Kapitel 3

Sie erwartete mich in der kleinen Halle des Norsland Hotels. Sie saß auf der Kante eines Sessels und blickte ängstlich forschend in die Gesichter der Männer, die an ihr vorbeigingen. Ich betrat das Hotel nicht sofort, sondern beobachtete sie eine Weile durch die gläserne Eingangstür. Sie sah klein, blaß und sehr, sehr nervös aus. Zweimal stand sie halb auf und sank dann wieder zurück, als der Mann, den sie ins Visier genommen hatte, ihr keine Beachtung schenkte und vorbeieilte.

Ich schob mich schließlich durch die Tür in eine Luft, die kaum wärmer war als die draußen, was in einer komplett zentralgeheizten Stadt nicht gerade für das Management des Hotels sprach. Emma Sherman warf mir einen kurzen Blick zu und schaute dann wieder zur Tür. Ich war nicht das, was sie erwartete — erst der hinter mir eintretende Herr, etwa sechzigjährig und von militärischer Erscheinung, ließ sie wieder halb hochfahren.

Er ging an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und holte sich an der Rezeption seinen Schlüssel. Da setzte sie sich wieder und sah jetzt noch nervöser aus.

Ich trat zu ihr.

«Mrs. Sherman?«

«Oh. «Sie stand langsam auf.»Haben Sie eine Nachricht von Mr. Cleveland?«

«Ich bin David Cleveland«, sagte ich.

«Aber.«, fing sie an und verstummte dann wieder. In ihrem angespannten, müden Gesicht war jetzt auch noch Überraschung zu lesen, aber sie schien nicht mehr fähig zu sein, irgend etwas sehr deutlich zu empfinden. Aus der Nähe betrachtet, ging ihre Nervosität in einen Zustand über, der von einem totalen

Zusammenbruch nicht weit entfernt war.

Die Müdigkeit ließ ihre Haut fast durchsichtig wirken, und sie hatte dunkle Schatten unter den Augen, die die Stumpfheit ihres Blicks betonten. Sie war ungefähr zweiundzwanzig Jahre alt und hätte hübsch sein sollen — ihre Gesichtsform und die Haare waren danach, aber sie hatten keine Chance. Außerdem war sie, wie mir scheinen wollte, in anderen Umständen.

«Wo können wir uns unterhalten?«fragte ich.

Sie blickte ziellos in der Lounge umher, in der es drei Sessel und einen Gummibaum, aber keine ruhige Nische gab.

«Vielleicht in Ihrem Zimmer?«schlug ich vor.

«O nein«, sagte sie sofort, und dann etwas langsamer, wie zur Erklärung:»Es ist sehr klein. nicht bequem. man kann nirgends sitzen.«

«Dann kommen Sie«, sagte ich.»Wir suchen uns ein Cafe.«

Sie folgte mir hinaus auf die Straße, und wir schlugen die allgemeine Richtung zum Grand Hotel ein.

«Werden Sie ihn finden?«fragte sie und fügte dann hinzu:

«Bitte finden Sie ihn!«

«Ich werde mein Bestes tun.«

«Er hat dieses Geld nicht gestohlen«, sagte sie.»Ganz bestimmt nicht.«

Ich sah sie an. Sie zitterte und war noch blasser geworden. Ich blieb stehen und schob meine Hand unter ihren Ellbogen. Ihr Blick wurde glasig, sie versuchte etwas zu sagen und sank mir ohnmächtig in die Arme. Selbst ein bewußtloses Mädchen, das kaum Gewicht auf die Waage bringt, ist auf die Dauer schwer zu halten. Auf das kalte Pflaster konnte ich sie jedoch auch nicht legen. Zwei vorübergehende Fremde hatten zwar freundliche Gesichter, verstanden aber kein Englisch, und ein dritter, der die Sprache verstand, murmelte etwas von Schande, schon um vier Uhr nachmittags derart betrunken zu sein, und hastete weiter.

Ich hielt Emma, meine Arme unter den ihren, gegen mich gelehnt und bat die Frau, die als nächste vorbeikam, uns ein Taxi zu rufen.

Auch sie betrachtete uns mißbilligend und trat den Rückzug an aber da kam uns, nachdem er ihr einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte, ein etwa sechzehnjähriger Junge zu Hilfe.

«Ist sie krank?«erkundigte er sich. Sein Englisch war von übertriebener Korrektheit, in der Schule gelernt.

«Ja, das ist sie. Kannst du uns ein Taxi rufen?«

«Klar. Ich komme wieder. Sie werden. «Er dachte nach, fand das gesuchte Wort:». warten?«

«Ich werde warten«, versprach ich ihm.

Er nickte ernst und schoß um die nächste Straßenecke davon, eine schmale Gestalt in der allgegenwärtigen Uniform der Jugend — Bluejeans und eine wattierte Jacke. Er hielt Wort, kam mit einem Taxi zu uns zurück und half mir, die junge Frau hineinzusetzen.

«Herzlichen Dank«, sagte ich.

Er strahlte.»Ich lerne Englisch«, sagte er.

«Du kannst es schon sehr gut.«

Als das Taxi davonfuhr, winkte er uns nach — es war eine für beide Seiten höchst zufriedenstellende Begegnung gewesen.

Emma Sherman kam während der kurzen Fahrt langsam wieder zu sich, was den Taxifahrer zu beruhigen schien. Er konnte kein Englisch — ausgenommen ein einziges Wort, das er mindestens zehnmal mit Nachdruck wiederholte, nämlich» Arzt«.

«Ja«, stimmte ich ihm zu,»ja, im Hotel.«

Er zuckte die Achseln und fuhr uns hin. Er half mir dabei, sie in die Empfangshalle zu bringen, und als sie endlich sicher in einem Sessel saß, nahm er das Fahrgeld entgegen.

«Arzt«, sagte er noch einmal, als er sich zum Gehen wandte, und ich sagte noch einmal:»Ja.«

«Nein«, sagte Bob Shermans Frau kaum hörbar.»Was ist passiert?«

«Sie sind ohnmächtig geworden«, antwortete ich kurz.»Und ob nun Arzt oder nicht, Sie müssen sich unbedingt hinlegen. Also, kommen Sie mit rauf. «Es gelang mir, sie auf die Füße zu stellen. Ich führte sie zum Lift und fuhr mit ihr die eine Etage zu meinem Zimmer hinauf. Sie ließ sich ohne weitere Umstände aufs Bett fallen und blieb mit geschlossenen Augen liegen.

«Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mal Ihren Puls fühle?«fragte ich.

Sie antwortete weder auf die eine noch auf die andere Weise, weshalb ich mit den Fingern ihr Handgelenk abtastete, bis ich den langsamen Herzschlag spürte. Ihr Arm war schweißnaß, obwohl deutlich kalt, und sie sah alles in allem beunruhigend schwach aus.

«Haben Sie Hunger?«erkundigte ich mich.

Sie drehte den Kopf als zögernde Verneinung auf dem Kopfkissen hin und her, aber ich vermutete, daß an ihrem Zustand neben der Überanstrengung auch schlichter Nahrungsmangel schuld sein mußte. Sie war viel zu sehr in Sorge gewesen, um an sich selbst denken zu können, und außerdem war das Essen in Norwegen teuer.

Eine telefonische Beratung mit dem Hotelrestaurant führte dazu, daß mir eine Kraftbrühe, Brot und Käse zugesagt wurden.

«Und Brandy«, sagte ich.

«Kein Brandy, Sir. Nicht am Samstag und nicht am Sonntag. Das ist eine gesetzliche Bestimmung.«

Man hatte mich darauf aufmerksam gemacht, aber ich hatte es vergessen. Erstaunlich, ein Land gefunden zu haben, dessen Konzessionsbestimmungen noch verrückter waren als die

Großbritanniens. In meinem Zimmer gab es jedoch einen kleinen Kühlschrank, der neben Orangensaft und Mineralwasser auch ein Viertelfläschchen Champagner enthielt. Ich hatte immer gefunden, daß guter Schampus durch die Abfüllung in kleine Flaschen verdorben wird, aber es gibt eben für alles eine passende Gelegenheit. Emma meinte, sie könne, sie dürfe nicht, aber dann trank sie doch und sah schon nach fünf Minuten aus wie eine vor längerer Zeit gepflückte Blume, die gerade noch rechtzeitig in die Vase gekommen ist.

«Es tut mir leid«, sagte sie und nippte, auf einen Ellbogen gestützt, von der goldgelb perlenden Flüssigkeit in meinem Zahnputzbecher.

«Aber ich bitte Sie.«

«Sie müssen mich für ziemlich durchgedreht halten.«

«Nein.«

«Es ist nur. es scheint überhaupt keinen mehr zu interessieren, wo er geblieben ist. Sie sagen bloß, daß sie ihn nicht finden können, sie suchen nicht mal nach ihm.«

«Sie haben gesucht«, fing ich an, aber sie war noch nicht bereit, mir zuzuhören.

«Dann meinte Gunnar Holth. der Jockey Club hätte seinen Chefermittler hergeschickt. und da hab ich den ganzen Tag so sehr gehofft, daß ihn endlich einer finden würde, und dann. und dann. Sie.«

«Ich bin nicht die Vaterfigur, auf die Sie gehofft haben«, sagte ich.

Sie schüttelte den Kopf.»Ich hatte nicht erwartet, daß Sie noch so jung sind.«

«Was ist Ihnen denn nun wichtiger«, fragte ich,»eine Vaterfigur oder jemand, der Bob findet?«Aber sie war noch nicht an den Punkt gelangt, wo sie erkennen konnte, daß beides nicht notwendig zusammenhing. Sie brauchte den Trost so sehr wie die Suche.

«Er hat dieses Geld nicht gestohlen«, sagte sie.

«Woher wissen Sie das?«

«Er würde so etwas einfach nie tun. «Sie sagte das mit Überzeugung, aber ich fragte mich doch, ob nicht vielleicht der Mensch, den sie mehr als alle anderen überzeugen wollte, sie selbst war.

Ein Zimmerkellner klopfte und brachte ein Tablett herein, und Emma fühlte sich gestärkt genug, um sich zum Essen an den Tisch zu setzen. Sie fing langsam an, noch immer schwach, aber am Ende war nur allzu klar, daß sie einen Bärenhunger gehabt hatte.

Als sie auch das letzte Krümelchen Brot aufgegessen hatte, sagte ich:»In ungefähr drei Stunden gibt’s Abendessen.«

«O nein!«

«O doch. Warum nicht? Dann haben Sie viel Zeit, mir von Bob zu erzählen. Viele Stunden. Brauchen sich nicht zu hetzen.«

Ihr Blick verriet, daß sie wieder anfing, klar zu denken. Gleich darauf schaute sie sich im Zimmer um. Die Erkenntnis, daß sie sich in meinem Schlafzimmer befand, zuckte wie Wetterleuchten über ihr Gesicht. Ich lächelte.»Würden Sie das Kittchen vorziehen? Sie und ich sitzen uns am Tisch des Besucherzimmers gegenüber?«

«Oh! Ich. nein, wohl nicht. «Sie schauderte leicht.»Davon habe ich schon ziemlich reichlich genossen, in gewisser Weise. Alle waren durchaus nett zu mir, wirklich, aber sie glauben, daß Bob das Geld gestohlen hat, und behandeln mich, als sei mein Mann ein Gauner. Es ist. ziemlich furchtbar.«

«Das kann ich nachvollziehen«, sagte ich.

«Wirklich?«

Das Essen hatte ihre Blässe nicht behoben. Die Augen waren immer noch eingesunken und schwarz untermalt, die

Anspannung zitterte noch in ihr nach. Es würde mehr als Suppe und Champagner nötig sein, um die Verkrampfung zu lösen.

«Warum machen Sie nicht ein Schläfchen?«schlug ich vor.»Sie sehen sehr müde aus. Hier geschieht Ihnen nichts, und ich muß dringend ein paar Berichte schreiben. Ich wäre froh, wenn ich sie hinter mich bringen könnte.«

«Ich kann nicht schlafen«, sagte sie ganz automatisch, aber als ich entschlossen Papiere aus meiner Aktentasche holte, sie auf dem Tisch ausbreitete und eine helle Lampe anknipste, um besser lesen zu können, erhob sie sich vom Bett, stand eine Weile unschlüssig da und legte sich dann wieder hin. Nach fünf Minuten sah ich nach, und da schlief sie schon fest — mit eingefallenen Wangen und von blaßblauen Äderchen durchzogenen Augenlidern.

Sie trug einen kamelhaarfarbenen Mantel, den sie — soweit hatte sie sich immerhin entspannt — aufgeknöpft hatte, und darunter ein braun und weiß kariertes Kleid. Jetzt, wo ihr Mantel offen war, konnte man die Wölbung ihres Bauches deutlich erkennen. Fünf Monate, dachte ich, plus minus eine Woche oder zwei.

Ich schob die Papiere wieder zusammen und steckte sie in die Aktenmappe zurück. Es handelte sich dabei um die verschiedenen Aussagen und Darlegungen zum Verschwinden von Emmas Mann, und darüber mußte ich gar keine Berichte schreiben. Statt dessen setzte ich mich in einen der bequemen Sessel des Grand Hotels und sann über die Frage, warum Männer verschwinden.

Im großen und ganzen war es wohl so, daß sie vor etwas fortliefen oder zu etwas hin — gelegentlich war es auch eine Verbindung von beidem. Von einer Frau fort, zu einer anderen hin. Vor der Polizei fort, in den sonnigen Süden. Weg von Unterdrückung, hin zur Freiheit der Wahl. Flucht vor Erpressung, Flucht in die Anonymität.

Manchmal nahmen sie das Geld eines anderen mit, um damit ihre Zukunft zu finanzieren. Auf den ersten Blick schienen Bob Shermans sechzehntausend Kronen weit weniger wert zu sein als das, was er dafür hergegeben hatte. Er verdiente schließlich im Jahr fünfmal soviel.

Wo also war er hingelaufen?

Oder wovor weg?

Und wie sollte ich ihn bis Montag nachmittag finden?

Emma Sherman schlief über zwei Stunden lang sehr fest und hatte friedliche Träume. Dann folgte jedoch eine quälende Phase. Sie bewegte sich ruhelos hin und her, und Schweiß trat ihr auf die Stirn, weshalb ich schließlich ihre Hand berührte und sie aus ihren Träumen riß.

«Emma! Aufwachen! Wachen Sie auf, Emma.«

Sie öffnete die Augen schnell und weit, sah die Alptraumbilder noch vor sich. Sie fing an zu zittern.

«Oh!«sagte sie.»O Gott.«

«Ist schon gut. Sie haben nur geträumt. Es war ein Traum.«

Sie kam langsam zu sich, war aber weder beruhigt noch getröstet.

«Ich habe geträumt, er säße im Gefängnis. da waren Gitterstäbe. und er versuchte rauszukommen. ganz verzweifelt. und ich fragte ihn, warum er denn raus wolle, und er antwortete, sie würden ihn am Morgen hinrichten. Und dann sprach ich mit einem der Verantwortlichen und fragte, was er denn getan hätte und warum sie ihn hinrichten wollten, und dieser Mann sagte. Bob hätte die Rennbahn gestohlen. und nach dem Gesetz müßten Leute, die Rennbahnen stehlen, hingerichtet werden.«

Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

«Es ist ja albern«, sagte sie,»aber es kam mir alles ganz wirklich vor.«

«Schrecklich«, sagte ich.

Trostlos wiederholte sie ihre Fragen:»Aber wo ist er? Warum schreibt er mir nicht? Wie kann er nur so grausam sein?«

«Vielleicht wartet zu Hause ein Brief auf Sie?«

«Nein. Ich rufe dort an. jeden Tag.«

Ich sagte:»Sind Sie. ja. also, sind Sie beide eigentlich glücklich?«

«Ja«, antwortete sie mit Bestimmtheit, aber nach einem Schweigen von fünf Sekunden kam die zutreffendere Version dahergehumpelt:»Manchmal gibt’ s auch Krach. Wir hatten zum Beispiel einen an dem Tag, an dem er hergeflogen ist. Den ganzen Vormittag. Und das wegen einer solchen Kleinigkeit. bloß weil er eine Nacht weggeblieben war, ohne daß es nötig gewesen wäre. Ich hatte mich nicht sehr gut gefühlt, und ich sagte ihm, er sei selbstsüchtig und gedankenlos. und er verlor die Beherrschung und sagte, ich sei verdammt noch mal zu anspruchsvoll. und ich sagte, dann würde ich eben nicht mit nach Kempton fahren, und er schwieg und schmollte, weil er dort bei dem großen Rennen den Favoriten ritt, und er hat mich nach so etwas immer gern um sich, weil ihm das hilft, sich wieder zu entspannen. «Sie starrte auf einen vergangenen Augenblick zurück, den ungeschehen zu machen sie alles gegeben hätte.»Da ist er dann allein losgefahren. Und von dort nach Heathrow zum Flug um halb sieben nach Oslo, wie üblich. Üblich war sonst aber auch, daß ich ihn hinbrachte, um mich dort von ihm zu verabschieden und dann das Auto mit nach Hause zu nehmen.«

«Und im Normalfall holten Sie ihn dann am Sonntagabend wieder ab?«

«Ja. Als er an jenem Sonntag nicht zur üblichen Zeit zurückkam, war ich ganz krank vor Angst, er könnte in Norwegen gestürzt sein und sich verletzt haben, und da rief ich Gunnar Holth an. aber der sagte mir, Bob wäre nicht gestürzt, sondern hätte einen Sieg herausgeritten und in zwei anderen Rennen eine gute Plazierung erreicht. und soweit ihm bekannt sei, hätte Bob auch das Flugzeug bekommen, wie geplant. Also rief ich noch einmal den Flughafen an. ich hatte dort vorher schon einmal angerufen, und man hatte mir gesagt, das Flugzeug sei planmäßig gelandet. und bat um eine Überprüfung, und sie sagten, auf der Passagierliste stünde kein Sherman. «Sie hielt inne, schwieg eine Weile und fuhr dann in einem neuerlichen Anfall von Kummer fort:»Er muß doch gewußt haben, daß ich es nicht so gemeint habe? Ich liebe ihn. er würde mich doch nicht ohne ein Wort einfach verlassen?«

Wie es aussah, hatte er genau das getan.

«Wie lange sind Sie schon verheiratet?«

«Fast zwei Jahre.«

«Kinder?«

Sie sah auf die braun-weiß karierte Wölbung und deutete mit einem nervösen Zucken ihrer zarten Finger darauf.»Das ist unser erstes.«

«Ihre finanzielle Lage?«

«Och, eigentlich ganz gut.«

«Wie eigentlich?«

«Er hatte im vergangenen Jahr eine gute Saison. Wir konnten etwas sparen. Natürlich legt er Wert auf gute Anzüge und ein flottes Auto. aber das tun doch alle Jockeys, oder nicht?«

Ich nickte. Ich wußte allem Anschein nach auch über die Einkünfte ihres Mannes genauer Bescheid als sie, hatte ich doch Zugang zu dem Büro, das die Gelder der Jockeys einsammelte und verteilte — aber es war nicht so sehr das annehmbare Einkommen, das zählte, sondern eher die Frage, wie gut sie damit auskamen.

«Allerdings ist er immer ganz scharf auf Projekte, bei denen sich schnell Geld machen läßt, aber wir haben noch nie viel verloren. Normalerweise rede ich ihm die Sache wieder aus. Ich bin überhaupt keine Spielernatur.«

Ich schwieg einen Augenblick. Dann fragte ich:»Politik?«

«Wie meinen Sie das?«

«Interessiert er sich für den Kommunismus?«

Sie starrte mich an.»Grundgütiger Himmel, nein.«

«Ist er in irgendeiner Weise militant?«

Sie mußte beinahe lachen.»Bob schert sich den Teufel um Politik und Politiker. Er sagt, das laufe immer alles aufs gleiche hinaus, auf Geschwafel und Scheinheiligkeit. Was ist das für eine merkwürdige Frage?«

Ich zuckte die Achseln.»Norwegen und Rußland haben eine gemeinsame Grenze.«

Ihre Überraschung war in zweifacher Hinsicht echt — zum einen war sie mit der Geographie nicht allzu vertraut, und zum anderen kannte sie ihren Mann. Er war nicht der Typ, der gute Anzüge, ein schickes Auto und einen aufregenden Job gegen das trübe Dasein in einem totalitären Staat eingetauscht hätte.

«Hat er jemals irgendwelche Leute erwähnt, mit denen er sich hier in Norwegen angefreundet hat?«

«Ich habe so gut wie alle aufgesucht, über die er, meiner Erinnerung nach, gesprochen hat. Ich habe sie immer wieder befragt. Gunnar Holth und seine Stallburschen, Mr. Kristiansen und die Besitzer. Der einzige, den ich bisher noch nicht kennengelernt habe, ist der Sohn von einem der Besitzer, ein Junge mit Namen Mikkel. Bob hat ihn ein oder zweimal erwähnt. er ist jetzt fort, in der Schule oder so etwas.«

«War Bob früher schon einmal in Schwierigkeiten?«

Sie sah mich verwirrt an.»Welcher Art?«

«Buchmacher?«

Sie wandte sich ab, und ich ließ ihr Zeit, sich über ihre

Antwort klarzuwerden. Jockeys war es nicht erlaubt zu wetten, und ich arbeitete für den Jockey Club.

«Nein«, sagte sie undeutlich.

«Sagen Sie’s mir lieber«, hakte ich nach.»Ich kann’s jederzeit herausfinden. Aber so würde es schneller gehen.«

Sie wandte sich mir wieder zu, war beunruhigt.»Er schließt normalerweise nur Wetten auf sich selbst ab«, sagte sie, in die Defensive gedrängt.»Das ist in vielen Ländern durchaus legal.«

«Mich interessiert seine Wetterei nur insoweit, als sie etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben könnte. Wurde er wegen irgendwelcher Forderungen bedroht?«

«Oh. «Das klang sehr unglücklich — weil ausgerechnet das, was sie nicht hören wollte, eine einleuchtende Begründung dafür zu sein schien, weshalb Bob eine relativ kleine Summe veruntreut und deshalb sein Leben ruiniert hatte.

«Er hat mir nie gesagt. ich bin sicher, er hätte mir davon erzählt. «Sie schluckte.»Die Polizei wollte von mir wissen, ob er erpreßt würde. Ich sagte, nein, natürlich nicht. aber wenn er doch etwas vor mir verborgen hätte. woher soll ich das wissen? Oh, ich wünschte, ich wünschte wirklich, er würde mir schreiben.«

Tränen schossen hoch und flossen über. Sie entschuldigte sich nicht, wischte sie nicht weg, und nach ein paar Sekunden waren sie wieder versiegt. Ich vermutete, daß sie in den vergangenen drei Wochen eine ganze Menge geweint hatte.

«Sie haben alles getan, was Sie hier drüben tun können«, sagte ich.»Sie fliegen besser am Montag nachmittag mit mir zurück.«

Sie war überrascht und enttäuscht.»Sie fliegen schon so schnell wieder ab? Aber bis dahin werden Sie ihn doch noch gar nicht gefunden haben.«

«Wahrscheinlich nicht. Aber ich habe am Dienstag eine Besprechung, an der ich unbedingt teilnehmen muß. Sollte es sich als nützlich erweisen, werde ich wieder herkommen, aber für Sie ist es Zeit, nach Hause zu fahren.«

Sie antwortete nicht gleich, aber schließlich sagte sie müde, ruhig und geschlagen:»Gut.«

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