Am nächsten Tag mußte ich wegen einer Dopinggeschichte zu den Rennen nach Plumpton in Sussex, sah aber nichts Unrechtes darin, dies mit ein paar Vorarbeiten in Sachen Sherman zu verbinden. Rinty Ranger ritt beim zweiten und beim fünften Rennen, und ich konnte ihn während des dritten und vierten Rennens relativ leicht festnageln.
«Was sagen Sie da?«wiederholte er mit übertriebener Verwunderung.»Pornographie nach Skandinavien schaffen? Du lieber Himmel, das ist ja, als wollte man sein Mitleid an Buchmacher verschwenden. Die brauchen das nicht, mein Lieber. Die haben daran nicht den geringsten Bedarf.«
«Bob Sherman hat zu seiner Frau gesagt, er müsse Pornobilder nach Norwegen mitnehmen.«
«Und die hat das geglaubt?«
«Die Frage ist eher, ob er es geglaubt hat.«
«Er hat mir nie etwas davon erzählt.«
«Tun Sie mir einen Gefallen«, sagte ich.»Versuchen Sie doch mal heute hier um Umkleideraum herauszufinden, ob irgendwann mal jemand einen der Jockeys gebeten hat, als Bote. als Kurier. zu fungieren und irgendwelche Papiere oder so etwas von Großbritannien nach Norwegen zu bringen.«
«Ist das Ihr Ernst?«
«Bob Sherman ist tot.«
«Ja. «Er überlegte kurz.»Okay.«
Er winkte mir unverbindlich zu, als er zum fünften Rennen aufbrach, bei dem er glänzend und taktisch klug ritt, um schließlich von einem besseren Pferd um eine halbe Länge geschlagen zu werden. Nach dem Umkleiden kam er aber direkt
aus dem Wiegeraum zu mir, um meiner schönen Theorie den Garaus zu machen.
«Keiner von denen, die in Norwegen geritten sind, ist je gebeten worden, irgendwelche Papiere oder Bilder oder dergleichen mit rüberzunehmen.«
«Würden sie es sagen, wenn doch?«
Er grinste.»Kommt drauf an, wieviel man ihnen fürs Vergessen gezahlt hat.«
«Ihre persönliche Meinung?«
«Schwer zu sagen. Aber sie schienen alle überrascht zu sein. Keine wissenden Blicke oder so etwas, falls Sie wissen, was ich meine.«
«Fragen Sie weiter, ja? Morgen und während der kommenden Rennen. Sagen Sie allen, sie könnten es mir auch vertraulich mitteilen, wenn sie möchten. Und falls sie irgendwas mit der Währung gedreht haben, soll’s keine unangenehmen Folgen für sie haben.«
Er grinste wieder.»Sie sind mir vielleicht ein Bulle! Verdrehen das Recht wie mit ’ner Lockenschere.«
Am Abend rief ich Baltzersen bei sich zu Hause an. Es gebe keine Neuigkeiten, sagte er. Er habe seine Freunde bei der Polizei konsultiert, und die hätten nichts dagegen einzuwenden, wenn ich mich der Jagd anschließen wollte. Ganz im Gegenteil, sie würden mir gern Einblick gewähren in das, was an Material vorläge, um mir die Mühe zu ersparen, noch einmal bei Null anfangen zu müssen.
«Sie werden also kommen, Mr. Cleveland?«
«Ich denke, ja«, antwortete ich.
Mit schmeichelhafter Erleichterung stieß er ein» Gut, gut!«
aus und fügte hinzu:»Kommen Sie morgen.«
«Tut mir leid, aber das geht nicht. Ich muß als Zeuge vor Gericht aussagen, und es könnte sein, daß die Verhandlung zwei
Tage dauert. Ich könnte frühestens am Donnerstagmorgen kommen.«
«Kommen Sie dann doch direkt zur Rennbahn. Am Donnerstag und am Sonntag finden noch Meetings statt, aber ich fürchte, es werden in diesem Jahr die letzten sein. Es ist inzwischen ein bißchen kälter geworden, und wir hatten schon Frost.«
Ich schrieb in Großbuchstaben >warme Kleidung< auf meinen Notizblock und sagte, wir würden uns dann also beim Rennen sehen.
«Übrigens«, fügte ich hinzu,»erinnern Sie sich noch daran, daß ich Ihnen gesagt habe, die Leute, die in das Haus der Shermans eingebrochen sind, hätten dort nach Papieren gesucht? Mrs. Sherman ist inzwischen eingefallen, daß Bob ein ihm anvertrautes Päckchen nach Norwegen mitgenommen hat, in dem sich seiner Meinung nach Pornobilder befanden. Hat bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit seinem Verschwinden irgend jemand Ihnen, der Polizei oder Arne gegenüber etwas davon gesagt, daß Bob Sherman ein solches Päckchen mitgebracht oder abgeliefert hätte?«
Am anderen Ende der Leitung kam es zu einem unerwartet langen Schweigen, aber schließlich fragte Baltzersen nur unsicher zurück:»Pornobilder?«
«Ja, Pornographie.«
«Verstehe. «Wieder Schweigen. Dann:»Bitte etwas genauer.«
Ich sagte:»Wenn die Sendung ihr Ziel erreicht hat, dann kann es sich nicht um das Päckchen handeln, das die Männer gesucht haben. Ich könnte folglich aufhören, unschuldigen Pornobildern nachzujagen, und woanders suchen.«
«Ja, ich verstehe. «Er räusperte sich.»Ich habe von solch einem Päckchen nichts gehört, aber vielleicht Arne. Oder die Polizei. Ich werde sie fragen. Sie wissen natürlich, daß kaum jemand Pornos heimlich in dieses Land einschleusen muß?«
«Es sei denn, es handelte sich um etwas Besonderes«, entgegnete ich und ließ es dabei bewenden.
Den ganzen Dienstag und den Mittwochvormittag verbrachte ich im Gericht und sagte als Zeuge der Anklage in einem Fall aus, bei dem es um einen Versicherungsbetrug ging, der die schwere Mißhandlung von Pferden einschloß. Am Mittwochnachmittag saß ich im Büro und jonglierte wie ein vielarmiger Shiva mit sechs verschiedenen Vorgängen gleichzeitig herum. Die Suche nach Bobs Mörder brachte es mit sich, daß ich zu einer Zeit eine Woche Urlaub nehmen mußte, wo ich eigentlich viel zuviel zu tun hatte, um fortzukommen, und als ich um sieben Uhr mein Büro abschloß und ging, wünschte ich, Bob hätte sich zu einem geeigneteren Zeitpunkt umbringen lassen.
Ich nahm die U-Bahn, ging dann den Rest zu Fuß nach Hause und gab mich dabei beruhigenden Gedanken hin, die um einen großen Scotch daheim kreisten, auf den dann der Bummel zu einem nahegelegenen Grill-Restaurant und der genüßliche Verzehr eines Steaks folgen sollten. Ich schloß die Haustür, ohne daß es knallte, ging leise die teppichbelegte Treppe hinauf, schloß die Wohnungstür auf und machte das Licht an — und das war der Augenblick, in dem der Tag aufhörte, planmäßig zu verlaufen.
Ich hörte, spürte, nahm vielleicht auch nur instinktiv wahr, daß sich die Luft hinter mir veränderte. Es war nichts so Definitives wie ein Geräusch. Mehr eine Störung. In jedem Falle aber eine Bedrohung.
Alle diese nützlichen, tief in mir schlummernden Urwaldreaktionen kamen mir zu Hilfe, noch bevor in meinem Kopf ein gedanklicher, auf vernünftigen Erwägungen basierender Prozeß hatte in Gang kommen können. Ich fuhr also zur Treppe herum und zog mich gleichzeitig weiter in meine Wohnung zurück, als der Mann mit dem Messer sein Bestes gab, um mich vor der Zeit auf den Friedhof zu befördern.
Er hatte kein rötliches Haar und keine zornigen gelben Adleraugen, trug auch keinen norwegischen Pullover. Aber er trug Gummihandschuhe und hatte einen untersetzten, muskulösen Körper, besaß große Entschlossenheit und eine sehr scharfe Messerklinge.
Der Dolchstoß, der mein Herz von hinten hatte treffen und zum Stillstand bringen sollen, fuhr statt dessen durch ganz anständigen irischen Tweed, durch ein blaues Baumwollhemd darunter und dann durch etliche Zentimeter Haut auf meiner Brust abwärts.
Der Angreifer war angesichts der Tatsache, daß seine Aktion nicht gleich beim ersten Mal von Erfolg gekrönt war, überrascht und verdrossen, hatte aber auch gehört, daß man nicht gleich aufgeben soll. Er drängte mir durch die Wohnungstür nach, das Messer bereits zu einem erneuten Stoß erhoben. Ich zog mich eiligst durch den winzigen Flur ins Wohnzimmer zurück, war aber nicht in der Lage, ihn und sein Vorhaben lange genug aus den Augen zu lassen, um irgendeinen Haushaltsgegenstand zu finden, mit dem ich ihn hätte abwehren können.
Er führte eine Finte aus und stieß dann in Richtung meiner Körpermitte nach, wobei mein Jackett zu einem weiteren Schnitt kam und ich aus nächster Nähe einen Blick in zusammengekniffene, mörderische Augen erhaschte.
Als nächstes versuchte er es mit einer Art Ausfallschritt — die Messerspitze sauste auf mich zu, als wollte sie mich von unten nach oben aufschlitzen. Ich machte einen Satz rückwärts, stolperte aber über einen Läufer und fiel auf den Rücken, wobei meine Hand gegen den Fuß der Stehlampe schlug. Ich packte wild entschlossen zu, zog die Lampe zu mir heran und wehrte den Angreifer, der schon glaubte, mich endlich erwischt zu haben, gerade noch ab. Es krachte laut, als ihn die Lampe traf, und er geriet kurz aus dem Gleichgewicht, was es mir ermöglichte, mit beiden Händen seinen rechten Arm zu packen. Doch da entdeckte ich leider seine steinharten Muskeln. Und
auch, daß er mehr oder weniger beidhändig war.
Blitzschnell ergriff er das Messer mit der Linken, und ich konnte dem nun folgenden Stoß nur ausweichen, indem ich mich über einen Sessel schwang, wobei ich mich von seinem Arm abstieß. Die Klinge fuhr in ein Kissen, und Federn stoben auf wie Schneeflocken.
Ich warf eine Zigarettendose nach ihm, die aber nicht traf, dann eine Vase, die zwar traf, aber keinerlei Wirkung erzielte. Solange der Sessel zwischen uns blieb, konnte er nicht an mich heran, aber er gab mir auch nicht die Gelegenheit, an ihm vorbei zu der noch offenstehenden Wohnungstür und ins Treppenhaus zu gelangen.
Auf dem breiten Regalbrett hinter mir stand mein tragbares Fernsehgerät. Wenn ich das nach ihm schmiß, würde ihn das wahrscheinlich stoppen, aber andererseits. Ich griff, ohne den Blick von seinem Messer abzuwenden, hinter mich, fand den Schalter, stellte das Gerät an und drehte den Ton auf höchste Lautstärke.
Der einsetzende Krach überraschte ihn vollkommen, was mir zu einer winzig kleinen Chance verhalf. Ich stieß den Sessel kraftvoll von mir fort und gegen seine Knie, er verlor erneut das Gleichgewicht und wand sich in dem Bemühen, auf den Beinen zu bleiben, hin und her. Trotzdem ging er zu Boden, zumindest mit einem seiner Knie, fing sich zum Teil wieder und stürzte dann doch, als ich mit dem Sessel nachstieß. Das war allerdings nicht von Dauer. Wie eine Katze rollte er sich herum und kam wieder hoch, ehe ich die Zeit gefunden hatte, den großen Sessel zu umrunden und ihm in ein paar seiner weicheren Körperteile zu treten.
Bis zu diesem Augenblick hatte er noch kein einziges Wort gesprochen, aber wenn er es jetzt getan hätte, hätte ich es nicht hören können — das Fernsehgerät vibrierte förmlich von dem Lärm, den ein Pop-Star oder sonst irgendeine Band produzierte.
Und wenn das nicht die US-Kavallerie alarmierte, dann gar nichts.
Er kam. Sah verärgert aus. Bereit, wie ein Geysir hochzugehen. Und stand bestürzt da, in meiner Wohnungstür.
«Holen Sie die Polizei!«schrie ich, aber er hörte nichts. Ich schlug auf den Aus-Schalter des Fernsehers.
«Holen Sie die Polizei!«schrie ich noch einmal, und in der plötzlichen Stille prallte mein Schrei von den Wänden ab.
Der Mann mit dem Messer sah sich um, erteilte sich selbst neue Anweisungen und ging auf meinen Freund aus dem Erdgeschoß los. Ich unternahm eine Art Rugbyangriff und warf mich, Füße voraus, gegen seine Beine. Er stolperte über meine Schuhe und Knöchel und fiel dann seitwärts zu Boden. Ich schwang ein Bein zu ihm rüber, und das schiere Glück wollte es, daß ich sein Handgelenk traf. Das Messer flog ihm aus der Hand und mindestens drei Meter weit ins Zimmer, landete näher bei mir als bei ihm auf dem Fußboden — und da dachte er wohl zum ersten Mal daran aufzugeben.
Er rappelte sich hoch, sah mich mit ersten Anzeichen der Verunsicherung an, faßte dann einen Entschluß, machte kehrt, drängte sich an meinem Hausgenossen vorbei und sprang mit zwei Riesensätzen die Treppe hinunter. Die Haustür fiel hinter ihm mit einer Wucht zu, daß das gesamte Gebäude erbebte, und ich sah vom Fenster aus, wie er in olympischer Manier unter den Straßenlaternen davonsprintete.
Nun betrachtete ich atemlos das Chaos in meinem Wohnzimmer und meinen Mitbewohner aus dem Erdgeschoß.
«Danke«, sagte ich.
Er tat einen zögernden Schritt ins Wohnzimmer hinein.
«Sie bluten«, sagte er.
«Aber ich sterbe nicht.«
Ich hob die Stehlampe auf.
«War das ein Einbrecher?«erkundigte er sich.
«Ein Mörder«, erwiderte ich.»Ein Mörder betritt die Bühne.«
Wir sahen uns mit offenkundig auf beiden Seiten gegebener professioneller Neugier an, denn als nächstes sagte er:»Setzen Sie sich hin, Sie haben einen Schock erlitten.«
Das war ein Ratschlag, den ich selbst schon oft anderen gegeben hatte, und ich lächelte. Dessen ungeachtet spürte ich irgendwo in der Gegend meiner Knie ein Zittern, weshalb ich seiner Aufforderung Folge leistete.
Er sah sich im Zimmer um, betrachtete das Messer, das immer noch da lag, wo es zu Boden gefallen war, und nahm alles sehr ruhig auf.
«Soll ich Ihre Anweisung noch ausführen, oder war sie im Prinzip eher als Ablenkung gedacht?«
«Wie bitte?«
«>Holen Sie die Polizei!««
«Ach so. Das hat noch Zeit.«
Er nickte, überlegte kurz und sagte dann:»Wenn Sie mir die Frage gestatten: Warum hat er versucht, Sie umzubringen?«
«Das hat er mir nicht gesagt.«
Mein Hausgenosse hieß Stirling. C. V. Stirling, wie auf dem säuberlichen weißen Kärtchen neben seiner Klingel zu lesen stand. Er hatte graue Haare, die über den Ohren hübsch ordentlich nach hinten gekämmt waren, und schmale Nasenflügel, die der Abneigung gegen schlechte Gerüche Ausdruck verliehen. Seine Hände sahen übermäßig sauber und gutgepflegt aus, und selbst unter diesen absurden Umständen zeigte seine Miene noch eine Andeutung ärgerlicher Geduld. Ein Mann, schloß ich, der daran gewöhnt war, der hellste Kopf weit und breit zu sein, und der über die Mittel verfügte, die anderen dies spüren zu lassen.
«Wäre das nötig gewesen?«»Es wäre hilfreich gewesen«, antwortete ich.
Er kam einen Schritt näher.»Ich könnte etwas gegen diese Blutung unternehmen, wenn Sie wollen.«
Ich sah auf mein Hemd hinunter, dessen Farbe sich ziemlich gründlich von Blau zu Rot verändert hatte.
«Wirklich?«
«Ich bin Arzt«, sagte er.»Eigentlich nur für Hals, Nasen, Ohren. Andere Bereiche nur nach Vereinbarung.«
Ich lachte.»Dann nähen Sie mal los.«
Er nickte, ging nach unten und kam mit einem praktischen flachen Köfferchen wieder, in dem sich das erforderliche Handwerkszeug seines Berufsstandes befand. Statt einer Nadel benutzte er Klammern. Der Schnitt auf meiner Brust sah schlimmer aus, als er war, blutete aber pausenlos vor sich hin — wie diese Wunden, die man sich beim Rasieren zufügt. Als mein Retter fertig war, war von dem Schnitt nur noch eine dünne rote Linie unter einem Heftpflaster übrig.
«Sie haben Glück gehabt«, sagte er.
«Ja, das habe ich.«
«Machen Sie so etwas öfter? Ich meine, um Ihr Leben kämpfen?«
«Sehr selten.«
«Die Gebühr für meine ärztlichen Bemühungen ist ein weiteres Plauderstündchen.«
Ich lächelte gequält.
«Okay. Ich bin Ermittler. Ich weiß nicht, warum ich attackiert worden bin, es sei denn, da gäbe es jemanden, der ganz und gar keinen Wert darauf legt, daß gegen ihn ermittelt wird.«
«Großer Gott. «Er starrte mich neugierig an.»Ein Privatdetektiv? So ein Philip Marlowe?«
«Nicht so was Tolles. Ich bin im Rennsport tätig, genauer für
den Jockey Club. Gehe meistens kleinen Betrügereien nach.«
«Dies«, sagte er und deutete mit vager Geste auf meine Brust, das Messer und die verstreuten Kissenfedern,»sieht gar nicht nach einer kleinen Betrügerei aus.«
Das tat es wirklich nicht. Und es sah auch nicht nach einer nachdrücklichen Warnung aus. Eher wie das rücksichtslose Drängen auf eine endgültige Lösung.
Ich zog mich um und nahm ihn zu dem überfälligen Steak in das Grill-Restaurant mit. Er heiße Charles, sagte er, und wir gingen als Freunde wieder nach Hause. Als ich meine Wohnung betrat und mir die allgemeine Unordnung besah, fiel mir ein, daß ich die Polizei überhaupt nicht verständigt hatte. Aber dazu war es nun wohl auch ein bißchen spät, und deshalb ließ ich es.
Am nächsten Vormittag flog ich um elf Uhr fünfundzwanzig nach Norwegen, das in Frischhaltefolie eingewickelte Messer in meinem Toilettenbeutel — oder genauer: in der schwarzen Ledertasche mit Reißverschluß, die mir als solcher diente. Es handelte sich um ein Jagdmesser, das heißt um eines dieser Messer mit beidseitig geschliffener Klinge, wie man sie zum Abbalgen und Zerlegen von Wild benutzt. Die Schneiden waren scharf wie Rasiermesser, und die Spitze hätte gut als Nadel getaugt. Eine professionelle Sache — kein Amateur hätte dieses Ergebnis nur mit einem Schleifstein erzielen können.
Der Griff war aus irgendeinem Horn und ebenfalls fachmännisch hergestellt, kein Schund für Touristen. Zwischen Griff und Klinge ragte beidseitig ein kurzes, silbernes Metallstück heraus, was eine bessere Handhabung gewährleistete. Auf dem Messer waren keinerlei Fingerabdrücke und auch kein Blut. Nahe dem Griff waren die Worte Norsk Stal in die Klinge eingestanzt.
Der Eigentümer des Messers hatte es natürlich nicht zurücklassen wollen, wohl aber eine Leiche, fein säuberlich hinter der Wohnungstür liegend, für niemanden sichtbar und
mindestens vierundzwanzig Stunden unentdeckt.
Er war mir nicht ins Haus gefolgt, sondern schon drin gewesen, bevor ich kam, und hatte wohl irgendwo weiter oben auf meine Heimkehr gewartet.
Zur Frühstückszeit hatte ich an die Türen der anderen drei Mietparteien geklopft, also im Erdgeschoß sowie in der zweiten und dritten Etage, und gefragt, ob sie meinen Besucher auf der Treppe gesehen oder ihn zur Haustür hereingelassen hätten. Ich hatte nur negative Antworten bekommen, aber wie einer der Befragten gemeint hatte, standen wir alle nicht gerade auf sehr vertrautem Fuß miteinander, und wenn der Besucher kühn das Haus betreten hätte, als einer der Mieter es gerade verließ, wäre er wohl kaum aufgehalten worden. Niemand hatte sich an ihn erinnern können, aber der Mann im Kellergeschoß hatte mich darauf aufmerksam gemacht, daß an dem Tag der Wagen der Wäscherei dagewesen war, so daß ein Fremder leicht zusammen mit dem Mann hätte ins Haus gelangen können, der die Kästen mit der Wäsche in den Hausflur gebracht beziehungsweise abgeholt hatte.
Die Erscheinung meines Besuchers war weder verdächtig noch sonst irgendwie bemerkenswert gewesen, sein Gesicht ein Allerweltsgesicht — braunes Haar, bläßliche Haut, dunkle Augen. Alter ungefähr dreißig Jahre. Kleidung: dunkelgraue Hosen, enganliegender Marinepullover, sauberes Hemd und Schlips, oben im Halsausschnitt sichtbar. Genau der richtige Aufzug für unsere Gegend. Sogar ein bißchen zu formell.
Die Maschine der BEA landete pünktlich in Fornebu, und ich fuhr mit dem Taxi direkt zur Rennbahn von 0vrevoll. Nichts hatte sich in den zweieinhalb Wochen meiner Abwesenheit verändert, nicht einmal das Wetter oder die bei den Rennen laufenden Pferde, und ich brauchte nur eine halbe Stunde, um alle mir bekannten Gesichter zu entdecken, so etwa das von Gunnar Holth, Paddy O’Flaherty, Per Bj0rn Sandvik, Rolf Torp und Lars Baltzersen. Arne begrüßte mich mit einem strahlenden
Lächeln und der Aufforderung, soviel Zeit wie nur möglich mit Kari und ihm zu verbringen.
Ich ging den größten Teil des Nachmittags mit ihm herum, teils, weil ich es wollte, teils aber auch, weil Baltzersen damit beschäftigt war, Rennbahn-Vorsitzender zu sein. Arne sagte, er persönlich sei zwar froh, mich wiederzusehen, viele Mitglieder des Rennbahn-Ausschusses seien jedoch gegen meine von Baltzersen empfohlene neuerlichen Einschaltung gewesen.
«Lars hat uns bei der Ausschußsitzung am Dienstag mitgeteilt, daß du heute hier ankommen würdest, und da hat es einen ganz schönen Krach gegeben. Das hättest du mal hören sollen. Lars sagte, die Rennbahn würde wieder für deine Reisekosten und die Unkosten hier aufkommen, und da war die Hälfte von ihnen der Ansicht, daß eine so große Ausgabe nicht gerechtfertigt sei.«
Er brach ziemlich unvermittelt ab, so als hätte er beschlossen, mir nicht zu wiederholen, was tatsächlich gesagt worden war.
«Man hätte mich sehr leicht überreden können, zu Hause zu bleiben«, sagte ich. Aber mit Worten, dachte ich, nicht mit Messern.
«Einige Mitglieder des Ausschusses waren der Ansicht, Lars hätte nicht das Recht gehabt, ohne eine vorherige Abstimmung zu handeln.«
«Und Lars?«
Arne zuckte die Achseln.»Er möchte eine Erklärung für Bob Shermans Tod haben. Die meisten anderen wollen die Sache vergessen.«
«Und du?«fragte ich.
Er blinzelte.»Tja«, sagte er dann,»ich würde wohl schneller aufgeben als Lars oder du. Deshalb«- er grinste —»ist Lars ja auch Vorsitzender, und du bist Chefermittler, während ich nur ein Sicherheitsbeauftragter der Rennbahn bin, der sich die Einnahmen des Platzes vor der Nase wegstehlen läßt.«
Ich lächelte.»Niemand gibt dir die Schuld.«
«Vielleicht sollten sie aber.«
Ich dachte in der mir eigenen intoleranten Art, daß sie das ganz bestimmt sollten, schüttelte jedoch den Kopf und wechselte das Thema.
«Hat dir Lars von dem Angriff auf Emma Sherman berichtet und dir erzählt, daß sie ihr Baby verloren hat?«
«Ja«, antwortete er.»Arme Frau. «Seine Aussage schien mir eher ein Lippenbekenntnis als echte Anteilnahme zu sein. Wahrscheinlich konnte keiner, der sie nicht so gesehen hatte wie ich, wirklich nachvollziehen, was sie durchgemacht hatte — und ich wußte, daß ich größtenteils wegen Emma wieder in Norwegen war. Es durfte nicht sein, daß jemand einem anderen Menschen so weh tat und dann ungeschoren davonkam. Die Tatsache, daß dieselbe Organisation erst Bob ermordet und dann versucht hatte, mich vom Leben zum Tod zu befördern, war dabei seltsamerweise zweitrangig — in erster Linie galt es, mögliche zukünftige Opfer zu retten. Wenn man das Unkraut nicht jätet, kann der Garten daran ersticken.
Rolf Torp lief schlechtgelaunt umher. Sein Pferd, sagte er, habe sich am Morgen verletzt, und sein Trainer habe es versäumt, ihm rechtzeitig mitzuteilen, daß es nicht würde laufen können. Er habe sich den Nachmittag freigenommen, was er bestimmt nicht getan hätte, wenn ihm das bekannt gewesen wäre, denn eigentlich sei er unentbehrlich, und in seiner Abwesenheit komme nie etwas Ordentliches zustande.
Nachdem er sich dieses kleine Unglück von der Seele geredet hatte, nahm er mich ins Visier.
«Ich war dagegen, Sie erneut einzuschalten. Das sollen Sie wissen. Ich hab’s auch dem Ausschuß gesagt. Es ist reine Geldverschwendung.«
Sein Name stand auf der Liste der Spender, die mir Emma gegeben hatte, nachdem ihr die norwegischen Pferdebesitzer einen Scheck über eine durchaus handfeste Summe geschickt hatten. Wenn er der Auffassung war, daß verfügbares Geld nur für die Lebenden ausgegeben werden sollte, dann war das vielleicht ein annehmbarer Standpunkt, aber schließlich bestritt er meine Unkosten nicht aus eigener Tasche.