2. Kapitel

Eine halbe Stunde später saß er mit den beiden ianischen Ärzten im großen Speisesaal der Hauptkantine zusammen, die Tralthanern, Kelgianern, Terrestriern und anderen warmblütigen Sauerstoffatmern vorbehalten war, und aß den obligatorischen Salat. Das allein störte ihn nicht sonderlich, denn Kopfsalat war verglichen mit dem, was er sonst manchmal essen mußte, wenn er gegenüber ET-Kollegen den Gastgeber spielte, regelrecht appetitanregend, aber er glaubte nicht, sich jemals an den sprichwörtlichen Wirbel gewöhnen zu können, den diese GKNMs dabei verursachten.

Diese Aliens waren empfindliche, geflügelte Wesen die ein wenig wie Riesenlibellen aussahen. Sie hatten einen langen, stabähnlichen, jedoch flexiblen Körper, der mit jeweils vier insektenartigen Beinen und Greilzangen, den üblichen Sinnesorganen und drei enorm großen Flügelpaaren ausgestattet war. Ihre Tischmanieren waren nicht einmal die schlechtesten — störend war nur, daß sie während des Essens nicht saßen, sondern in der Luft schwebten. Im Flug zu essen schien höchstwahrscheinlich nicht nur ein bedingter Reflex zu sein, sondern sich auch offensichtlich positiv auf ihre Verdauung auszuwirken.

Conway legte den Pathologiebericht auf den Tisch und beschwerte ihn mit einem Zuckertopf, damit die Zettel nicht durch den Raum geblasen wurden.

„Nach allem, was ich Ihnen vorgelesen hab, scheint es sich um einen einfachen Fall zu handeln. Trotzdem halte ich ihn für ungewöhnlich, da der Körper des Patienten auffällig frei von schädlichen Bakterien ist. Alle Symptome deuten darauf hin, daß einzig und allein eine Epitheliomie für seine Bewußtlosigkeit verantwortlich ist. Aber möglicherweise könnten uns Informationen über seine planetarischen Umweltbedingungen und seine Schlafgewohnheiten und so weiter behilflich sein, und deshalb wollte ich mich mit Ihnen unterhalten. Wir wissen, daß der Patient aus Ihrer Galaxie stammt. Können Sie mir vielleicht irgend etwas über seine Herkunft verraten?“

Der GKNM zu Conways Rechten schwebte ein Stück vom Tisch zurück und sagte über den Translator: „Leider hab ich noch nicht sämtliche Feinheiten Ihres physiologischen Klassifikationssystems begriffen, Doktor. Wie sieht der Patient eigentlich aus?“

„Ach, entschuldigen Sie bitte, das hab ich nicht bedacht“, entgegnete Conway. Er wollte gerade schildern, was ein EPLH war, dann besann er sich eines Besseren und begann damit, auf der Rückseite des Laborberichts eine Zeichnung zu machen. Kurz darauf hielt er das Resultat hoch und sagte: „Ein EPLH sieht ungefähr so aus.“

Beide Ianer sackten daraufhin im freien Fall wie benommen zu Boden.

„Also kennen Sie diese Spezies?“ fragte Conway, wobei er seine Verblüffung über die unvermutete Reaktion der beiden GKNMs kaum verbergen konnte, da er zuvor noch nie mitbekommen hatte, daß sie während einer Mahlzeit zu essen oder gar zu fliegen aufgehört hatten. Der GKNM zu seiner Rechten gab zunächst Laute von sich, die Conways Translator als eine Serie von Bellgeräuschen wiedergab, der ianischen Entsprechung eines Stotteranfalls. Schließlich sagte der Alien: „Wir kennen diese Wesen zwar, aber wir haben noch nie eins von ihnen gesehen. Wir wissen auch nicht, von welchem Planeten sie stammen. Und bis zu diesem Augenblick waren wir uns nicht einmal sicher, ob sie auch wirklich physisch existieren. Diese Wesen, diese Wesen sind nämlich Götter, Doktor.“

Schon wieder so ein VIP-Gast! dachte Conway, wobei seine Laune augenblicklich auf den Nullpunkt sank. Nach seiner Erfahrung verliefen Fälle mit solch außergewöhnlichen Patienten nie problemlos. Selbst wenn der Zustand eines solchen Patienten nicht sonderlich ernst zu sein schien, war unweigerlich mit Komplikationen zu rechnen, die allerdings mit dem eigentlichen medizinischen Problem nie etwas zu tun hatten.

„Mein Kollege geht da ein wenig zu emotional ran“, meldete sich der andere GKNM zu Wort. Conway hatte zwischen den beiden Ianern bislang keinerlei unterschiedliche äußerliche Merkmale feststellen können, doch diese Libelle schien mit einem gewissen Zynismus ausgestattet zu sein. „Vielleicht sollte ich Ihnen lieber die wenigen Tatsachen, die uns über diese Wesen bekannt sind, berichten, anstatt Ihnen all die Dinge aufzuzählen, die nur auf Mutmaßungen beruhen.“

Wie der ianische Arzt erzählte, war die Spezies, der der Patient angehörte, außerordentlich selten, aber ihr Einflußbereich innerhalb ihrer Galaxis um so beträchtlicher. Auf geistes- und naturwissenschaftlichem Gebiet waren diese Wesen sehr weit fortgeschritten, und jedes von ihnen verfügte über eine ungeheure Intelligenz. Aus Gründen, die sie nur selbst kannten, suchten sie die Gesellschaft von Artgenossen nur höchst selten. So hatte man immer nur davon gehört, daß stets nur eins dieser Wesen auf irgendeinem Planeten für längere Zeit angetroffen worden war.

Auf den Planeten, die sie eroberten, übernahmen sie stets die Führungsrolle. Mal gingen sie dabei wohltätig, ein anderes Mal brutal vor, wobei sich diese vermeintliche Brutalität im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte jedoch gewöhnlich als eine getarnte Wohltätigkeit entpuppte. Sie benutzten Individuen, ganze planetarische Bevölkerungen und sogar interplanetarische Kulturen lediglich als Mittel zur Lösung der Probleme, die diese sich selbst geschaffen hatten. Und sobald diese Schwierigkeiten gelöst waren, verschwanden sie wieder. Jedenfalls sei dies der Eindruck von nicht ganz unvoreingenommenen Beobachtern.

Der Ianer fuhr mit ausdrucksloser Translatorstimme fort: „Es gibt übereinstimmende Berichte, nach denen immer nur einer von ihnen mit seinem Schiff und mit einem Begleiter, der stets einer anderen Spezies angehört, auf einem Planeten landet. Durch eine Kombination aus Verteidigungstechnik, Psychologie und reinem Geschäftssinn überwinden sie die dort herrschenden Vorurteile und häufen Macht und Reichtum an. Dabei erfolgt der Übergang von einem lokal begrenzten Machteinfluß bis zur absoluten Herrschaft über den gesamten Planeten nur allmählich. Aber schließlich haben diese Wesen ja Zeit, denn sie sind unsterblich.“

Wie durch einen Schleier hörte Conway seine Gabel zu Boden fallen, und es dauerte ein paar Minuten, bis er sich körperlich wie seelisch wieder gefangen hatte.

Zwar gab es in der galaktischen Föderation einige Spezies — zu denen auch die Menschen gehörten —, deren fortgeschrittene medizinische Wissenschaft zu einer beträchtlich höheren Lebenserwartung geführt hatte, und das in erster Linie durch die Anwendung von Verjüngungskuren, von Unsterblichkeit aber hatte man noch nie etwas gehört. Jedenfalls nicht bis zu diesem Zeitpunkt. Doch jetzt hatte Conway einen unsterblichen Patienten in seiner Obhut, den er heilen und vor allem untersuchen mußte, es sei denn. Aber der GKNM war ein Arzt, und ein Arzt würde niemals von Unsterblichkeit reden, wenn er lediglich eine hohe Lebenserwartung meinte.

„Sind Sie sich auch wirklich ganz sicher?“ hakte Conway schließlich mit fast krächzender Stimme nach.

Die Antwort des Ianers erforderte einige Zeit, denn sie enthielt etliche bis ins letzte Detail gehende Tatsachen, aber auch Theorien und Legenden, die sich nun einmal um solche Wesen rankten, wenn sie als Individuen angeblich einen ganzen Planeten zu beherrschen vermochten. Zum Schluß war Conway noch immer nicht gänzlich davon überzeugt, daß sein Patient unsterblich war, doch schien nun alles, was er gehört hatte, darauf hinzuweisen.

Nur zögernd sagte er: „Nach allem, was ich eben gehört hab, sollte ich die Frage vielleicht lieber nicht stellen. Aber sind diese Wesen Ihrer Meinung nach in der Lage, einen Mord oder vielleicht gar Kannibalismus zu begehen?“

„Nein!“ wandte einer der Ianer ein.

„Niemals!“ bekräftigte der andere.

Natürlich klangen die Antworten über den Translator ausdruckslos, aber allein die Lautstärke, mit der sie übertragen wurden, ließ alle anderen in der Kantine erschrocken aufblicken.

Einige Minuten später war Conway wieder allein. Die Ianer hatten um Erlaubnis gebeten, sich den legendären EPLH einmal ansehen zu dürfen, und waren gleich darauf voller Ehrfurcht, angsterfüllt und neugierig zugleich davongeschwirrt. Conway empfand Ianer als angenehme Wesen, obgleich er der festen Überzeugung war, daß Salat nur etwas für Kaninchen war. Mit einer übertriebenen Gebärde schob er seinen kaum angerührten Rohkostteller angeekelt beiseite und bestellte sich ein großes Steak mit doppelter Beilage.

Allem Anschein nach sollte dies ein langer und harter Arbeitstag werden.

Die beiden Ianer waren bereits wieder verschwunden, als er ins Beobachtungszimmer zurückkehrte, und der Zustand des Patienten hatte sich nicht verändert. Der Lieutenant beschützte noch immer die diensthabende Schwester — wobei er ihr anscheinend keinen Zentimeter von der Seite gewichen war —, und aus irgendeinem Grund errötete er. Conway nickte mit nachdenklicher Miene und entließ die Krankenschwester. Als er gerade den Bericht der Pathologie ein zweites Mal durchlas, kam Dr. Prilicla herein.

Prilicla war ein spinnenartiges, unglaublich zerbrechlich wirkendes Wesen. Die Gravitation auf seinem Heimatplaneten Cinruss betrug nicht einmal ein Zwölftel der Erdanziehungskraft, und um die überschüssige Anziehungskraft zu neutralisieren, hatte der GLNO einen Gravitationsgürtel angelegt, weil er sonst am Boden regelrecht zermalmt worden wäre. Neben der Tatsache, ein sehr fähiger Arzt zu sein, war er die beliebteste Persönlichkeit im Hospital, zumal seine empathischen Fähigkeiten es dem kleinen Wesen fast unmöglich machten, irgend jemandem böse zu sein. Prilicla besaß ein Paar großer, nicht ganz verkümmerter Flügel, und obwohl er mit deren Hilfe während der Mahlzeiten zwar ähnlich wie die Ianer über dem Teller zu schweben pflegte, mochte Conway dieses obskure Wesen doch sehr, zumal er seine Spaghetti immerhin mit einer Gabel aß.

Er beschrieb Prilicla in kurzen Worten den gegenwärtigen Zustand des EPLH und was ihm sonst noch über ihn bekannt war und schloß: „… ich weiß zwar, daß Sie von einem bewußtlosen Patienten nicht viel herausbekommen können, aber schon die geringsten Informationen könnten mir sehr dienlich sein.“

„Es scheint sich hierbei um ein Mißverständnis zu handeln, Doktor“,

unterbrach ihn Prilicla, wobei seine sorgsame Wortwahl darauf schließen ließ, daß er Conway eigentlich sagen wollte, er irre sich gewaltig. „Der Patient ist nämlich bei Bewußtsein.“

„Um Himmels willen! Dann gehen Sie sofort zurück!“

Sowohl durch Conways emotionale Ausstrahlung als auch durch dessen eindringliche Warnung alarmiert, wich Prilicla augenblicklich außer Reichweite zurück; die knöcherne Keule des Patienten hätte seinen empfindlichen Körper mit einem einzigen Hieb schlichtweg zertrümmern können.

Der Lieutenant hingegen trat einen Schritt vor, sein Blick haftete auf dem noch immer regungslosen Tentakel, der wie ein gewaltiger Schlagstock aussah. Einen Augenblick lang herrschte Totenstille, und niemand rührte sich vom Fleck; alle starrten nur wie gebannt auf den nach außen hin bewußtlos wirkenden Patienten. Schließlich blickte Conway Prilicla fragend an; er mußte ihm erst gar nichts sagen.

„Ich nehme emotionale Ausstrahlungen wahr, die nur von einem Verstand herrühren können, der sich seiner selbst bewußt ist. Die Gehirnströme selbst sind relativ träge und in Anbetracht der körperlichen Größe des Patienten recht schwach. Im einzelnen strahlt er Gefühle der Angst, Hilflosigkeit und Verwirrung aus; trotzdem gibt es auch Hinweise auf eine gewisse Entschlußkraft.“

Conway seufzte.

„Also simuliert er nur“, murmelte der Lieutenant grimmig vor sich hin.

Der Umstand, daß der Patient die Bewußtlosigkeit nur vortäuschte, scherte Conway weniger als den Monitor. Trotz der vielen ihm zur Verfügung stehenden Diagnosegeräte war er der festen Überzeugung, daß bei der Bekämpfung einer Krankheit und für eine erfolgreiche Behandlung ein gesprächsbereiter und mitarbeitender Patient die beste Hilfe für einen Arzt war. Aber wie sollte man ein Gespräch mit einem Wesen beginnen, das fast eine Gottheit war.?

„Wir. wir wollen Ihnen helfen“, stammelte er verlegen. „Verstehen Sie,

was ich sage?“

Wie zuvor blieb der Patient vollkommen regungslos.

„Es gibt keinerlei Anzeichen, daß er Sie hören kann“, bemerkte Prilicla.

„Aber wenn er bei Bewußtsein ist, dann.“, begann Conway, unterbrach den Satz aber mit einem hilflosen Achselzucken.

Er bereitete wieder seine Instrumente vor. Diesmal untersuchte er den EPLH aber mit Priliclas Unterstützung, wobei seine besondere Aufmerksamkeit den Seh- und Hörorganen galt. Während der Untersuchung gab es jedoch trotz des grellen Lichts und des häufigen Einsatzes verschiedenster Sonden keinerlei physische oder emotionale Reaktionen seitens des Patienten. Bei keinem der Sinnesorgane konnte Conway irgendwelche Fehlfunktionen feststellen, und dennoch schien der EPLH auf sämtliche äußere Reize in keiner Weise zu reagieren. Körperlich schien er bewußtlos zu sein und nichts von dem mitzubekommen, was um ihn herum geschah — Prilicla aber behauptete das Gegenteil.

Was für ein verrückter Halbgott! Ein total verdrehter Typ! fluchte Conway in Gedanken. Es war typisch O’Mara, stets ihm die schrägsten Vögel im Hospital anzuvertrauen. Laut sagte er: „Die einzige Erklärung, die ich für diese merkwürdige Geschichte hab, ist die, daß die von Ihnen empfangenen geistigen Strahlungen von einem Gehirn stammen, dessen Kontakt zu sämtlichen sensorischen Organen abgeschnitten oder blockiert ist. Ursache dafür ist aber nicht der körperliche Zustand des Patienten, folglich muß es sich um ein psychologisches Problem handeln. Ich würde meinen, das Wesen bedarf dringend psychiatrischen Beistands.

Trotzdem sollten wir uns zunächst darauf konzentrieren, die erkrankten Hautstellen zu behandeln“, fuhr er nach einer kurzen Denkpause fort, „zumal unsere Seelenklempner mit einem körperlich gesunden Patienten sehr viel mehr anfangen können als mit einem erkrankten.“

Im Orbit Hospital war längst ein Mittel gegen die Form von Epitheliomie entwickelt worden, an der der Patient erkrankt war, und die Pathologie hatte bereits verlauten lassen, es sei auch für den Metabolismus des EPLH

geeignet und habe bei vorschriftsmäßiger Anwendung keine schädlichen Nebenwirkungen. Conway brauchte nur wenige Minuten, um eine erste Testdosis abzumessen und subkutan zu injizieren. Prilicla begab sich rasch an seine Seite, um den Patienten besser sehen zu können. Wie beide wußten, handelte es sich hierbei um eines der seltenen „Wundermittel“, dessen Wirkung innerhalb weniger Sekunden eintrat.

Aber nach zehn Minuten war noch immer nichts zu sehen.

„Ganz schön zäher Bursche“, murmelte Conway und injizierte daraufhin die maximal zulässige Dosis.

Fast im selben Augenblick nahm die betroffene Hautstelle eine dunkle Färbung an und verlor ihr trockenes, brüchiges Aussehen. Die dunkle Stelle breitete sich zusehends aus, und einer der Tentakel zuckte leicht.

„Was sagt sein Verstand?“ fragte Conway.

„Fast genau dasselbe wie vorher“, antwortete Prilicla, „allerdings kann ich seit der letzten Injektion zunehmende Besorgnis bei dem Patienten feststellen, und er strahlt Gefühle aus, als fasse er irgendeinen Entschluß. irgendeinen Entschluß.“

Prilicla begann heftig zu zittern; ein eindeutiges Indiz dafür, daß die emotionale Ausstrahlung des Patienten stärker geworden war. Conway setzte gerade zu einer Frage an, als ein scharfes, reißendes Geräusch seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf den Patienten lenkte. Der EPLH zerrte und riß an den Gurten, mit denen seine Tentakel an den OP-Tisch gefesselt worden waren. Zwei Riemen waren bereits aus ihren Verankerungen gerissen worden, und der EPLH hatte jetzt einen Tentakel völlig frei — und zwar ausgerechnet den mit der Keule.

Conway konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, denn die Keule — das „Nonplusultra“ aller stumpfen Waffen — hätte ihm fast den Kopf abgeschlagen, verfehlte ihn aber um Haaresbreite. Der Lieutenant hatte allerdings weniger Glück: Der knöcherne Streitkolben krachte am Ende der ausholenden Bewegung mit aller Gewalt gegen seine Schulter und schleuderte ihn mit solcher Wucht quer durch den Raum, daß er von der gegenüberliegenden Wand fast wieder ins Zimmer zurückprallte. Prilicla, dessen angeborene Feigheit lebensnotwendig war, haftete bereits dank seiner mit Saugnäpfen versehenen Füße an der Decke, dem einzig sicheren Zufluchtsort im ganzen Raum.

Conway lag flach auf dem Boden und hörte nur, wie weitere Riemen zerrissen wurden. Dann sah er, daß ein zweiter und ein dritter Tentakel umherzutasten begannen. Er wußte, daß sich der Patient binnen weniger Minuten völlig befreit haben würde und sich dann nach Belieben im Raum bewegen könnte. Sofort robbte er ein Stück näher an den OP-Tisch heran, ging in die Hocke und sprang mit einem gewaltigen Satz auf den mittlerweile wild um sich schlagenden EPLH zu. Es gelang ihm, den Körper des Patienten direkt unterhalb der Tentakel fest zu umfassen, wobei er von den bellenden Geräuschen des EPLH fast taub wurde, denn sein Kopf lag direkt neben dessen Sprechöffnung. Das Bellen wurde als „Helft mir! Helft mir!“ übersetzt. Gleichzeitig sah Conway die Tentakelkeule krachend nach unten fahren — dort, wo er nur wenige Sekunden zuvor noch gelegen hatte, hinterließ der mächtige Schlag ein etwa fünf Zentimeter tiefes Loch im Boden.

Den Patienten auf diese Weise anzugreifen mochte auf den ersten Blick tollkühn erscheinen, aber Conway hatte seine Entscheidung durchaus überlegt getroffen, denn nur indem er sich unterhalb der wild um sich schlagenden Tentakel festklammerte, befand er sich außerhalb deren Reichweite, und somit war dieser unwirtliche Platz für ihn die sicherste Stelle im Raum.

Dann sah der den Lieutenant.

Halb liegend, halb sitzend kauerte der Lieutenant mit dem Rücken zur Wand auf dem Boden. Sein linker Arm baumelte kraftlos herab. In der rechten Hand hielt er eine Pistole, die er zwischen den Knien stabilisierte. Während er am Lauf entlang mit dem einen Auge das Ziel ins Visier nahm, war das andere heimtückisch zusammengepreßt.

Conway forderte den Monitor verzweifelt auf, noch nicht zu schießen, aber sein lautes Flehen ging in dem vom Patienten verursachten Lärm völlig unter. Jeden Augenblick erwartete er das Knallen der Schüsse und das Einschlagen der Kugeln. Er war vor Angst wie gelähmt und konnte sich nicht einmal loslassen.

Dann war plötzlich alles vorbei. Der Patient fiel auf die Seite, zuckte zusammen und blieb regungslos liegen.

Der Lieutenant steckte seine unbenutzte Pistole wieder ins Halfter und rappelte sich hoch. Conway befreite sich von dem Patienten, und Prilicla krabbelte wieder von der Decke herunter.

„Mhm, ich nehme an, Sie wollten nicht schießen, solange ich noch an dem Patienten hing, stimmt’s, Lieutenant?“

Der Monitor schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin eigentlich ein guter Schütze, Doktor, und hätte ihn auch treffen können, ohne Sie zu gefährden. Aber er schrie die ganze Zeit „Helft mir! Helft mir“, und so etwas geht einem ganz schön unter die Haut.“

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