Kapitel 10

Am Morgen brachte ich das Messer zur Polizei und berichtete, wie ich zu ihm gekommen war. Der für den Fall zuständige Beamte (es war derselbe, der auch das Absuchen des Teiches geleitet hatte) sah mich erschrocken und gleichzeitig irgendwie mutlos an.

«Wir werden festzustellen versuchen, woher es stammt — wie Sie es wünschen. Aber diese Art Messer ist nicht gerade selten. Es gibt viele davon. Das Norsk Stal auf der Klinge bedeutet ja nicht mehr als >Norwegischer Stahle.«

Er hieß Lund und war wie alle altgedienten Polizeibeamten auf der ganzen Welt — vorsichtig, aufmerksam, zurückhaltend freundlich. Mir kam es oft so vor, als fühlten sich viele Polizisten erst in der Gesellschaft von Kriminellen richtig wohl. Jedenfalls sprachen die Ex-Polizisten, die für die

Ermittlungsabteilung des Jockey Club arbeiteten, immer mit

größerer Zuneigung von den kleinen Gaunern als vom großen Rest der Rennbahnbesucher.

Einerseits ist es der Beruf der Polizisten, die Verbrecher zu fangen, andererseits bewundern sie sie. Sie sprechen dieselbe Sprache, benutzen denselben Jargon. Ich wußte aus Erfahrung, daß ein Gauner und ein Polizist, die gleichzeitig irgendein gesellschaftliches Ereignis besuchen und sich nicht kennen, einander unweigerlich anziehen. Wenn der Polizist nicht gerade hinter eben diesem speziellen Ganoven her ist, dann verstehen sich die beiden im allgemeinen prächtig, was auch die

außergewöhnliche, die Medien immer wieder erregende

Tatsache erklärt, daß sie manchmal gemeinsame Urlaubsreisen unternehmen.

Lund behandelte mich mit größter Fairneß als Kollegen auf Zeit. Ich dankte ihm herzlich dafür, daß er mir seine Unterlagen

zur Verfügung gestellt hatte, und er bot seine Hilfe für den Fall an, daß ich sie brauchen sollte.

Auf dieses Angebot ging ich sofort ein und sagte, ich würde einen Wagen und einen vertrauenswürdigen Fahrer benötigen, und fragte ihn, ob er mir einen empfehlen könne.

Er sah auf das Messer, das auf dem Tisch lag.

«Einen Polizeiwagen kann ich Ihnen leider nicht geben. «Dann dachte er noch einmal nach, griff nach dem Telefonhörer, gab auf norwegisch ein paar Anweisungen, legte wieder auf und wartete.

«Ich werde meinen Bruder bitten, Sie zu fahren«, sagte er schließlich.»Er ist Schriftsteller. Seine Bücher bringen ihm nicht viel ein. Er wird sich besonders freuen, wenn er sich durch Fahren etwas dazuverdienen kann, denn er fährt gerne Auto.«

Das Telefon summte, und Lund unterbreitete offensichtlich seinen Vorschlag. Ich schloß, daß er die Zustimmung des Autors fand, denn Lund fragte mich, wann sein Bruder anfangen solle.

«Sofort«, sagte ich.»Es wäre schön, wenn er mich hier abholen könnte.«

Lund nickte, legte auf und sagte:»Er ist in einer halben Stunde da. Er wird Ihnen eine Hilfe sein. Vor allem spricht er sehr gut Englisch, denn er hat mal in England gearbeitet.«

Ich verbrachte die halbe Stunde mit der Durchsicht von Polizeifotos, aber mein Londoner Gegner war nirgends zu finden.

Lunds Bruder Erik war in jeder Beziehung ein Gewinn.

Er erwartete mich in der Eingangshalle und lächelte etwas unsicher, so als hätte er auf jemand anders gewartet. Er war ein ziemlich großer Mann von ungefähr fünfundfünfzig Jahren, mit dünnen, unordentlichen, blonden Haaren. Er trug ein formloses altes Sportsakko und hatte das Aussehen eines Menschen, der vollkommen unorganisiert ist. Und er fuhr, wie ich schon bald

erleben durfte, als wären alle anderen Autos unsichtbar.

Er winkte mich aus dem Polizeigebäude heraus und zu einem kleinen cremefarbenen Volvo, der davor geparkt stand. Beulen und Kratzer, die verschiedene Rostjahrgänge aufwiesen, legten Zeugnis ab von langem und standhaft geleistetem Dienst, und der Kofferraumdeckel wurde von Bindfäden zugehalten. Als ich die Beifahrertür öffnete, stellte ich fest, daß der größte Teil des Innenraums schon von einer sehr großen deutschen Dogge besetzt war.

«Leg dich hin, Odin«, sagte Erik hoffnungsvoll, aber der riesige Hund verstand kein Englisch, blieb stehen und sabberte mir sacht in den Nacken.

«Wohin als erstes?«erkundigte sich Erik. Sein Englisch war vorzüglich, wie sein Bruder gesagt hatte. Er setzte sich hinter das Steuer und sah mich voller Erwartung an.

«Was hat Ihnen Ihr Bruder gesagt?«fragte ich.

«Daß ich Sie herumfahren und, wenn möglich, dafür sorgen soll, daß niemand Sie umlegt. «Er sagte das so beiläufig, als wäre er mit der Aufgabe betraut worden, mich zum richtigen Zug zu bringen.

«Was können Sie denn besonders gut?«fragte ich neugierig.

«Fahren, boxen und aus der Schule plaudern.«

Er hatte ein langes Gesicht mit tiefen Falten um die Augen und etwas weniger tiefen um Mund und Kinn — Hinweise auf einen Charakter, dem das Lachen näher lag als die schlechte Laune. Im Laufe der folgenden Tage erfuhr ich, daß ihn nur sein hochentwickelter Sinn für das Komische daran gehindert hatte, ein engagierter Kommunist zu werden. Zwar vertrat er durchaus radikale linke Ansichten, aber die Humorlosigkeit seiner Gesinnungsgenossen hatte ihn immer wieder zur Verzweiflung gebracht. Er hatte als junger Mann für die Klatschspalten von Zeitungen geschrieben und zwei Jahre in der Fleet Street gearbeitet — und er wußte mir über die Leute, zu denen ich unterwegs war, mehr zu erzählen, als ich in sechs Wochen hätte ausgraben können.

«Per Bj0rn Sandvik?«wiederholte er, als ich ihm unser erstes Ziel nannte.»Der rechtschaffene Herr der Ölfelder?«

«Es sieht so aus«, sagte ich.

Er fädelte sich ein, ohne auf eine Lücke zu warten. Ich öffnete den Mund und schloß ihn wieder — wenn sein Bruder ihm zutraute, mich am Leben zu erhalten, dann mußte ich ihn auch machen lassen, das war wohl das mindeste. Wir rauschten auf zwei Rädern durch einige haarsträubend enge Kurven, kamen jedoch unversehrt beim Hauptsitz der Firma Norsk Oil Imports an. Die deutsche Dogge leckte sich das Maul und sah vollkommen unbewegt aus.

«Da wären wir«, sagte Erik und deutete auf eine eindrucksvolle, doppeltorige Einfahrt in einen Innenhof.»Da durch, dann links der große Eingang mit den Säulen davor.«

«Sie kennen es?«

Er nickte.»Ich kenne fast alles in Oslo. Und die meisten Leute. «Und er erzählte mir von seinen Jahren bei der Zeitung.

«Dann erzählen Sie mir auch mal was über Per Bj0rn Sandvik«, sagte ich schließlich.

Er lächelte.»Er ist spießig und selbstgerecht und hat sich dem Big Business verschrieben. Während des Krieges war er ganz anders. Als wir noch alle jung waren, da ist er ein großer Kämpfer gegen die Nazis gewesen, ein großer Planer und Saboteur. Aber die Jahre sind dahingegangen, und er ist zu einem langweiligen Klotz erstarrt, wie das heiße Innere eines Vulkans, das herausströmt und zu trockenem, grauem Bimsstein abstirbt.«

«Er muß aber noch etwas Feuer übrig haben«, warf ich ein.

«Er ist schließlich Chef einer Ölgesellschaft.«

Erik schnaubte belustigt.»Die norwegischen Ölgesellschaften können sich vor Regierungsvorschriften kaum rühren, und das ist auch richtig so. Da bleibt kein Raum für private Spekulationen. Per Bj0rn kann nur in einem sehr eng begrenzten Rahmen Entscheidungen treffen. Für alles, was über die Bestellung von neuen Aschenbechern hinausgeht, braucht er die Zustimmung der Regierung.«

«Das finden Sie gut?«

«Selbstverständlich.«

«Was wissen Sie über seine Familie?«fragte ich weiter.

Seine Augen funkelten.»Er hat ein durch und durch langweiliges, unansehnliches Mädchen mit Namen Ranghild geheiratet, deren Papi damals zufällig gerade das Oberhaupt von Norsk Oil Imports war.«

Ich grinste, stieg aus und sagte Erik, daß ich wenigstens eine halbe Stunde brauchen würde.

«Ich habe mir ein Buch mitgebracht«, meinte er gelassen und zog eine ramponierte Taschenbuchausgabe des goldenen Notizbuchs aus der Jackentasche.

Der säuberlich gepflasterte Hof wies in seiner Mitte ein mit Steinen eingefaßtes Beet voller erfrorener Blumen auf und war von vornehm blaßgelben Gebäuden umstanden. Der Haupteingang auf der linken Seite war wirklich beeindruckend, und ihm gegenüber, also auf der rechten Seite, befand sich ein ähnliches, allerdings sehr viel bescheideneres Portal. Die Fassade, die dem Tor zur Straße gegenüberlag, war von hohen Fenstern durchbrochen und mit Fensterläden geschmückt — das ganze wohlhabend wirkende Ensemble erinnerte tatsächlich eher an ein Herrenhaus als an den Sitz einer Ölgesellschaft.

Es war, wie sich herausstellte, beides.

Per Bj0rns Sekretärin nahm mich am Haupteingang in Empfang, trieb mich eine teppichbelegte Treppe hinauf in sein Büro, erklärte mir, Mr. Sandvik sei noch in einer Besprechung,

werde aber gleich dasein, und ging.

Auch wenn das Gebäude alt war, so war doch das Büro des Firmenchefs modern, funktional und sehr skandinavisch eingerichtet. Es hatte doppeltverglaste Fenster, die auf den Innenhof hinausgingen. An den Wänden hingen ein einfaches Wandbild, das eine Felsenformation zeigte und mit den Worten >impermeabel<, >Quelle<, >permeabel< und >Reservoir< beschriftet war, dann eine Liste, die Dinge verriet wie > Angebohrt Okt. 71 < oder > Verschlossen und aufgegeben Jan. 72<, und schließlich drei in leuchtenden Farben gehaltene Karten der Nordsee, die verschiedene Aspekte der Ölbohroperationen zeigten, die dort im Gange waren.

Auf allen drei Karten war das Seegebiet durch Längen- und Breitengrade in kleine Quadrate aufgeteilt, die mit >Shell<, >Esso<, >Conoco< und so weiter beschriftet waren. Obwohl ich mir die Karten sehr genau ansah, konnte ich nirgends ein Quadrat entdecken, in dem >Norsk Oil Imports< stand.

Hinter mir öffnete sich die Tür, und Per Bj0rn Sandvik kam herein, verbindlich und locker wie immer. Man hatte unbedingt den Eindruck, daß er ganz ohne Einsatz seiner Ellbogen nach oben gelangt war.

«David«, sagte er mit seiner hohen, deutlich artikulierenden Stimme,»tut mir leid, daß ich Sie habe warten lassen.«

«Ich hab mir derweil Ihre Karten angeschaut.«

Er nickte und trat zu mir.»Wir bohren dort, und dort. «Er zeigte auf zwei Gebiete, die einen vollkommen anderen Namen trugen. Ich sagte das, und er erklärte es mir.

«Wir gehören zu einem Konsortium. In Norwegen gibt es keine privaten Ölgesellschaften.«

«Was hat Norsk Oil Imports getrieben, bevor das Öl unter der Nordsee entdeckt wurde?«

«Natürlich Öl importiert.«

«Natürlich.«

Ich lächelte und ließ mich in den quadratischen Sessel sinken, auf den er gedeutet hatte.

«Schießen Sie los«, sagte er.»Mit Ihren Fragen.«

«Hat Ihnen Bob Sherman irgendwelche Drucksachen oder Fotos aus England mitgebracht?«

Er schüttelte den Kopf.»Nein. Das hat uns Lars schon am Dienstag gefragt. Sherman hat niemandem irgend etwas Derartiges mitgebracht. «Er streckte die Hand nach der Sprechanlage aus.»Hätten Sie gern einen Kaffee?«

«Sehr gern.«

Er nickte und bat seine Sekretärin, uns einen Kaffee zu bringen.

«Trotzdem«, sagte ich,»hat er wahrscheinlich ein Päckchen mitgebracht und es vermutlich auch weitergegeben. Wenn uns jemand bestätigen würde, daß er dieses Päckchen bekommen hat, dann könnten wir dieses Kapitel möglicherweise abhaken.«

Er starrte blicklos auf seinen Schreibtisch.

«Wenn das von ihm Mitgebrachte«, fuhr ich fort,»beispielsweise Pornographie gewesen wäre, dann hätte es wahrscheinlich nichts mit seinem Tod zu tun.«

Er sah auf.

«Verstehe«, sagte er.»Und weil niemand zugegeben hat, das Päckchen erhalten zu haben, glauben Sie, daß keine Pornographie darin war?«

«Ich weiß nicht, was drin war«, erwiderte ich.»Ich wünschte, ich wüßte es.«

Der Kaffee kam, und er goß ihn vorsichtig in dunkelbraune, rustikal wirkende Becher.

«Haben Sie den Gedanken verworfen, daß der Mörder Bob Shermans mit dem Mann identisch ist, der das Geld gestohlen hat?«

«Ich habe ihn vorläufig zurückgestellt«, sagte ich und lehnte das Angebot von Milch und Zucker dankend ab.»Könnten Sie mir sagen, welchen Eindruck Sie von Sherman als Mensch hatten?«

Er spitzte abwägend die Lippen.

«Nicht übermäßig intelligent«, sagte er.»Ehrlich, aber auch leicht zu beeinflussen. Ein guter Reiter, natürlich. Für mich hat er immer gute Rennen geritten.«

«Rolf Torp schien der Ansicht gewesen zu sein, daß Bob an jenem letzten Tag ein schlechtes Rennen für ihn geritten ist.«

Sandvik zuckte leicht die Achseln.»Manchmal kann man es Rolf nur schwer recht machen.«

Wir tranken unseren Kaffee und sprachen über Bob. Nach einer Weile sagte ich, ich würde gern Mikkel kennenlernen.

Sandvik runzelte die Stirn.»Um ihm Fragen zu stellen?«

«Hm, ja… ein paar. Er hat Bob ja relativ gut gekannt, und er ist der einzige von allen, die Kontakt zu ihm hatten, den ich noch nicht kenne.«

Das gefiel ihm gar nicht.»Ich kann Sie natürlich nicht daran hindern. Oder anders gesagt: Ich würde es nicht tun. Aber die ganze Geschichte hat ihn sehr mitgenommen. erst der Gedanke, daß sein Freund ein Dieb ist, und dann noch weit mehr, daß er ermordet worden ist.«

«Ich werde versuchen, ihn nicht allzusehr zu quälen. Ich habe seine kurze Aussage gelesen, die er der Polizei gegenüber gemacht hat. Ich werde wahrscheinlich auf die gleichen Fragen zu sprechen kommen.«

«Warum ihn dann behelligen?«

Ich überlegte kurz und sagte dann:»Ich glaube, ich muß ihn einfach mal kennenlernen, um mir ein vollständiges Bild von Bobs Besuchen hier im Lande machen zu können.«

Er sog langsam seine Unterlippe ein, erhob aber schließlich keine Einwände mehr.

«Mikkel ist im Internat«, sagte er,»kommt aber morgen nachmittag nach Hause. Wenn Sie um drei Uhr da sind, können Sie ihn sprechen.«

«Hier. in Ihrem Büro?«

Er schüttelte den Kopf.»Nein, bei uns. Auf der anderen Seite des Hofes.«

Ich stand auf und dankte ihm dafür, daß er sich soviel Zeit für mich genommen hatte.

«Ich war Ihnen keine große Hilfe«, meinte er.»Wir haben Sie da mit einer ziemlich hoffnungslosen Aufgabe betraut.«

«Nun ja.«, sagte ich laut — und dachte bei mir, daß steter Tropfen den Stein schließlich doch höhlt.»Ich werde tun, was ich kann, um mir Ihr Geld zu verdienen.«

Er begleitete mich bis zur Treppe, und wir gaben uns die Hand.

«Lassen Sie mich wissen, wenn ich irgend etwas tun kann.«

«Das werde ich«, gab ich zurück.»Und vielen Dank.«

Ich ging durch das stille Treppenhaus hinunter in die große, leere Eingangshalle. Die einzigen Geräusche, die auf das Vorhandensein von Leben hindeuteten, drangen durch eine Tür hinten in der Halle, und ich ging hin und machte sie auf.

Wie ich nun sehen konnte, führte sie direkt in das angrenzende Gebäude, in welchem nicht die Firma geleitet, sondern die tägliche Arbeit erledigt wurde. Aber selbst das vollzog sich in gemäßigtem Tempo und ohne irgendeinen spürbaren Druck, denn in den Türen der langen Reihe von Büros, die ich vor mir hatte, standen entspannte Menschen in Pullovern, tranken Kaffee, rauchten und vermittelten nicht gerade den Eindruck, als tobe um sie herum das kommerzielle Leben.

Ich zog mich zurück — durch die Eingangshalle und über den

Hof bis zu Erik Lund. Als ich zu ihm in den Wagen stieg, löste er den Blick von seinen goldenen Notizen und wußte anscheinend nicht so recht, wer ich war.

Dann schien es ihm zu dämmern.»Ach ja.«, sagte er.

«Jetzt zum Mittagessen?«schlug ich vor.

Er hatte, was die Frage nach einem geeigneten Lokal anging, kaum sehr bestimmte Vorstellungen, aber sobald wir in einem ordentlichen Restaurant Platz genommen hatten, verschwendete er keine Zeit und bestellte etwas, was er gravlaks nannte. Im Gedanken an die Rennbahn zuckte ich zusammen, als ich den Preis sah, aber ich schloß mich ihm an, und es stellte sich als ganz hervorragender Lachs heraus — nicht geräuchert, sondern gebeizt.

«Sind Sie von Scotland Yard?«fragte er, nachdem auch das letzte Stückchen des rosafarbenen Hochgenusses verzehrt worden war.

«Nein, vom Jockey Club.«

Er zeigte sich überrascht, weshalb ich ihm kurz erklärte, warum ich in Oslo war.

«Und was hat es mit dem >Umlegen< auf sich?«

«Das soll mich daran hindern herauszubekommen, was hier passiert ist.«

Er sah gedankenverloren an mir vorbei.

«Macht meinen Bruder Knut zum doofen Trottel, was? Niemand hat versucht, ihn umzubringen.«

«Schlag einen Polizisten nieder, und schon treten sechs andere an seine Stelle«, sagte ich.

«Und von Ihnen gibt es keine weiteren sechs?«fragte er trocken zurück.

«Die Personaldecke des Klubs ist ziemlich dünn.«

Er trank nachdenklich von seinem Kaffee.»Warum geben

Sie’s nicht dran, solange Sie noch heil sind?«

«Natürlicher Starrsinn«, antwortete ich.»Was wissen Sie über Rolf Torp?«

«Den Rolf Torp, der der Schrecken der Skihänge ist, oder den Rolf Torp, der Glashäuser für Pygmäen baut?«

«Nein, über den Rolf Torp, der Rennpferde besitzt und irgend etwas mit Bergbau zu tun hat.«

«Ah, der. «Er runzelte die Stirn, schniefte, zog eine Grimasse.

«Noch so ein verdammter Kapitalist, der die natürlichen Ressourcen des Landes zum Zwecke der persönlichen Bereicherung ausbeutet.«

«Wissen Sie irgend etwas über ihn persönlich?«

«Ist das nicht schon persönlich genug?«

«Nein.«

Er lachte.»Sie glauben also nicht, daß das Raffen von Geld etwas über die Seele eines Menschen aussagt?«

«Alles, was ein Mensch tut, sagt etwas über seine Seele aus.«

«Sie winden sich aus der Sache raus«, sagte er.

«Und ich kriege was raus. Aus Leuten.«

«Tja«, sagte er lächelnd,»eigentlich kann ich Ihnen über diesen Rolf Torp nicht sehr viel erzählen. Zum einen habe ich ihn nie kennengelernt, und zum anderen sind Kapitalisten für Klatschspalten fader Stoff, es sei denn, sie würden mit ihrer Sekretärin, aber ohne Pyjama im Bett erwischt.«

Pornobilder als Mittel der Erpressung, ging mir eher beiläufig durch den Kopf. Warum nicht?

«Kennen Sie einen Lars Baltzersen?«fragte ich.

«Sicher. Den Vorsitzenden der Rennbahn von 0vrevoll? Ganz wie man sich eine Stütze der Gesellschaft vorstellt. Diniert mit Botschaftern und überreicht Preise. In der Zeitung oft auf der Sportseite zu sehen, immer mit dem Mann des Tages zusammen.

Wohlgemerkt, unser Lars war selber mal ein rechtes Energiebündel. Fuhr häufig Autorennen, meistens in Schweden. Das war natürlich, bevor ihn das Bankgeschäft unter sich begraben hat.«

«Familie?«

«Holländische Frau, eine Menge stämmiger Kinder.«

Ich bezahlte die Rechnung, und wir schlenderten zum Auto zurück. Odin hatte den Kopf dicht an die Frontscheibe geschoben und starrte, ohne zu blinzeln, durch das Glas. Ein paar Leuten, die es mit einem Ist-er-nicht-ein-braves-Hundchen versuchten, wurden ein gewaltiges Gähnen und ein tiefer Blick in den höhlenartigen Rachen des Hundes zuteil.

Erik machte die Wagentür auf, gab dem Hund einen Schubs und sagte: »Fanden ta dig.« Die Dogge war keineswegs beleidigt, sondern schob ihren Riesenleib auf den Rücksitz zurück, und wir setzten unsere Fahrt fort.

«Was hat Lars im Krieg gemacht?«

«Da war er nicht hier«, antwortete Erik prompt,»sondern in London, wo er die für Norwegen bestimmten Nachrichten gesprochen hat.«

«Daß er mal in London gelebt hat, hat er mir gar nicht gesagt.«

«Er ist inzwischen erloschen. Noch ein toter Vulkan. Noch mehr Bimsstein.«

Erik überfuhr ein paar Ampeln drei Sekunden, nachdem sie auf Rot gesprungen waren, und schien wirklich nicht zu hören, wie sechs andere Fahrer ihre Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen brachten. Odin verpaßte ihm einen liebevollen Stupser in den Nacken, und Erik streckte die Hand aus, mit der er eigentlich die Gangschaltung hätte betätigen sollen, um die gewaltige nasse Hundeschnauze zu streicheln.

Eine Meile vom Stadtzentrum entfernt, hielt er schließlich vor einer modernen, viereckigen Angelegenheit aus Beton und Glas, die die architektonische Eleganz des Wohn- und Geschäftshauses, in dem Sandvik residierte, vermissen ließ.

«Das ist die Adresse, die Sie mir genannt haben«, sagte Erik zweifelnd.

«Schön«, erwiderte ich.»Wollen Sie mit hineinkommen?«

Er schüttelte den Kopf — obwohl der Nachmittag kalt war und es schnell dunkel wurde.»Odin strahlt Wärme ab wie ein Atomreaktor, und ich sitze nun mal nicht gern in Plastiklobbies herum und lasse mich anstarren.«

«Okay.«

Ich überließ die beiden sich selbst und fuhr mit dem Lift zu Rolf Torps Büro hinauf, wo ich wiederum, weil zu früh erschienen, gebeten wurde zu warten. Diesmal nicht in Torps Büro, sondern in einem kleinen, für diesen speziellen Zweck eingerichteten Warteraum, der von nützlichen Prospekten, die über Torp-Nord und Partner informierten, geradezu überquoll.

Auch hier hingen an den Wänden graphische Darstellungen von Felsformationen, Schautafeln, die über erzielte Fortschritte Aufschluß gaben, und Karten, die Abbaugebiete zeigten. In diesem Fall waren es keine Karten von der Nordsee, sondern vom norwegischen Festland, und die dichteste Anhäufung von Markierungsfähnchen befand sich in den Bergen westlich von Oslo.

Jemand hatte mir gesagt, Rolf Torp habe mit Silber zu tun, aber dem war nicht mehr so, jedenfalls nicht in der Hauptsache. Seine Partner hatten sich auf Titan verlegt.

Als Torp endlich zu seiner Vier-Uhr-Verabredung erschien, hatte ich bereits allerhand über Titan erfahren, was ich eigentlich gar nicht hatte wissen wollen. So zum Beispiel, daß es eine Dichte von 4,5 g/cm3 hatte, daß der Schmelzpunkt bei 1660 °Celsius lag und daß es in Form von Legierungen eine besonders hohe Dehnfestigkeit erreichte. Wie schön für das Titan, dachte ich.

Rolf Torp glich seinem Produkt zwar in puncto Dehnfestigkeit, konnte sich aber, was die Leichtigkeit anging, nicht mit ihm messen. Er gab sich keinerlei Mühe zu verbergen, daß ihm mein Besuch lästig war, denn er kam in den Warteraum hereingeplatzt und sagte:»Na los, dann aber mal schnell. Ich habe nur zehn Minuten Zeit, mehr nicht. «Und er stapfte in sein Büro, ohne sich zu vergewissern, daß ich ihm auch folgte.

Das tat ich natürlich. Sein Büro sah wie das Büro Sandviks aus — dieselbe Art von Möbeln, Bezugsstoffen und Teppichen, alles ganz im herrschenden Stil gehalten, aber ohne jede Aussage über den Bewohner dieser Räumlichkeit. An den Wänden hingen Fotografien, welche die verschiedenen Stadien der Metallgewinnung zeigten, und den Ehrenplatz nahm wiederum eine Karte mit Markierungsnadeln ein.

«Wie gewinnt man Titan?«fragte ich ihn und setzte mich auf den Besucherstuhl, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Daraufhin ließ er sich seinerseits gereizt hinter einem halben Morgen leeren Schreibtisches auf seinem Bürosessel nieder und steckte sich eine Zigarette an.

«Auch eine?«fragte er verspätet und schob mir eine Dose zu.

«Danke, nein.«

Er ließ ein Feuerzeug aufschnappen und inhalierte dann tief.

«Titan liegt nicht rum wie Kohle«, sagte er.»Sind Sie sicher, daß Sie Ihre zehn Minuten auf dieses Thema verwenden möchten?«

«Warum nicht?«

Er warf mir über seinen schweren schwarzen Schnurrbart hinweg einen verwirrten Blick zu, schien aber sein eigenes Thema weit weniger nervtötend zu finden als meins.

«Titan ist das neunthäufigste Element auf dieser Erde. Man findet es in achtundneunzig Prozent des Felsgesteins, aber auch im Erdöl, in der Kohle, im Wasser, in Pflanzen, Tieren und auf

Sternen.«

«Aus Menschen kann man es doch wohl kaum herausgraben.«

«Nein. Hauptsächlich wird es als ein Mineral abgebaut, das Ilmenit heißt, es enthält zu einem Drittel Titan.«

«Ist Ihre Firma mit dem eigentlichen Abbau befaßt?«

Er schüttelte den Kopf.»Wir explorieren, machen erste Probebohrungen, beraten und bringen die Sache in Gang.«

Ich sah zu den Fotos an der Wand hin.

«Wozu braucht man das Zeug eigentlich, von Hochgeschwindigkeitsflugzeugen mal abgesehen?«

Er rasselte technische Verwendungsmöglichkeiten herunter, als wäre ihm diese Frage schon mehr als einmal gestellt worden. Zum Ende hin, als er schon langsamer wurde, nannte er schließlich auch noch Malerfarbe, Lippenstift und Nebelkerzen. Wie es schien, gab es kaum etwas, was sich mit der Kraft der Titanen nicht machen ließ,»Hat Ihnen Bob Sherman irgendwelche Fotos mitgebracht?«

Ich fragte ihn das ganz beiläufig und ohne ihn direkt anzusehen. Ob er zusammenzuckte oder nicht, konnte ich allerdings nicht feststellen, da er mit einer schnellen Handbewegung seine Zigarettenasche abschnipste, wodurch eine mögliche unfreiwillige Reaktion überdeckt wurde.

«Nein, das hat er nicht.«

«Hat er Sie mal wegen irgend etwas um Rat gefragt?«

«Wieso sollte er?«

«Hin und wieder brauchen Menschen einen Rat«, sagte ich.

Er lachte, was aber eher wie ein dumpfes Grollen klang.»Ich habe ihm einen gegeben, um den er nicht gebeten hat. Ich habe ihm gesagt, er solle entweder bessere Rennen reiten oder in England bleiben.«

«Sie waren nicht mit ihm zufrieden?«»Er hätte mit meinem guten Pferd durchaus gewinnen können. Er ist eingeschlafen. Er hat den Versuch zu siegen aufgegeben und ist geschlagen worden. Er ist auch nicht so geritten, wie ich es ihm gesagt habe.«

«Glauben Sie, daß man ihn bestochen hat, damit er verliert?«

Er sah erschrocken auf. Bei all seiner übellaunigen Kritik war ihm dieser Gedanke noch nie gekommen, und fairerweise muß gesagt werden, daß er sich auch nicht auf ihn stürzte.

«Nein«, sagte er düster.»Er wollte dieses Pferd beim Grand National reiten. Es ist als Favorit an den Start gegangen und hat auch gewonnen.«

Ich nickte.»Ich habe das Rennen gesehen.«

«Ja, richtig. Bob Sherman wollte es unbedingt reiten, aber ich hätte mir sowieso einen anderen gesucht. Er hat es sehr schlecht geritten.«

Ich dachte bei mir, daß wohl jeder Jockey Rolf Torps, der nicht siegte, automatisch schlecht geritten war. Ich stand auf und reichte ihm die Hand, was ihn verwirrte.

«Ihr Besuch hier war Zeitverschwendung«, meinte er.

«Keineswegs. Ich finde schon hinaus.«

Er hielt mich nicht auf. Ich schloß die Tür zu seinem Büro und unternahm noch eine kleine Erkundungstour. Weitere Büroräume. Größere Geschäftigkeit als bei Sandvik. Der Eindruck, daß hier härter gearbeitet wurde, wenn auch nichts so Handfestes wie ein Klumpen Erz dabei herauskam.

Eriks Wagen stand nicht mehr draußen vor dem Gebäude geparkt, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Ich ging durch die große Glastür hinaus, spähte kurz in die Dunkelheit und zog mich dann schmählich wieder zurück. Eins wollte ich nun mal ganz und gar nicht tun, nämlich bei Nacht allein umherlaufen und es Attentätern leicht machen.

Nach zehn Minuten fragte ich mich, ob er mich schlicht vergessen haben und nach Hause gefahren sein könnte, aber dem war nicht so. Der kleine, cremefarbene Volvo kehrte wenig später mit hoher Geschwindigkeit zurück und hielt nach einer Vollbremsung vor dem Portal. Sein Besitzer wand sich aus dem vibrierenden Metallgehäuse und kam dann auf das Gebäude zugeschlendert.

«Hallo«, sagte er, als ich zu ihm stieß.»Hoffe, Sie haben nicht gewartet. Aber ich mußte Odin was zum Abendessen besorgen. Das hatte ich total vergessen.«

Im Auto hing Odin bedrohlich und hungrig über mir und sabberte. Wie gut, dachte ich, daß er gleich etwas zu fressen kriegt.

Erik fuhr mich in einem Tempo, das den Asphalt zum Schmelzen brachte, zum Grand Hotel zurück und schien enttäuscht zu sein, daß ich keine längeren Fahrten mehr unternehmen wollte.

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