3

Ein lausiger Tag, und keine Aussicht auf Besserung.

Ich ritt mit dem zweiten Lot auf die Heide und spürte dabei zum ersten Mal im Leben gewisse empfindliche Stellen, von denen ich bisher nicht einmal etwas geahnt hatte. Etty fragte, ob ich Zahnschmerzen hätte. Ich sähe so aus, sagte sie. Irgendwie leidend, sagte sie.

Ich erwiderte, meine Backenzähne seien in bester Kampfform und ob wir nicht langsam mit dem Kantern anfangen wollten. Die Kanter wurden begonnen, betrachtet, begutachtet, wiederholt und diskutiert. Archangel, meinte Etty, würde für das Guineas bereit sein.

Als ich ihr sagte, daß ich selbst als Trainer auf Zeit bleiben wolle, sah sie mich entsetzt an.

«Aber das können Sie nicht.«

«Du nimmst kein Blatt vor den Mund, Etty.«

«Nun, ich meine… Sie kennen die Pferde nicht. «Sie hielt inne und versuchte es noch einmal.»Sie gehen kaum je zur Rennbahn. Sie haben sich nie dafür interessiert, von klein auf. Sie wissen nicht genug darüber.«

«Ich komme schon zurecht«, sagte ich,»wenn du mir hilfst.«

Aber das war nur eine geringfügige Beruhigung für sie, denn sie war nicht eitel und hatte ihre eigenen Fähigkeiten nie überschätzt. Sie wußte, daß sie eine gute Futtermeisterin war. Aber sie wußte auch, daß zum Training viele Dinge gehörten, auf die sie sich nicht so gut verstand. Solche Selbsterkenntnis war selten im Sport der Könige und seltener noch die Fähigkeit, sich damit abzufinden. Auf den Tribünen gab es immer Tausende von Leuten, die es besser wußten.

«Wer wird die Nennungen machen?«fragte sie scharf, und ihre Stimme sagte deutlich, daß ich es nicht konnte.

«Vater kann sie selbst machen, wenn es ihm etwas bessergeht. Er hat jede Menge Zeit.«

Daraufhin nickte sie mit etwas mehr Überzeugung. Das Nennen der Pferde für die richtigen Rennen war die wichtigste Fähigkeit, über die ein Trainer verfügen mußte. Der ganze Erfolg und das Ansehen eines Stalls begannen mit den Nennungsformularen, in denen das Ziel für jedes einzelne Pferd nicht zu hoch gesteckt sein durfte und auch nicht zu niedrig, sondern genau richtig. Der größte Teil des Erfolgs meines Vaters beruhte auf seinem Urteil darüber, wo er ein Pferd nannte und wann er es laufen ließ.

Einer der Zweijährigen tänzelte herum, schlug aus und traf einen anderen Zweijährigen am Knie. Die Pfleger hatten nicht schnell genug reagiert, um sie auseinanderzuhalten, und der zweite Hengst ging lahm. Etty beschimpfte sie kalt und befahl dem zweiten Pfleger, abzusteigen und seinen Schützling nach Hause zu führen.

Ich beobachtete ihn, wie er dem Lot zu Fuß folgte; das Pferd zog bei jedem qualvollen Schritt den Kopf ein. Das Knie würde anschwellen und sich füllen und heiß werden, aber mit ein wenig Glück war es in einigen Tagen wieder in Ordnung. Wenn nicht, würde jemand den Besitzer darüber informieren müssen. Dieser Jemand würde ich sein.

Das ergab ein totes und zwei verletzte Pferde an einem einzigen Morgen. Wenn es in diesem Tempo weiterging, würde es bald keinen Stall mehr geben, der den dicken Mann interessieren konnte.

Als wir zurückkamen, fand ich einen kleinen Streifenwagen in der Einfahrt und einen großen Polizisten im Büro vor. Er saß auf meinem Stuhl, starrte seine Stiefel an und erhob sich entschlossen, als ich durch die Tür trat.

«Mr. Griffon?«»Ja.«

Er kam ohne Umschweife zur Sache.

«Wir haben eine Beschwerde erhalten, Sir, daß eines Ihrer Pferde heute morgen auf der Moulton Road einen Fahrradfahrer umgeworfen hat. Außerdem hat sich eine junge Frau bei uns beklagt, daß selbiges Pferd ihr Leben und das ihrer Kinder gefährdet habe.«

Er war ein Sergeant in Uniform, um die Dreißig, von kräftiger Statur und unerbittlicher Strenge. Er sprach mit der aggressiven Höflichkeit, die bei einigen Polizisten an Grobheit grenzt, und ich schloß daraus, daß seine Sympathie den Klägern galt.

«Wurde der Fahrradfahrer verletzt, Sergeant?«

«Meines Wissens nach hat er sich blaue Flecken zugezogen, Sir.«

«Und sein Fahrrad?«

«Das kann ich nicht sagen, Sir.«

«Glauben Sie, daß eine… ähm… eine außergerichtliche Regelung möglich wäre?«

«Das kann ich nicht sagen, Sir«, wiederholte er kategorisch. Auf seinem Gesicht spiegelte sich genau die negative Einstellung, die keine Sympathie und kein Verständnis zuläßt. Mir kam eines der Axiome, nach denen Russell Arletti lebte, in den Sinn: Hast du dienstlich mit Gewerkschaften, Presse oder Polizei zu tun, versuche niemals, ihre Sympathie zu erringen. Damit weckst du nur Feindseligkeit. Und mach niemals Witze: Sie haben keinen Humor.

Ich erwiderte den Blick des Sergeants mit entsprechender Gleichgültigkeit und fragte, ob er den Namen und die Adresse des Fahrradfahrers habe. Nach nur geringfügigstem Zögern blätterte er ein oder zwei Seiten in seinem Notizbuch weiter und las sie mir vor. Margaret schrieb mit.

«Und die Adresse der jungen Frau?«

Er steuerte auch diese bei. Dann fragte er mich, ob er eine Aussage von Miss Craig bekommen könne, und ich sagte, aber gewiß doch, Sergeant, und führte ihn auf den Hof. Etty unterzog ihn einer schnellen, taxierenden Musterung und beantwortete seine Fragen absolut sachlich. Ich ließ sie allein und kehrte ins Büro zurück, um den Papierkram mit Margaret hinter mich zu bringen, die es vorzog, die Mittagspause durchzuarbeiten, damit sie um drei Uhr gehen und ihre Kinder von der Schule abholen konnte.

«Es fehlen einige Rechnungsbücher«, bemerkte sie.

«Ich habe sie gestern abend mitgenommen«, sagte ich.»Sie sind im Eichenzimmer. Ich hole sie.«

Das Eichenzimmer war still und leer. Ich fragte mich, wie der Sergeant wohl reagieren würde, wenn ich ihn hierherbrächte und ihm erzählte, daß mich gestern nacht zwei gesichtslose Männer niedergeschlagen, gefesselt und mit Gewalt aus meinem Haus verschleppt hatten. Daß sie mich außerdem fast getötet und mich schließlich mit einem Narkosemittel vollgepumpt hatten, bevor sie mich wieder zurückbrachten.

«Ach ja, Sir? Und wollen Sie Anzeige erstatten?«

Ich lächelte flüchtig. Das Ganze schien lächerlich. Der Sergeant würde mich mit einem Maximum an Ungläubigkeit ansehen, und ich würde ihm kaum einen Vorwurf daraus machen können. Lediglich mein desolater Gesundheitszustand und das zerschmetterte Telefon auf dem Schreibtisch verliehen den nächtlichen Ereignissen überhaupt eine gewisse Glaubwürdigkeit.

Der dicke Mann, so überlegte ich, hätte mir eigentlich vom Gang zur Polizei gar nicht abraten müssen. Das erledigte schon der Sergeant für ihn.

Als ich Margaret die Rechnungsbücher zurückbrachte, kam Etty wutschnaubend ins Büro gestürmt.

«Von allen wichtigtuerischen Schwachköpfen.«

«Passiert so etwas oft?«fragte ich.

«Ganz bestimmt nicht«, sagte Etty nachdrücklich.»Es kommt natürlich schon mal vor, daß ein Pferd sich losreißt, aber für gewöhnlich wird dergleichen ohne viel Aufhebens erledigt. Und ich habe diesem alten Mann mit dem Fahrrad gesagt, daß Sie für den Schaden aufkommen würden. Warum er auch noch zur Polizei gehen mußte, ist mir schleierhaft.«

«Ich werde ihn heute abend aufsuchen«, sagte ich.

«Also, der alte Sergeant, Sergeant Chubb«, sagte Etty ungehalten,»der hätte die Sache selbst in die Hand genommen. Der wär’ nicht hierhergekommen, um Aussagen aufzunehmen. Aber der von heute ist ein neuer. Sie haben ihn von Ipswich hierher versetzt, und das scheint ihm nicht zu gefallen. Frisch befördert, würde ich sagen. Ganz erfüllt von seiner eigenen Wichtigkeit.«

«Die Streifen waren neu«, murmelte Margaret zustimmend.

«Wir hatten hier immer gute Beziehungen zur Polizei«, fuhr Etty düster fort.»Ist mir wirklich ein Rätsel, was die sich dabei gedacht haben, uns jemanden herzuschicken, der nicht die geringste Ahnung von Pferden hat.«

Der Dampf war abgelassen. Etty atmete hörbar durch die Nase ein, zuckte mit den Schultern und zauberte ein kleines resigniertes Lächeln hervor.

«Na ja… gibt Schlimmeres auf der Welt.«

Sie hatte sehr blaue Augen und feines braunes Haar, das sich bei feuchtem Wetter kräuselte. Die mittleren Jahre hatten ihre Haut rauh werden lassen, ohne ihr jedoch Falten zu bescheren, und wie die meisten Frauen mit unterentwickeltem Geschlechtstrieb hatten ihre Gesichtszüge etwas Männliches. Sie hatte dünne Lippen und buschige Augenbrauen, die sie sich niemals zupfte, und die Attraktivität ihrer Jugend gab es nur noch in meiner Erinnerung. Etty erschien vielen, die sie beobachteten, als ein trauriger, verbrauchter Mensch, aber an und für sich fand sie Erfüllung in ihrem Beruf und war in ihrer Geschäftigkeit zufrieden.

Sie stapfte in ihren Reithosen und Schaftstiefeln davon, und wir hörten, wie sie mit einem glücklosen Jungen schimpfte, den sie bei einer Schandtat ertappt hatte. Rowley Lodge brauchte Etty Craig. Alessandro Rivera brauchte es so dringend wie ein Loch im Kopf.

Er kam am Spätnachmittag.

Ich war draußen im Hof; es war Abendstallzeit, und ich sah mir die Pferde noch einmal an. Mit Etty neben mir war ich gerade bis in die fünfte Stallgasse gekommen, von wo aus wir um den unteren Hof herumgehen wollten, um uns wieder bis zum Haus hinaufzuarbeiten.

Einer der fünfzehnjährigen Lehrjungen kam nervös auf uns zu, als wir aus einer Box heraustraten und gerade in die nächste hinein wollten.

«Da möchte jemand mit Ihnen sprechen, Sir.«

«Wer?«

«Weiß ich nicht, Sir.«

«Ein Besitzer?«

«Weiß ich nicht, Sir.«

«Wo ist er?«

«Oben in der Einfahrt, Sir.«

Ich schaute über seinen Kopf hinweg. Auf der anderen Seite des Hofs, draußen auf dem Kies, parkte ein großer, weißer Mercedes mit einem uniformierten Chauffeur, der neben der Motorhaube stand.

«Machst du weiter, Etty, ja?«sagte ich.

Ich ging über den Hof und hinauf zur Einfahrt. Der Chauffeur verschränkte die Arme vor der Brust und verkniff die Lippen, wie um sich gegen jede Verbrüderung zu verbarrikadieren. Ich blieb ein paar Schritte von ihm entfernt stehen und schaute in das Innere des Wagens.

Eine der hinteren Türen, diejenige, die mir am nächsten war, öffnete sich. Ein kleiner, schwarzbeschuhter Fuß erschien, dann ein dunkles Hosenbein und schließlich nach und nach der ganze Mann.

Es war mir sofort klar, wer er war, obwohl die Ähnlichkeit mit seinem Vater sich auf den autokratischen Höcker auf der Nase und die steinerne Unerschütterlichkeit in seinen schwarzen Augen beschränkte. Der Sohn war ein wenig kleiner und ausgesprochen mager, nicht dick. Seine Haut war fahl und schien dringend etwas Sonne zu benötigen, und sein dichtes, schwarzes Haar kräuselte sich in elastischen Locken um seine Ohren. Seine ganze Erscheinung war von einer beunruhigenden Reife, und die starre Entschlossenheit seines Mundes hätte einer Stahlfalle Ehre gemacht. Er mochte zwar erst achtzehn Jahre alt sein, aber es war lange her, daß er ein Junge gewesen war.

Ich schätzte, daß seine Stimme wie die seines Vaters sein würde; kategorisch, akzentfrei und argwöhnisch.

Es stimmte.

«Ich bin Rivera«, verkündete er.»Alessandro.«

«Guten Abend«, sagte ich, und es sollte höflich, kühl und unbeeindruckt klingen.

Er blinzelte.

«Rivera«, wiederholte er.»Ich bin Rivera.«

«Ja«, stimmte ich ihm zu.»Guten Abend. «Er sah mich mit wachsender Aufmerksamkeit an. Wenn er erwartet hatte, daß ich vor ihm im Staube kriechen würde, stand ihm eine Enttäuschung bevor. Und meine Haltung mußte ihm ein wenig von dieser Botschaft übermittelt haben, denn er sah plötzlich gelinde überrascht und noch eine Spur arroganter aus.

«Ich höre, Sie haben den Wunsch, Jockey zu werden«, sagte ich.

«Die Absicht.«

Ich nickte lässig.»Niemand hat Erfolg als Jockey ohne Entschlossenheit«, sagte ich und ließ meine Worte herablassend klingen.

Er hörte den Unterton augenblicklich heraus. Er gefiel ihm nicht. Das freute mich. Aber es war nur ein winziger, unbedeutender Widerstand, den ich zeigte, und an seiner Stelle hätte ich ihn lediglich als Beweis frustrierter Kapitulation betrachtet.

«Ich bin gewohnt, Erfolg zu haben«, sagte er.

«Wie überaus erfreulich«, erwiderte ich trocken.

Damit war eine absolute Feindseligkeit zwischen uns besiegelt. Ich spürte förmlich, wie er den Overdrive einlegte, und mir schien, daß er sich geistig darauf einstellte, für sich selbst die Schlacht auszufechten, von der er überzeugt gewesen war, daß sein Vater sie bereits gewonnen hatte.

«Ich werde sofort anfangen«, sagte er.

«Ich bin mitten in der Abendstallzeit«, erwiderte ich sachlich.»Wenn Sie warten wollen, können wir Ihre Angelegenheit besprechen, wenn ich fertig bin. «Ich ließ ihm die Höflichkeit einer Neigung meines Kopfes zuteil werden, die ich auch jedem anderen erwiesen hätte, und ohne darauf zu warten, daß er sein dürftiges Gewicht noch weiter in die Waagschale warf, drehte ich mich gelassen um und ging ohne Hast zurück zu Etty.

Nachdem wir uns methodisch durch den ganzen Stall gearbeitet hatten, wobei wir kurz die Fortschritte eines jeden Pferdes diskutierten und das Arbeitsprogramm für den folgenden Morgen planten, kamen wir schließlich zu den vier Außenboxen, von denen jetzt nur noch drei besetzt waren, während die vierte voll von Moonrocks Abwesenheit war.

Der Mercedes stand noch immer auf dem Kies; Rivera und der Chauffeur waren wieder eingestiegen. Etty sah mit verhaltener Neugier zu ihnen hinüber und fragte, wer sie seien.

«Neuer Kunde«, sagte ich sparsam.

Sie runzelte überrascht die Stirn.»Aber Sie hätten ihn nicht warten lassen sollen!«

«Der da«, versicherte ich ihr mit kläglicher Ironie,»wird nicht weggehen.«

Aber Etty wußte, wie man neue Kunden behandelte, und sie im Wagen warten zu lassen, war nicht das richtige. Sie scheuchte mich durch die letzten drei Boxen und drängte mich ängstlich, zu dem Mercedes zurückzukehren. Morgen würde sie zweifellos nicht mehr so zuvorkommend sein.

Ich öffnete die hintere Tür und sagte zu ihm:»Kommen Sie mit ins Büro.«

Er stieg aus dem Wagen und folgte mir wortlos. Ich stellte den Heizlüfter ein, setzte mich auf Margarets Stuhl hinter dem Schreibtisch und zeigte auf den drehbaren Sessel davor. Er erhob keine Einwände, sondern folgte lediglich meiner Aufforderung.

«Also«, sagte ich mit meiner besten Personalchefstimme,»Sie wollen morgen anfangen.«

«Ja.«

«In welcher Eigenschaft?«

Er zögerte.»Als Jockey.«

«Das geht nicht«, sagte ich vernünftig.»Es finden noch keine Rennen statt. Die Saison beginnt erst in vier Wochen.«

«Das weiß ich«, sagte er steif.

«Was ich meinte, war: Wollen Sie im Stall arbeiten? Wollen Sie sich wie die anderen um zwei Pferde kümmern?«

«Ganz bestimmt nicht.«»Aber was wollen Sie dann?«

«Ich werde die Pferde zwei- oder dreimal am Tag beim Training reiten. Jeden Tag. Ich werde weder ihre Boxen säubern noch ihr Futter schleppen. Ich wünsche lediglich zu reiten.«

Damit würde er sich ungemein beliebt machen, sowohl bei Etty als auch bei den anderen Pflegern. Abgesehen von allem anderen würde ich in Null Komma nichts eine ArbeiterManagement-Konfrontation am Hals haben oder, um es mit einem schlichten, alten Wort auszudrücken, eine Meuterei. Keiner der anderen Pfleger würde die Box eines Pferdes ausmisten und putzen, nur um des Vergnügens willen, Rivera darauf reiten zu sehen.

Alles, was ich sagte, war jedoch:»Wieviel Erfahrung haben Sie bisher sammeln können?«

«Ich kann reiten«, sagte er kategorisch.

«Rennpferde?«

«Ich kann reiten.«

So kamen wir nicht weiter. Ich versuchte es noch einmal.

«Haben Sie jemals irgendein Rennen geritten?«

«Ich habe Amateurrennen geritten.«

«Wo?«

«In Italien und in Deutschland.«

«Schon mal was gewonnen?«

Er warf mir einen finsteren Blick zu.»Ich habe zwei Rennen gewonnen.«

Das war wohl besser als nichts. Zumindest hieß es, daß er oben bleiben konnte. Das Gewinnen an sich hatte in seinem Fall keine Bedeutung. Sein Vater war der Typ, der den Favoriten kaufte und den Gegner lahmlegte.

«Aber Sie wollen das Reiten jetzt zu Ihrem Beruf machen?«

«Ja.«»Dann werde ich eine Lizenz für Sie beantragen.«

«Das kann ich selbst tun.«

Ich schüttelte den Kopf.»Sie benötigen eine Lehrlingslizenz, und die werde ich für Sie beantragen.«

«Ich habe nicht den Wunsch, eine Lehre zu machen.«

Geduldig sagte ich:»Wenn Sie kein Lehrling sind, können Sie keine Gewichtserlaubnis beantragen. In England ist es so, daß bei den Flachrennen nur Lehrlinge eine Gewichtserlaubnis erhalten. Ohne Gewichtserlaubnis werden sich die Besitzer der Pferde energisch jedem Vorschlag widersetzen, Sie reiten zu lassen. Ohne Gewichtserlaubnis können Sie, um genau zu sein, die ganze Idee fallenlassen.«

«Mein Vater…«:, begann er.

«Ihr Vater kann mir drohen, bis er blau im Gesicht ist«, unterbrach ich ihn.»Ich kann die Besitzer nicht zwingen, Sie zu engagieren, ich kann sie nur überreden. Ohne Gewichtserlaubnis werden sie sich nicht überreden lassen.«

Er dachte mit vollkommen ausdrucksloser Miene darüber nach.

«Mein Vater sagte mir, daß jeder eine Lizenz beantragen könne und daß keine Notwendigkeit bestehe, dafür eine Lehre zu absolvieren.«

«Rein technisch gesehen trifft das zu.«

«Aber praktisch tut es das nicht. «Es war eher eine Feststellung als eine Frage: Er hatte eindeutig verstanden, was ich gesagt hatte.

Ich begann, über das Ausmaß seiner Entschlossenheit zu spekulieren. Es erschien durchaus möglich, daß er, wenn er erst den Lehrvertrag gelesen hatte und sah, wozu er sich damit verpflichtete, möglicherweise einfach wieder in sein Auto stieg und davonbrauste. Ich fischte aus einer von Margarets ordentlichen Schreibtischschubladen eine Kopie des gedruckten

Dokuments heraus.

«Sie werden das hier unterschreiben müssen«, sagte ich beiläufig und reichte es ihm hinüber.

Er las es, ohne mit der Wimper zu zucken, und wenn man bedachte, was er da las, war das durchaus bemerkenswert.

Die vertrauten Worte spulten sich vor meinem inneren Auge ab:»… Der Lehrling wird seinem Herrn treu, eifrig und ehrlich dienen und all seinen gesetzmäßigen Befehlen gehorchen und Folge leisten… und wird sich nicht aus dem Dienst seines Herrn entfernen oder irgendwelche Geheimnisse preisgeben, die das Geschäft seines Herrn betreffen… und wird seinem Herrn alle Geldbeträge und alle anderen Dinge ausliefern, die er für geleistete Arbeit erhält… und wird sich in allen Dingen und Angelegenheiten, welche das auch sein mögen, so benehmen und verhalten, wie man es von einem aufrichtigen und treuen Lehrling erwarten kann.«

Er legte das Formular auf den Schreibtisch und sah mich an.

«Das kann ich nicht unterschreiben.«

«Ihr Vater wird es ebenfalls unterschreiben müssen«, stellte ich fest.

«Das wird er nicht.«

«Dann wäre die Sache also erledigt«, sagte ich und lehnte mich entspannt auf meinem Stuhl zurück.

Er warf noch einen Blick auf das Formular.»Die Anwälte meines Vaters werden eine andere Übereinkunft aufsetzen«, sagte er.

Ich zuckte mit den Schultern.»Ohne einen als solchen erkennbaren Lehrvertrag werden Sie keine Lehrlingslizenz bekommen. Dieser Vordruck hier basiert auf dem Lehrvertrag, der seit dem Mittelalter allen Gewerben gemeinsam ist. Wenn Sie seinen Sinn verändern, wird er nicht mehr den Erfordernissen für eine Lizenz genügen.«

Nach einer angespannten Pause sagte er:»Dieser Teil, in dem es um die Aushändigung aller Geldbeträge an den Lehrherrn geht… heißt das, ich müßte Ihnen alles Geld geben, was ich bei den Rennen vielleicht verdiene?«Er klang ungläubig, was mich nicht erstaunte.

«Das heißt es«, stimmte ich ihm zu,»aber heutzutage ist es üblich, daß der Lehrherr dem Lehrling die Hälfte der Renngewinne zurückgibt. Außerdem gibt er ihm natürlich ein wöchentliches Taschengeld.«

«Wenn ich das Derby auf Archangel gewinne, würden Sie die Hälfte bekommen. Die Hälfte des Reitgeldes und die Hälfte des Ehrenpreises?«

«So ist es.«

«Das ist eine Unverschämtheit!«

«Sie müssen das Rennen erst einmal gewinnen, bevor Sie anfangen können, sich darüber Gedanken zu machen«, sagte ich respektlos und sah seine Arroganz aufflackern wie ein Leuchtfeuer.

«Wenn das Pferd gut genug ist, werde ich gewinnen.«

Du machst dir was vor, Bürschchen, dachte ich; und gab ihm keine Antwort.

Er stand abrupt auf, griff nach dem Formular und marschierte ohne ein weiteres Wort hinaus aus dem Büro, hinaus aus dem Haus, hinaus aus dem Hof und hinein in seinen Wagen. Der Mercedes schnurrte mit ihm die Einfahrt hinunter, und ich blieb zurückgelehnt auf Margarets Stuhl sitzen, hoffte, ihn nie wiederzusehen, zuckte angesichts der Heftigkeit meiner beharrlichen Kopfschmerzen zusammen und fragte mich, ob ein dreifacher Brandy meine Gesundheit wohl augenblicklich wiederherstellen würde.

Ich versuchte es.

Es funktionierte nicht.

Am nächsten Morgen war nichts von ihm zu sehen, und der Tag war in jeder Hinsicht besser. Das Knie des Zweijährigen, der den Tritt abbekommen hatte, war wie ein Fußball angeschwollen, aber er trat gut auf, und Lucky Lindsays Schnittwunde war genauso oberflächlich, wie Etty gehofft hatte. Der ältliche Fahrradfahrer hatte am Vorabend meine Entschuldigung und zehn Pfund für seine blauen Flecken angenommen und mir den Eindruck vermittelt, daß wir ihn für eine ähnliche Aufbesserung seines Einkommens jederzeit wieder vom Rad werden durften. Archangel absolvierte auf der Sidehill-Bahn einen halbschnellen Zwölfhundert-Meter-Galopp, und bei mir hatte eine Nacht Schlaf schon einige Falten ausgebügelt. Aber Alessandro Rivera kehrte zurück.

Er rollte in dem chauffeurgesteuerten Mercedes die Einfahrt herauf, gerade als Etty und ich die letzten drei Boxen der Abendstallzeit hinter uns hatten, und sein Timing war so genau, daß ich mich fragte, ob er auf der Bury Road gewartet und uns beobachtet hatte.

Mit einer ruckartigen Kopfbewegung wies ich auf das Büro, und er folgte mir hinein. Ich stellte das Heizgerät an und nahm Platz wie am Abend zuvor; er tat dasselbe.

Aus seiner Innentasche holte er den Lehrlingsvertrag hervor und schob ihn mir über den Schreibtisch zu. Ich nahm ihn, faltete ihn auf und blätterte um.

Es gab keine Veränderungen. Es war der Vertrag in genau der Form, wie er ihn mitgenommen hatte. Es gab jedoch vier Zusätze: Die Unterschriften von Alessandro Rivera und Enzo Rivera mit jeweils einem Zeugen standen genau an den für sie vorgesehenen Stellen.

Ich betrachtete die kühnen, schweren Schwünge der beiden Riveras und die nervösen Züge der Zeugen. Sie hatten das Dokument unterschrieben, ohne eine einzige der leeren Stellen auszufüllen, ohne über die Dauer der Lehrzeit oder den zu zahlenden Wochenlohn auch nur zu diskutieren.

Er beobachtete mich. Ich sah ihm in seine kalten schwarzen Augen.

«Sie und Ihr Vater haben das Dokument unterzeichnet«, sagte ich langsam,»weil Sie nicht die geringste Absicht haben, sich an die Vereinbarungen zu halten.«

Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert.»Denken Sie, was Sie wollen«, sagte er.

Genau das würde ich auch tun. Und was ich dachte, war, daß der Sohn nicht so kriminell war wie sein Vater. Der Sohn hatte die gesetzlichen Verpflichtungen des Lehrvertrages ernst genommen. Sein Vater nicht.

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