1. Kapitel

Weit draußen am Rande der Galaxis, wo es kaum noch Sternsysteme gibt und wo fast absolute Dunkelheit herrscht, befand sich im galaktischen Sektor zwölf das Orbit Hospital. Auf den dreihundertvierundachtzig Ebenen dieser einmaligen Einrichtung konnten die Umweltbedingungen sämtlicher der galaktischen Föderation bekannten Spezies reproduziert werden — ein biologisches Spektrum, das bei den unter extremen Kältebedingungen lebenden Methanarten begann und über die eher normalen Sauerstoff- und Chloratmer bis hin zu den Exoten reichte, die von der direkten Umwandlung harter Strahlung lebten. Die meisten der zigtausend Fenster waren fast durchgehend hell erleuchtet — wobei die Beleuchtung in den verrücktesten Farbkombinationen und unterschiedlichsten Stärken ausfiel, um den jeweiligen Ansprüchen der Sehorgane der extraterrestrischen Patienten und Mitarbeiter gerecht zu werden —, so daß sich den Besatzungen der sich nähernden Raumschiffe von weitem das Bild eines riesigen, zylindrischen Weihnachtsbaums bot.

Hinsichtlich seiner technischen Leistungsfähigkeit wie auch seiner psychologischen Betreuung stellte das Orbit Hospital gleich ein doppeltes Wunder dar. Für den Nachschub und die Wartung war in erster Linie das Monitorkorps verantwortlich, das auch administrative und polizeiliche Aufgaben wahrnahm und dem Gesetz der Föderation Geltung verschaffte. Die sonst üblichen Reibereien zwischen militärischen und zivilen Mitarbeitern traten hier allerdings so gut wie nie auf. Genauso selten waren ernsthafte Meinungsverschiedenheiten unter den ungefähr zehntausend Mitarbeitern des medizinischen Personals, das sich aus mehr als sechzig verschiedenen Lebensformen mit ebenso vielen unterschiedlichen Verhaltensweisen, Körpergerüchen und Lebensanschauungen zusammensetzte. Ihr vielleicht einziger gemeinsamer Nenner war das Anliegen aller Ärzte — unabhängig ihrer Größe, Gestalt oder Anzahl der Beine —, nämlich Kranke zu heilen.

Das Personal des Orbit Hospitals bestand aus Mitarbeitern, die ihre Arbeit mit viel Engagement erledigten, ohne dabei allerdings von übertriebenem Ehrgeiz besessen zu sein, und die in jeder Hinsicht tolerant gegenüber ihren Mitwesen waren — hätten sie diese Grundvoraussetzungen nicht erfüllt, wären sie erst gar nicht dort gewesen. Sie konnten sich rühmen, daß für sie kein Fall zu groß, zu klein oder zu hoffnungslos war, und ihr Rat und ihre tatkräftige Unterstützung stand bei den medizinischen Kapazitäten der gesamten Galaxis hoch im Kurs. Obwohl sie allesamt Pazifisten waren, führten sie doch einen ständigen und unbarmherzigen Krieg — einen Krieg gegen Krankheit und Leid, egal, wer davon betroffen war, sei es nun ein einzelnes Wesen oder die gesamte Bevölkerung eines Planeten.

Es gab aber immer wieder Zeiten, in denen die Diagnose und Behandlung einer erkrankten interstellaren Zivilisation — einschließlich der unnachgiebigen Bekämpfung tiefverwurzelter Vorurteile und schädlicher moralischer Wertvorstellungen — ohne die Zusammenarbeit oder die Einwilligung der Patienten zu einem wirklichen Krieg führen konnte, und das trotz der pazifistischen Grundhaltung der betroffenen Ärzte.

* * *

Bei dem Patienten, der gerade in den Beobachtungsraum gebracht wurde, handelte es sich um ein ausgesprochen korpulentes Exemplar — etwa ein halbe Tonne Körpergewicht, schätzte Conway —, der einer riesigen, aufrecht stehenden Birne ähnelte. Fünf dicke, tentakelartige Gliedmaßen wuchsen aus dem schmalen Kopfabschnitt heraus, und der stark muskulöse untere Teil wies auf eine schlangenähnliche, wenn auch nicht unbedingt langsame Fortbewegungsmethode hin. Die gesamte Hautoberfläche sah rauh und zerschunden aus, als ob jemand versucht hätte, sie mit einer Drahtbürste abzuschürfen.

Conway empfand weder die körperliche Beschaffenheit noch den gesundheitlichen Zustand des Patienten als etwas Besonderes — in den sechs Jahren seiner Tätigkeit im Orbit Hospital hatte er sich an weit merkwürdigere Anblicke gewöhnt —, und so machte er sich ohne großes Aufheben an die Voruntersuchung. Der Lieutenant des Monitorkorps, der den Transport des Patienten bis hierher in den Behandlungsraum begleitet hatte, trat plötzlich ein Stück näher heran. Conway spürte zwar seinen heißen Atem im Nacken, ließ sich dadurch aber nicht ablenken und sah sich den Patienten unbeirrt genauer an.

Direkt unter den fünf Tentakelansätzen befand sich jeweils eine große Mundöffnung, vier davon waren üppig mit Zähnen ausgerüstet, und in einer saß der Sprechapparat. Die Tentakel selbst wiesen an ihren Enden auf einen hohen Spezialisierungsgrad hin; drei von ihnen dienten eindeutig als Greifarme, einer enthielt die Sehorgane des Patienten, und der letzte war mit einer harten, knochigen Spitze besetzt, die einer Keule glich. Der Kopf war lediglich eine knöcherne Kuppe ohne besondere Merkmale, in der sich das Gehirn des Wesens befand.

Da durch eine erste oberflächliche Untersuchung nicht viel mehr festzustellen war, wollte Conway einige Sonden holen. Er drehte sich um und trat dabei dem Monitor auf den Fuß, der sich vor Schmerzen krümmte.

„Haben Sie eigentlich mal darüber nachgedacht, gegenüber der Medizin eine etwas ernsthaftere Haltung einzunehmen, Lieutenant?“ fragte er ihn gereizt.

Der Monitor lief puterrot an, wobei sich seine momentane Gesichtsfarbe mit dem Dunkelgrün des Uniformkragens entsetzlich biß.

„Dieser Patient ist ein Krimineller, Doktor“, reagierte er etwas unbeholfen. „Alle äußeren Umstände, unter denen er gefunden wurde, deuten darauf hin, daß er die anderen Mitglieder seiner Schiffsbesatzung getötet und gefressen hat. Auf der Reise hierher war er zwar die ganze Zeit bewußtlos, aber mir wurde befohlen, ihn für alle Fälle lieber zu bewachen. Ich werde mir jedoch von nun an alle Mühe geben, Ihnen nicht mehr im Weg zu stehen, Doktor.“

Conway schluckte, und sein Blick richtete sich auf die blutrünstig aussehende, knöcherne Keule, mit der sich nach Conways Überzeugung die Spezies dieses Patienten bis auf den Wipfel ihres evolutionären Stammbaums hochgeprügelt haben mußte. „O je, wenn das so ist, geben Sie sich bloß nicht allzu große Mühe, mir nicht mehr im Weg zu stehen Lieutenant“, merkte er trocken an.

Mit Hilfe eines tragbaren Röntgenscanners untersuchte Conway seinen Patienten gewissenhaft von innen wie von außen. Er nahm verschiedene Proben, auch von einigen Stellen der befallenen Haut, und ließ sie zusammen mit drei engbeschriebenen Seiten erläuternder Notizen zur Pathologie bringen. Schließlich betrachtete er den Patienten aus der Ferne und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

Als warmblütigen Sauerstoffatmer und in Anbetracht der Tatsache, daß er trotz seines beträchtlichen Körperumfangs ziemlich normale Gravitationsund Druckverhältnisse benötigte, mußte man den Patienten als EPLH einstufen. Er schien an Hautgeschwulsten aus Epithelzellen im fortgeschritten Stadium zu leiden, die sich bereits über den ganzen Körper verbreitet hatten. Die Symptome lagen so offen auf der Hand, daß Conway eigentlich mit der Behandlung hätte beginnen können, ohne auf den Bericht der Pathologie zu warten, doch wurde ein krebsartiger Hautzustand normalerweise nicht von einer tiefen Ohnmacht begleitet.

Wie er wußte, konnte dies ein Indiz für psychologische Komplikationen sein, und in diesem Fall würde er einen Spezialisten hinzuziehen müssen. Einer seiner telepathischen Kollegen schien dafür am ehesten in Frage zu kommen, doch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, konnten diese fast nur die Gedanken der Angehörigen ihrer eigenen Spezies lesen. Außer in sehr seltenen Ausnahmefällen hatte sich die Telepathie als ein nur sehr begrenzt einzusetzendes Kommunikationsmittel herausgestellt. Blieb noch sein GLNO-Freund, der Empath Dr. Prilicla…

Der Lieutenant räusperte sich dezent hinter Conways Rücken und sagte: „Sobald Sie mit der Untersuchung fertig sind, Doktor, möchte O’Mara Sie sprechen.“

Conway nickte. „Ich werde eine Schwester kommen lassen, die ein Auge auf den Patienten wirft“, entgegnete er und fügte grinsend hinzu: „Und beschützen Sie die betreffende Person bitte genauso aufmerksam wie mich.“

Als er durch die Station ging, wies er diese Aufgabe einer außerordentlich hübschen terrestrischen Schwester zu. Er hätte auch eine der tralthanischen FGLI-Krankenpflegerinnen ins Beobachtungszimmer schicken können, die einer sechsbeinigen Spezies angehörten und so gebaut waren, daß ein irdischer Elefant daneben wie eine grazile Nymphe gewirkt hätte, aber er meinte, dem Lieutenant noch einen Gefallen zu schulden, weil er ihn zuvor ein wenig grob behandelt hatte.

Zwanzig Minuten später, nachdem er dreimal den Schutzanzug gewechselt hatte, wobei er erst die Chlorabteilung, dann einen wassergefülten Korridor, der zum Abschnitt der wasseratmenden AUGLs gehörte, und schließlich die extrem kalte Station der Methanatmer durchquert hatte, betrat er das Büro von Major O’Mara.

Als Chefpsychologe des Orbit Hospitals, das so viele Spezies beherbergte und einsam und verlassen in der unwirtlichen Dunkelheit am Rande der Galaxis schwebte, war er für das seelische Wohlergehen der mehr als zehntausend Mitarbeiter verantwortlich, die sich aus mehr als sechzig verschiedenen Spezies zusammensetzten. O’Mara war also ein sehr wichtiger Mann. Nach seiner eigenen Auffassung war er der zugänglichste Mensch im Orbit Hospital, der stets ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter hatte. Er behauptete gern von sich, daß es ihm egal sei, wer ihn wann und wo um seinen Rat bat. Wenn jemand allerdings keinen triftigen Grund habe, ihn mit seinen wahrscheinlich sowieso nur lächerlichen Problemen zu belästigen, dann solle derjenige nicht erwarten, ungeschoren davonzukommen. Für O’Mara waren die Mitarbeiter des Hospitals die eigentlichen Patienten, und es herrschte die allgemeine Ansicht, daß das hohe Niveau der psychischen Stabilität innerhalb des bunten Haufens hochsensibler Extraterrestrier allein darauf zurückzuführen war, daß sie schlichtweg zuviel Angst vor O’Mara hatten, um durchzudrehen. Aber heute war der Chefpsychologe in einer geradezu redseligen Stimmung.

„Was wir zu besprechen haben, wird länger als fünf Minuten dauern. Deshalb sollten Sie sich lieber setzen, Doktor“, sagte er verdrossen, als Conway vor seinem Schreibtisch stehenblieb. „Ich nehme an, Sie haben sich unseren Kannibalen bereits etwas näher angesehen, stimmt’s?“

Conway nickte. Nachdem er sich gesetzt hatte, umriß er kurz, was er bei dem EPLH-Patienten bislang festgestellt hatte, und erwähnte auch, daß er zusätzliche Komplikationen psychologischer Natur vermutete. „Haben Sie noch mehr Hintergrundinformationen über den Patienten, außer daß er möglicherweise zum Kannibalismus neigt?“ fragte er abschließend den Chefpsychologen.

„Viel weiß ich auch nicht“, entgegnete O’Mara. „Er wurde von einer Raumpatrouille des Monitorkorps in einem Schiff gefunden, das, obwohl es unbeschädigt war, Notsignale ausgesandt hatte. Augenscheinlich war der Patient zu krank, um das Schiff bedienen zu können. Zwar gab es auf den ersten Blick keinen weiteren Passagier an Bord, aber da es sich bei dem EPLH um eine neue Spezies handelt, durchkämmte die Rettungsmannschaft das Schiff von oben bis unten. Dabei wurde festgestellt, daß sich wenigstens noch eine zweite Person an Bord hätte befinden müssen. Die Crew kam durch eine Art Logbuch darauf, das von dem EPLH wie ein persönliches Tagebuch auf Band aufgezeichnet worden war. Außerdem gab es in der Luftschleuse und in anderen Schutzeinrichtungen eindeutige Hinweise auf ein zweites Wesen, die uns im Augenblick aber nicht weiterhelfen. Alle Fakten sprechen jedenfalls dafür, daß zwei Wesen an Bord waren, und das Logband weist ziemlich eindeutig darauf hin, daß der andere EPLH in den Armen, oder besser, zwischen den Zähnen Ihres Patienten ein blutiges Ende gefunden hat.“

O’Mara hielt inne und warf Conway einen dünnen Plastikordner in den Schoß. Conway sah, daß es sich dabei um die Abschrift der relevanten Passagen des Logbands handelte, konnte aber nur noch lesen, daß das Opfer ein EPLH-Arzt gewesen sein mußte, da O’Mara mit seinen Erläuterungen bereits fortfuhr.

„Über seinen Heimatplaneten wissen wir so gut wie nichts“, sagte er mürrisch, „nur, daß er wahrscheinlich irgendwo in der Großen Magellanschen Wolke liegt. Bedenkt man, daß wir erst ein Viertel unserer eigenen Galaxis erforscht haben, sind unsere Chancen, diesen Planeten ausfindig zu machen, nur sehr gering.“

„Was ist mit den Ianern?“ warf Conway ein. „Vielleicht könnten die uns weiterhelfen.“

Die Ianer gehörten einer Kultur dieser Galaxis an und hatten in der Milchstraße, genauer gesagt im galaktischen Sektor zwölf, in dem sich auch das Orbit Hospital befand, eine Kolonie errichtet. Sie waren ungewöhnliche Wesen — Klassifikation GKNM —, die sich als Jugendliche in ein Larvenstadium begaben und sich in einer wundersamen Metamorphose von einer zehnbeinigen Raupenart zu einer bizarren, geflügelten Lebensform entwickelten. Conway hatte erst vor drei Monaten einen von ihnen als Patienten gehabt. Zwar war der Alien schon lange entlassen worden, aber die beiden GKNM-Ärzte, die Conway eigentlich bei der Behandlung des Patienten hatten behilflich sein wollen, waren im Orbit Hospital geblieben, um hier noch eine Weile zu lernen und zu lehren.

„Eine Galaxis ist ein großes Gebilde“, sinnierte O’Mara, wobei ihm offensichtlich jede Begeisterung abhanden gekommen war, „aber Sie können es ja mit den Ianern versuchen. Doch um wieder auf Ihren Patienten zu sprechen zu kommen: Das größte Problem wird erst auf uns zukommen, nachdem Sie ihn geheilt haben.

Hören Sie, Doktor“, fuhr er fort, „sämtliche Begleitumstände, unter denen diese seltsame Kreatur aufgefunden wurde, lassen mit ziemlicher Sicherheit darauf schließen, daß dieser Alien eine Tat begangen hat, die von allen uns bekannten intelligenten Lebensformen für ein Verbrechen gehalten wird. Da das Monitorkorps von der Föderation unter anderem auch mit polizeilichen Aufgaben betraut wurde, muß es gewisse Maßnahmen gegen solche Kriminelle einleiten. Man erwartet, daß ein solches Wesen zunächst angeklagt und dann entweder freigesprochen oder angemessen bestraft wird. Aber wie können wir einem Kriminellen einen fairen Prozeß garantieren, wenn wir dessen Vorgeschichte nicht einmal kennen? Eine Vorgeschichte, die zum Beispiel die Möglichkeit mildernder Umstände zur Folge haben könnte. Andererseits ist es uns aber auch nicht möglich, ihn einfach wieder auf freien Fuß setzen.“

„Und warum nicht?“ fragte Conway. „Warum schicken wir ihn nicht einfach dahin zurück, wo er hergekommen ist, und verhängen als symbolische Strafe nur so etwas wie einen Tritt in den Hintern?“

„Und warum lassen wir ihn nicht einfach sterben und ersparen uns so sämtliche Probleme?“ entgegnete O’Mara lächelnd.

Conway schwieg. O’Mara hatte einen unfairen Vergleich angestellt, und beide wußten das. Aber sie wußten auch, daß niemand die Vollzugsorgane des Monitorkorps davon würde überzeugen können, der Heilung eines Kranken auf der einen und der Bestrafung eines Übeltäters auf der anderen Seite generell unterschiedliche Bedeutung beizumessen.

„Von Ihnen will ich, daß Sie soviel wie möglich über die Verhaltens- und Denkweisen des Patienten herausfinden, die er während der Behandlung an den Tag legt. Da ich Ihre Weichherzigkeit kenne, Conway, nehme ich an, daß Sie sich im Laufe der Behandlung auf die Seite des Patienten schlagen und die Rolle seines inoffiziellen Verteidigers spielen werden. Nun, an sich hab ich nichts dagegen, solange Sie uns dadurch die Informationen liefern, die wir benötigen, um geeignete Geschworene zu finden, die mit ihm möglichst artverwandt sind. Verstanden?“

Conway nickte.

O’Mara zählte in Gedanken bis drei, dann sagte er: „Gut, wenn Sie also nichts Besseres vorhaben, als sich hier nur faul in diesem Sessel herumzuflegeln, dann.“

Gleich nachdem er O’Maras Büro verlassen hatte, setzte sich Conway mit der Pathologie in Verbindung und bat darum, ihm den Laborbericht noch vor der Mittagspause zukommen zu lassen. Dann verabredete er sich mit den beiden ianischen GKNMs zum gemeinsamen Mittagessen und arrangierte für den Nachmittag eine Unterredung über den Zustand des Patienten mit Dr. Prilicla.

Nachdem er all das erledigt hatte, fühlte er sich freier, seinen Rundgang über die ihm zugeteilten Stationen zu machen.

Während der folgenden zwei Stunden blieb ihm keine Zeit, sich über seinen neuen Patienten Gedanken zu machen, denn gegenwärtig hatte er fünfunddreißig Patienten zu betreuen. Sechs unterschiedlich qualifizierte Assistenzärzte und ein gutes Dutzend Schwestern und Pfleger standen ihm dabei zur Seite, wobei sich Patienten und medizinisches Personal aus elf verschiedenen Spezies rekrutierten. Für die Untersuchung der extraterrestrischen Patienten gab es nicht nur Spezialinstrumente und — geräte, es mußten auch besondere Vorkehrungen getroffen werden. Wurde er von einem Alien-Assistenzarzt begleitet, dessen Druck- und Schwerkrafterfordernisse sich sowohl von denen des Patienten als auch von seinen eigenen unterschieden, dann konnte aus einer „routinemäßigen“ Visite eine äußerst komplizierte Angelegenheit werden.

Aber Conway sah sich alle seine Patienten persönlich an, selbst die, deren Gesundheitszustand sich merklich gebessert hatte oder die von einem seiner Untergebenen hätten weiterbehandelt werden können. Ihm war völlig klar, daß dieses Vorgehen ziemlich albern war und er sich so nur völlig unnötig Mehrarbeit aufhalste, aber in Wahrheit steckte ihm seine erst kürzlich erfolgte Berufung zum Chefarzt noch zu sehr in den Knochen, um sich bereits daran gewöhnt zu haben, Aufgaben auch im großen Maßstab zu delegieren. Und wie ein unbelehrbarer Idiot hielt er stur daran fest, weiterhin alles selbst zu machen.

Nach seinem Rundgang mußte er DBLF-Lernschwestern einen Einführungskurs in Geburtshilfe geben. Die DBLFs waren pelzige, vielbeinige Wesen, die vom Planeten Kelgia stammten und von der äußeren Erscheinung her Raupen ähnelten. Sie atmeten dasselbe atmosphärische Gemisch wie Menschen, also brauchte er sich keinen Schutzanzug anzulegen. Zu dieser rein körperlichen Erleichterung kam die Tatsache, daß er sich auf seinen Vortrag nicht extra vorbereiten mußte. Schließlich ging es nur um die Vermittlung von so elementarem Grundwissen, daß Kelgianerinnen nur einmal im Leben gebaren, und zwar immer Vierlinge, von denen stets zwei männlichen und zwei weiblichen Geschlechts waren. Folglich mußte er sich nicht sonderlich konzentrieren, und in Gedanken war er schon wieder im Beobachtungszimmer bei seinem mutmaßlichen Kannibalen.

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