Kapitel 17

Ich sah zurück.

Eine Biegung des Pfades hatte Finse meinen Blicken entzogen.

Ich sah wieder nach vorn. Nichts als der angedeutete Pfad, der sich kaum erkennbar zwischen den schneebedeckten Felsblöcken hindurchwand. Nur zu meiner Rechten konnte ich Anzeichen menschlichen Daseins entdecken, nämlich die Eisenbahnschienen. Aber dann verschwanden selbst die hinter einem Hügel. Das Ufer des Sees machte einen Bogen nach links, so daß schließlich nur noch ich und die kahle, unversöhnliche Landschaft da waren — nur noch ich, der ich mich an einem kalten, wilden und einsamen Nachmittag gegen einen starken Wind vorankämpfte.

Der Pfad schlängelte sich um zwei Buchten und zwei Landzungen, und je weiter ich kam, desto steiler stieg der Berghang zu meiner Rechten in die Höhe. Und dann lag ganz plötzlich das Haus vor mir, stand für sich allein auf einer ebenen, steinigen Fläche, die wie eine Vorbühne bis in den See hineinreichte.

Das Haus war rot gestrichen. In einem kräftigen Karmesinrot. Dach, Wände, Tür, alles. Die Farbe hob sich scharf von dem Grau und Weiß des Strandes und dem Graugrün des Wassers ab. Hinter dem Haus, am Ende des Sees, ragten dunkle Klippen in die Höhe, als sei da vor dem nördlichen Himmel plötzlich ein neuer Berg aufgeworfen worden.

Vielleicht war dies ja ein großartiger, außergewöhnlicher, ehrfurchtgebietender Anblick. Vielleicht hätte er meinen Geist beflügeln und meine Seele erheben sollen. Aber er löste in mir nichts Erhabeneres aus als den lebhaften Wunsch, den Rückzug antreten zu können.

Ich blieb stehen.

Selbst wenn Sandvik seinen Sohn dringend hätte verstecken wollen, hätte er ihn doch wohl kaum an diesen bedrohlichen Ort geschickt. Sicher war Mikkel jetzt schon über alle Berge, einen hinterherhechelnden Arne als Aufpasser im Schlepptau.

Verdammt albern, an dieser Stelle ein Haus zu bauen, dachte ich. Mit so einem Berg direkt vor der Tür, da mußte man ja eine Gänsehaut kriegen.

Ich ging weiter. Das Haus hatte einen eigenen Landungssteg, wo ein Motorboot an einem Pfahl festgemacht war wie ein Pferd in einem Western. Es gab auch geraffte Spitzengardinen und Geranien auf den Fensterbrettern. Natürlich rote Geranien.

Ich hielt vergeblich nach Schornsteinrauch Ausschau, und als ich noch näher herankam, spähte niemand zu mir heraus.

Ich betätigte den Türklopfer. Die Tür wurde augenblicklich von einer alten Frau geöffnet, die sich so gerade hielt, als hätte sie einen Stock verschluckt. Sie war einssechzig groß, hatte wachsame Augen und wirkte vollkommen selbstsicher. Weit, noch sehr weit vom Tod entfernt.

«Ja?«sagte sie fragend.

«Ich würde gern Mikkel sprechen«, sagte ich.

Sie brauchte einen kurzen Augenblick, um in die andere Sprache zu wechseln, und fragte dann mit einem fast reinen schottischen Akzent:»Wer sind Sie?«

«Ich suche Mikkel.«

«Alle Welt sucht Mikkel. «Sie betrachtete mich von oben bis unten.»Kommen Sie herein. Es ist kalt.«

Sie führte mich ins Wohnzimmer. Offensichtlich war sie gerade dabei, alles dort in Kisten einzupacken. Sie machte mit einer feingliedrigen Hand eine ausholende Geste.»Ich bin im Aufbruch. Im Sommer ist es sehr schön hier, aber nicht im Winter.«»Ich habe eine Nachricht von seinem Vater«, sagte ich.

«Noch eine?«

«Wie meinen Sie das?«

«Heute morgen ist schon ein Mann gekommen. Dann noch einer. Beide behaupteten, sie brächten eine Nachricht von seinem Vater. Und jetzt Sie. «Sie sah mir direkt in die Augen.»Das sind recht viele Nachrichten.«

«Ja. aber ich muß ihn finden.«

Sie legte den Kopf schief.»Ich habe es den anderen gesagt. Ich kann nicht beurteilen, wem ich es nicht sagen sollte. Deshalb sage ich es auch Ihnen. Er ist oben auf dem Berg.«

Ich sah durchs Fenster auf die Felswand und das Ende des Sees.

«Dort oben?«

«Ja. Dort oben steht eine Hütte. Im Sommer vermiete ich sie an Urlaubsgäste, aber im Winter ist sie von Schnee bedeckt. Mikkel ist heute morgen hinaufgestiegen, um die Sachen zu holen, die ich nicht gern oben lasse. Er ist ein netter Junge.«

«Wer waren die beiden anderen Männer, die hergekommen sind?«

«Das weiß ich nicht. Der erste sagte, er heiße Arne Kristiansen. Beide meinten, sie würden hinaufgehen und Mikkel dabei helfen, die Sachen herunterzuschaffen, obwohl ich ihnen gesagt habe, daß es nicht nötig sei. Es ist ja nicht viel, und er hat den Schlitten mitgenommen.«

«Den Schlitten?«

«Ja, so ein ganz leichter. Man kann ihn gut ziehen.«

«Vielleicht sollte ich lieber auch hinaufsteigen.«

«Sie tragen die falschen Schuhe.«

Ich sah auf sie hinunter. Stadtschuhe, Slipper, nicht für schneebedeckte Berge gemacht, und an den Rändern schon

dunkel von Nässe.

«Ist nicht zu ändern«, sagte ich.

Sie zuckte die Achseln.»Ich zeige Ihnen den Weg. Er ist besser als der um den See herum. «Sie lächelte schwach.»Ich gehe nie zu Fuß nach Finse. Ich fahre mit dem Boot.«

«Der zweite Mann«, sagte ich.»Hatte der außergewöhnliche, gelbe Augen?«

«Nein. «Sie schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf.»Der sah ganz normal aus. War sehr höflich. Wie Sie. «Sie lächelte und zeigte durchs Fenster.»Der Pfad fängt dort drüben hinter dem großen Felsen an. Er ist nicht steil. Er windet sich vom See weg und dann wieder zu ihm hin. Sie werden ihn leicht finden.«

Ich dankte ihr, machte mich auf den Weg und merkte sofort, daß sie, was meine Schuhe anging, recht gehabt hatte. Der Weg war leicht zu finden, ja, aber vor allem deshalb, weil er eine gut ausgetretene Spur durch den Schnee darstellte — eine Art Minischnellstraße, die auf beiden Seiten von Skispuren gesäumt wurde.

Ich schlidderte in dem kalten Wind dahin, arbeitete mich in einem weiten, U-förmigen Bogen den Berghang hinauf. Es war aber nicht so weit, wie ich befürchtet hatte. Viel früher als erwartet, gelangte ich auf den Gipfel einer kleinen Anhöhe und erblickte unter mir, plötzlich nur noch ein paar Schritte entfernt, eine solide, in traditioneller norwegischer Bauweise errichtete kleine Blockhütte — eine Schachtel mit Dach, die auf einem etwas kleineren Sockel stand.

Es war schon zu spät, um sich der Hütte noch vorsichtig und unauffällig zu nähern. Ich war da, wo ich stand, von einem kleinen Fenster aus gut zu sehen, weshalb ich einfach hinging und durch die Scheibe hineinspähte.

In der Hütte war es dunkel, und zuerst dachte ich, sie sei leer. Aber dann sah ich eine Gestalt. Sie saß zusammengekrümmt in einer Ecke am Boden, den Kopf auf den Knien, und wiegte sich

wie vor Schmerzen langsam hin und her.

Es gab nur diesen einen kleinen Raum. Nur eine Tür. Ich legte die Hand auf den Riegel und öffnete sie.

Bei dieser Bewegung wurde die Gestalt schlagartig aktiv. Halb war es meine undeutliche Wahrnehmung, halb war es Instinkt — jedenfalls sprang ich seitlich von der Tür weg und fühlte, wie mir das Adrenalin brennend bis in die Zehen fuhr. Die Ladung einer Schrotflinte krachte durch die Türöffnung, und ich drückte mich an die schweren Holzbohlen und betete zu Gott, daß sie keine Schrotkugeln durchlassen würden.

Aus der Hütte rief mir eine hysterische Stimme etwas zu.

Es war nicht Arnes Stimme. Jung. Vor Anspannung nah am Brechen.

«Mikkel«, sagte ich.»Ich tue dir nichts. Ich bin David Cleveland.«

Stille.

«Mikkel.«

«Wenn Sie hereinkommen, schieße ich Sie nieder. «Seine Stimme war — wie die seines Vaters — von Natur aus hoch, aber die Anspannung hatte sie noch eine Oktave nach oben getrieben.

«Ich möchte nur mit dir sprechen.«

«Nein. Nein. Nein.«

«Mikkel. du kannst nicht ewig hier oben bleiben.«

«Wenn Sie hereinkommen, schieße ich.«

«Gut. ich werde von hier aus sprechen. «Ich zitterte vor Kälte und verfluchte ihn von Herzen.

«Ich will aber nicht mit Ihnen sprechen. Gehen Sie weg. Gehen Sie weg!«

Ich antwortete nicht. Fünf Minuten vergingen, in denen nichts zu hören war als der tobende Wind. Dann seine Stimme aus der Hütte, gepreßt und voller Angst:»Sind Sie noch da?«»Ja«, antwortete ich.

«Gehen Sie weg.«

«Irgendwann müssen wir miteinander reden. Warum also nicht gleich?«

«Nein.«

«Wo ist Arne Kristiansen?«fragte ich.

Seine Antwort bestand aus einem hohen, jammernden Schrei, der mir eine Gänsehaut den Rücken hinunterjagte. Dann folgte ein ganz normales Schluchzen.

Ich hockte mich hin und riskierte einen schnellen Blick in die Hütte. Mit einer Hand hielt er die auf dem Fußboden liegende Flinte fest und versuchte mit der anderen, sich die Tränen abzuwischen. Er hob den Kopf, sah mich und legte sofort wieder auf mich an.

Ich fuhr zurück, stand auf und lehnte mich wieder an die Holzwand.

«Warum erzählst du’s mir nicht?«fragte ich.

Minutenlanges Schweigen. Dann sagte er:»Sie können hereinkommen.«

Ich warf einen schnellen Blick in die Hütte. Er saß mit lang ausgestreckten Beinen auf dem Boden und hielt den Lauf der Flinte auf die Tür gerichtet.

«Kommen Sie herein«, sagte er.»Ich werde nicht schießen.«

«Leg die Flinte auf den Boden und schieb sie von dir weg.«

«Nein.«

Wieder verging einige Zeit.

«Ich rede nur mit Ihnen, wenn Sie hereinkommen. Aber ich behalte die Flinte.«

Ich schluckte.»Na gut.«

Ich trat in die Tür. Sah auf den Doppellauf hinab, an ihm entlang. Mikkel saß mit dem Rücken an der Wand und hielt die

Flinte ruhig in der Hand. Eine Schachtel Patronen stand neben ihm, ein paar lagen verstreut herum.

«Machen Sie die Tür zu«, sagte er.»Setzen Sie sich mir gegenüber an die Wand. Auf den Fußboden.«

Ich tat, was er sagte.

Er war schmächtig und noch nicht voll ausgewachsen. Braunes Haar, dunkle, verängstigte Augen. Noch rundliche Kinderwangen, aber die Kinnpartie eines Erwachsenen. Halb Junge, halb Mann, Tränenspuren auf dem Gesicht und den Finger am Abzug.

Alles bewegliche Inventar der Hütte war auf der einen Seite des Raumes zu einem säuberlichen Stapel aufgeschichtet worden. Ein schwerer Holztisch und zwei solide Stühle waren alles, was über den Winter hierbleiben sollte. An dem einzigen kleinen Fenster keine Gardinen. Kein Teppich auf dem Holzfußboden. Zwei Feldbetten lehnten an der Wand, zusammengelegt und verschnürt für den Abtransport. Daneben ein Paar Skier.

Keine Holzscheite vor dem kalten Ofen und nirgends etwas Eßbares zu sehen.

«Es wird bald dunkel sein«, sagte ich.»In einer Stunde.«

«Das ist mir doch egal. «Er starrte mich mit brennenden Augen und entnervender Eindringlichkeit an.

«Wir sollten zu Berits Haus zurückkehren, solange wir den Weg noch sehen können.«

«Nein.«

«Wir werden hier oben erfrieren.«

«Das ist mir doch egal.«

Ich glaubte ihm. Jemand, der dermaßen außer sich ist, neigt dazu, selbst äußerste Unbequemlichkeiten einfach nicht wahrzunehmen — und obwohl Mikkel mich in die Hütte hereingelassen hatte, war er noch weit davon entfernt, auf den

Boden der Tatsachen zurückzukehren. Immer wieder lief ein leichter, nervöser Schauder durch seinen Körper, und seine Füße zuckten. Manchmal zitterte auch die Flinte in seinen Händen. Ich versuchte, keinen düsteren Gedanken nachzuhängen.

«Wir müssen los«, sagte ich.

«Sitzen Sie still«, antwortete er aufgebracht, während sein rechter Zeigefinger sich krampfhaft krümmte. Ich sah es — und saß still.

Langsam wurde es dunkler, und die Kälte kroch unerbittlich zu uns herein. Draußen heulte der Wind wie ein verzogenes Kind, er gab nicht auf. Ich mußte mich wohl mit der Situation abfinden. Angesichts der vor mir liegenden Nacht erschien mir das Fjordwasser im Rückblick so mollig wie ein beheiztes Schwimmbecken. Ich steckte meine Hände in den gefütterten Fäustlingen in meine gefütterten Jackentaschen und versuchte mir weiszumachen, daß ich warme Finger hätte. Und es war eine kleinere Katastrophe, daß meine Jacke nicht lang genug war, um auf ihr zu sitzen.

«Mikkel«, sagte ich,»nun erzähl’s mir doch. Du wirst noch platzen, wenn du nicht endlich mit jemandem redest. Und ich bin hier, also erzähl’s mir. Was immer du willst.«

Er blickte in der zunehmenden Dämmerung starr zu mir herüber. Ich wartete eine lange Zeit.

«Ich habe ihn umgebracht«, sagte er.

O Gott!

Ein langes Schweigen. Dann wiederholte er lauter:»Ich habe ihn umgebracht.«

«Wen?«fragte ich.

Schweigen.

«Wie?«fragte ich.

Die Frage überraschte ihn. Er wandte für einen kurzen Moment den Blick von meinem Gesicht ab und sah auf die

Flinte hinunter.

«Ich. ich habe geschossen.«

Mit Mühe brachte ich heraus:»Hast du. Arne erschossen?«

«Arne. «Die Hysterie war wieder da.»Nein. Nein. Nein. Nicht Arne. Ich habe Arne nicht umgebracht. Hab ich nicht. Hab ich nicht!«

«Schon gut«, sagte ich.»Ist schon gut, Mikkel. Laß uns ein Weilchen warten. bis du’s mir sagen kannst. Bis du das Gefühl hast, daß der richtige Augenblick gekommen ist, um es mir zu sagen. «Ich machte eine kleine Pause und fragte dann:»Ist das in Ordnung?«

«Ja, in Ordnung.«

Wir warteten.

Es wurde immer dunkler, bis das einzige noch vorhandene Licht die Spiegelung des Fensters in seinen Augen zu sein schien. Ich konnte Mikkels Augen immer noch sehen, als sich der Rest von ihm schon längst in einen gestaltlosen Schatten aufgelöst hatte — zwei lebendige Signale der gequälten Seele eines Menschen, der sich verzweifelt vor der Hilfe fürchtete, die er so verzweifelt nötig hatte.

Es mußte ihm genauso klar geworden sein wie mir, daß ich ihm nach Einbruch der Dunkelheit die Flinte wegschnappen könnte, denn er rutschte unruhig auf dem Fußboden hin und her und murmelte irgend etwas auf norwegisch vor sich hin. Schließlich sagte er mit einer wieder sehr viel normaler klingenden Stimme:»Da ist eine Lampe, in einem Karton. Ganz oben auf dem Stapel.«

«Soll ich sie suchen und anzünden?«

«Ja.«

Ich stand steif auf, froh über die Gelegenheit, mich bewegen zu können, aber ich spürte auch, daß er die Flinte hob, damit ich blieb, wo ich hingehörte.

«Ich werde nicht versuchen, dir die Flinte wegzunehmen«, sagte ich.

Keine Antwort.

Der Stapel mit den Einrichtungsgegenständen der Hütte befand sich zu meiner Rechten nahe beim Fenster. Ich bewegte mich vorsichtig, aber nicht ganz lautlos, damit er wußte, wo ich war, und nicht unruhig wurde. Ich tastete nach der zuoberst liegenden Schachtel. Sein Gedächtnis war jedenfalls in Ordnung — die Schachtel war da, die Lampe darin und eine Schachtel Streichhölzer ebenfalls.

«Ich habe die Lampe gefunden«, sagte ich.»Soll ich ein Streichholz anzünden?«

Schweigen. Dann:»Ja.«

Es war eine kleine Gaslampe. Ich zündete sie an und stellte sie auf den Tisch, von wo aus sie ein schwaches weißes Licht in alle Winkel warf. Er blinzelte zweimal, während sich seine Augen an das Licht gewöhnten, aber seine Konzentration ließ nicht einen Augenblick nach.

«Gibt es auch irgendwo etwas zu essen?«fragte ich.

«Ich habe keinen Hunger.«

«Aber ich.«

«Setzen Sie sich«, sagte er.»Dorthin, wo Sie gesessen haben.«

Ich setzte mich. Der Doppellauf der Flinte folgte mir. In dem neuen Licht konnte ich sie nur allzugut sehen.

Die Zeit verging. Ich hatte die Lampe um halb fünf angezündet — und es war acht, als er zu sprechen begann.

Wenn ich von mir auf ihn schließen konnte, mußte er von der Hüfte an abwärts keinerlei Gefühl mehr haben. Er trug keine Handschuhe, und seine Hände waren blauweiß geworden, aber immer noch hielt er die Flinte schußbereit, den Finger am Abzug. Und nach wie vor ruhte sein Blick unverwandt auf mir. Sein Gesicht, ja sein ganzer Körper waren noch immer starr vor fast unerträglicher Anspannung.

Plötzlich sagte er:»Arne Kristiansen hat mir gesagt, daß mein Vater festgenommen worden ist. Und daß er Ihretwegen festgenommen worden ist.«

Das kam mit hoher Stimme heraus, und sein Atem kondensierte zu einer großen, eisigen Feder.

Jetzt, wo der Anfang gemacht war, fiel ihm das Reden leichter.

«Arne hat gesagt. mein Vater wolle, daß wir nach Bergen fahren. und mit dem Schiff weiter nach Stavanger. und dann mit dem Flugzeug. «Er hielt inne.

«Und ihr seid nicht gefahren«, sagte ich.»Warum seid ihr nicht gefahren?«

Die Flinte wackelte.

«Die anderen beiden sind gekommen.«, sagte er.

Ich wartete ab.

Er sagte:»Ich unterhielt mich gerade mit ihm. Draußen. Über die Reise. «Pause.»Sie kamen über den Berg. Auf Skiern, mit Schneebrillen. «Wieder eine Pause.»Einer von ihnen sagte zu Arne, er solle von mir weggehen. «Nach einer längeren Pause, in der er sich voller Schrecken zu erinnern schien, brach es aus ihm hervor:»Er hatte ein Messer.«

«Oh, Mikkel.«

Er sprach jetzt schneller, die Worte sprudelten aus ihm hervor.

«Arne sagte: >Das könnt ihr nicht tun. Nein, das könnt ihr nicht. Er würde euch nie losschicken, damit ihr seinen eigenen Sohn umbringt. Nicht Mikkel. < Er stieß mich hinter sich. Er sagte: >Ihr seid verrückt. Ich habe selber mit seinem Vater gesprochen. Er hat mich hergeschickt, damit ich Mikkel wegbringe.<«

Mikkel starrte mit weit aufgerissenen Augen zu mir herüber, durchlebte alles noch einmal.

«Sie sagten. mein Vater habe, was Arne angehe, seine Meinung geändert. Sie sagten, sie würden mich per Schiff nach Dänemark bringen und dort mit mir zusammen auf Geld und neue Anweisungen von meinem Vater warten. Arne sagte, das sei nicht wahr. Sie sagten. es sei wahr. und sie sagten auch. Arnes Reise sei hier zu Ende. Er wollte es nicht glauben. Er sagte, nicht einmal mein Vater würde so etwas tun. Er achtete immer nur auf den mit dem Messer, und da schlug ihm der andere mit einem Skistock auf den Kopf. Er fiel in den Schnee. Ich versuchte, sie aufzuhalten. sie stießen mich einfach weg. und sie legten ihn auf den Schlitten. sie banden ihn darauf fest. und zogen ihn dann den Pfad hoch.«

Sein Gesicht war jetzt wieder von Panik beherrscht. Er sagte gequält:»Mir fiel die Flinte in der Hütte ein. ich lief rein und lud sie. und schnallte mir meine Skier unter und lief hinter ihnen her. um sie aufzuhalten. aber als ich sie fand, da kamen sie zurück. ohne den Schlitten. und ich dachte. ich dachte. sie wollten. sie würden.«

Er holte tief und zitternd Luft.»Ich schoß. Der mit dem Messer. der fiel hin.«

Pause.

«Ich schoß noch einmal«, fuhr er dann fort,»aber der andere stand noch auf seinen Skiern. Deshalb lief ich zur Hütte zurück, weil ich dachte, er würde hinter mir herkommen. Ich lief hierher zurück, um nachzuladen. Aber er ist nicht gekommen.«

Nach einer Weile sagte er:»Dafür sind Sie gekommen. Ich dachte, er wäre es.«

Er verstummte.

«Kanntest du die beiden Männer?«fragte ich.»Hast du sie schon mal gesehen?«

«Nein.«

«Wie lange vor meiner Ankunft war das?«fragte ich weiter.

«Ich weiß nicht. Lange.«

«Stunden?«

«Ich glaube, ja.«

Ich hatte sie auf meinem Weg hier herauf nicht gesehen.

«Töten ist unrecht«, stieß er hervor.

«Kommt darauf an.«

«Nein.«

«Wenn man das eigene Leben verteidigen muß oder das eines anderen Menschen, dann ist es erlaubt«, sagte ich.

«Ich. ich glaube. ich weiß, daß es ein Unrecht ist. Und trotzdem. als ich solche Angst hatte. «Seine Stimme brach.

«Ich habe es getan. Ich verabscheue das Töten, aber ich habe es getan. Und ich hätte auch Sie umgebracht. Ich weiß, daß ich es getan hätte. Wenn Sie nicht zur Seite gesprungen wären.«

«Ist schon gut«, sagte ich — aber das Entsetzen war immer noch in seinem Blick. Um ihn durch Ablenkung zu beruhigen, fragte ich:»Kennst du Arne Kristiansen schon lange?«

«Was.?«Seine Stimme senkte sich ein wenig.»Ungefähr seit drei Jahren, glaube ich.«

«Und wie gut kennst du ihn?«

«Nicht sehr gut. Halt von der Rennbahn. Das ist alles.«

«Kennt dein Vater ihn schon lange?«

«Ich glaube nicht. Wie ich, von der Rennbahn her.«

«Sind sie enge Freunde?«

Er sagte mit plötzlicher, äußerster Bitterkeit:»Mein Vater hat keine engen Freunde.«

«Legst du jetzt die Flinte weg?«fragte ich.

Er sah darauf nieder.

«Gut.«

Er legte sie neben sich auf den Boden. Es war eine Erleichterung, nicht mehr in diese beiden Löcher sehen zu müssen.

In diesem Augenblick signalisierte die Lampe, daß ihr das Gas ausgehe. Mikkel wandte den Blick von mir ab und dem Tisch zu, aber die Botschaft des schwächer werdenden Lichts schien nicht durch den inneren Aufruhr dringen zu können.

«Die Lampe geht aus«, sagte ich.»Gibt es einen Ersatzzylinder?«

Er schüttelte langsam den Kopf.

«Mikkel«, sagte ich,»es friert, und es wird bald stockdunkel sein. Wenn wir diese Nacht überleben wollen, müssen wir uns warm halten.«

Keine Antwort.

«Hörst du mir zu?«

«Was?«

«Du wirst das Leben so hinnehmen müssen, wie es ist.«

«Ich. kann nicht.«

«Gibt es Decken?«

«Eine.«

Ich versuchte aufzustehen, und er griff sofort nach der Flinte.

«Sei nicht albern«, sagte ich.»Ich werde dir nichts tun. Und du wirst mich nicht erschießen. Also wollen wir beide uns mal beruhigen, was?«

Er sagte unsicher:»Sie haben meinen Vater festnehmen lassen.«

«Weißt du auch, warum?«

«Nicht. nicht wirklich.«

Ich erzählte ihm von der Öltransaktion, wobei ich die Illoyalität (um es milde auszudrücken), die Per Bj0rn seinem Land gegenüber bewiesen hatte, herunterspielte. Aber offenbar war mit Mikkels Verstand im Prinzip alles in Ordnung, denn als ich fertig war, schwieg er eine Weile, und sein Körper entspannte sich langsam Glied um Glied.

«Wenn das herauskäme«, sagte er,»würde er seinen Job verlieren. Er würde die Achtung aller verlieren. Er würde so nicht leben können. nicht mein Vater.«

Seine Stimme klang jetzt endlich wieder normal und beherrscht — doch es war fast zu spät. Die Lampe ging langsam aus.

«Die Decke«, sagte er,»ist bei den Betten.«

Er versuchte aufzustehen und mußte feststellen, daß seine Beine taub waren — so taub wie die meinen, wenn nicht noch tauber. Das ließ ihn auf der Stelle zu sich kommen.

«Ich friere!«

«Ich auch.«

Er sah zu mir her, erkannte wohl zum ersten Mal in aller Deutlichkeit unsere mißliche Lage.

«Stehen Sie auf«, sagte er.»Gehen Sie herum.«

Leicht gesagt, aber es mußte sein.

«Können wir den Ofen anmachen?«fragte ich.»Wir haben noch vier Streichhölzer, die Pappkartons und den Tisch und die Stühle, wenn wir sie kleinkriegen.«

Wir hatten uns inzwischen beide hochgerappelt. Die Lampe leuchtete noch traurig mit einer Kerzenstärke.

«Wir haben keine Axt hier«, sagte Mikkel.

Die Lampe ging endgültig aus.

«Tut mir leid«, sagte er.

«Schon gut.«

Wir hüpften in der Dunkelheit auf und ab. Wäre es nicht so dringend notwendig gewesen, so hätte es nicht der Komik entbehrt. Das Blut kam jedoch wieder in Bewegung und strömte dorthin, wo es gebraucht wurde, und nach einer halben Stunde war uns wieder einigermaßen warm, so daß wir eine Pause einlegen konnten.

«Ich kann die Decke finden«, sagte Mikkel und fand sie auch.

«Sollen wir sie teilen?«

«Aber sicher.«

Wir hatten beide warme Jacken an, und er kam (als ihm wieder eingefallen war, wo er sie hingelegt hatte) auch zu einer Mütze und Handschuhen, wie ich sie hatte. Wir legten die zusammengeklappten Feldbetten auf eine isolierende Unterlage aus Pappkartons, wickelten uns von der Hüfte an abwärts in die eine Decke ein wie in einen Kokon und saßen dicht nebeneinander, um uns jedes bißchen Wärme zu teilen. Es war zu dunkel, als daß ich hätte sehen können, was er dachte, aber hin und wieder ging immer noch ein leichtes Zittern durch seinen Körper.

«Ich habe das übrige Bettzeug gestern zu Tante Berit runtergebracht«, sagte er.»Mit dem Schlitten.«

«Schade.«

Das Wort gab seinen Gedanken eine andere Richtung. Er fragte plötzlich:»Glauben Sie, daß Arne tot ist?«

«Ich weiß nicht«, sagte ich. Aber ich glaubte es.

«Was geschieht mit mir? Wo ich doch diesen Mann umgebracht habe?«

«Nichts. Berichte den Vorfall nur genau so, wie du ihn mir berichtet hast. Niemand wird dir Vorwürfe machen.«

«Sind Sie sicher?«

«Ja.«

«Ich bin genauso schlimm wie jeder andere, der tötet«, sagte er, aber diesmal lagen statt Hysterie Hinnahme und Verzweiflung des Erwachsenen in seiner Stimme. Ich fragte mich, ob es möglich war, daß ein Junge in einer einzigen Nacht um zehn Jahre alterte, denn es wäre für ihn, dachte ich, besser so.

«Erzähl mir von Bob Sherman«, sagte ich und spürte den Ruck, der bei Nennung dieses Namens durch ihn hindurchging.

«Ich. kann nicht.«

«Mikkel. ich weiß, daß Bob die gestohlenen Analysen aus England mitgebracht hat, um sie an deinen Vater zu übergeben.«

«Nein«, unterbrach er mich.

«Was sonst?«

«Bob mußte sie Arne abliefern. Ich wußte nicht, daß sie für meinen Vater bestimmt waren, als ich. «Er verstummte.

«Als du was?«

«Ich darf es Ihnen nicht sagen. Ich kann es nicht.«

Ich fragte in der Dunkelheit ruhig, fast schläfrig:»Hat Bob dir gesagt, daß er ein Päckchen mitgebracht hatte?«

Er antwortete widerwillig:»Ja.«

Ich gähnte.»Wann?«

«Als ich ihn in Oslo getroffen habe. An dem Abend, als er ankam.«

Ich fragte mich, ob jetzt er den Stoß spürte, den mir diese Mitteilung versetzte.

«Wo in Oslo?«fragte ich beiläufig.

«Er stand mit seinem Sattel und seiner Reisetasche vor dem Grand Hotel. Ich war auf dem Nachhauseweg von einem Freund und blieb bei ihm stehen. Er sagte, er wolle mit der Straßenbahn fahren. Ich fragte ihn, ob er nicht erst noch einen Kaffee mit mir trinken wolle, und so machten wir uns auf den Weg zu unserem Haus. Ich trug seinen Sattel. «Er machte eine Pause und sagte dann:»Ich mochte Bob. Wir waren Freunde.«

«Ich weiß«, sagte ich.

«Mein Vater war nicht zu Hause. Wie meistens. Meine Mutter saß vor dem Fernseher. Bob und ich gingen in die Küche, und ich machte Kaffee. Wir aßen von einem Kuchen, den meine Mutter gebacken hatte.«

«Worüber habt ihr gesprochen?«

«Zuerst über die Pferde, die er am nächsten Tag reiten sollte. Dann sagte er, er hätte aus England ein Päckchen mit herübergebracht und es geöffnet, da sei aber gar nicht das drin gewesen, was man ihm gesagt hätte. Er sagte, er solle es Arne Kristiansen auf der Rennbahn aushändigen, wolle aber, bevor er das tue, ein bißchen mehr Geld verlangen.«

Unter der Decke zitterte sein Körper an dem meinen.

«Er hat dabei gelacht, wirklich. Er sagte, sie hätten ihm zu verstehen gegeben, daß Pornographie in dem Päckchen sei, aber das stimme gar nicht. Er wisse aber nicht, was es sei, obwohl er es gesehen habe. Dann holte er das Päckchen aus seiner Reisetasche und sagte, ich solle es mir mal ansehen.«

Mikkel hielt inne.

«Und als du«, sagte ich,»den Inhalt des Päckchens gesehen hast, da hast du gewußt, was es war?«

«Ich hatte solche Unterlagen schon gesehen. ich meine. ich wußte, daß es eine Ölanalyse war. Ja.«

«Hast du Bob gesagt, worum es sich handelte?«

«Ja, das habe ich. Wir haben uns dann ein bißchen darüber unterhalten.«

«Und weiter?«

«Es war spät geworden. Zu spät für die Straßenbahn. Bob fuhr deshalb mit dem Taxi zu Gunnar Holths Stall raus, und ich ging ins Bett.«

«Was ist am nächsten Tag passiert?«

«Ich habe versprochen. ich habe versprochen, daß ich es niemandem sage. Ich habe es der Polizei nicht gesagt. Ich darf es Ihnen auch nicht sagen. Vor allem Ihnen nicht. Das weiß ich.«

«Na gut«, sagte ich.

Die Zeit verging. Es war fast zu kalt, um noch denken zu können.

«Ich erzählte meinem Vater auf der Fahrt zu den Rennen von dem Päckchen«, fuhr er plötzlich fort.»Er nahm mich im Auto mit. Ich erzählte es nur, um irgend etwas zu sagen. Weil ich dachte, es könnte ihn interessieren. Aber er sagte nicht viel. Er redet nie viel. Ich weiß nie, was er denkt.«

«Ich auch nicht«, sagte ich.

«Ich habe Leute sagen hören, er sehe am nettesten aus, wenn er am grausamsten sei. Das habe ich zum ersten Mal gehört, als ich noch klein war.«

«Ist er dir gegenüber grausam?«

«Nein. Nur. kalt. Aber er ist mein Vater.«

«Ja.«

«Ich glaube, ich möchte es Ihnen sagen. aber ich kann nicht.«

«Ist schon in Ordnung.«

Wieder verging viel Zeit. Sein Atem und seine Bewegungen verrieten, daß er wach war und daß die Gedanken nur so in seinem Kopf herumschwirrten.

«Mr. Cleveland? Sind Sie noch wach?«

«David«, sagte ich.

«David. glauben Sie, er wollte, daß diese Männer mich umbringen?«

«Nein, das glaube ich nicht.«

«Er hat ihnen gesagt, wohin sie mußten. Er hat mir gesagt, daß ich nach Finse fahren soll. Er hat Arne Kristiansen gesagt, daß er nach Finse fahren soll. Und diesen Männern.«»Das hat er«, sagte ich.»Aber ich glaube, sie haben die Wahrheit gesagt. Ich glaube, er wollte, daß sie dich aus dem Land bringen, sobald sie mit Arne fertig waren. Ich denke, es war sehr ungeschickt von ihnen, dich mit ansehen zu lassen, wie sie Arne angriffen, aber sie haben halt mehr Kraft als Verstand, diese beiden. Arne ist der einzige, der vor Gericht schlüssige Beweise gegen deinen Vater vorlegen könnte, und dein Vater ist skrupellos genug, ihn umbringen zu lassen, um das zu verhindern.«

«Warum. warum glauben Sie das?«

«Weil er diese beiden Männer auch auf mich angesetzt hat.«

Ich erzählte ihm von dem Boot auf dem Fjord, von dem Messer in Chelsea, von der Bombe in Eriks Auto.

«Es sind schreckliche Männer«, sagte er.»Als ich sie zum ersten Mal sah, haben sie mir gleich angst gemacht.«

Er verfiel wieder in Schweigen. Ich konnte fast spüren, wie er dachte, litt, wie es in ihm gärte.

«David?«

«Ja?«

«Es ist meine Schuld, daß Bob sterben mußte.«

«Bestimmt nicht.«

«Aber wenn ich meinem Vater nicht erzählt hätte, daß Bob eine Bohrkernanalyse mitgebracht hatte.«

«Dann hätte Arne es ihm erzählt«, erklärte ich kategorisch.

«Mit diesem >Wenn< kannst du endlos weitermachen: Wenn Bob das Päckchen nicht geöffnet hätte. Wenn dein Vater nicht so skrupellos gewesen wäre, sich seiner zu entledigen. Aber alle diese Dinge sind nun mal geschehen. Und sie sind alle nur deshalb geschehen, weil dein Vater ebenso habgierig wie stolz ist, was immer eine fatale Kombination abgibt. Aber er hat als junger Mann außerdem noch gelernt, wie man ein Leben im Verborgenen führt. Damals, unter den Nazis, da war das gut.

Alle bewunderten ihn. Ich glaube, er hat noch heute das Gefühl, daß alles, was gegen die Staatsgewalt unternommen wird, mutig und deshalb richtig ist. Ich glaube, er hat an die Stelle der Nazis die Polizei gesetzt. als Feind, den es zu überlisten gilt. Er denkt blitzschnell, bei Verhören verrät er nichts, er nimmt ganz kühl ungeheure Risiken auf sich, er arrangiert gnadenlos den Tod anderer Menschen. Er handelt noch immer so wie damals, als er zwanzig war. Und er wird es auch weiterhin tun.«

Die Zeit ging dahin.

«David.«

«Ja?«

«Ich muß es Ihnen erzählen«, sagte er.

Ich holte tief Luft. Sie füllte meine Lungen mit Eiseskälte.

«Na los«, sagte ich.

Er schwieg wieder. Dann sagte er:»Ich sprach während der Rennen mit Bob. Er lachte und meinte, es sei alles geregelt, Arne würde ihn nach den Rennen zum Flughafen fahren und ihm für das Päckchen noch eine Extrasumme zahlen.«

Er verstummte.

Ich wartete ab.

Dann war seine Stimme wieder zu hören, zunächst zögernd, aber dann entschlossen.

«Als die letzten Rennen geritten wurden, war es schon dunkel. Ich ging danach zum Auto, um dort auf meinen Vater zu warten. Er verspätet sich oft, weil er Mitglied des Rennausschusses ist. Ich saß im Auto und wartete auf ihn. Während der Rennen hatte ich kein Wort mit ihm gewechselt. Meistens sehe ich dort nicht viel von ihm. Er ist immer so beschäftigt.«

Er schwieg erneut. Sein Atem ging jetzt schwerer, ungleichmäßiger.

«Die meisten Autos fuhren davon. Dann kamen zwei Leute vorbei, im Scheinwerferlicht eines wegfahrenden Autos konnte ich sehen, daß es Bob und Arne waren. Ich wollte sie rufen. ich wünschte, ich hätte es getan. aber ich konnte das Fenster nicht so schnell runterkurbeln. und dann waren sie schon bei Arnes Wagen. Sie standen sich gegenüber und sprachen miteinander. Ich konnte sie nur ab und zu sehen, nämlich dann, wenn die Scheinwerfer eines heimfahrenden Autos in ihre Richtung strahlten. Ich sah, wie sich ein anderer Mann Bob von hinten näherte und den Arm hob. Er hatte etwas Glänzendes in der Hand. Dann ließ er es herabsausen.«

Er hielt inne. Schluckte ein bißchen. Fuhr fort:»Als ich das nächste Mal wieder etwas sehen konnte, waren nur noch zwei Männer da. Ich dachte. ich konnte es einfach nicht glauben… Und dann drehte sich einer der beiden um und kam auf unser Auto zu. Ich hatte eine Wahnsinnsangst.«

Er zitterte heftig.

«Aber er öffnete nur den Kofferraum und warf etwas hinein, was klirrte. Danach setzte er sich hinter das Steuer und. lächelte.«

Es entstand eine lange Pause.

«Danach«, fuhr der Junge schließlich fort,»bemerkte er, daß ich neben ihm saß, und war ganz erstaunt. Und er sagte. er sagte. >Mikkel! Ich habe völlig vergessen, daß du bei den Rennen warst.««

In seiner Stimme lag tiefer Schmerz.

«Er hatte mich vergessen. Mich ganz vergessen.«

Er war bemüht, nicht in Tränen auszubrechen.

«Mein Vater«, sagte er.»Mein Vater hat Bob Sherman umgebracht.«

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