tag zu den Rennen gingen, um zu sehen, was da vorgeht, damit Sie nächste Woche keine gravierenden Fehler machen.«
Ich fügte nicht hinzu, daß ich selbst den gleichen Plan hatte. Es gehört sich einfach nicht, dem Gegner all seine Schwächen zu zeigen.
«Sie können am Mittwoch in Catterick auf Pullitzer anfangen«, sagte ich.»Wie es dann weitergeht, liegt in Ihren Händen.«
Ich bemerkte das Aufblitzen einer Drohung in den schwarzen Augen.
«Nein«, sagte er mit ätzender Schärfe in der Stimme.»Das liegt in den Händen meines Vaters.«
Er drehte sich abrupt auf den Fußspitzen um und trottete, ohne zurückzuschauen, aus dem Büro und hinaus auf den Hof, schwenkte nach links und machte sich in einem regelmäßigen Laufschritt die Einfahrt hinauf in Richtung Bury Road auf den Weg. Wir sahen ihm durchs Fenster nach, Margaret mit einem verwirrten Lächeln, und ich mit mehr Besorgnis, als mir lieb war.
«Er ist den ganzen Weg zum Grab des Jungen und zurück gelaufen«, sagte sie.»Er sagt, er habe dreiundvierzigkommafünf Kilo gewogen, bevor er sich heute aufgemacht hat, und er habe zweiundzwanzig Pfund abgenommen, seit er hierhergekommen ist. Das hört sich nach furchtbar viel an, nicht wahr? Zweiundzwanzig Pfund, und das für jemanden, der so schmächtig ist wie er.«
«Enorm«, sagte ich nickend.
«Er ist allerdings sehr stark. Wie Draht.«
«Sie mögen ihn«, sagte ich und ließ diese Bemerkung wie eine Frage in der Luft schweben.
Sie warf mir einen schnellen Blick zu.»Er ist interessant.«
Ich hockte mich auf den Drehstuhl und las die Briefe durch, die sie mir herüberschob. Samt und sonders in knappem, gutem Englisch gehalten und perfekt getippt.
«Wenn wir das Lincoln gewinnen«, sagte ich,»kriegen Sie eine Gehaltserhöhung.«
«Na vielen Dank. «Ein Anflug von Ironie.»Ich höre, die Sporting Life gibt mir da keine große Chance.«
Ich unterzeichnete drei der Briefe und begann, den vierten durchzulesen.»Schaut Alessandro häufiger bei Ihnen rein?«erkundigte ich mich beiläufig.
«War heute das erste Mal.«
«Was wollte er?«fragte ich.
«Ich glaube nicht, daß er irgend etwas Bestimmtes wollte. Er sagte, er sei gerade in der Nähe gewesen und wollte einfach nur mal vorbeikommen.«
«Worüber haben Sie sich unterhalten?«
Die Frage schien sie zu überraschen, aber sie gab mir kommentarlos Antwort.
«Ich habe ihn gefragt, ob es ihm im Forbury Inn gefalle, und er sagte, jawohl, das täte es, und es sei viel komfortabler als irgendein Haus, das sein Vater am Stadtrand von Cambridge gemietet hatte. Er sagte, daß sein Vater das Haus jetzt jedoch ohnehin aufgegeben habe und nach Hause zurückgefahren sei, um irgendwelche Geschäfte zu tätigen. «Sie hielt inne, offensichtlich, um ihre Gedanken noch einmal zurückwandern zu lassen. Die Erinnerung an seine Gesellschaft rief ein Lächeln in ihre Augen, und ich überlegte, daß von dem Haus in Cambridge die Rede gewesen sein mußte, in das die Gummigesichter mich gebracht hatten, und daß es jetzt keinen Sinn mehr hatte, weiter darüber zu spekulieren.
«Ich fragte ihn, ob er schon immer gern geritten sei, und er sagte ja, und ich fragte ihn, welche Ziele er habe, und er sagte, er wolle das Derby gewinnen und Champion-Jockey werden, und ich sagte, daß es noch keinen Lehrling auf der Welt gegeben habe, der das nicht gewollt hätte.«
Ich drehte mich um, um sie anzusehen.»Er sagte, er wolle Champion-Jockey werden?«
«Genau.«
Ich starrte düster hinunter auf meine Schuhe. Das Scharmützel war eine Schlacht gewesen, die Schlacht stand in Gefahr, zum Krieg auszuarten, und nun sah es aus, als könnten die
Feindseligkeiten noch monatelang weitergären. Es schien eine Eskalation in großem Stil bevorzustehen.
«Hat er«, fragte ich,»Sie irgend etwas gefragt?«
«Nein. Zumindest… doch, ich glaube, das hat er getan. «Der Gedanke schien sie zu überraschen.
«Was?«
«Er hat gefragt, ob Ihrem Vater irgendwelche Pferde selbst gehören… Ich habe erzählt, Ihr Vater hätte halbe Anteile an einigen von ihnen, und er wollte wissen, ob ihm irgendwelche Pferde allein gehörten. Ich meinte, Buckram sei da der einzige… und er sagte. «Sie runzelte die Stirn und konzentrierte sich.»Er sagte, er nähme an, das Pferd sei wohl wie die anderen versichert, und ich sagte, nein, eigentlich nicht, weil Mr. Griffon nämlich seine Prämien in diesem Jahr gekürzt hätte, und er solle besser besonders vorsichtig mit ihm sein, wenn er ihn auf der Straße ritt…«Sie klang plötzlich ängstlich.»Es war doch nicht schlimm, daß ich ihm das erzählt habe, oder? Ich meine, ich dachte nicht, daß es ein Geheimnis ist, daß Mr. Griffon Buckram besitzt.«
«Das ist es auch nicht«, sagte ich beschwichtigend.»Er läuft ja auf seinen Namen. Es ist allgemein bekannt, daß er ihm gehört.«
Sie sah erleichtert aus, und das sehnsüchtige Lächeln legte sich wieder um ihre Augen, und ich sagte ihr nicht, daß es die Frage bezüglich der Versicherung war, die mich beunruhigte.
Eine der Firmen, der ich aus ihren Schwierigkeiten geholfen hatte, war auf die Montage elektronischer Ausrüstung spezialisiert. Da sie sich tatsächlich von oben bis unten neu organisiert hatten und ihren Aktionären mittlerweile eitel Freude bereiteten, rief ich ihren Generaldirektor an und bat ihn um Hilfe.
Dringend, sagte ich. Um genau zu sein, heute. Und es war bereits halb vier.
Ein scharfes» Puh«, gefolgt von einigen Zungenschnalzern, und das Angebot kam. Wenn ich Richtung Coventry fahren würde, würde ihr Mr. Wallis in Kettering auf mich warten. Er würde mitbringen, was ich haben wollte, und mir erklären, wie ich es installieren mußte. Ob das wohl reichen würde?
Es würde ganz eindeutig reichen, sagte ich. Und brauchte der Generaldirektor vielleicht zufällig die Hälfte eines Rennpferdes?
Er lachte. Bei der Gehaltskürzung, die anzunehmen ich ihn überredet hatte? Ich mache wohl Witze, sagte er.
Mr. Wallis, ganze neunzehn Jahre alt, empfing mich in einem geschäftsmäßigen Lieferwagen und versuchte, Eindruck mit seinem Fachjargon zu schinden. Er wiederholte die Instruktionen deutlich und zweimal und bezweifelte dann offensichtlich, daß ich sie auch ausführen konnte. Für ihn waren die Eigentümlichkeiten der photoelektrischen Leistung vertrauter Boden, aber er wußte auch, daß sie das für den Durchschnittsdummkopf nicht waren. Er ging die ganze Sache noch einmal durch, um sicherzustellen, daß ich auch verstanden hatte.
«Was für eine Stellung haben Sie bei der Firma?«erkundigte ich mich schließlich.
«Stellvertretender Verkaufsleiter«, sagte er fröhlich.»Und es heißt, das hätte ich Ihnen zu verdanken.«
Nach seinem Vortrag gelang es mir ziemlich mühelos, die Alarmanlage auf Rowley Lodge zu installieren — im wesentlichen eine Photozelle, verbunden mit einem Alarmsummer. Nach Einbruch der Dunkelheit, als alles ruhig war, versteckte ich die notwendige Ultraviolettlichtquelle im Blumenbeet in einem Kübel, der an der Wand der vier Außenboxen stand, und die Zelle selbst verstaute ich zur Tarnung in einem Rosenbusch draußen vorm Büro. Das Kabel ging von dieser Zelle durch das Bürofenster, von dort aus durch die Eingangshalle in das Besitzerzimmer, mit einem Schaltkasten griffbereit unterm Sofa.
Kurz nachdem ich das Ganze zusammengebastelt hatte, kam Etty von ihrem Cottage in den Hof, um ihren gewohnten letzten Blick auf die Pferde zu werfen, bevor sie zu Bett ging, und der Summer schnarrte laut und deutlich los. Zu laut, dachte ich. Ein leiser Eindringling konnte es vielleicht hören. Ich legte ein Kissen darüber, und das gedämpfte Summen hörte sich an wie eine in einer Schublade gefangene Hummel.
Ich stellte den Lärm ab. Als Etty den Hof verließ, ging das Gerät sofort wieder los. Ein Hurra auf den stellvertretenden Verkaufsleiter, dachte ich und schlief ein, den Kopf auf besagtem Kissen.
Nichts.
Um sechs Uhr erhob ich mich mit steifen Gliedern, rollte das Kabel auf, sammelte die Ausrüstung zusammen und verstaute sie in einem Schrank im Besitzerzimmer; und als der erste Pfleger gähnend im Hof erschien, machte ich mich unverzüglich auf den Weg zur Kaffeekanne.
Dienstag nacht wieder nichts.
Mittwoch erwähnte Margaret, daß Susies Freundin zwei Telefongespräche mit der Schweiz vermeldet habe, einen Anruf von Alessandro in die Schweiz und einen für den Chauffeur aus der Schweiz.
Etty, die jetzt, da es bis zum Lincoln nur noch drei Tage waren, nervöser war als je, fauchte die Pfleger an, und Alessandro blieb nach der zweiten Arbeit zurück, um mich zu fragen, ob ich es mir noch einmal überlegt habe und ihn an Stelle von Tommy Hoylake auf Pease Pudding setzen würde.
Wir waren draußen auf dem Hof, überall um uns herum herrschte das übliche Spätvormittagstreiben. Alessandro sah angespannt und hohläugig aus.
«Sie wissen doch, daß ich das nicht kann«, sagte ich vernünftig.
«Mein Vater sagt, ich soll Ihnen ausrichten, daß Sie es einrichten müssen.«
Ich schüttelte langsam den Kopf.»Schon um Ihrer selbst willen nicht. Wenn Sie ihn ritten, würden Sie sich zum Narren machen. Ist es das, was Ihr Vater will?«
«Er sagt, ich muß darauf bestehen. «Er war unerbittlich.
«In Ordnung«, sagte ich.»Sie haben darauf bestanden. Aber Tommy Hoylake wird reiten.«
«Aber Sie müssen tun, was mein Vater sagt«, protestierte er.
Ich lächelte ihn schwach an, antwortete aber nicht, und er schien nicht zu wissen, was er nun sagen sollte.
«Nächste Woche allerdings«, sagte ich sachlich,»können Sie Buckram bei einem Rennen in Aintree reiten. Ich habe ihn dort eigens für Sie genannt. Das letzte Jahr hat er gleich das erste Rennen gewonnen, also müßte er auch diesmal wieder eine gute Chance haben.«
Er sah mich einfach nur an; blinzelte nicht einmal. Falls es etwas zu verraten gab, so verriet er es jedenfalls nicht.
Um drei Uhr am Donnerstagmorgen ging der Summer los, eine Handbreit von meinem Trommelfell entfernt und mit ungeheurem Getöse, so daß ich beinahe vom Sofa fiel. Ich stellte den Lärm ab, stand auf und warf durch das Fenster des Besitzerzimmers einen Blick hinaus auf den Hof.
Draußen bewegte sich ein einzelnes kleines Licht, sehr schwach und auf den Boden gerichtet, geschwind durch die mondlose Nacht. Dann fuhr es, noch während ich zusah, herum, verweilte auf einigen Boxen in Stallgasse vier und heftete sich unerbittlich auf die, in der Buckram untergebracht war.
Hinterhältiger kleiner Bastard, dachte ich. Herauszufinden, welches Pferd er töten konnte, ohne daß der Besitzer großes
Wehgeschrei anstimmte; ein unversichertes Pferd, mit dessen Tod er Rowley Lodge nur um so härter da treffen konnte, wo es finanziell am verwundbarsten war.
Ihm zu sagen, daß Buckram ein Rennen für ihn gewinnen konnte, hatte ihn nicht aufgehalten. Hinterhältiger, herzloser kleiner Bastard…
Ich schlüpfte durch die absichtlich einen Spaltbreit offengelassenen Türen und ging den Hof hinunter. Ich bewegte mich sehr leise auf meinen Gummisohlen. Hörte, wie die Bolzen schnell zurückgezogen wurden und die Türen in ihren Angeln quietschten, und steuerte mit Absichten, die alles andere als menschenfreundlich waren, auf das kleine, zuckende Licht zu.
Keine Zeit zu verschwenden. Ich ließ meine Hand auf den Schalter fahren und überflutete Buckrams Box mit hundert Watt starkem Licht.
Mit einem einzigen Blick erfaßte ich die Spritze, die einen Augenblick lang unentschlossen in der behandschuhten Hand schwebte, und den Knüppel, der direkt hinter der Tür auf dem Stroh lag.
Es war nicht Alessandro. Zu schwer. Zu groß. Die Gestalt, die sich entschlossen mir zuwandte, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, war eins der Gummigesichter.
Mit seinem Gummigesicht.