Kapitel 9

Rolf Torp war kleiner, dafür aber aggressiver als der Durchschnitt — ein ziemlich stämmiger Brocken mit einem großen, schwarzen Schnurrbart, der eher eine Aussage als eine Zierde war. Schwer, es ihm recht zu machen, und schwer, ihn zu mögen, dachte ich, aber er war mit einem scharfen Auge und scharfem Verstand gesegnet — ganz zu schweigen von seiner scharfen Zunge.

Seine Stimme klang so dunkel wie der Ruf einer Rohrdommel im Schilf, und obwohl sein Englisch so gut war wie das der meisten gebildeten Norweger, sprach er es lieblos und so, als machte er sich nicht allzuviel daraus.

Ich sagte ganz ruhig:»Als jemand, der mit Bergbau zu tun hat, wissen Sie doch, daß Untersuchungen eine lohnende Investition sind, auch wenn man nicht bei jeder auf Erz stößt.«

Er warf mir einen harten Blick zu.»Als jemand, der mit Bergbau zu tun hat, weiß ich, daß ich keine Untersuchung finanzieren würde, bei der man auf Schlamm trifft.«

Boing! Eins auf den Hut für D. Cleveland. Ich grinste anerkennend, und die Winkel seines Mundes verzogen sich ganz langsam und unwillig.

Ich nutzte die Gelegenheit.

«Darf ich Sie mal in Ihrem Büro aufsuchen?«fragte ich.»Nur, um ein paar Fragen zu stellen. Wo ich nun schon mal hier bin, kann ich ja versuchen, das Geld zu verdienen, das Sie für mich ausgeben.«

«Ich könnte Ihnen nichts sagen, was Ihnen weiterhelfen würde«, entgegnete er in einem Ton, der die Unumstößlichkeit seiner Aussage unterstreichen sollte.

«Trotzdem.«

Die Andeutung eines Lächelns verschwand wieder, aber schließlich nickte er doch widerstrebend mit dem Kopf.

«Na schön«, sagte er.»Morgen nachmittag. Vier Uhr. «Und er erklärte mir sogar noch, wie ich ihn finden konnte.

Als er gegangen war, fragte Arne:»Was willst du denn von ihm wissen?«

«Weiß ich noch nicht. Ich möchte mir vor allem mal anschauen, wie er so lebt. Man kann nicht sagen, wie jemand wirklich ist, wenn man ihn immer nur bei den Rennen trifft.«

«Aber«- er blinzelte wie wild —»warum Rolf Torp?«

«Nicht speziell Rolf Torp«, sagte ich.»Alle, die Bob Sherman gekannt haben.«

«David!«er sah mich ungläubig an.»Dazu brauchst du doch Monate!«

Ich schüttelte den Kopf.»Ein paar Tage, mehr nicht. So viele Leute hat Bob hier ja auch wieder nicht gekannt.«

«Aber er könnte doch von einem vollkommen fremden Menschen getötet worden sein. Ich meine, er könnte schließlich auch jemanden beim Stehlen beobachtet haben, den er überhaupt nicht kannte.«

«Das ist möglich«, sagte ich und fragte ihn, ob er Bob jemals darüber habe reden hören, daß er irgendwelche Päckchen von England nach Norwegen mitgebracht habe.

Arne zog die Stirn in Falten und blickte zwanghaft über die Schulter. Niemand da, natürlich nicht.

«Lars hat am Dienstag abend dieses mysteriöse Päckchen erwähnt. Keiner wußte etwas darüber.«

«Was genau hat Lars gefragt?«

«Er sagte nur, du würdest gerne wissen, ob irgend jemand von Bob ein Päckchen erhalten hätte.«

«Und das hatte keiner?«

«Jedenfalls keiner von den Anwesenden.«

«Könntest du mir eine Liste der Anwesenden machen?«

«Ja«, sagte er überrascht.»Wenn du willst. Aber ich sehe überhaupt nicht, was das mit Bobs Tod zu tun haben soll.«

«Ich bin im Sammeln von nutzlosen Informationen ganz groß«, sagte ich lächelnd, und Arne warf mir einen Blick zu, der soviel besagte wie: Allerdings, das sieht man.

Die Rennen nahmen ihren gewohnten Lauf, nur daß diesmal die Zuschauermenge erheblich kleiner war als am Tage des Grand National. Die Birken hatten den größten Teil ihrer gelben Blätter abgeworfen und sahen silbrig aus, das Tageslicht schien kälter und grauer als je zuvor, und ein scharfer Wind fuhr um alle Ecken. Diesmal hatte ich mir aber eine Skimütze mit Ohrenklappen mitgebracht, und nur meine Nase wurde — wie bei allen anderen auch — langsam blau.

Gunnar Holth sattelte zwei Pferde für das Hürdenrennen, eilte geschäftig zwischen beiden hin und her, um den jeweiligen Besitzern besorgt und geschickt gerecht zu werden. Eines der Pferde war die Apfelschimmelstute mit dem unberechenbaren Temperament, deren Besitzer — Sven Wangen — auch auf Emmas Liste stand. Arne bestätigte mir, daß der hochgewachsene junge Mann, der jedesmal, wenn der Gaul seine Hufe zeigte, beflissen beiseite hüpfte, eben dieser Sven Wangen sei, und er setzte noch hinzu, daß es sich bei der Brünetten, die sich in sicherer Entfernung über Wangen lustig machte, um dessen Frau handle.

Der Jockey saß vorsichtig auf und ritt zum Start, wobei der Gaul unablässig bockte und ausschlug. Arne meinte, daß die Stute wie alle gemeinen, übellaunigen Weibsbilder zuletzt doch ihren Willen bekommen werde, und ging davon, um am Totalisator eine Kleinigkeit zu investieren.

Eine weise Entscheidung. Die Stute siegte. Arne strahlte und sagte, er hätte es ja gewußt, sie gewinne immer, wenn sie sich so zickig aufführe. Ob sie jemals fromm sei, wollte ich wissen, und

Arne meinte, sicher, aber eben nur an ihren freien Tagen. Wir sahen zu, wie sie in dem den Siegern vorbehaltenen Ring abgesattelt wurde, wobei ihr Gunnar Holth und Sven Wangen mit tangoähnlichen Schritten geschickt auswichen.

Ich sagte Arne, daß ich Sven Wangen gern einmal kennenlernen würde, weil Bob doch an jenem letzten Tag ebenfalls mit einem von Svens Pferden siegreich gewesen sei. Arne hatte Bedenken, und ich fragte ihn, warum.

Er machte einen spitzen Mund.»Ich mag ihn nicht. Deshalb.«

«Weshalb denn nicht?«

«Zuviel Geld«, antwortete Arne vorwurfsvoll.»Er führt sich auf, als müßte jeder, der mit ihm redet, vor ihm auf die Knie fallen. Dabei hat er’s nicht mal selbst verdient. Das Geld kommt von seinem Vater. Sein Vater war ein reicher Mann. Zu reich.«

«In welcher Hinsicht zu reich?«

Arne zog bei dieser für ihn offensichtlich unsinnigen Frage die Augenbrauen hoch, und dem Tonfall seiner Antwort war zu entnehmen, daß er Reichtum für moralisch verwerflich hielt.

«Er war Millionär.«

«Gibt es in Norwegen keine Millionäre?«

«Nur sehr wenige. Sie sind nicht sehr populär.«

Ich überredete ihn trotzdem, mich mit dem unpopulären Sven Wangen bekannt zu machen, dessen Vater seine Millionen mit Schiffen verdient hatte — und mir war sofort klar, warum Arne ihn nicht mochte.

Vielleicht fünf Zentimeter größer als ich, blickte er wie aus großer Höhe verächtlich auf mich herab, und es war deutlich zu erkennen, daß das keine zufällige Angewohnheit war, sondern die Manifestation einer beachtlichen Selbstgefälligkeit. Als höchstens Dreißigjähriger war er recht massig, ja fast schon fett, und sein Gewicht diente ihm dazu, Eindruck zu schinden. Ich fand weder sein Verhalten noch seinen schmalen Mund oder seine unfreundlichen bernsteinfarbenen Augen sympathisch — auch seine Frau nicht, die ganz so aussah, als könnte sie, was das schwierige Temperament anging, den Apfelschimmel um Längen schlagen.

Arne machte uns bekannt, und Sven Wangen sah nicht den geringsten Grund, warum ich ihn irgendwann einmal aufsuchen sollte, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Er hatte dichtes, rostbraunes Haar, das ihm bis über die Ohren reichte, und trug eine flache Mütze, die seinen großen Kopf noch größer aussehen ließ.

Ich sagte, soviel ich wisse, sei er Mitglied des RennbahnAusschusses, der mich zu kommen gebeten habe.

«Lars Baltzersen hat Sie gebeten«, sagte er schroff.»Ich war dagegen. Das habe ich am Dienstag auch gesagt.«

«Je eher meine Fragen beantwortet werden, desto eher fahre ich auch wieder nach Hause«, sagte ich.»Aber nicht früher.«

Er sah mich mit äußerstem Mißfallen an.»Was wollen Sie also?«

«Eine halbe Stunde bei Ihnen zu Hause«, sagte ich.»Zu jeder Zeit, die Ihnen genehm ist, nur morgen nachmittag nicht.«

Er gestand mir irritiert den Sonntag vormittag zu. Seine elegante, schlanke Frau produzierte ein Gähnen, und beide wandten sich ab, ohne sich auch nur den Anschein von Höflichkeit zu geben.

«Verstehst du mich jetzt?«fragte Arne.

«Vollkommen. Sehr ungewöhnlich, nicht wahr?«

«Ungewöhnlich?«

«Normalerweise führen sich die Reichen nicht so auf.«

«Kennst du so viele reichen Leute?«fragte Arne mit einem Anflug von Spott.

«Ich hab doch tagtäglich mit ihnen zu tun«, erwiderte ich.»Sie besitzen Rennpferde.«

Arne räumte ein, daß nicht alle Reichen notwendigerweise abscheulich seien, und ging davon, um irgend etwas zu erledigen. Ich selbst begab mich auf die Suche nach Paddy O’Flaherty, den ich auch bald fand, der aber nur fünf Minuten zwischen zwei Rennen Zeit hatte.

«Brauner Umschlag mit Pornobildern?«wiederholte er.»Er hat nie auch nur ein Sterbenswörtchen von irgendwelchen Pornobildern zu mir gesagt. «Er grinste, und dann war da plötzlich eine unbestimmte Erinnerung.»Warten Sie mal, ich lüge ja. Im Sommer war’s, da sagte er mir mal, er hätte da was laufen, Sie verstehen. Immer hinter dem schnellen Geld her, so war er. An diesem Tag also, da zwinkerte er mir zu und zeigte mir die Ecke von einem Umschlag in seiner Reisetasche und sagte, uns würden die Haare zu Berge stehen. Da habe ich ihn gefragt, ob ich’s mal sehen könnte, verstehen Sie, aber er meinte, der wäre irgendwie versiegelt, deshalb könnte er ihn nicht über Dampf öffnen. Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein, ich erinnere mich.«

«Aber als er das letzte Mal hier war, hat er da irgend etwas davon erwähnt, daß er so einen Umschlag mitgebracht hätte?«

Paddy schüttelte den Kopf.»Wie ich schon gesagt habe, nicht ein Wort. «Ich überlegte.»Kam er vom Flugplatz direkt zu Ihrem Stall? War er zum Beispiel pünktlich da?«

«Das kann ich Ihnen sagen: Pünktlich war er nicht. «Paddy konzentrierte sich.»Er kam so spät, daß ich schon dachte, er hätte das Flugzeug verpaßt und würde erst am nächsten Morgen kommen. Doch dann fährt ein Taxi vor, und er springt raus, in voller Lebensgröße. Er hatte im Flugzeug eine Flasche Brandy gekauft, und davon war dann nicht mehr allzuviel übrig, als wir ins Bett gingen.«

«Worüber hat er geredet?«

«Du lieber Himmel, woher soll ich das noch wissen, nach so langer Zeit?«

«Sie müssen doch oft an diesen Abend zurückgedacht haben.«

«Ja ja, das stimmt schon. «Er seufzte über meine Beharrlichkeit, dachte aber noch ein wenig nach.»Über Pferde natürlich. Wir unterhielten uns über Pferde. Ich kann mich nicht erinnern, daß er gesagt hat, warum er so spät gekommen ist, oder irgend so was. Und bestimmt habe ich auch nur gedacht, daß das Flugzeug Verspätung hatte, mehr nicht.«

«Das werde ich überprüfen«, sagte ich.

«Also, etwas hat er doch noch gesagt. Später, als wir wahrscheinlich schon einen im Kahn hatten: >Paddy<, hat er gesagt, >ich glaube, man hat mich gelinkt. < Genau das hat er gesagt. >Paddy, ich glaube, man hat mich gelinkt. < Ich hab ihn gefragt, wie er das gemeint hätte, aber er hat’s mir nicht gesagt.«

«Wie beharrlich haben Sie denn gefragt?«

«Beharr.? Du liebe Güte, natürlich nicht sehr. Er hat halt dagesessen und den Finger auf den Mund gelegt und genickt. er hatte einen kleinen Schlag weg, Sie verstehen. Also hab ich auch meinen Finger auf den Mund gelegt, wie er, und genauso genickt. Das schien mir damals das einzig Richtige zu sein, Sie verstehen?«Ich verstand. Es war ein Wunder, daß sich Paddy überhaupt noch an diesen Abend erinnern konnte.

Der Nachmittag ging gemächlich dahin. Gunnar Holth gewann das Jagdrennen mit Per Bj0rn Sandviks Whitefire, was Rolf Torp mißfiel, der Zweiter wurde. Per Bj0rn war, wie sich herausstellte, nicht zum Rennen erschienen — er kam donnerstags überhaupt nur selten, weil er damit den Leuten in seiner Firma nur ein schlechtes Beispiel gegeben hätte.

Es war Lars Baltzersen, der mir das mit warmer Anerkennung in der Stimme erzählte. Er selbst, sagte er, lasse seine Arbeit nur im Stich, weil er der Vorsitzende sei, wofür seine Angestellten aber auch Verständnis hätten. Als einer, der sein Leben lang alles hatte stehen- und liegenlassen, sobald nur eine Startflagge fiel, fand ich eine so hohe Arbeitsmoral ein wenig bedrückend, aber man konnte nicht umhin, sie zu bewundern.

Lars und ich überquerten das Geläuf, bestiegen den Turm und schauten auf den Teich hinab. Da eine Brise die Wasseroberfläche kräuselte, wirkte er jetzt weit weniger friedlich als beim ersten Mal, war aber noch genauso dunkel und schlammig wie an dem Tag, an dem wir nach dem Toten gesucht hatten. Die Schwäne und die Enten waren nicht mehr da.

«Es wird bald frieren«, sagte Lars.»Und die Rennbahn wird für drei oder vier Monate mit Schnee bedeckt sein.«

«Heute wird Bob Sherman beerdigt«, sagte ich.»In England.«

Er nickte.»Wir haben Mrs. Sherman einen Kondolenzbrief geschickt.«

«Und einen Scheck«, sage ich, denn auch sein Name stand auf der Liste. Er machte eine abwehrende Handbewegung, schien jedoch aufrichtig erfreut zu sein, als ich ihm sagte, wie sehr Emma ihre Freundlichkeit zu schätzen gewußt habe.

«Ich muß gestehen, daß wir alle uns ein bißchen über sie geärgert haben, als sie hier war. Sie ließ einfach nicht locker. Aber vielleicht war es ja teilweise ihr zu verdanken, daß wir Sie um Ihre Mithilfe baten. Wie auch immer, es freut mich, daß sie nicht verbittert darüber ist, daß wir versucht haben, ihren dauernden Fragen auszuweichen. Sie hätte durchaus ein Recht dazu gehabt.«

«So jemand ist sie nicht.«

Er wandte den Kopf und sah mich an.»Kennen Sie sie schon länger?«fragte er.

«Erst seit die Sache hier passiert ist.«

«Ich bedaure die Art und Weise, wie wir sie behandelt haben«, sagte er.»Ich denke oft daran. Das Geld, das wir ihr geschickt haben, kann uns nicht freikaufen.«

Ich war der gleichen Meinung und unterdrückte eine tröstliche

Antwort. Er sah wieder hinunter auf die Rennbahn, und ich fragte mich, ob ihn wohl sein schlechtes Gewissen dazu getrieben hatte, mich zu einem erneuten Kommen zu überreden.

Nach dem nächsten Rennen, einem Galopprennen über eine lange Distanz, gingen wir zusammen zum Wiegeraum hinüber.

Ich sagte:»Sie waren an jenem Tag gerade im Büro der Stewards, als Bob seinen Kopf zur Tür hereinsteckte und die Taschen mit dem Geld hätte sehen können.«

«Das ist richtig«, sagte Lars.

«Ja. und wie lautete die Frage?«

Er war verwirrt.»Was für eine Frage?«

«Alle der Polizei gegenüber gemachten Aussagen decken sich. Sie alle haben gesagt: >Bob Sherman kam an die Tür und hat etwas gefragt.< Also. was wollte er wissen?«

Er sah höchst überrascht aus.»Das kann nichts mit seinem Verschwinden zu tun haben.«

«Was war es?«

«Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich versichere Ihnen, es war überhaupt nichts Wichtiges, denn sonst hätten wir es doch selbstverständlich der Polizei mitgeteilt.«

Wir trafen wieder mit Arne zusammen, und Lars fragte ihn, ob er sich noch daran erinnern könne, was Bob gewollt habe. Arne machte ein genauso überraschtes Gesicht und sagte, er habe keine Ahnung, er sei im übrigen viel zu beschäftigt gewesen und habe die Frage wahrscheinlich gar nicht mitbekommen. Der Manager der Rennbahn wußte jedoch, daß er es einmal gewußt hatte, denn er, Arne, sei es schließlich gewesen, der Bobs Frage beantwortet habe.

«Laß mich mal nachdenken«, sagte daraufhin Arne mit gerunzelter Stirn.»Er kam herein. nicht seine Füße, nur Kopf und Schultern. Er sah auf das Geld hinab, das vor ihm lag. Daran erinnere ich mich genau. Ich habe das auch der Polizei gesagt. Aber die Frage. es war nichts von Belang.«

Ich zuckte die Achseln.»Sag’s mir, wenn es dir wieder einfällt, ja?«

Er versprach es, so als hielte er es für gänzlich unwahrscheinlich, daß es ihm je wieder einfallen würde, aber eine Stunde später kam er zu mir.

«Bob Sherman hat gefragt, ob Mikkel Sandvik schon nach Hause gegangen sei, und ich habe gesagt, ich wüßte es nicht.«

«Oh.«

Er lachte.»Siehst du, wir haben dir doch gesagt, daß es nichts Wichtiges war.«

«Und ihr hattet recht. «Ich seufzte resigniert.»War nur so ein Gedanke.«

Als der Nachmittag vorbei war, nahm mich Lars mit in sein Rennbahnbüro, um mir die Kopien zu geben, die die Polizei von ihren Unterlagen zum Fall Sherman angefertigt hatte. Eine gepflegte und gewichtige Gestalt in einem schweren dunkelblauen Mantel, auf dem Kopf eine russische Fellmütze, so stand er vor dem großen Kachelofen und hauchte in die Hände.

«Kalt heute«, sagte er.

Ich kenne ihn wahrscheinlich besser als irgend jemanden sonst hier in Norwegen, dachte ich, fragte aber trotzdem:»Darf ich Sie mal in Ihrem Osloer Büro aufsuchen?«

Er hatte von meinen Terminabsprachen gehört und lächelte ironisch angesichts der Tatsache, daß auch er in sie einbezogen wurde.»Am Samstag, wenn Sie wollen. Ich werde bis mittags dort sein.«

Ich lehnte die dringende Einladung Arnes, zu ihnen zum Essen zu kommen, dankend ab, aß früh im Grand Hotel und ging nach oben, um meine Hausaufgaben zu machen.

Die Polizei hatte gewissenhafteste Arbeit geleistet, aber das

Ergebnis war, wie Lars gesagt hatte, gleich Null.

Ein langer, ungeheuer ausführlicher Autopsiebericht voller medizinischer Fachtermini, die ich nur halb verstand, kam zu dem Schluß, daß Bob Sherman an drei einander überschneidenden Frakturen der Schädeldecke gestorben war. Er hatte wahrscheinlich sofort das Bewußtsein verloren, und der Tod war ein paar Minuten später eingetreten — der genaue zeitliche Abstand hatte sich nicht feststellen lassen. Ins Wasser war er erst nach Eintritt des Todes geworfen worden.

Das Nylonseil, das man am Toten gefunden hatte, war Faser für Faser aufgedröselt worden, und eine Untersuchung hatte den Hinweis erbracht, daß es zu einer Partie gehörte, die im vergangenen Frühjahr hergestellt und während des Sommers an zahllose Geschäfte und Schiffsausrüster in der Region Oslo geliefert worden war.

Das Nylonseil, das man, in einen Zementblock eingelassen, im Teich von Ovrevoll gefunden hatte, war von identischer Beschaffenheit. Der Zementblock war eigentlich eine Art Sandsack, wie sie oft zur Verstärkung von Dämmen und Deichen verwendet werden. Der im Teich gefundene Typ war sehr weit verbreitet, und keine der Baufirmen, die in jüngster Zeit diese Art benutzt hatten, konnte sich daran erinnern, daß so ein Sack bei ihr gestohlen worden war. Der Schreiber des Berichts hatte noch seine persönliche Meinung angefügt und festgehalten, daß eine Baufirma wohl kaum je das Fehlen eines einzelnen Zementsacks bemerken würde.

Diese Säcke waren so beschaffen, daß ihr Inhalt in trockenem Zustand zwar krümelig war, im Wasser jedoch steinhart wurde. Das Nylonseil war sehr fest um den Sack gewickelt worden, solange dieser noch trocken gewesen war.

Umfangreiche Befragungen hatten zu niemandem geführt, der im Bereich des Teiches irgendeine Aktivität beobachtet hätte, weder an dem Abend, an dem der Verstorbene verschwunden war, noch an jenem, an dem man ihn wieder aus dem Wasser geholt hatte. Der Nachtwächter hatte sich als absolute Niete erwiesen. Es gab Verzeichnisse all der Dinge, die in Bobs Taschen und in seiner Reisetasche gefunden worden waren. Kleidungsstücke, Uhr, Schlüssel, alles da — aber ich war an Papier interessiert, und das war nach einem Monat im Wasser in einem ziemlich matschigen Zustand.

Paß und Flugticket waren identifiziert worden. Bei den gefundenen Geldscheinen hatte es sich fast ausschließlich um britische Banknoten gehandelt — im Gesamtwert von fünfzehn Pfund. An norwegischem Geld war kaum etwas da, und ganz bestimmt keine fünf Segeltuchtaschen davon.

Der Bericht sagte nichts darüber, daß man in der Reisetasche irgendwelches anderes Papier oder Reste von Papier gefunden hatte. Oder Fotografien — und Fotopapiere halten sich unter Wasser besser als die meisten anderen.

Ich las das alles zweimal durch und kam zu keinen Schlüssen, die die Polizei nicht auch schon gezogen hatte. Bob Sherman war der Schädel eingeschlagen worden, und später hatte man ihn an einen Zementsack gebunden und in den Teich geschmissen. Das hatten mehrere Personen getan oder nur eine.

Und diese Personen (oder die Person) setzten alles daran, unerkannt zu bleiben.

Ich holte das in Frischhaltefolie eingewickelte Messer aus meinem Kulturbeutel und lehnte es an die Leselampe — und sofort fing der Schnitt auf meiner Brust wieder an zu schmerzen, was er seit dem Morgen nicht mehr getan hatte. Wie kommt es, fragte ich mich gereizt, daß Schnittwunden immer nur nachts weh tun?

Aber die Sache hatte auch ihr Gutes, denn nun betrat ich bestimmt nicht mehr blindlings ein Hotelzimmer oder winkte gleich das erste Taxi heran, das vorbeikam. Die Geschichte in London war ernstgemeint gewesen, und ich war hier in Oslo keineswegs sicher.

Ich lächelte trübselig. Bald trieb ich es mit dem Über-die-Schulter-Sehen so schlimm wie Arne.

Aber da, wo dieses Messer hergekommen war, gab es bestimmt noch mehr davon.

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