Kapitel 15

Es kam nicht zum Kampf.

Erik sah sie im gleichen Augenblick wie ich und schrie so laut er konnte:»Polizei!«

Alle Leute in Hörweite blieben stehen, um zu sehen, was da los war.

«Polizei!«schrie Erik noch einmal, wobei er jetzt auf Gelbauge und Braunauge zeigte.»Das sind Diebe! Holt die Polizei!«Und er wiederholte alles auf norwegisch, auch das sehr laut.

Dem hielten ihre Nerven nicht stand. Sie warfen einen Blick auf den größer werdenden Kreis von Menschen, die sie mit aufgerissenen Augen anstarrten, und stürzten dann in Richtung Ausgang davon. Niemand unternahm einen ernsthaften Versuch, sie aufzuhalten — auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich vor allem Erstaunen ab.

Erik trat zu mir und schüttelte mir überschwenglich die Hand.

«Habe nur Ihre Theorie in die Praxis umgesetzt«, sagte er.

Ich sah ihn verständnislos an.

Er erklärte es mir.»Knut hat mir gesagt, Sie glaubten nicht, daß die sie umbringen würden, solange Leute dabei zuschauen. Deshalb habe ich einfach ein paar Zuschauer zusammengetrommelt.«

«Danke.«

«Sagen wir, wir sind quitt«, meinte er grinsend und tätschelte Odin.

Ich entdeckte, daß meine Handflächen feucht geworden waren und daß ich am ganzen Leibe zitterte.

«Ich brauche ein Telefon«, sagte ich.

«Sie brauchen einen starken Schnaps.«

«Den auch.«

Ich rief Knut an.»Ich bin wieder da und auf dem Bahnhof«, teilte ich ihm mit.

«Gott sei Dank.«

«Hat es geklappt?«fragte ich einigermaßen gespannt, denn schließlich hatte ich sieben nervenaufreibende Stunden lang Kopf und Kragen riskiert, und nach so etwas ist niemand mehr in der Lage, gänzlich objektiv zu sein.

«Ja«, sagte er, aber seine Stimme hatte einen merkwürdig reservierten Unterton.»Zumindest. ja.«

«Was ist los?«

«Sie kommen besser zu mir aufs Revier. Da läßt sich alles leichter erklären.«

«Gut.«

Ich trat aus der Zelle und wäre fast über Odin gestolpert, der vor der Tür lag wie ein mittelalterlicher Schildknappe. Er warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, stand lässig auf und gähnte.

Ich fragte Erik:»Haben Sie Arne Kristiansen irgendwo gesehen?«

«Wen?«

Ich sah mich vergeblich nach Arne um.»Na, ist egal. Er wird nach Hause gegangen sein.«

In der hereinbrechenden Dunkelheit fuhr Erik gemächlich (nur ein Fast-Zusammenstoß) zum Polizeigebäude, wo ich nach oben ging und Knut allein und auf einem Bleistift herumkauend vorfand. Er wies auf den Besucherstuhl und brachte nur die Andeutung eines Lächelns zustande.

«Tja. wir haben uns an alle Ihre Vorschläge gehalten«, sagte er.»Wir haben diese Graphik in Fornebu in ein Schließfach getan und den Schlüssel lose in den Sturzhelm gesteckt, der in

Ihrem Zimmer im Grand Hotel liegt. Wir haben alle Oberflächen mit Anthracen eingesprüht, die ein Eindringling aller Voraussicht nach mit den Händen berühren würde, und haben dann in Fornebu gewartet, ob dort jemand auftauchen würde.«

Er fuhr mit dem Bleistift über seine Zähne, was ein klapperndes Geräusch machte.

«Es ist auch wirklich jemand gekommen.«

«Wer?«

Er seufzte.»Sehen Sie lieber selbst.«

Wir verließen sein ärmliches Büro und gingen einen teppichlosen Korridor hinunter. Vor einer cremefarben gestrichenen Tür blieb er stehen. Durch ein Glasfensterchen, das in Augenhöhe in die Holztür eingelassen war, fiel helles Licht.

«Schauen Sie hinein«, sagte Knut.

Ich sah hinein.

Der Raum war klein und kahl, enthielt nur einen einfachen Tisch und drei Stühle. Auf einem dieser Stühle saß ein junger, unerschütterlich aussehender Polizeibeamter in Uniform. Und auf einem anderen saß rauchend und so ruhig, als befände er sich im Sitzungssaal seiner Firma, Per Bj0rn Sandvik.

Ich trat von dem kleinen Fensterchen zurück und starrte Knut an.

«Kommen Sie wieder in mein Büro«, sagte er.

Wir gingen zurück und setzten uns wieder auf unsere alten Plätze.

«Er kam nach Fornebu heraus und schloß das Fach auf«, berichtete Knut.»Das war«- er zog einen Notizblock zu Rate —»genau um vierzehn Uhr fünfunddreißig. Er nahm das Papier aus dem Schließfach und steckte es in eine seiner Innentaschen. Ich und zwei meiner Beamten vertraten ihm den Weg, als er von den Schließfächern fortgehen wollte, und baten ihn, uns aufs

Revier zu begleiten. Er schien überrascht zu sein, aber nicht. nicht wirklich beunruhigt. Ich habe schon so viele Leute festgenommen. Per Bj0rn Sandvik verhielt sich nicht wie jemand, der sich etwas hat zuschulden kommen lassen.«

Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase.

«Ich werde aus ihm nicht schlau, David. Er zuckte bloß die Achseln und meinte, wenn wir es wünschten, käme er gerne mit, aber sonst hat er auf dem ganzen Weg hierher fast keinen Ton mehr von sich gegeben. Er war vollkommen ruhig. Kein Anzeichen von Streß. Nicht das geringste. Er ist jetzt schon seit anderthalb Stunden hier und war die ganze Zeit äußerst höflich und gelassen.«

«Welche Erklärung hatte er?«

«Wir gingen ins Vernehmungszimmer und setzten uns. Es war noch ein Beamter dabei, der Notizen machen sollte. Mr. Sandvik bot mir eine Zigarette an. Er sagte, er habe nur versucht, uns bei der Aufklärung des Todes von Bob Sherman behilflich zu sein. Er sagte, Arne Kristiansen habe ihn angerufen und ihm gesagt, Sie hätten einen Schlüssel gefunden, der zu wertvollen Informationen führen könnte, weshalb er ins Grand Hotel gefahren sei, um den Schlüssel zu holen. Er habe gleich gesehen, daß er vom Flughafen Fornebu stammte, da er die Schließfächer dort schon häufig benutzt hätte. Dann sei er zum Flughafen hinausgefahren. um nachzusehen, was von Bob Sherman dort hinterlegt worden war. Er sagte, er habe gedacht, es könnte sich um das fehlende Geld handeln, aber es sei nur ein Papier gewesen. Er habe nicht mehr als einen kurzen Blick darauf werfen können, weil wir ihn dann angesprochen hätten.«

«Hat er irgendeinen Grund dafür genannt, warum er das alles alleine gemacht hat, statt auf Arne oder auf meine Rückkehr zu warten oder die Polizei um Hilfe zu bitten?«

«Doch, ja. «Knut lächelte ein kleines, verkniffenes Lächeln, machte sich über mich lustig.»Er sagte, Arne habe ihn gebeten, die Sache in die Hand zu nehmen. Arne habe dem RennbahnAusschuß beweisen wollen, daß er als Ermittler sein Geld wert sei, und deshalb ihn, Sandvik, als Mitglied des Ausschusses angerufen und von dem Schlüssel unterrichtet. Offenbar hat Arne gesagt, wenn er und Sandvik an den Ermittlungen beteiligt gewesen seien, dann könnten Sie nicht alles Lob allein einheimsen.«

«Was denken Sie?«

Er sah niedergeschlagen aus.»Per Bj0rn Sandvik ist ein Industriekapitän. Er ist sehr angesehen. Er verhält sich auch sehr entgegenkommend, aber wenn wir ihn noch lange hier festhalten, wird er unangenehm werden.«

«Und Ihre Vorgesetzten werden Sie unter Druck setzen?«

«Äh. ja.«

Ich überlegte.

«Keine Bange, Knut«, sagte ich dann.»Wir haben den richtigen Mann erwischt.«

«Aber er ist so selbstsicher.«

Ich nickte.»Er geht von falschen Voraussetzungen aus.«

«Und zwar?«

«Er glaubt, ich sei tot.«

Per Bj0rn Sandvik bekam in der Tat einen bösen Schreck, als er mich das, Vernehmungszimmer betreten sah.

Muskeln um Augen und Mund zogen sich krampfartig zusammen, und seine so schon blasse Haut wurde noch blasser. Aber er faßte sich mit außerordentlicher Schnelligkeit. Keine drei Sekunden, und er lächelte liebenswürdig und mit jener trügerischen Ruhe, die Knut so sehr verwirrte.

«David!«sagte er wie zur Begrüßung, aber ich konnte das panische Schrillen der Alarmglocken wenn nicht direkt hören, so doch spüren.

«Ich fürchte, dies ist kein allzu glückliches Zusammentreffen«, sagte ich.

Er nahm eine so eilige Neueinschätzung der Lage vor, daß die Muskeln um seine Augen in kleine rhythmische Zuckungen gerieten — was mir jede auch noch so geringe Selbstgefälligkeit austrieb, denn Leute, die unter derart widrigen Umständen so schnell und scharf zu denken vermochten, verfügten über einen Verstand, vor dem man sich nur hüten konnte.

Knut betrat hinter mir das Zimmer und wies den jungen Polizisten an, noch einen Stuhl zu holen. Während der Beamte fort war, beobachtete ich, wie Per Bj0rn die Neuordnung seiner Gedanken zu Ende führte. Dann entspannte er sich kaum wahrnehmbar. Zu schnell, wie ich glaubte — und ich konnte mir einen Irrtum nicht leisten.

Der zusätzliche Stuhl wurde gebracht, und wir setzten uns alle um den leeren Tisch, als handelte es sich um eine einfache geschäftliche Besprechung.

Ich sagte:»Es dürfte Ihnen inzwischen klargeworden sein, daß es in Lillehammer gar keinen Johan Petersen gibt.«

«Ich verstehe nicht«, sagte er freundlich mit seiner hohen, deutlich artikulierenden Stimme.»Ich dachte, wir wollten über den Schließfachschlüssel und den Flughafen Fornebu sprechen.«

«Wir sprechen über Arne Kristiansen«, sagte ich.

Schweigen. Ich wartete. Aber er war jetzt viel zu vorsichtig geworden, um irgendeinen Schritt zu tun, ohne nach Fußangeln Ausschau zu halten, weshalb ich nach einer Weile, als so gar nichts von ihm kam, versuchte, ihn auf dem eingeschlagenen Weg ein Stück weiterzulocken.

«Sie sollten sich nicht auf Arne verlassen«, sagte ich.»Arne steckt tief drin, bis zum Hals.«

Keine Antwort.

«Also, wenn ich’s mir genau überlege, sogar bis über die

Ohren, soviel, wie er hat schwimmen müssen.«

Keine Reaktion.

«Diese ganze Geschichte dort draußen auf dem Fjord«, sagte ich.»Damals dachte ich, Arne wäre ertrunken, dabei hatte er einen Taucheranzug unter seinem roten Anorak an. Schöner, glatter, schwarzer Gummi mit gelben Nähten, der sogar noch seinen Kopf umschloß und warm hielt. «Ich hatte das SchwarzGelb unter seinem Anorak gesehen. Es hatte Tage gedauert, bis mir klargeworden war, daß es sich um Gummi gehandelt hatte. Aber schließlich hatten wir unsere tuckernde Fahrt den Fjord hinunter ja auch unternommen, bevor ich zu der Gewißheit gelangt war, daß Arne zur anderen Seite gehörte.

«Ein guter Schwimmer, der Arne«, sagte ich.»Ein zäher Allround-Sportler. Da steht er also im Dinghi auf und wedelt mit den Armen, als wollte er die Motorjacht auf uns aufmerksam machen, damit sie uns nicht überfährt, aber in Wirklichkeit signalisiert er ihr, daß dies das Boot ist, das sie versenken soll. Dieses Dinghi, und nicht irgendeinen anderen unschuldigen Tölpel, der zum Fischen draußen ist. Und dann schwimmt Arne an Land und meldet einen Unfall, meldet, daß ich ertrunken sei.«

Pause.

«Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Per Bj0rn und seufzte geduldig.

«Ich rede von Arne, der sich seinen Taucheranzug überzieht und in 0vrevoll in den Teich steigt, um Bob Sherman herauszuholen.«

Schweigen.

Arne war schlecht geworden, als er die schon einen Monat alte Leiche sah. In der Nacht, als er Bob aus dem Teich geholt und in eine Plane gewickelt hatte, war es nicht so schlimm gewesen — aber im Licht jenes regnerischen Tages empfand er den Anblick wie einen schweren Schlag in die Magengrube.

«Ich rede von Arne als dem einzigen Menschen, der sicher sein konnte, daß niemand ihn dabei beobachtete, wie er Leichen in Tümpel warf, sie wieder herausholte und später wieder hineinschmiß. Arne war Sicherheitsbeauftragter. Er konnte die Rennbahn betreten und verlassen, wie es ihm beliebte. Niemand hätte es seltsam gefunden, ihn als ersten, als letzten oder in der Nacht dort anzutreffen. Außerdem konnte er dafür sorgen, daß selbst der Nachtwächter nichts sah, was er nicht sehen sollte, denn dieser würde jede ablenkende Aufgabe übernehmen, die Arne ihm übertrug.«

Nichts.

«Das sind Mutmaßungen«, sagte er.

Knut saß schweigend dabei und hielt sich an sein Versprechen, keine Kommentare abzugeben, was immer ich auch sagte. Der Bleistift des jungen Polizisten hatte auf dem Notizblock noch kaum einen Strich hinterlassen.

«Arne hat das Geld selbst gestohlen«, sagte ich.»Um einen Grund für das Verschwinden Bob Shermans zu liefern.«

«Unsinn.«

«Die meisten der im Büro der Rennleitung anwesenden Leute waren der Meinung, das Geld sei schon im Safe. Und das war es auch. Arne selbst hatte es hineingetan, so wie immer. Er besitzt Schlüssel zu allen Toren, zu allen Gebäuden, zu jeder Tür auf der gesamten Anlage. Er hat das Geld nicht in den fünf Minuten an sich genommen, als der Raum zufällig leer war. Dazu hatte er die ganze Nacht Zeit.«

«Das glaube ich nicht. Arne Kristiansen ist ein angesehener Angestellter der Rennbahn.«

Sandvik saß da und hörte mir mit geduldiger Höflichkeit zu, so als hätte er einen langweiligen Gast am Hals.

«Bob Sherman hat ein Päckchen mit Papieren aus England mitgebracht«, sagte ich.

«Ja, Sie haben schon mal danach gefragt. Und ich habe Ihnen gesagt, daß ich darüber nichts weiß.«

«Unglücklicherweise war er neugierig. Er öffnete das Päckchen und sah, was er nicht sehen sollte. Das muß er auf dem Flug nach Oslo gemacht haben, denn er ließ einen Teil des Inhalts in Fornebu in einem Schließfach zurück.«

Per Bj0rn drehte seinen gutaussehenden Kopf. Er sah Knut an, nicht mich, und sagte etwas auf norwegisch. Knut machte Gesten des Bedauerns und der Hilflosigkeit und sagte kein Wort.

«Bob Sherman war allzusehr in Projekte vernarrt, die schnellen Reichtum verhießen«, sagte ich.»Er bekam etwas dafür, daß er den Umschlag aus England mitbrachte, aber er dachte sich, er könnte seine Honorarforderung etwas erhöhen. Natürlich ein schwerer Fehler. Er bekam für all seine Mühen eins übergebraten. Und niemand merkte, daß er den Umschlag geöffnet und etwas herausgenommen hatte. Das stellte sich erst lange nach seinem Tod und dem Begräbnis im Teich heraus.«

Per Bj0rn saß unbewegt da und wartete darauf, daß die lästige Mücke endlich aufhören würde, um ihn herumzusirren.

Aber ich sirrte noch ein bißchen weiter.

«Denn was er herausgenommen hatte, war in gewisser Weise ein Doppel dessen, was er drin gelassen hatte.«

Diesmal saß es. Seine Augenmuskeln zuckten. Er wußte, daß ich es bemerkt hatte. Er lächelte.

Ich sagte:»Bob Sherman versteckte den Schlüssel zu dem Schließfach in Fornebu vorsichtshalber in seinem Sturzhelm. Seine Leiche wurde aus dem Teich gefischt, weil inzwischen entdeckt worden war, daß er ein Papier aus dem Umschlag genommen hatte, aber die Durchsuchung seiner vollgesogenen Kleidung und seiner Reisetasche förderte nichts zutage. Und auch die Durchsuchung seines Hauses in England nicht. Als mir endlich dämmerte, was da offensichtlich vor sich ging, und ich mich fragte, ob Bob das fehlende Objekt nicht vielleicht in seinem Rennsattel oder seinem Sturzhelm versteckt hatte, waren andere auch schon auf diese Idee gekommen. Sein Sattel, der noch einen Monat nach Shermans Verschwinden an seinem Haken im Umkleideraum gehangen hatte, war plötzlich nirgends mehr zu finden.«

Er saß da. Schwieg.

«Der Helm und der Sattel gehörten nun aber nicht mehr Bob, sondern Paddy O’Flaherty. Ich habe das Arne erzählt. Und auch, daß ich den Schlüssel gefunden hatte.«

Per Bj0rn schlug ein Bein über das andere, holte seine Zigaretten heraus und hielt sie in die Runde. Als keiner eine wollte, steckte er sein Etui wieder in die Tasche und zündete sich eine an. Die Hand, die das Gasfeuerzeug hielt, war absolut ruhig.

«Ich erzählte ihm aber nicht, daß wir das Schließfach schon geöffnet und nachgesehen hatten, was drin war«, sagte ich.»Wir wollten herausbekommen, wer außer Arne nach dem fehlenden Papier sucht, weshalb wir der betreffenden Person die Gelegenheit verschafften, es zu finden.«

«Genial«, sagte er.»Wie schade, daß Sie den grundlegenden Fehler begangen haben anzunehmen, daß Arne Kristiansen etwas mit Bob Shermans Tod zu tun hat. Wenn er sich all das hätte zuschulden kommen lassen, was Sie da aufgeführt haben, dann wäre das natürlich eine hervorragende Falle gewesen. So aber.«

Er zuckte leicht die Achseln. Knut sah beunruhigt aus.

«Da war noch das Problem der zwei Männer, die Bob Shermans Haus durchsucht hatten«, sagte ich.»Wenn wir sie nicht fortlockten, hätte man sie mit dem Auftrag losschicken können, den Schlüssel zu holen und das Schließfach zu öffnen. Folglich lieferten wir ihnen einen Grund, Oslo zu verlassen. Wir erfanden einen möglichen Augenzeugen für den Mord an Bob

Sherman. Ich sagte nur Arne Kristiansen, daß ich nach Lillehammer fahren würde, um mich mit diesem Mann zu treffen, und bat ihn, mich zu begleiten. Im Zug erzählte ich ihm von dem Schlüssel und daß ich diesen Schlüssel der Polizei übergeben wolle, wenn ich wieder in Oslo sei. Ich sagte ihm, die Polizei erwarte von mir, daß ich ihr sofort nach meiner Rückkehr Bericht erstatten und sie wissen lassen würde, was mir der Mann in Lillehammer mitgeteilt hatte. Für Arne bedeutete das alles, daß, sollte ich nicht zurückkehren, die Suche sofort beginnen würde und dann vielleicht keine Gelegenheit mehr wäre, den Schlüssel aus meinem Hotelzimmer zu holen. Also mußte das schnellstens geschehen, auch wenn es riskant war.«

Ich machte eine Pause.»Sie haben ihn geholt«, sagte ich dann.

«Nein.«

«Sie glaubten, niemand außer Arne und mir wüßte etwas von der Existenz des Schlüssels. Sie haben sich geirrt. Sie glaubten, es gebe einen möglichen Augenzeugen für den Mord an Bob Sherman, und schickten Ihre beiden Schläger los, damit sie sich um ihn kümmerten. Sie erwarteten außerdem, daß die beiden auch mich um die Ecke bringen würden. Aber was das angeht, sind die beiden ziemliche Versager. Sie sollten sie feuern.«

«Das ist doch lächerlich«, sagte er.

Ich fuhr fort:»Ich sagte den Leuten im Grand Hotel, sie sollten sich keine Sorgen machen, wenn jemand käme und nach meiner Zimmernummer oder dem Zimmerschlüssel fragte. «Was denen nach der ganzen Versteckspielerei der vergangenen Tage recht seltsam vorgekommen sein mußte.»Wir haben alles so leicht gemacht, wie wir nur konnten.«

Er sagte nichts. Knut hatte das Zimmer mit Anthracenstaub eingesprüht, der unsichtbar an Haut und Kleidungsstücken hängenbleibt und unter einer UV–Lampe fluoresziert. Jeder, der in meinem Zimmer gewesen war und das bestritt, würde so der Lüge überführt werden. Per Bj0rn hatte sich jedoch so etwas gedacht und deshalb nicht geleugnet. Er mußte während seiner wortlosen Fahrt von Fornebu zum Polizeirevier schnell und scharf überlegt haben. Von dem Anthracen konnte er nichts wissen, mußte aber wohl davon ausgegangen sein, daß eine Falle, die in vielerlei Hinsicht so raffiniert war, in anderer nicht naiv sein konnte.

Ich sagte:»Das Papier, nach dem Sie gesucht haben, ist die graphische Darstellung eines Bohrkerns, der aus der Zone fünfundzwanzig/sechs der Nordsee stammt.«

Er schluckte diese Überraschung, als bestünde er ganz und gar aus Styropor.

Ich ließ nicht locker.»Das Papier wurde im Wessex-Wells Research Laboratory in Dorset, England, gestohlen, und die Information, die es enthält, war Eigentum der Interpetro Oil Company. Es zeigt außergewöhnlich ölreiches Gestein von großer Porosität und Permeabilität. In einer Tiefe von vierzehntausend Fuß.«

Es schien, als hätte er fast zu atmen aufgehört. Er saß vollkommen bewegungslos da, während der Rauch von der Zigarette zwischen seinen Fingern so gerade emporstieg, als wäre er ein Sinnbild der Aufrichtigkeit.

Ich sagte:»Die Interpetro Oil Company ist kein Unternehmen des Konsortiums, zu dem Ihre Gesellschaft gehört, aber sie ist oder war vornehmlich in norwegischem Besitz, und die Ölquelle, um die es hier geht, liegt im norwegischen Teil der Nordsee. Nachdem Bob Sherman sein Päckchen nach Norwegen gebracht hatte, kletterte der Kurs der Interpetro-Aktien an den internationalen Börsen sofort in die Höhe. Obwohl die Aktienkäufe sehr geheim getätigt worden sind, habe ich doch gehört, die Hauptkäufer säßen im Nahen Osten. Sie können weitaus besser beurteilen als ich, ob es für Norwegen von Vorteil ist oder nicht, wenn eines seiner vielversprechendsten Ölfelder von ölproduzierenden Konkurrenten aufgekauft wird.«

Nicht das leiseste Zucken der Augenlider.

«Norwegen hat denen unter seinen Bürgern, die seinerzeit mit den Nazis kollaboriert haben, nie verziehen. Was wird man wohl von einem der angesehensten Geschäftsleute des Landes halten, der aus Profitgier Vorausinformationen über das beste norwegische Ölfeld in den Nahen Osten verkauft hat?«

Er veränderte seine Haltung und schlug das andere Bein über. Dann schnippte er die Asche seiner Zigarette auf den Boden und tat einen tiefen Zug.

«Ich möchte«, sagte er schließlich,»mit meinem Anwalt telefonieren. Und mit meiner Frau.«

Загрузка...