8

«Wußten Sie«, sagte Margaret, während sie kurz von ihrer Schreibmaschine aufsah,»daß Alessandro unten an der Straße im Forbury Inn wohnt?«

«Nein, wußte ich nicht«, erwiderte ich.»Aber es überrascht mich nicht. Paßt zu einem Mercedes mit Chauffeur.«

«Er hat ein Doppelzimmer mit eigenem Bad und ißt nicht mal so viel, wie ein Vogel brauchte, um am Leben zu bleiben.«

«Woher wissen Sie das alles?«

«Susie hat gestern eine Schulfreundin zum Tee mitgebracht, und das Mädchen erwies sich als die Tochter der Empfangsdame des Forbury Inn.«

«Sonst noch irgendwelche faszinierenden, intimen Details?«fragte ich.

Sie lächelte.»Alessandro zieht jeden Nachmittag einen Trainingsanzug an, dampft mit dem Wagen ab, und wenn er zurückkommt, ist er vollkommen verschwitzt und nimmt ein sehr heißes Bad mit einem wunderbar wohlriechenden Öl.«

«Die Tochter der Empfangsdame ist wie alt?«

«Sieben.«

«Ein richtiger kleiner Naseweis also.«

«Kinder kriegen immer viel mit… Und sie hat auch gesagt, daß er nie mit jemandem spricht, wenn er es vermeiden kann, außer mit seinem Chauffeur, und dann in einer komischen Sprache.«

«Italienisch«, murmelte ich.

«… und daß niemand ihn besonders mag, weil er ziemlich rüde ist, daß sie aber den Chauffeur noch weniger mögen, weil er noch rüder ist.«

Ich dachte nach.»Glauben Sie«, sagte ich,»daß wir über Ihre Tochter, über deren Schulfreundin, über deren Mutter Empfangsdame herausfinden könnten, ob Alessandro bei der Anmeldung irgendeine Heimatanschrift angegeben hat?«

«Warum fragen Sie ihn nicht einfach?«bemerkte sie vernünftig.

«Tja«, sagte ich.»Unser Alessandro ist manchmal eine Spur widerspenstig. Haben Sie ihn nicht danach gefragt, als Sie seinen Ausbildungsvertrag fertig machten?«

«Er sagte, sie seien am Umziehen, und er hätte keine Adresse.«

«Hm«, nickte ich.

«Wie ungewöhnlich. Ich kann mir nicht vorstellen, warum er sie Ihnen nicht geben sollte. Aber egal, ich werde Susies Freundin fragen, ob sie etwas weiß.«

«Großartig«, sagte ich und gab mich keinen großen Hoffnungen hin.

Gillie wollte nach Rowley Lodge kommen und eine Weile dort bleiben.

«Was ist denn mit den heimatlosen Waisen?«fragte ich.

«Ich könnte mir ein paar Wochen freinehmen. Kann ich immer. Weißt du doch. Und jetzt, da du aufgehört hast, durch sämtliche Industriestädte zu vagabundieren, um ein Hotel nach dem anderen auszuprobieren, könnten wir ein wenig mehr Zeit miteinander verbringen.«

Ich küßte sie auf die Nase. Normalerweise hätte ich ihren Vorschlag gern angenommen. Ich sah sie voller Zuneigung an.

«Nein«, sagte ich.»Nicht ausgerechnet jetzt.«

«Wann denn?«

«Im Sommer.«

Sie schnitt eine Grimasse, und als sie mich ansah, waren ihre Augen voller Verständnis.»Du hast nicht gerne überflüssiges Publikum, wenn du ziemlich tief irgendwo drinsteckst.«

«Du bist kein überflüssiges Publikum«, lächelte ich.

«Ich fürchte doch… Das ist auch der Grund, warum du nie geheiratet hast. Nicht so wie die meisten Junggesellen, die frei sein wollen, um mit jedem verfügbaren Mädchen schlafen zu können, sondern weil du es nicht gern hast, wenn irgend etwas dich ablenkt.«

«Jetzt bin ich bei dir«, bemerkte ich und küßte sie noch einmal.

«Eine Nacht von sieben. Und auch dann nur deshalb, weil du den größten Teil des Wegs schon gemacht hast, um deinen Vater zu besuchen.«

«Meinen Vater besuche ich, weil er auf dem Weg zu dir liegt.«

«Lügner«, sagte sie munter.»Alles, was du sagen kannst, ist, daß du auf diese Weise zwei Mücken mit einer Klappe schlägst.«

«Fliegen.«

«Na gut, dann also Fliegen.«

«Laß uns was essen gehen«, sagte ich, öffnete die Wohnungstür, schloß sie hinter uns und verfrachtete Gillie in den Jensen.

«Wußtest du, daß Aristoteles Onassis, als er achtundzwanzig war, schon eine ganze Million verdient hatte?«

«Nein, wußte ich nicht«, sagte ich.

«Er hat dich geschlagen«, sagte sie.»Um das Vierfache.«

«Er ist auch viermal so männlich wie ich.«

Sie sah mich aus den Augenwinkeln heraus an und schien innerlich zu lächeln.»Vielleicht.«

Wir hielten vor einer roten Ampel und bogen dann nach einer

Kirche nach links ein. Vor der Kirche stand ein Schild mit den Worten:»Diese Dinge sind es, die der Herr haßt: hochmütige Augen, eine falsche Zunge. Sprüche 6, 16–17.«

«Was meinst du denn, welcher Spruch der allerdümmste ist?«fragte sie.

«Ähm… Besser einen Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.«

«Aber warum das denn?«

«Weil man, wenn man eine Taube fangen will, beide Hände frei haben muß.«

«Man könnte sie auch mit einem Täuberich anlocken und den Spatz in der Hand behalten.«

«Du denkst aber wirklich an alles«, sagte ich bewundernd.

«Oh, ich gebe mir Mühe. Ich gebe mir Mühe.«

Wir fuhren hinauf in das Restaurant oben im Postturm und legten während des Dinners dreieinhalb Umdrehungen zurück.

«Heute stand in der Times, daß eine Papierfirma, die du letzten Herbst beraten hast, pleite gemacht habe«, bemerkte sie.

«Nun ja. «Ich grinste.»Sie haben meinen Rat nicht befolgt.«

«Wie dumm von ihnen. Und worin bestand der?«

«Neunzig Prozent des Managements rauszuwerfen, ein paar neue Buchhalter einzustellen und Frieden mit den Gewerkschaften zu schließen.«

«So einfach, wirklich. «Ihre Mundwinkel zuckten.

«Sie haben natürlich gesagt, sie könnten das nicht machen.«

«Und was hast du gesagt?«

«So wisset denn, der Untergang ist nahe.«

«Wie biblisch.«

«Oder jedenfalls etwas in der Art.«

«Denk nur an all die armen Leute, die jetzt keine Arbeit mehr haben«, sagte sie.»Es kann nicht besonders lustig sein, wenn eine Firma pleite geht.«

«Die Firma hatte immer Leute in falschen Größenverhältnissen eingestellt. Letzten Herbst kamen nur noch zwei Beschäftigte in der Produktion auf jeweils einen im Büro, einen in der Geschäftsleitung und einen in der Wartung. Außerdem hatten die Gewerkschaften ihr Veto gegen die Automatisierung eingelegt und darauf bestanden, daß jedesmal wenn ein Arbeiter entlassen wurde, ein anderer für ihn eingestellt werden mußte.«

Sie biß nachdenklich in ihren Pastetentoast.»Hort sich nicht so an, als wären sie überhaupt zu retten gewesen.«

«O doch«, sagte ich nach kurzer Überlegung,»aber ich habe oft den Eindruck, daß die Leute einer Firma lieber das ganze Schiff sinken sehen, als die Hälfte der Crew hinauszuwerfen und sich selbst über Wasser zu halten.«

«Fairer für alle Beteiligten, wenn sie zusammen untergehen?«

«Nur die Firma geht unter. Die Leute schwimmen davon und sorgen dafür, daß sie anderswo ein Floß überlasten.«

Sie leckte sich die Finger.»Früher hast du marode Firmen faszinierend gefunden.«

«Das tue ich immer noch«, sagte ich überrascht.

Sie schüttelte den Kopf.»Das Gespenst der Ernüchterung hat sich eingeschlichen, schon seit geraumer Zeit.«

Ich blickte zurück und dachte nach.»Es ist für gewöhnlich ziemlich einfach, festzustellen, wo der Fehler liegt. Aber wenn man die Dinge in Ordnung bringen will, trifft man oft auf eine Mauer von Widerstand auf beiden Seiten. Es gibt immer Dutzende von Gründen, warum eine Veränderung unmöglich ist.«

«Russell Arletti hat mich gestern angerufen«, sagte sie beiläufig.

«Ach wirklich?«

Sie nickte.»Er wollte, daß ich dich überrede, Newmarket zu verlassen und einen Fall für ihn zu übernehmen. Einen großen, sagte er.«

«Ich kann nicht«, erwiderte ich bestimmt.

«Er führt mich Dienstag abend zum Dinner aus, um, wie er es ausdrückt, zu überlegen, wie wir dich von deinen Hottehüs abbringen können.«

«Sag ihm, er kann sich die Kosten für ein Essen sparen.«

«Hm, nein. «Sie zog die Nase kraus.»Ich könnte bis Dienstag möglicherweise wieder Hunger kriegen. Ich werde mit ihm ausgehen. Ich mag ihn. Aber ich glaube, ich werde den Abend damit verbringen, ihn auf das Schlimmste vorzubereiten.«

«Und was ist das Schlimmste?«

«Daß du überhaupt nie mehr für ihn arbeiten wirst.«

«Gillie.«

«Es war nur eine Phase«, sagte sie und blickte aus dem Fenster auf das Funkeln von Millionen Lichtern, die langsam unter uns dahinglitten.»Du hattest gerade deinen Antiquitätenkram zu. Geld gemacht und nagtest nicht direkt am Hungertuch, als Russell dich mit einer interessanten Abwechslung köderte. Aber du bist der Sache in letzter Zeit überdrüssig geworden. Du warst ruhelos und so voller… ich weiß nicht… so voller Power. Ich glaube, wenn du genug mit den Hottehüs gespielt hast, wirst du zu einem großen Coup ausholen und ein neues Imperium gründen… Viel größer als das letzte.«

«Noch etwas Wein?«erkundigte ich mich ironisch.

«Spotte nur, Neil Griffon — du hast deinen Onassis-Instinkt einrosten lassen.«

«Was nicht das Schlechteste ist.«

«Du könntest Jobs für Tausende von Menschen schaffen, statt in Reithosen durch eine Kleinstadt zu zockeln.«

«In diesem Stall stehen sechs Millionen Pfund«, sagte ich langsam und spürte, wie es manchmal vorkam, wie der Keim einer Idee meine Nerven elektrisierte.

«Woran denkst du?«wollte sie wissen.»Woran denkst du in diesem Augenblick?«

«Wie Ideen entstehen.«

Sie stieß einen Seufzer aus, der halb ein Lachen war.»Und das ist genau der Grund, warum du mich auch niemals heiraten wirst.«

«Wie meinst du das?«

«Du magst das Times-Kreuzworträtsel lieber als Sex.«

«Nicht lieber«, sagte ich.»Davor.«

«Möchtest du, daß ich dich heirate?«

Sie küßte unter der Decke meine Schulter.

«Würdest du’s tun?«

«Ich dachte, du hättest die Nase voll von der Ehe. «Ich ließ meinen Mund über ihre Stirn wandern.»Ich dachte, Jeremy hätte dir das für den Rest deines Lebens ausgetrieben.«

«Er war nicht wie du.«

Er war nicht wie du… Das sagte sie oft. Jedesmal, wenn der Name ihres Mannes fiel. Er war nicht wie du.

Das erste Mal, als sie es sagte — drei Monate, nachdem ich sie kennengelernt hatte —, stellte ich die naheliegende Frage.

«Wie war er denn?«

«Blond, nicht dunkelhaarig. Gertenschlank, nicht stämmig. Ein bißchen größer, einsachtundachtzig. Äußerlich lustiger, innerlich unendlich viel langweiliger. Er wollte weniger eine Frau als ein applaudierendes Publikum… Und ich wurde des Stückes müde. «Sie hielt inne.»Und als dann Jennifer starb.«

Sie hatte noch nie zuvor über ihren Exmann gesprochen, und den Gedanken an ihre Tochter hatte sie immer ängstlich gemieden. Mit bedachtsam emotionsloser, leiser Stimme fuhr sie fort, halb abgedämpft durch meine Haut.

«Jennifer wurde vor meinen Augen getötet. von einem jungen Motorradfahrer in Lederjacke. Wir überquerten die Straße. Er kam um die Ecke gedonnert, mit hundert Sachen in einem Wohnviertel. Er ist einfach… in sie hineingerast…«Eine lange, bebende Pause.»Sie war acht… und einfach toll. «Sie schluckte.»Der Junge hatte keine Versicherung. Jeremy hat getobt deswegen, als wäre Geld eine Entschädigung gewesen… Zudem brauchten wir es nicht, er hatte fast genausoviel geerbt wie ich. «Noch eine Pause.»Nun ja, als er danach eine andere fand und sich davonmachte, war ich froh, wirklich.«

Zwar hatte die Zeit die Wunde einigermaßen geheilt, doch träumte sie immer noch von Jennifer. Manchmal weinte sie, wenn sie aufwachte, weinte um Jennifer.

Ich strich ihr mit der Hand über ihr glänzendes Haar.»Ich würde einen lausigen Ehemann abgeben.«

«Oh…«Sie holte zitternd Luft.»Das weiß ich. Zweieinhalb Jahre kenne ich dich jetzt, und du schneist jedes Jahrtausend oder so kurz rein, um hallo zu sagen.«

«Aber ich bin eine ganze Weile geblieben.«

«Zugegeben.«

«Was willst du also?«fragte ich.»Möchtest du lieber verheiratet sein?«

Sie lächelte zufrieden.»Wir machen weiter wie zuvor… Wenn du magst.«

«Ich mag. «Ich knipste das Licht aus.

«Solange du ab und zu mal beweist, daß du mich magst«, fügte sie überflüssigerweise hinzu.

«Ich würde niemand anderem erlauben«, sagte ich,»in meinem Schlafzimmer Gardinen in Pink und Grün vor ockerfarbene Wände zu hängen.«»Mein Schlafzimmer. Ich hab’s gemietet.«

«Du bist im Rückstand. Um mindestens achtzehn Monate.«

«Ich werde morgen bezahlen. He, was machst du da?«

«Ich bin Geschäftsmann«, murmelte ich.»Und komme jetzt zur Sache.«

Neville Knollys Griffon machte es mir nicht leicht, eine neue Ära in der Vater-Sohn-Beziehung einzuläuten.

Er erklärte mir, daß er, da ich keine großen Fortschritte bei der Suche nach einem Ersatzmann für den Stall zu machen schien, nun selbst die Sache in die Hand nehme. Per Telefon.

Er sagte, er habe einige Nennungen für die nächsten zwei Wochen gemacht und Margaret solle sie abtippen und wegschicken.

Er sagte, daß Pease Pudding aus dem Lincoln herausgenommen werden solle.

Er sagte, daß ich ihm die vierundsechziger Flaschen von dem Bollinger gebracht hätte, er ziehe aber die einundsechziger vor.

«Es geht dir also wieder besser«, sagte ich in die erste wirkliche Lücke seines Monologs hinein.

«Was? O ja, ich denke schon. Also, hast du gehört, was ich gesagt habe? Pease Pudding wird nicht im Lincoln starten.«

«Aber warum denn nicht?«

Er warf mir einen gereizten Blick zu.»Wie um alles in der Welt soll er denn bis dahin fit sein?«

«Etty hat ein gutes Urteil. Sie sagt, er sei soweit.«

«Ich werde nicht zulassen, daß Rowley Lodge sich lächerlich macht, indem es Pferde in hoffnungslos schlechter Form in wichtigen Rennen laufen läßt.«

«Wenn Pease Pudding schlecht läuft, werden die Leute das als Beweis dafür nehmen, was für ein guter Trainer du bist und daß es ohne dich eben doch nicht geht.«

«Darum geht es nicht«, sagte er despotisch.

Ich öffnete eine der halben Flaschen und goß die goldenen Bläschen in sein Lieblingsglas aus der Zeit Jakobs des Ersten, das ich zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Champagner aus einem Zahnputzglas hätte ihm nicht richtig geschmeckt. Er nahm einen Schluck und fand den Vierundsechziger wohl doch erträglich, obwohl er das nicht sagte.

«Worum es geht«, erklärte er mir, als spräche er mit einem Schwachsinnigen,»sind die Deckgelder. Wenn er schlecht läuft, wird sich das auf seinen zukünftigen Wert als Zuchthengst niederschlagen.«

«Ja, das verstehe ich.«

«Tu nicht so, das kannst du nicht. Du hast keine Ahnung von der Sache.«

Ich setzte mich auf den Besucherstuhl, lehnte mich zurück, schlug die Beine übereinander und legte in meine Stimme all das Gewicht und die kalte Logik, die ich zwar bei Geschäftsbesprechungen zu nutzen gelernt hatte, die bei meinem Vater anzuwenden mir bisher jedoch nie eingefallen war.

«Rowley Lodge steuert auf einige finanzielle Klippen zu«, sagte ich,»und der Grund dafür ist zuviel Prestigedenken. Du hast Angst, Pease Pudding im Lincoln laufen zu lassen, weil du einen halben Anteil an ihm besitzt, und wenn er schlecht läuft, geht es nicht nur um Lady Vectors Kapitalanlage, sondern auch um deine eigene.«

Er verschüttete ein wenig Champagner auf seine Decke und bemerkte es nicht einmal.

Ich ließ mich nicht aufhalten:»Ich weiß, daß es ziemlich normal für einen Trainer ist, Anteile an Pferden zu besitzen, die er trainiert. Auf Rowley Lodge gehören dir im Augenblick jedoch weit mehr Anteile als gut ist. Ich nehme an, du hast so viele davon angesammelt, weil du es nicht ertragen konntest zuzusehen, wie Konkurrenzställe das einkauften, was du für die nächste Generation großer Champions hieltest, so daß du wahrscheinlich zu deinen Besitzern Dinge gesagt hast wie: >Wenn Archangel bei der Auktion für vierzigtausend weggeht und das zuviel für Sie ist, kann ich mich mit zwanzigtausend beteiligend Auf diese Weise hast du eines der größten Lots im Land zusammenbekommen, und der potentielle Zuchtwert deines Stalls ist gewaltig.«

Er sah mich ausdruckslos an und vergaß weiterzutrinken.

«Das ist ja ganz schön und gut«, sagte ich,»solange die Pferde wirklich wie erwartet siegen. Und das tun sie auch, Jahr um Jahr. Du hast diese Politik über eine lange Zeit hinweg sehr moderat betrieben und bist auf diese Weise beständig reicher geworden. Aber jetzt, in diesem Jahr, hast du dich übernommen. Du hast zu viele gekauft. Da alle Anteilseigner auch nur einen Teil der Trainingsgebühren bezahlen, decken die Einnahmen nicht mehr die Ausgaben. Nicht im geringsten. Das Ergebnis ist, daß das Barguthaben auf der Bank dahinschwindet wie Badewasser — und es sind immer noch drei Wochen bis zum ersten Rennen —, und es gibt keine Möglichkeit, die erfolglosen Tiere zur Zucht weiterzuverkaufen. Diese prekäre Situation wird noch kompliziert durch dein gebrochenes Bein und den Umstand, daß dein Assistent immer noch in einem Koma liegt, aus dem er wahrscheinlich nicht mehr erwachen wird, und daß ferner dein Stall in den Händen eines Sohnes zu stagnieren scheint, der nicht weiß, wie man Pferde trainiert; und all das ist der Grund, warum du eine Heidenangst hast, Pease Pudding im Lincoln laufen zu lassen.«

Ich hielt inne, um auf seine Reaktion zu warten. Es kam keine. Nur schockiertes Schweigen.

«Im großen und ganzen kannst du aufhören, dir Sorgen zu machen«, sagte ich und wußte, daß die Dinge zwischen uns nie wieder sein würden, wie sie gewesen waren. Vierunddreißig, dachte ich kläglich; mußte ich vierunddreißig werden, bevor ich diese Arena als Gleichgestellter betreten konnte?» Ich könnte deinen halben Anteil an Pease Pudding vor dem Rennen verkaufen.«

Langsam begannen sich unsichtbare Räder hinter seinen Augen zu drehen. Er blinzelte. Starrte auf seinen fast aus dem Glas laufenden Champagner und korrigierte diese Nachlässigkeit. Verkniff den Mund; ein Anklang an seinen alten Despotismus.

«Woher… woher weißt du das alles?«In seiner Stimme lag mehr Ärger als Angst.

«Ich habe mir die Rechnungsbücher angesehen.«

«Nein… ich meine, wer hat es dir erzählt?«

«Das brauchte mir niemand zu erzählen. In den letzten sechs Jahren war es mein Job, Geschäftsbücher zu lesen und Zahlen zusammenzurechnen.«

Er erholte sich immerhin so weit, daß er einige wohlüberlegte Schlucke nehmen konnte.

«Zumindest verstehst du jetzt, warum es zwingend ist, daß ein erfahrener Trainer den Stall übernimmt, bis ich wieder auf den Beinen bin.«

«Das ist nicht nötig«, sagte ich unbedacht.»Ich bin jetzt seit drei Wochen da.«

«Und glaubst du, daß man in drei Wochen lernt, wie man Rennpferde trainiert?«fragte er mit neu entfachter Verachtung.

«Da du schon fragst«, sagte ich,»ja. «Und bevor er dunkelrot anlaufen konnte, fügte ich hinzu:»Ich bin da hineingeboren, wie du dich vielleicht erinnerst… Ich bin dort aufgewachsen. Und sehr zu meiner Überraschung stelle ich fest, daß es mir zur zweiten Natur geworden ist.«

Diese Bemerkung betrachtete er eher als Drohung denn als Beruhigung.»Du wirst nicht bleiben, wenn ich zurückkomme.«»Nein. «Ich lächelte.»Ganz bestimmt nicht.«

Er knurrte. Zögerte. Gab nach. Er sagte mit keinem Wort, daß ich weitermachen durfte, er ignorierte von da an einfach das ganze Thema.

«Ich will meine Hälfte von Pease Pudding nicht verkaufen.«

«Dann mach eine Liste von denen, die du zu verkaufen bereit bist«, sagte ich.»Sagen wir zehn für den Anfang.«

«Und was glaubst du, wer sie kaufen wird? Neue Besitzer wachsen nicht auf Bäumen, weißt du. Und halbe Anteile sind schwerer zu verkaufen. Besitzer sehen gerne ihren Namen in den Rennprogrammen und in der Zeitung.«

«Ich kenne eine Menge Geschäftsleute«, sagte ich,»die sich freuen würden, ein Rennpferd zu besitzen, die aber jede Publicity scheuen. Du suchst zehn Pferde aus, und ich verkaufe deine halben Anteile.«

Er sagte nicht, daß er es tun würde, aber er tat es, gleich an Ort und Stelle. Ich ließ meinen Blick über die fertige Liste gleiten und sah nur einen Fall, in dem ich anderer Meinung war.

«Du solltest Lancat nicht verkaufen«, sagte ich.

Er stellte die Nackenhaare auf.»Ich weiß, was ich tue.«

«Er wird als Dreijähriger ziemlich gut sein«, sagte ich.»Den Rennberichten habe ich entnommen, daß er mit zwei nicht gerade umwerfend war, und wenn du ihn jetzt verkaufst, wirst du nicht reinholen, was du bezahlt hast. Er sieht sehr gut aus, und ich glaube, er wird ganz schön was gewinnen.«

«Blödsinn. Du weißt nicht, wovon du sprichst.«

«Na schön… Wieviel würdest du für deine Hälfte haben wollen?«

Er schürzte die Lippen und dachte darüber nach.»Viertausend. Du solltest eigentlich in der Lage sein, vier für ihn zu bekommen, bei seiner Abstammung. Als Jährling hat er insgesamt zwölf gekostet.«»Du solltest besser deine Preisvorstellungen für alle Tiere notieren«, sagte ich.»Wenn es dir nichts ausmacht.«

Es machte ihm nichts aus. Ich faltete die Liste zusammen, steckte sie in die Tasche, griff nach den Nennungsformularen, die er ausgefüllt hatte, und wollte aufbrechen. Er hielt mir sein Champagnerglas hin, leer.

«Trink was davon… Ich schaffe die Flasche nicht ganz.«

Ich nahm das Glas, schenkte nach und trank einen Schluck. Die Bläschen sprudelten um meine Zähne. Er sah zu. Sein Gesichtsausdruck war so streng wie immer, aber er nickte, zweimal und mit Nachdruck. Keine so symbolische Geste wie eine Friedenspfeife, aber auf ihre Art eine genauso große Anerkennung.

Am Montagmorgen, während sie munter auf der Schreibmaschine herumklapperte, sagte Margaret:»Die Mama von Susies Freundin sagt, sie hätte rein zufällig Alessandros Paß gesehen.«

«Der rein zufällig«, erwiderte ich trocken,»gut versteckt in Alessandros Zimmer lag.«

«Wir wollen ja dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen.«

«Wollen wir nicht«, pflichtete ich ihr bei.

«Die Mama von Susies Freundin sagt, die Adresse im Paß liege nicht in Italien, sondern in der Schweiz. Einem Dorf namens Castagnola. Hilft Ihnen das weiter?«

«Ich hoffe, die Mama von Susies Freundin wird nicht ihren Job verlieren.«

«Wohl kaum«, sagte Margaret.»Sie hüpft zum Direktor ins Bett, wenn seine Frau nach Cambridge zum Einkaufen fährt.«

«Woher wissen Sie das?«

Ihre Augen lachten.»Von Susies Freundin.«

Ich telefonierte mit einem Kameraimporteur, der mir einen Gefallen schuldete, und fragte ihn, ob er irgendwelche Kontakte mit Castagnola habe.

«Nicht persönlich. Aber ich könnte einen Kontakt herstellen, wenn es wichtig ist.«

«Ich möchte alle Informationen über einen Mann namens Enzo Rivera, die man dort nur irgendwie ausgraben kann. So viele Informationen wie möglich.«

Er schrieb sich den Namen auf und buchstabierte ihn noch einmal.»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte er.

Zwei Tage später rief er an und klang ziemlich gedämpft.

«Ich werde Ihnen eine astronomische Rechnung für Ferngespräche mit dem Kontinent schicken.«

«Geht klar.«

«Eine gewaltige Menge von Leuten wollte nicht über Ihren Mann reden. Ich bin auf ein ungewöhnlich großes Maß an Widerstand gestoßen.«

«Er gehört also zur Mafia?«fragte ich.

«Wie man’s nimmt. Um genau zu sein, sind er und andere Mafiosi sich nicht grün. Sprechen nicht miteinander — höchstens mit Messern und Pistolen. Aber es scheint eine Art Waffenstillstand zwischen ihnen zu herrschen. «Er hielt inne.

«Nur weiter«, ermunterte ich ihn.

«Tja… Wenn ich die Sache richtig verstanden habe — und das würde ich nicht beschwören —, ist er eine Art Empfänger von gestohlenem Eigentum. Das meiste davon in Form von Devisen, aber es ist auch die Rede von Gold und Silber und von kostbaren Steinen aus zusammengeschmolzenen Schmuckstücken. Ich habe gehört — diese Information kommt aus dritter Hand von einem hohen Tier bei der Polizei, also können Sie es glauben oder nicht —, daß Rivera das Zeug nimmt, verkauft oder tauscht, eine große Provision kassiert und den Rest auf Schweizer Konten einzahlt, die er für seine Klienten eröffnet. Diese Leute können ihr Geld holen, wann immer sie wollen… und man nimmt an, daß er beinahe weltweite Beziehungen hat. Das Ganze tarnt er mit scheinbar legalen Geschäften als Uhrenhändler. Es ist bisher nie gelungen, ihn vor Gericht zu bringen. Man kann einfach keine Zeugen finden, die gegen ihn aussagen.«

«Sie sind ein Genie«, sagte ich.

«Da wäre noch etwas. «Er räusperte sich.»Er hat, wie es scheint, einen Sohn, dem sich niemand freiwillig in den Weg stellt. Rivera ist bekannt dafür, daß er alle Leute ruiniert, die nicht auf der Stelle tun, was der Sohn will. Er hat nur dieses eine Kind. Man sagt, er habe seine Frau verlassen… Na ja, das tun viele Italiener.«

«Er ist also Italiener?«

«Von Geburt, ja. Er lebt jetzt allerdings seit fünfzehn Jahren in der Schweiz. Also, ich weiß ja nicht, ob Sie vorhaben, Geschäfte mit ihm zu machen, aber mehrere Leute haben mich unmißverständlich davor gewarnt, mich mit ihm einzulassen. Sie sagen, er sei gefährlich. Sie sagen, wenn man sich mit ihm anlegt, wache man eines Morgens tot auf. Entweder das oder… tja, ich weiß, Sie werden darüber lachen… aber es gibt eine Art Aberglauben, daß er einen nur anzusehen braucht, und man bricht sich einen Knochen.«

Ich lachte nicht. Nicht einen Gluckser.

Fast sofort nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, klingelte das Telefon wieder.

Dainsee.

«Ich habe Ihre Röntgenbilder vor mir liegen«, sagte er.»Aber sie sind wenig aufschlußreich, fürchte ich. Es sieht nach einer ziemlich normalen Fraktur aus. Wir haben da ein gewisses Maß an Längssplitterung, aber das ist beim Röhrbein ziemlich häufig so.«

«Was wäre die einfachste Art, wenn man einen Knochen absichtlich brechen will?«fragte ich.

«Man müßte ihn verdrehen«, erwiderte er prompt.»Ihn unter Spannung setzen. Ein Knochen unter Spannung würde ziemlich leicht brechen, wenn man ihm einen Schlag versetzt. Fragen Sie mal einen Fußballer oder einen Eisläufer. Spannung, das ist der springende Punkt.«

«Aber Spannung kann man auf den Röntgenbildern nicht sehen.«

«Ich fürchte nicht. Man kann’s allerdings nicht ausklammern. Einklammern aber auch nicht. Tut mir leid.«

«Kann man nichts machen.«

«Aber die Blutprobe«, sagte er.»Ich habe die Ergebnisse bekommen, und da haben Sie ins Schwarze getroffen.«

«Narkosemittel?«

«Jawohl. Irgendeine Sorte Promazin. Sparin wahrscheinlich.«

«Das macht mich nicht klüger«, sagte ich.»Wie würde man es einem Pferd verabreichen?«

«Injektion«, antwortete Dainsee, ohne zu zögern.»Eine sehr einfache intramuskuläre Injektion, nichts Schwieriges. Man stößt die Nadel einfach irgendwo rein, wo’s bequem ist. Dieses Mittel wird oft tobsüchtigen Patienten in Nervenkliniken gespritzt, wenn sie einen Anfall haben. Setzt sie für Stunden außer Gefecht.«

Irgend etwas am Wort Promazin klang höchst vertraut in meinen Ohren.

«Wirkt das Zeug sofort?«fragte ich.

«Wenn man es intravenös verabreicht, ja. Aber intramuskulär — und dafür ist es eigentlich gedacht — würde es wahrscheinlich einige Minuten dauern, zehn bis fünfzehn bei einem Menschen; weiß nicht, wie lange bei einem Pferd.«

«Wenn man es einem Menschen injiziert, könnte man das auch durch die Kleider hindurch tun?«

«Na klar. Wie ich schon sagte. Es wird in Nervenkliniken als Notbremse benutzt. Man kann einen Tobsüchtigen nicht dazu bewegen, sich schön ruhig hinzusetzen und den Ärmel aufzurollen.«

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