7

«Traffic hat ihn einfach abgeworfen, Sir«, sagte einer der Pfleger.»Einfach so, Sir. Und er hat sich den Kopf auf dem Geländer aufgeschlagen, Sir.«

«Gerade eben erst, Sir«, fügte der andere ängstlich hinzu.

Sie waren beide etwa sechzehn, beide Lehrlinge, beide ausgesprochen klein, und keiner von ihnen besonders kühn. Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß sie mit Absicht irgend etwas getan haben konnten, um Traffic noch mehr aufzuregen und den hochmütigen Alessandro buchstäblich zu Fall zu bringen, aber man konnte nie wissen. Was ich allerdings mit Bestimmtheit wußte, war, daß Alessandros Gesundheit von größter Bedeutung für meine eigene war.

«George«, sagte ich,»führ Traffic in seine Box, und Etty…«- sie stand direkt hinter mir, schnalzte mit der Zunge, schaute aber nicht besonders bekümmert drein —»gibt es irgend etwas, das wir als Bahre benutzen könnten?«

«In der Sattelkammer ist eine«, sagte sie, nickte und wies Ginge an, die Bahre zu holen.

Die Bahre erwies sich als ein kleines Etwas aus schmuddeligem, grünem Leinen, das zwischen zwei ungleichmäßig geformten Stangen baumelte, die ihrerseits so aussahen, als hätten sie früher vielleicht einmal als Ruder gedient. Als Ginge damit zurückkehrte, war mein Herzschlag mittlerweile vom Everest heruntergekommen: Alessandro lebte und lag nicht allzu tief im Koma, und Enzos Pistolenkugeln würden mich daher nicht augenblicklich aus Rache ins Jenseits befördern.

Soweit ich erkennen konnte, hatte er sich keine Knochen gebrochen, aber ich sorgte mit übertriebener Vorsicht dafür, daß er ganz sachte auf die Bahre gelegt wurde. Etty gefiel das nicht; wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten George und Ginge ihn an Armen und Beinen gefaßt und wie einen Sack Getreide auf die Bahre geworfen. Ich dagegen war maßvoller und wies die beiden an, ihn vorsichtig hochzuheben, ins Haus zu tragen und im Besitzerraum aufs Sofa zu legen. Ich selbst machte erst einen kleinen Umweg ins Büro und bat Margaret, nach einem Arzt zu telefonieren.

Als ich in den Besitzerraum kam, bewegte Alessandro sich bereits. George und Ginge blickten auf ihn herab, der eine schon älter und resigniert, der andere jung und kampflustig, und keiner von beiden hatte auch nur das geringste Mitleid mit dem Patienten.

«In Ordnung«, sagte ich zu ihnen.»Das wär’s. Der Arzt kommt, um nach ihm zu sehen.«

Beide sahen so aus, als hätten sie noch eine Menge zu sagen, verbissen es sich aber und schlenderten aus dem Zimmer, um schließlich ihre Meinung auf dem Hof kundzutun.

Alessandro öffnete die Augen, und zum ersten Mal sah er ein wenig verletzlich aus. Er wußte nicht, was geschehen war, wußte nicht, wo er sich befand oder wie er dort hingekommen war. Die Verwirrung zeichnete neue Linien in sein Gesicht; machte es jünger und weicher. Dann wurde sein Blick klar und heftete sich auf mein Gesicht, und mit einem Schlag kehrten eine Menge Erinnerungen zurück. Abgang Taube, Auftritt Habicht. Es war, als beobachtete man einen Spastiker, der aus gelöstem, entspanntem Frieden zu Krämpfen und Zuckungen erwachte.

«Was ist passiert?«fragte er.

«Traffic hat Sie abgeworfen.«

«Oh«, sagte er schwächer, als ihm lieb war. Er schloß die Augen und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen ein einziges, tief empfundenes Wort aus:»Scheiße.«

Von der Tür her war ein plötzlicher Tumult zu hören, und der

Chauffeur stürzte ins Zimmer, während Margaret versuchte, ihn am Arm festzuhalten. Er stieß sie mühelos beiseite und schickte sich an, dasselbe mit mir zu machen.

«Was ist passiert?«rief er drohend.»Was machen Sie mit dem Sohn?«Seine Stimme ließ mich erschaudern. Wenn er nicht selbst eins der Gummigesichter war, hörte er sich zumindest genauso an.

Alessandro begann von seinem Sofa aus, mit müder Stimme auf ihn einzureden. Er sprach italienisch, was ich dank einer ehemaligen Freundin mehr oder weniger verstand.

«Hör auf, Carlo. Geh zurück in den Wagen. Warte auf mich. Das Pferd hat mich abgeworfen. Neil Griffon wird mir nichts tun. Geh zurück in den Wagen und warte auf mich.«

Carlo bewegte seinen Kopf hin und her wie ein verdatterter Ochse, gab jedoch schließlich nach und tat, was man ihm gesagt hatte. Drei stille Hochrufe auf die Disziplin im Hause Rivera.

«Ein Arzt ist auf dem Weg, um nach Ihnen zu sehen«, sagte ich.

«Ich will keinen Arzt.«

«Sie werden so lange auf diesem Sofa liegenbleiben, bis ich sicher sein kann, daß Ihnen nichts fehlt.«

Er grinste höhnisch.»Angst vor meinem Vater?«

«Denken Sie, was Sie wollen«, sagte ich; was er offensichtlich auch tat.

Der Arzt erwies sich schließlich als derselbe, der früher meinen Mumps, meine Masern und meine Windpocken diagnostiziert hatte. Jetzt war er alt, mit überaktiven Tränendrüsen und stockender Sprache, und seinem gegenwärtigen Patienten gefiel er überhaupt nicht. Alessandro behandelte ihn rüde und bekam dafür Höflichkeit zurück, wo er einen kräftigen Tritt verdient hätte.

«Dem Jungen ist nicht viel passiert«, lautete das Urteil.»Aber er sollte heute besser im Bett bleiben und sich morgen noch ausruhen. Das wird Sie wieder auf die Beine bringen, junger Mann, hm?«

Der junge Mann starrte ihn undankbar an und antwortete nicht. Der alte Arzt wandte sich mir zu, bedachte mich mit einem nachsichtigen Lächeln und sagte, ich solle es ihn wissen lassen, wenn der Junge irgendwelche Nachwirkungen hätte wie Schwindel oder Kopfschmerzen.

«Alter Narr«, sagte der Junge hörbar, als ich den Arzt zur Tür brachte; und als ich zurückkam, war er bereits aufgestanden.

«Kann ich jetzt gehen?«fragte er sarkastisch.

«So weit und für so lange, wie Sie wollen«, erwiderte ich.

Seine Augen wurden schmal.»Sie werden mich nicht los.«

«Schade«, sagte ich.

Nach einem kurzen, zornigen Schweigen trabte er ein wenig unsicher an mir vorbei aus dem Zimmer. Ich ging ins Büro und sah zusammen mit Margaret aus dem Fenster, während der Chauffeur geschäftig hin und her eilte und ihn auf dem Rücksitz des Mercedes bequem unterbrachte; und ohne Zeit zu verlieren oder einen Blick zurückzuwerfen, fuhr er» den Sohn «davon.

«Ist alles in Ordnung mit ihm?«erkundigte sich Margaret.

«Durchgeschüttelt, nicht erschüttert«, sagte ich schnippisch, und sie lachte. Aber sie folgte dem Wagen mit ihrem Blick, bis er nach links in die Bury Road einbog.

Am folgenden Tag blieb er zu Hause, kam aber am Donnerstag früh pünktlich zum ersten Lot wieder. Als der Wagen heranrollte, stand ich auf dem höchsten Teil des Hofs und unterhielt mich mit Etty. Die Freundlichkeit in ihrem Gesichtsausdruck verwandelte sich in die verstockte Abneigung, die sie immer zeigte, wenn Alessandro in der Nähe war, und als sie ihn athletisch vom Rücksitz springen und entschlossen auf uns zukommen sah, fiel ihr etwas ein, das dringend in einer der Boxen weiter unten erledigt werden mußte.

Alessandro quittierte ihre Flucht mit einem verachtungsvollen Zucken seiner Lippen, das sich zu meinem Verdruß zu einem höhnischen Grinsen ausweitete, bevor er mich begrüßte. Er hielt mir eine flache Blechdose hin, die genauso aussah wie die, die er mir einige Tage zuvor gegeben hatte.

«Botschaft für Sie«, sagte er. Seine ganze Großspurigkeit war wieder da, und zwar fortissimo, und ich hätte auch ohne die Dose gewußt, daß er noch einmal mit seinem Vater gesprochen hatte. Seine Bosheit hatte sich neu aufgeladen wie eine Batterie, die man ans Stromnetz angeschlossen hatte.

«Wissen Sie denn diesmal, was in der Dose ist?«

Er zögerte.»Nein«, sagte er. Und diesmal glaubte ich ihm, denn seine Unwissenheit schien ihn zu ärgern. Die Dose war mit einem Klebestreifen umwickelt. Alessandro sah mich mit unverändert überlegenem Grinsen an, während ich den Streifen abriß. Ich rollte ihn mit den Fingern zu einem kleinen, klebrigen Ball zusammen und steckte ihn in die Tasche; dann öffnete ich vorsichtig die Dose.

Zwischen zwei dünnen Baumwollschichten lag wieder ein kleines Holzpferd.

Es hatte ein Schild um den Hals.

Es hatte ein gebrochenes Bein.

Ich wußte nicht, was genau in meinem Gesicht zu lesen war, als ich zu Alessandro aufblickte, aber das Grinsen war zu einer halb ängstlichen Maske erstarrt.

«Er sagte, es würde Ihnen nicht gefallen«, bemerkte er trotzig.

«Na, dann kommen Sie mal mit«, erwiderte ich abrupt.»Wollen mal sehen, ob es Ihnen gefällt. «Ich ging den Hof hinauf, auf die Einfahrt zu, aber er folgte mir nicht. Und bevor ich meinen Bestimmungsort erreichte, trat mir George entgegen, der mit erschüttertem Gesicht und besorgten Augen auf mich zueilte.

«Mr. Neil… Indigo hat sich festgelegt und sich in seiner Box ein Bein gebrochen… Genau wie Moonrock… Man sollte es nicht für möglich halten, daß so etwas passiert, nicht bei zwei alten Hasen wie diesen beiden, nicht innerhalb von zehn Tagen.«

«Nein, das sollte man wirklich nicht für möglich halten«, sagte ich grimmig und ging, während ich die bösartige Botschaft in der kleinen Blechdose in meine Jackentasche stopfte, mit ihm zusammen zu Indigos Box.

Der gutmütige Wallach lag auf dem Stroh und machte klägliche Versuche, sich aufzurichten. Immer wieder hob er den Kopf und schlug mit einem seiner Vorderfüße auf den Boden, aber ihn schien jede Kraft verlassen zu haben. Der andere Vorderfuß lag nutzlos gekrümmt in einem unnatürlichen Winkel auf dem Boden, gebrochen direkt über der Fessel.

Ich hockte mich neben das arme alte Pferd und tätschelte seinen Hals. Indigo hob noch einmal den Kopf und schlug aus, um wieder auf die Beine zu kommen, ließ sich dann jedoch schlaff zurück ins Stroh fallen. Seine Augen blickten glasig, und Speichel lief ihm aus dem Maul.

«Nichts zu machen, George«, sagte ich.»Ich rufe den Tierarzt an. «Ich legte nichts als Bedauern in meine Stimme und behielt meinen siedenden Zorn für mich. George nickte resigniert, aber ohne viel Gefühl zu zeigen. Wie jeder alte Pfleger hatte er schon viele Pferde sterben sehen.

Der junge, rundliche Dainsee war aus seiner Badewanne gestiegen, um ans Telefon zu kommen.»Nicht schon wieder!«rief er, als ich ihm erklärte, worum es ging.

«Ich fürchte doch. Und könnten Sie vielleicht alles mitbringen?«

«Aber wozu denn das?«

«Das sage ich Ihnen, wenn Sie hier sind.«

«Oh. «Er klang überrascht, war jedoch bereit mitzumachen.»Also gut, kleinen Moment, während ich das Badehandtuch gegen meinen schicken Anzug eintausche.«

Er kam in Jeans, mit seinem schmutzigen Landrover und zwanzig Minuten Verspätung. Sprang hinaus auf den Kies, nickte fröhlich und ging direkt auf Indigos Box zu. George war dort bei dem Pferd, der Rest des Hofs lag still und verlassen da. Etty, die der unmittelbar bevorstehende Verlust ihres Führpferdes sehr bekümmerte, hatte das Lot runter nach Southfields gebracht, auf die Seite, auf der auch die Rennbahn lag; Alessandro mußte mit ihr gegangen sein, da er nirgendwo sonst zu sehen war, und sein Chauffeur wartete wie gehabt im Wagen.

Indigo stand mittlerweile wieder auf den Beinen. George hielt ihn am Halfter und sagte, der alte Knabe hätte anscheinend ganz plötzlich seine Kraft wiedergefunden und sei aufgestanden, und seither habe er sogar etwas Heu gefressen, und es sei eine richtige Schande, daß er sich festgelegt habe, jawohl, das sei es. Ich nickte, nahm ihm das Halfter ab und erklärte ihm, daß ich mich um Indigo kümmern würde, damit er weiter Hafer für die Morgenfütterung mahlen könne.

«Ist ein guter Mann«, sagte Dainsee.»Der alte George, meine ich. Er war früher mal stellvertretender Obergärtner im Palast des Vizekönigs von Indien. Das erklärt auch all die gepflegten Blumenbeete und — kübel hier, die die Besitzer bei ihren Hofbesuchen so begeistern.«

Ich war überrascht.»Ich wußte gar nicht, daß.«

«Komische Welt. «Er beruhigte Indigo mit einer sanften Berührung und sah sich das gebrochene Bein genau an.»Was soll die Sache mit der Blutprobe?«fragte er, richtete sich auf und sah mich fragend an.

«Ist es auch bei Tierärzten Sitte, Schweigen zu wahren?«

Sein Blick verriet plötzlich unverhohlene Neugier.»Schweigepflicht wie bei Ärzten und Anwälten? Klar haben wir das. Solange es nicht darum geht, eine kleine Maul- und Klauenseuche geheimzuhalten.«

«Nichts in der Art. «Ich zögerte.»Ich möchte, daß Sie eine geheime Blutprobe machen… Geht so etwas?«

«Wie geheim? Sie muß auf jeden Fall an das Forschungslabor für Pferdemedizin gehen. Ich kann das nicht selbst machen, hab’ nicht die Ausrüstung dafür.«

«Nur eine Blutprobe, auf der der Name des Pferdes nicht vermerkt ist.«

«Na klar. Das kommt dauernd vor. Aber Sie können doch nicht wirklich annehmen, daß jemand das arme alte Pferd gedopt hat!«

«Ich glaube, es hat ein Narkosemittel bekommen«, sagte ich.»Und man hat ihm das Bein absichtlich gebrochen.«

«O Gott!«Sein Mund war zu einem O des Erstaunens gerundet, aber die Augen flackerten mit der Geschwindigkeit seiner Gedanken.»Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie übergeschnappt sind«, sagte er schließlich,»also wollen wir uns die Sache mal näher ansehen.«

Er ging neben dem verletzten Bein in die Hocke und ließ seine Finger ganz vorsichtig über die Haut gleiten. Indigo erbebte unter seiner Berührung und warf heftig den Kopf hin und her.

«Ist ja gut, alter Knabe«, sagte Dainsee, der nun wieder aufstand und Indigo den Hals tätschelte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich an:»Kann nicht sagen, daß Sie sich irren, kann nicht sagen, daß Sie recht haben. «Er hielt inne und dachte noch einmal darüber nach. Die Augenbrauen hoben und senkten sich mehrere Male.»Ich sag’ Ihnen was«, sagte er schließlich.»Ich habe ein tragbares Röntgengerät zu Hause. Ich hole es her, und wir machen eine Aufnahme. Wie wär’ das?«

«Gute Idee«, sagte ich erfreut.

«Also schön. «Er öffnete seine Tasche, die er direkt neben die Tür gestellt hatte.»Dann werde ich das Bein vereisen, damit er keine Schmerzen hat, bis ich wieder da bin. «Er zog eine Subkutanspritze hervor, hielt sie gegen das Licht und drückte langsam den Kolben herunter.

«Nehmen Sie zuerst die Blutprobe«, sagte ich.

«Hm?«Er blinzelte mich an.»O ja, natürlich. Donnerwetter, natürlich. Wie dumm von mir. «Er lachte freundlich, legte die erste Spritze weg und setzte eine deutlich größere, leere zusammen.

Er nahm die Blutprobe aus der Drosselvene, die er schon beim ersten Versuch traf.»Glück gehabt«, murmelte er voller Bescheidenheit und zog ein halbes Wasserglas voll Blut in die Spritze.»Muß dem Labor genug Material zum Arbeiten geben, wissen Sie«, bemerkte er, als er meine Überraschung sah.»Von einem Fingerhut voll bekommt man keine verläßlichen Resultate.«

«Nein, wahrscheinlich nicht.«

Er packte die Blutprobe in seine Tasche, spritzte das Mittel für die örtliche Betäubung in Indigos Vorderfuß, nickte und zwinkerte mir mit unverminderter Fröhlichkeit zu, bevor er sich wieder auf den Weg machte. Indigo, den das Ganze nicht weiter beunruhigt hatte, machte sich zufrieden wieder über sein Heunetz her, und ich ging mit meiner aufgestauten Wut ins Haus.

Auf dem Schildchen des kleinen Holzpferdes stand auf der einen Seite in großen Druckbuchstaben das Wort» Indigo «und auf der anderen ebenfalls in Druckbuchstaben eine kurze, scharfe Botschaft.

«Wer meinen Sohn verletzt, fordert Zerstörung heraus.«

Weder George noch Etty sahen irgendeinen Sinn darin, daß der Tierarzt wegfuhr, ohne Indigo einzuschläfern.

«Ähm…«, sagte ich.»Er hat festgestellt, daß er dieses Mittel zum schmerzlosen Töten doch nicht bei sich hatte. Er dachte, es sei in seiner Tasche, aber da war es nicht.«

«Oh«, sagten sie zufriedengestellt, und Etty erzählte mir, daß auf der Galoppbahn alles gutgegangen sei und daß Lucky Lindsay schnelle tausend Meter gelaufen sei und anschließend nicht mal mehr eine Kerze hätte auspusten können.

«Diesen verflixten kleinen Alex hatte ich auf Clip Clop gesetzt und ihm gesagt, er solle ihn ruhig gehen lassen, und er hat mir doch verdammt noch mal nicht gehorcht. Er ging auf der Stelle in flotten Galopp und hat Lancat weit hinter sich gelassen. Die Ferngläser der Turfspione haben Stielaugen gekriegt.«

«Törichter kleiner Narr«, gab ich ihr recht.»Ich werde mit ihm reden.«

«Er nutzt jede Gelegenheit, um mir eins auszuwischen«, beklagte sie sich.»Wenn Sie nicht dabei sind, ist er absolut unerträglich. «Sie holte tief und bekümmert Luft und dachte noch einmal nach.»Ehrlich gesagt, ich finde, Sie sollten Mr. Griffon mitteilen, daß wir ihn nicht behalten können.«

«Nächstes Mal, wenn ich ins Krankenhaus gehe, werde ich ihn darauf ansprechen«, erwiderte ich.»Was gibst du ihm fürs zweite Lot zum Reiten?«

«Pullitzer«, erwiderte sie prompt.»Bei dem ist es nicht so wichtig, wenn er nicht tut, was ich sage.«

«Richte ihm bitte aus, daß ich ihn sprechen möchte, bevor er geht.«

«Kommen Sie nicht mit?«

Ich schüttelte den Kopf.»Ich bleibe hier und kümmere mich um Indigo.«

«Ich hätte eigentlich lieber Ihre Meinung zu Pease Pudding gehört. Wenn er im Lincoln laufen soll, müßten wir ihn diese oder nächste Woche einen Probegalopp gehen lassen. Vergessen Sie nicht, daß das Rennen schon Samstag in drei Wochen stattfindet.«

«Wir könnten ihm morgen einen halbschnellen Galopp geben und feststellen, ob er schon bereit ist für einen vollen Probegalopp«, schlug ich vor, und sie gab mir widerwillig recht, daß es auf einen Tag mehr oder weniger nicht ankomme.

Ich sah der adretten Gestalt in Reithosen nach, die nun auf ihr Cottage zuging, um zu frühstücken. Ich hätte mich geschmeichelt gefühlt, daß sie meine Meinung hören wollte, hätte ich nicht genau gewußt, warum. Unter einem Regenschirm leistete sie hervorragende Arbeit; draußen im Regen fühlte sie sich verloren. Obwohl sie in ihrem Herzen wußte, daß sie mehr von den Dingen verstand als ich, hatte sie aus ihrem Sicherheitsbedürfnis heraus mir die Rolle des Entscheidungsträgers zugeteilt. Was ich jetzt brauchte, war ein Crash-Kurs für die Beurteilung der Form der Pferde. Der alte Witz über einen Crash-Kurs für Piloten blitzte in einem geheimen Winkel meiner düsteren Gedanken auf.

Dainsee kam mit seinem Landrover zurück, gerade als das zweite Lot hinausgegangen war. Wir führten das Kabel für den Röntgenapparat durch das Bürofenster und stöpselten es in die Steckdose, die das Pilz-Öfchen versorgte. Der Tierarzt schien über einen unerschöpflichen Vorrat an Kabeln zu verfügen — von denen vier nötig waren, um Indigos Box zu erreichen. Er versicherte mir, daß er, wenn nötig, eine Viertelmeile bewältigen würde.

Er machte drei Röntgenaufnahmen von dem baumelnden Bein, packte alles wieder zusammen und erlöste Indigo beinahe im Vorübergehen von seinem Leiden.

«Sie werden Beweise für die Polizei haben wollen«, sagte Dainsee, als er mir heftig blinzelnd die Hand gab.

«Nein… Ich werde die Polizei nicht bemühen. Noch nicht jedenfalls. «Er öffnete den Mund, um zu protestieren, daher fuhr ich fort:»Es gibt sehr gute Gründe dafür. Ich kann Ihnen nicht sagen, welche das sind… Aber es gibt sie.«

«Na gut, das ist Ihre Sache. «Sein Blick flackerte zur Seite, zu Moonrocks Box hin, und seine Augenbrauen stellten die Frage.

«Ich weiß es nicht«, sagte ich.»Was meinen Sie? Rückblickend?«

Er dachte mehrere Sekunden lang nach, was bedeutete, daß er meine Frage ernst nahm, und antwortete dann:»Es wäre schon ein ziemlich kräftiger Schlag nötig gewesen, um solch ein Gelenk zu zerschmettern. Ich würde eigentlich nicht denken, daß irgend jemand sich solche Mühe macht, wo es doch an der Fessel wie bei Indigo so einfach wäre.«

«Moonrock hat vielleicht einfach nur die Idee für Indigo geliefert?«tippte ich an.

«Würde ich sagen. «Er grinste.»Passen Sie auf, daß das keine Epidemie wird.«

«Ich werde aufpassen«, sagte ich obenhin; und wußte, daß ich genau das tun mußte.

Alessandro ließ nichts davon erkennen, daß Etty ihm ausgerichtet hatte, ich wolle ihn sehen. Er lief direkt über den Hof auf seinen wartenden Wagen zu, und nur weil ich zufällig gerade aus dem Bürofenster sah, erwischte ich ihn noch.

Ich öffnete das Fenster und rief hinter ihm her.»Alessandro, kommen Sie mal einen Augenblick rüber.«

Er setzte seinen Weg ungerührt fort, als hätte er nichts gehört, daher fügte ich hinzu:»Ich möchte mit Ihnen über Ihre ersten Rennen sprechen.«

Er hielt mitten im Schritt inne, ein Fuß schwebte unentschlossen in der Luft, bevor er schließlich die Richtung änderte und, deutlich langsamer, aufs Fenster zukam.

«Gehen Sie rüber in den Besitzerraum«, sagte ich.»Wo Sie auf dem Sofa gelegen haben…«Ich schloß das Fenster, bedachte Margaret mit einem launigen, reuigen, beschwichtigenden Lächeln, das alles bedeuten konnte, was sie hineininterpretieren wollte, und entfernte mich aus ihrer Hörweite.

Alessandro trat widerwillig in den Besitzerraum, denn er wußte, daß er geködert worden war. Ich war jedoch fair.

«Sie können einen Ritt in einem Lehrlingsrennen in Catterick in vier Wochen haben. Auf Pullitzer. Unter der Bedingung, daß Sie nicht auf dem Hof damit herumprahlen und die anderen Jungs gegen sich aufbringen.«

«Ich will Archangel reiten«, sagte er kategorisch.

«Manchmal scheint es mir, daß Sie bemerkenswert intelligent sind und mit einer gehörigen Portion Fleiß vielleicht eines Tages ein passabler Jockey werden könnten«, sagte ich, und bevor er vor Selbstzufriedenheit gänzlich dahinschmolz, fügte ich hinzu:»Und manchmal, so wie heute, benehmen Sie sich so dumm und zeigen so wenig Verständnis für die Dinge, die notwendig sind, um zu werden, was Sie werden wollen, daß Ihr Ehrgeiz geradezu peinlich wirkt.«

Der dünne Junge wurde steif, und die schwarzen Augen funkelten. Da ich mich jetzt zweifellos seiner vollen Aufmerksamkeit erfreute, machte ich das Beste daraus.

«Diese Pferde sind hier, um Rennen zu gewinnen. Sie werden keine Rennen gewinnen, wenn ihr Trainingsprogramm auf den Kopf gestellt wird. Wenn man Ihnen sagt, Sie sollen einen halbschnellen Galopp auf Clip Clop reiten, und Sie das Pferd lang machen und über den Rand seiner Kraft hinaustreiben, sorgen Sie dafür, daß es länger dauern wird, es vorzubereiten. Sie werden keine Rennen gewinnen, wenn der Stall keine Rennen gewinnt, also liegt es in Ihrem eigenen Interesse, beim Training Ihr Bestes zu geben. Den Reitanweisungen zuwiderzuhandeln ist daher eine schlichte Dummheit. Können Sie mir folgen?«

Die schwarzen Augen sahen noch schwärzer aus und versanken in den Höhlen. Er gab mir keine Antwort.

«Dann wäre da noch Ihre fixe Idee bezüglich Archangels. Sie können ihn auf der Heide reiten, sobald Sie zeigen, daß Sie gut genug und vor allem verantwortungsbewußt genug sind, um sich um ihn zu kümmern. Ob Sie ihn jemals in einem Rennen reiten werden, liegt mehr an Ihnen als an mir. Und ich tue Ihnen nur einen Gefallen, wenn ich Sie auf weniger bekannten Pferden und bei kleineren Veranstaltungen anfangen lasse. Sie mögen sich ja für brillant halten, aber Sie sind bisher nur gegen Amateure geritten. Ich gebe Ihnen eine Chance, jenseits des Rampenlichts zu beweisen, was Sie gegen Profis bringen können, und verringere damit das Risiko, daß Sie in Newbury oder Kempton auf die Nase fallen.«

Die Augen waren nach wie vor starr. Er sagte immer noch nichts.

«Und Indigo«, fuhr ich fort, während ich versuchte, meinen Zorn in den Griff zu bekommen, und die Worte kalt und beißend klingen ließ:»Indigo mag für Sie nicht von Nutzen gewesen sein, weil er keine Rennen mehr lief, aber wenn Sie den Tod noch weiterer Pferde verursachen, wird es jedesmal noch eins weniger sein, auf dem Sie gewinnen könnten.«

Er bewegte mit sichtbarer Anstrengung den Kiefer.

«Ich habe… nicht den Tod von Indigo verursacht.«

Ich nahm die Dose aus meiner Tasche und reichte sie ihm. Er öffnete sie langsam, preßte die Lippen zusammen, als er den Inhalt sah, und las das Schild.

«Es war nicht meine Absicht… Ich wollte nicht, daß er Indigo tötet. «Das hochnäsige Lächeln war wie weggewischt. Er war immer noch feindselig, aber defensiv.»Er war wütend, weil Traffic mich abgeworfen hat.«»Dann wollten Sie also, daß er Traffic tötet?«

«Nein, wollte ich nicht«, sagte er heftig.»Wie Sie schon sagten, welchen Sinn hätte es, ein Pferd zu töten, auf dem ich ein Rennen gewinnen könnte?«

«Aber den harmlosen alten Indigo zu töten, weil ein anderes Pferd Sie auf den Hintern geworfen hat, ein Pferd, das Sie auf Ihren eigenen, ausdrücklichen Wunsch geritten haben. «, wandte ich mit bitterem Sarkasmus ein.

Zum ersten Mal senkte sich sein Blick auf den Teppich. Irgendwo tief drinnen war er nicht übermäßig stolz auf sich.

«Sie haben es ihm nicht erzählt«, riet ich.»Sie haben ihm nicht erzählt, daß Sie darauf bestanden haben, Traffic zu reiten.«

«Miss Craig hat es mir befohlen«, sagte er verdrossen.

«Nicht an dem Tag, an dem Sie abgeworfen wurden.«

Er blickte wieder auf. Ich hätte schwören können, daß er unglücklich war.»Ich habe meinem Vater nicht gesagt, daß ich ohnmächtig geworden bin.«

«Wer dann?«

«Carlo. Der Chauffeur.«

«Sie hätten ihm erklären können, daß ich nicht versucht habe, Ihnen Schaden zuzufügen.«

Nun schien er nicht nur unglücklich, sondern sogar ein wenig verzweifelt.

«Sie haben ihn kennengelernt«, sagte er.»Es ist nicht immer möglich, ihm etwas zu erklären, vor allem nicht, wenn er wütend ist. Er würde mir alles geben, worum ich ihn bitte, aber ich kann nicht mit ihm reden.«

Er ging aus dem Zimmer und ließ mich sprachlos zurück.

Er konnte nicht mit seinem Vater reden.

Enzo würde Alessandro alles geben, was er wollte… würde beträchtliche Mühen auf sich nehmen, um ihm den Weg zu ebnen, und er würde nicht lockerlassen, solange Alessandro schmachtete, aber sie konnten nicht miteinander reden.

Und ich… Ich konnte lügen und Ränke schmieden und einen Drahtseilakt vollführen, um die Ställe meines Vaters zu retten.

Aber mit ihm reden, nein, das konnte ich nicht.

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