12

«Ich möchte, daß Sie mich in meinem Wagen zu den Rennen begleiten«, sagte ich am Mittwochmorgen zu Alessandro, als er zum ersten Lot erschien.»Geben Sie Carlo einen Tag frei.«

Er sah zweifelnd zu Carlo hinüber, der wie gewöhnlich im Mercedes saß und mit wachsamen Augen den Hof betrachtete.

«Er sagt, ich rede zuviel mit Ihnen. Er wird nicht damit einverstanden sein.«

Ich zuckte mit den Schultern.»Na schön«, sagte ich und ging davon, um auf Cloud Cuckoo-land zu steigen. Wir brachten das Lot runter nach Water Hall, wo Alessandro sowohl auf Buckram als auch auf Lancat einen Spritzer ritt, und Etty meinte widerwillig, daß beide Pferde gut für ihn zu laufen schienen. Auch die etwa dreißig anderen Pferde, die wir mitgenommen hatten, schienen sich nicht allzu schlecht zu halten, und der Lincoln-Erfolg machte sich noch immer in grinsenden Mienen und guter Laune bemerkbar. Der ganze Stall war in dieser Woche zum Leben erwacht.

Pullitzer war kurze Zeit zuvor in einem der kleineren Transporter des Stalls nach Catterick gebracht worden, begleitet von seinem eigenen Pfleger und dem Reisefuttermeister Vic Young, der die Pflege der Pferde überwachte, wenn sie nicht zu Hause waren. Vic war Ettys Stellvertreter, ein ideenreicher, pfiffiger Londoner, der in mittleren Jahren zu schwer für die meisten der jungen Stallbewohner geworden war; aber sein Gewicht kam ihm gut zustatten, wenn es darum ging, es in die Waagschale zu werfen. Er verstand sich bestens darauf, zu bekommen, was er haben wollte, und es war einfach Glück, daß das, was er wollte, für gewöhnlich zum Besten des Stalls war. Wie alle wirklich guten älteren Pfleger war er von ganzem Herzen parteiisch.

Als ich, nachdem ich mich umgezogen hatte, wieder hinausging, um zum Rennen zu fahren, entdeckte ich Alessandro neben dem Jensen, während Carlo sechs Fuß weiter weg mit wütendem Gesicht im Mercedes saß.

«Ich werde mit Ihnen fahren«, verkündete Alessandro entschlossen.»Aber Carlo wird uns folgen.«

«Schön«, erwiderte ich nickend.

Ich ließ mich auf den Fahrersitz gleiten und wartete, bis er neben mir einstieg. Dann ließ ich den Motor an, fuhr die Einfahrt hinunter und bog mit Carlo als Geleitschutz auf die Straße ein.

«Mein Vater hat ihm befohlen, mich überall hinzufahren…«:, erklärte Alessandro.

«Und er verspürt kein Verlangen, sich Ihrem Vater zu widersetzen«, beendete ich den Satz für ihn.

«Das stimmt. Mein Vater hat ihm außerdem befohlen, darauf aufzupassen, daß mir nichts passiert.«

Ich sah ihn aus den Augenwinkeln an.

«Glauben Sie, es könnte Ihnen etwas passieren?«

«Niemand würde es wagen, mir etwas zu tun«, sagte er einfach.

«Es hängt wohl davon ab, was auf dem Spiel steht«, sagte ich, während wir Newmarket immer weiter hinter uns ließen.

«Aber mein Vater.«

«Ich weiß«, sagte ich.»Ich weiß. Und ich habe nicht den Wunsch, Ihnen etwas anzutun. Nicht im geringsten.«

Alessandro ließ sich zufrieden in seinen Sitz sinken, aber ich überlegte, daß ein Hebel in zwei Richtungen betätigt werden konnte, und im Gegensatz zu mir hatte Enzo jemanden, um dessentwillen er gezwungen werden konnte, Dinge zu tun, die ihm gegen den Strich gingen. Angenommen, ich würde Alessandro entführen, tagträumte ich müßig vor mich hin, und ihn bequem im Keller der Wohnung in Hampstead einsperren. Auf diese Weise hätte ich Enzo am Schlafittchen und könnte ihm eine hübsche kleine Lektion in» Wie du mir, so ich dir «erteilen.

Ich seufzte kurz. Zu viele Schwierigkeiten auf diesem Feld. Und da alles, was ich von Enzo wollte, darin bestand, ihn mir von meinem Buckel und aus meinem Leben zu schaffen, bevor mein Vater aus dem Krankenhaus kam, erschien mir eine Entführung Alessandros nicht der schnellste Weg zum Ziel zu sein. Wahrscheinlich eher der schnellste Weg zur Auflösung von Rowley Lodge. Trotzdem schade.

Alessandro fieberte ungeduldig dem Ende der Fahrt entgegen, war aber sonst gelassener, als ich erwartet hatte. Angefangen bei der arroganten Haltung seines Kopfes bis hin zu den schlanken Händen auf seinen Knien, die sich immer wieder zu Fäusten ballten, sprach Entschlossenheit aus jeder Faser seines Körpers.

Ich wich einem entgegenkommenden Öltransporter aus, dessen Fahrer sich in Frankreich zu wähnen schien, und sagte beiläufig:»Sie sollten den anderen Lehrlingen keine

Vergeltungsmaßnahmen androhen, wenn nicht alles nach Ihrer Nase geht. Das ist Ihnen doch klar?«

Er sah mich beinahe verletzt an.»So etwas werde ich nicht tun.«

«Die Macht der Gewohnheit«, sagte ich ohne zu werten,»neigt dazu, in Augenblicken der Anspannung ihren häßlichen Kopf zu heben.«

«Ich werde reiten, um zu gewinnen«, versicherte er mir.

«Ja… aber vergessen Sie nicht, daß, wenn Sie gewinnen, weil Sie irgend jemand anders aus dem Weg schaffen, die Rennleitung Ihnen das Rennen wegnehmen wird, und dann haben Sie nichts erreicht.«

«Ich werde vorsichtig sein«, sagte er mit hochgerecktem Kinn.

«Mehr ist auch nicht nötig«, bestätigte ich.»Auch Großzügigkeit zum Beispiel nicht.«

Er sah mich argwöhnisch an.»Ich weiß nie so recht, wann Sie einen Witz machen.«

«Meistens«, antwortete ich.

Wir fuhren immer weiter nach Norden.

«Ist es Ihrem Vater nie in den Sinn gekommen, Ihnen einen Derby-Kandidaten zu kaufen, statt Sie mit Gewalt in Rowley Lodge zu installieren?«erkundigte ich mich im Plauderton, während wir an Wetherby vorbeisausten.

Er sah mich an, als sei diese Möglichkeit etwas ganz Neues für ihn.»Nein«, sagte er.»Es war Archangel, den ich reiten wollte. Den Favoriten. Ich wollte das Derby gewinnen, und Archangel ist der Beste. Und alles Geld in der Schweiz würde nicht reichen, um Archangel zu kaufen.«

Das stimmte, denn der Hengst gehörte einem großen Sportsmann, einem achtzigjährigen Bankier, dessen lebenslänglicher Ehrgeiz es gewesen war, das große Rennen zu gewinnen. Seine Pferde waren dort in den vergangenen Jahren als Zweite oder Dritte eingelaufen, und er hatte jedes andere wichtige Rennen im Rennkalender gewonnen, aber der absolute Triumph war ihm immer verwehrt geblieben. Archangel war das beste Pferd, das er je besessen hatte, und seine Zeit wurde langsam knapp.

«Außerdem«, fügte Alessandro hinzu,»gibt mein Vater kein Geld für etwas aus, das er genausogut mit einer Drohung erreichen kann.«

Wie gewöhnlich, wenn er von dem modus operandi seines Vaters sprach, betrachtete er das, was er sagte, als selbstverständlich und empfand seine Worte nichts als logisch.

«Denken Sie jemals objektiv über Ihren Vater nach?«fragte ich.»Darüber, wie er seine Ziele erreicht, und darüber, ob diese Ziele an sich in irgendeiner Hinsicht ehrenwert sind?«

Er sah mich verwirrt an.»Nein…«:, erwiderte er unsicher.

«Wo sind Sie übrigens zur Schule gegangen?«fragte ich, um es mal mit etwas anderem zu versuchen.

«Ich bin nicht zur Schule gegangen«, sagte er.»Ich hatte zwei Lehrer zu Hause. Ich wollte nicht zur Schule. Ich wollte mich nicht herumkommandieren lassen und den ganzen Tag arbeiten müssen.«

«Also haben Ihre beiden Lehrer viel Zeit mit Däumchendrehen verbracht?«

«Däumchen…? O ja, ich denke schon. Der englische Lehrer ist für gewöhnlich einfach verschwunden, um auf irgendwelche Berge zu klettern, und der italienische war hinter den einheimischen Mädchen her. «In seiner Stimme lag jedoch kein Humor. Das tat es nie.»Sie sind beide gegangen, als ich fünfzehn war. Sie sind gegangen, weil ich den ganzen Tag über meine beiden Pferde ritt und mein Vater meinte, es habe keinen Sinn, zwei Hauslehrer statt eines Reitlehrers zu bezahlen… Also hat er einen alten Franzosen eingestellt, der Ausbilder bei der Kavallerie gewesen war, und dieser Mann hat mir beigebracht, besser zu reiten. Ich war auch viel bei einem Bekannten meines Vaters, und auf seinen Pferden bin ich oft zur Jagd geritten… Bei diesen Gelegenheiten habe ich auch einige Rennen gewonnen. Vier oder fünf. Es gab nicht viele Gelegenheiten für Amateure. Es hat mir gefallen, aber es war ganz anders als jetzt… Und dann, als ich eines Tages zu Hause sagte, ich hätte Langeweile, meinte mein Vater, na schön, Alessandro, sag, was du dir wünschst, und ich werde es dir beschaffen, und plötzlich kam mir Archangel in den Sinn, und ich habe einfach gesagt, einfach so, ohne richtig nachzudenken: >Ich möchte das Englische Derby auf Archangel gewinnen…< Und er hat nur gelacht, wie er’s manchmal tut, und gesagt, das sei kein Problem.«

Er hielt inne.»Ich habe ihn natürlich gefragt, ob er das ernst meinte, denn je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr wurde mir klar, daß es nichts auf der Welt gab, was ich lieber wollte. Nichts auf der Welt. Er hat immer wieder gesagt, alles zu seiner Zeit, aber ich brannte darauf, endlich nach England zu kommen und anzufangen, und als er dann irgendwelche Geschäfte erledigt hatte, kamen wir.«

Ungefähr zum zehnten Mal drehte er sich auf seinem Sitz um, um durchs Rückfenster zu blicken. Carlo war immer noch da und folgte uns getreulich.

«Morgen«, sagte ich,»kann er uns wieder folgen, nach Liverpool. Außer Buckram, den wir morgen für Sie haben, haben wir noch fünf andere Starter bei dem Rennen, und ich bleibe noch drei Tage dort. Ich werde nicht mit Ihnen nach Teesside kommen, wo Sie Lancat reiten werden.«

Er machte den Mund auf, um zu protestieren, aber ich sagte:»Vic Young wird Lancat begleiten. Er erledigt den ganzen technischen Kram. Es ist das große Rennen des Nachmittags, wie Sie wissen, und Sie werden gegen sehr erfahrene Jockeys reiten. Aber Sie müssen nichts anderes tun, als ruhig auf den Hengst zu steigen, ihn in die richtige Richtung zu lenken und ihm zu sagen, wohin er laufen soll. Und wenn er gewinnt, posaunen Sie um Gottes willen nicht überall herum, wie toll Sie doch sind. Nichts bringt die Leute schneller auf die Palme als ein Prahlhans von Jockey, und wenn Sie die Presse auf Ihrer Seite haben wollen, was Sie ja wohl tun, werden Sie den Ruhm dem Pferd zusprechen. Selbst wenn Ihnen nicht im mindesten nach Bescheidenheit zumute ist, wird es sich auszahlen, so zu tun, als ob.«

Er verdaute meine Worte mit einem sturen Blick, der allmählich weicher wurde und in schlichte Nachdenklichkeit überging. Ich fand, eine empfängliche Stimmung sollte man ruhig ausnützen, also fuhr ich mit den Perlen der Weisheit fort.

«Verzweifeln Sie nicht, wenn Sie irgendein Rennen richtiggehend verpatzen. Das tut jeder irgendwann einmal. Geben Sie es nur sich selbst gegenüber zu. Machen Sie sich selbst nie etwas vor, nie. Regen Sie sich über Kritik nicht auf… und lassen Sie sich Lob nicht zu Kopf steigen… und bewahren Sie auf der Rennbahn die Fassung, immer. Danach können Sie sie verlieren, soviel Sie wollen.«

Nach einer Weile sagte er:»Sie haben mir mehr darüber gesagt, wie ich mich benehmen soll, als wie ich ein Rennen gewinnen soll.«

«Ich setze in Ihre gesellschaftlichen Manieren weniger Vertrauen als in Ihre Reitkunst.«

Er versuchte aus meiner Bemerkung schlau zu werden und wußte nicht, ob er sich über meine Worte freuen sollte oder nicht.

Nach dem Glanz von Doncaster war die Catterick-Bridge-Rennbahn eine Enttäuschung für ihn. Sein Blick nahm die einfachen Tribünen auf, den bescheidenen Waageraum, die Kleinveranstaltungsatmosphäre, und er sagte verbittert:»Ist das alles?«

«Machen Sie sich nichts draus«, sagte ich. Ich hatte selbst nicht gewußt, was mich hier erwarten würde.»Da unten auf der Rennbahn liegen vierzehnhundert wichtige Meter, und die sind alles, was zählt.«

Der Führring selbst lag sehr hübsch inmitten von Bäumen. Alessandro kam in gelber und blauer Seide heraus, zusammen mit einer großen Gruppe anderer Lehrlinge, von denen die meisten eine Spur selbstgefällig oder befangen oder nervös aussahen oder alles gleichzeitig.

Alessandro nicht. Sein Gesicht zeigte kein wie auch immer geartetes Gefühl. Ich hatte erwartet, daß er aufgeregt sein würde, aber das war er nicht. Er sah zu, wie Pullitzer durch den Führring trabte, als interessierte er sich für ihn nicht mehr als für eine Kuhherde. Dann ließ er sich locker in den Sattel gleiten und nahm ohne Hast die Zügel in die Hand. Vic Young stand mit Pullitzers Decke da und sah zweifelnd zu Alessandro auf.

«Also los. Und denken Sie daran: Sie sollen ihn im Feld halten, solange Sie können«, sagte er mahnend.

Alessandro suchte über Vics Kopf hinweg meinen Blick.»Reiten Sie, wie Sie es geplant haben«, sagte ich, und er nickte.

Er ritt direkt zur Bahn, und Vic Young, der ihm nachsah, rief mir zu:»Ich konnte diesen großkotzigen kleinen Mistkerl noch nie leiden, und jetzt sieht er absolut nicht so aus, als wäre er mit dem Herzen bei der Sache.«

«Warten Sie ab, was passiert«, besänftigte ich ihn. Und er wartete. Und es passierte.

Alessandro ritt das Rennen genauso, wie er gesagt hatte. Er hatte die Startnummer fünf von sechzehn Startern bekommen und arbeitete sich auf den ersten vierhundert Metern zu den Rails durch, hielt sich während der nächsten sechshundert stur an fünfter oder sechster Stelle, schob sich danach ein wenig nach vorn, fand auf den letzten sechzig Metern, auf denen Pullitzer alles gab, eine Lücke und schoß nicht mehr als zehn Schritt vom Ziel entfernt durch das führende Paar von Lehrlingen. Der Hengst gewann um anderthalb Längen und hatte bereits begonnen nachzulassen.

Niemand hatte auf ihn gesetzt, und er war nicht viel angefeuert worden, aber das alles schien Alessandro nicht zu brauchen. Er glitt im Absattelring von seinem Pferd herunter und warf mir einen kühlen Blick zu, in dem nichts von der arroganten Selbstzufriedenheit stand, die ich erwartet hatte. Dann löste sich sein Gesicht plötzlich zu jenem Lächeln auf, das ich nur einmal, nämlich während seines Gesprächs mit Margaret, bei ihm gesehen hatte, ein klarer, warmer, unkomplizierter Ausdruck der Freude.

«Ich hab’s geschafft«, sagte er, und ich sagte:»Sie haben es ganz wunderbar geschafft«, und er konnte sehen, daß ich mich genauso freute wie er selbst.

Pullitzers Sieg stieß bei den Pflegern nicht auf Begeisterung. Keiner von ihnen hatte auch nur einen Penny auf ihn gesetzt, und als Vic zurückkam und berichtete, das Pferd müsse sich wirklich gut entwickelt haben, da Alessandro nicht nach Anweisung geritten sei, waren alle schnell bereit, ihm jedes Verdienst abzusprechen. Da er jedoch nur selten mit einem von ihnen sprach, erfuhr er wohl nichts davon.

Als er am nächsten Morgen nach Rowley Lodge kam, war er äußerst reserviert. Etty war mit dem ersten Lot runter zur Flachbahn gegangen, um den Pferden ein paar lange, ruhige Kanter zu geben, die ich wegen der Fahrt, die mir noch bevorstand, nicht mit ansehen konnte. Sie schien nichts dagegen zu haben, sich drei Tage allein um alles zu kümmern, und hatte mir versichert, daß Lancat und Lucky Lindsay (die für ein Tausend-Meter-Rennen für Zweijährige mit einem erfahrenen Jockey aus dem Norden bestimmt waren) am Samstag sicher in Teesside ankommen würden.

Alessandro fuhr mit mir im Jensen, und Carlo folgte uns wie zuvor. Auf dem Hinweg besprachen wir hauptsächlich die Taktiken, die er auf Buckram und Lancat anwenden würde, und wieder war da dieser seltsame Mangel an Erregung, nur diesmal noch deutlicher. Wo ich erwartet hätte, daß er nervös und aufgeregt sein würde, war er vollkommen entspannt. Jetzt, da er tatsächlich Rennen bestritt, schien es, als habe sich sein ungeduldiges Fieber gelegt.

Buckram ging nicht als Sieger durchs Ziel, aber nicht, weil Alessandro das Rennen nicht so geritten hätte, wie er es vorhatte. Buckram lief als Dritter ein, weil zwei andere Pferde schneller waren, und Alessandro akzeptierte dies mit überraschender Gelassenheit.

«Er hat sein Bestes getan«, erklärte er einfach.»Mehr war nicht drin.«

«Das habe ich gesehen«, sagte ich; und das war es.

Während der restlichen Zeit des Drei-Tage-Meetings lernte ich noch sehr viele andere Leute aus der Rennwelt kennen und begann, ein Gefühl für das Gewerbe zu bekommen. Ich sattelte unsere vier Starter, die Tommy Hoylake ritt, und gratulierte ihm, als einer von ihnen siegte.

«Komische Sache«, sagte er,»die Pferde sind dieses Jahr genausoweit wie sonst.«

«Ist das gut oder schlecht?«fragte ich.

«Machen Sie Witze? Aber das nächste Zauberstückchen wird darin bestehen, sie bis September am Laufen zu halten.«

«Mein Vater wird bis dahin zurück sein und dafür sorgen«, versicherte ich ihm.

«Oh… ja. Das wird er wohl«, sagte Tommy ohne den Enthusiasmus, den ich erwartet hätte, und machte sich davon, um sich fürs nächste Rennen abzuwiegen.

Am Samstag segelte Lancat in Teesside mit vier Längen Vorsprung und einem Kurs von fünfundzwanzig zu eins durchs Ziel, was meine Saisongewinne von zweitausend auf viertausendfünfhundert anwachsen ließ. Und das, so überlegte ich, würde wohl die letzte leichte Beute sein: Lancat war der dritte Sieger des Stalls von neun Startern, und niemand würde länger davon ausgehen, daß Rowley Lodge eine Flaute durchmachte.

Alessandros und Vic Youngs Berichterstattung über die Ereignisse in Teesside fiel vorhersehbarerweise sehr unterschiedlich aus.

Alessandro sagte:»Erinnern Sie sich noch an den

Probegalopp, als ich recht viel Boden gutgemacht hatte… Aber das war zu früh, denn er wurde müde… Nun ja, er hat diese gewaltige Geschwindigkeit tatsächlich wieder erreicht, so wie wir es uns gedacht haben, und es hat wunderbar funktioniert. Ich habe ihn kurz vor dem letzten Zweihundert-Meter-Pfosten losgelassen, und er ist an den anderen regelrecht vorbeigezischt. Es war ungeheuer.«

Vic Young sagte:»Er war beinahe zu spät. Hat sich einschließen lassen. Die anderen konnten natürlich Ringe um ihn herum reiten. Dieser Lancat muß wirklich etwas Besonderes sein, wenn er gewinnen konnte, obwohl er von einem Lehrling geritten wurde, der erst sein drittes Rennen hatte.«

Während der nächsten Woche hatten wir noch acht weitere Starter, von denen Alessandro drei ritt. Nur eins seiner Rennen war ein Lehrlingsrennen, und keines der Pferde gewann. Bei einem Rennen wurde er vom Champion-Jockey in einem sehr knappen Finish geschlagen, aber alles, was er dazu sagte, war, daß er sich mit ein wenig Übung wohl verbessern könnte.

Die Besitzer von allen drei Pferden waren zum Rennen gekommen, und nicht das geringste Murren wurde laut. Alessandro benahm sich ihnen gegenüber mit Vernunft und Höflichkeit, obwohl ein unbedachtes Hohngrinsen, das ihm entschlüpfte, als er sich unbeobachtet wähnte, mir verriet, daß er sich die Seele aus dem Leib schauspielerte.

Einer der Besitzer war ein Amerikaner, der sich als eines der Mitglieder des Syndikats erwies, das meine Geschäfte aufgekauft hatte. Es amüsierte ihn ungeheuer, festzustellen, daß ich Neville Griffons Sohn war, und vor dem Rennen brachte er eine Weile im Führring zu, um Alessandro zu erzählen, daß dieser junge Bursche hier, womit er mich meinte, jedem, den er kannte, die eine oder andere Lektion darüber erteilen könne, wie man ein Geschäft führte.

«Ich werde nie vergessen, wie Sie Ihr Erfolgsrezept zusammengefaßt haben, als wir Sie aufkauften. >Stellen Sie einen Blickfang ins Schaufenster, und bleiben Sie fair.< Wir hatten Sie danach gefragt, wissen Sie noch? Und wir hatten eine volle Dosis des üblichen Managementschuljargons erwartet, aber das war alles, was Sie sagten. Vergess’ ich nie.«

Es war sein Pferd, auf dem Alessandro um einen Kopf verlor, aber er war schon seit langer Zeit Besitzer von Rennpferden und wußte einzuordnen, was er sah. Direkt nachdem sie durchs Ziel gegangen waren, drehte er sich auf der Tribüne zu mir um und sagte:»Es ist nie eine Schande, vom Champion geschlagen zu werden… Und dieser Junge, den Sie da haben, der wird mal sehr gut.«

In der folgenden Woche ritt Alessandro in vier Rennen und gewann zwei von ihnen, beide gegen Lehrlinge. Beim zweiten Mal schlug er die große Lehrlingsentdeckung der vergangenen Saison auf heimischem Boden in Newmarket, und die Journalisten begannen, Fragen zu stellen. Mit vier Siegen in drei Wochen stand er nun ganz oben auf der Liste der Lehrlinge… Wo kam er her, wollten sie wissen. Einer oder zwei von ihnen sprachen mit Alessandro selbst, und zu meiner Erleichterung antwortete er ihnen ruhig und sachlich. Die Augen strikt, wenn auch nicht ganz ohne einen Schimmer von Spott, auf den Boden geheftet. Die gewohnte Arroganz war gut versteckt.

Meistens fuhr er mit mir in meinem Jensen zu den Rennen, aber Carlo gab es niemals auf, uns zu folgen. Das Arrangement war zur Routine geworden.

Auf den Fahrten erzählte er ziemlich viel. Unterhielt sich ganz natürlich mit mir, ungehemmt, ohne Druck. Größtenteils diskutierten wir über die Pferde und ihre Form und ihre Möglichkeiten im Vergleich zur Konkurrenz, aber manchmal konnte ich auch ein oder zwei Blicke auf sein ungewöhnliches Familienleben werfen.

Er hatte seine Mutter nicht mehr gesehen, seit er etwa sechs Jahre alt war, als sie und sein Vater einen letzten, abscheulichen Streit gehabt hatten, der ihm tagelang zu dauern schien. Er erzählte, er habe Angst gehabt, weil beide so gewalttätig gewesen seien, und er habe nicht verstanden, worum es überhaupt ging. Sie hatte seinem Vater immer wieder ein Wort entgegengeschrien, ihn damit aufgezogen, und dieses Wort hatte er nie vergessen, obwohl er jahrelang nicht gewußt hatte, was es bedeutete. Steril. Das war das Wort gewesen. Sein Vater war steril. Er hatte kurz nach Alessandros Geburt irgendeine Krankheit gehabt, von der seine Mutter andauernd sprach. Er konnte sich nicht an ihr Gesicht erinnern, nur an ihre Stimme und an Bruchstücke der Sätze, mit denen sie voller Verbitterung seinen Vater bombardiert hatte, an die ewig wiederkehrenden Worte:»Seit deiner Krankheit.«

Er habe seinen Vater niemals darauf angesprochen, fügte er hinzu. Es wäre unmöglich gewesen, sagte er, ihn darauf anzusprechen.

Wenn Alessandro der einzige Sohn war, den Enzo je haben konnte, erklärte das in gewisser Hinsicht die Besessenheit, mit der er auf seine Wünsche einging. Alessandro war vor diesem psychologischen Hintergrund etwas Besonderes für Enzo, und Enzo selbst war mit seiner kriminellen Ader schon ein besonderer Mensch.

Da Alessandros Rennerfolge nicht mehr als Zufälle gelten konnten, taute Etty ihm gegenüber deutlich auf — und Margaret noch mehr. Für eine Zeitspanne von vier Tagen herrschte auf Rowley Lodge eine entspannte Atmosphäre, in der eine friedliche, konstruktive Zusammenarbeit möglich war. Etwas, das man am Tag seiner Ankunft für genauso wahrscheinlich gehalten hätte wie Schnee in Singapur.

Vier Tage dauerte dieser Zustand an. Dann erschien Alessandro eines Tages mit einem fast schon ängstlichen Gesichtsausdruck und sagte, sein Vater sei auf dem Weg nach England. Er würde noch am selben Nachmittag mit dem Flugzeug herkommen. Er habe angerufen, und er habe äußerst unzufrieden geklungen.

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