23. Kapitel

Früher war es einmal die Anmeldezentrale der Aufnahmestation gewesen, in der sich drei flinkzüngige Nidianer mit den manchmal komplexen Schwierigkeiten befassen mußten, Patienten aus ihren Ambulanzschiffen herauszuholen und in das Hospital hineinzubringen. Jetzt handelte es sich um das Hauptquartier des Oberkommandos, in dem zwanzig Offiziere des Monitorkorps nervös in Kehlkopfmikrofone murmelten, während ihre Augen an den Bildschirmen hafteten, die den Feind in allen Vergrößerungsgraden von null bis fünfhundert zeigten. Auf zweien der drei Hauptschirme waren Teile der feindlichen Flotte abgebildet, und diese Darstellungen wurden teilweise durch geisterhafte Linien und geometrische Figuren überlagert, durch die ein taktischer Offizier vorauszusagen versuchte, welchen Schritt die feindliche Flotte als nächstes unternehmen würde. Der dritte Bildschirm stellte eine Weitwinkelaufnahme der Außenwand des Hospitals dar.

Eine Rakete schoß wie eine entfernte Sternschnuppe heran, erzeugte beim Aufprall einen kleinen Blitz und warf eine winzige Trümmerfontäne auf. Das reißende, metallische Krachen, das durch den Raum widerhallte, stand jedoch in keinem Verhältnis zum Bild.

Dermod sagte: „Die haben sich aus der Reichweite der schweren Waffen, die wir außen am Hospital angebracht haben, zurückgezogen und feuern jetzt Raketen auf uns ab. Das ist eine Zermürbungstaktik, mit der sie uns verunsichern wollen, bevor sie zum eigentlichen Hauptangriff übergehen. Denn ein Gegenangriff durch unsere restliche mobile Streitmacht hätte nur deren völlige Zerstörung zur Folge. Sie ist dem Feind zahlenmäßig so stark unterlegen, daß sie nur wirkungsvoll operieren kann, wenn sie von den Verteidigungsanlagen am Hospital unterstützt wird. Deshalb haben wir gar keine andere Wahl, als in der gegenwärtigen Kampfphase die Raketen so gut wir können zu schlucken und unsere Kräfte zu sparen, bis wir.“

„Welche Kräfte denn?“ fragte Conway wütend. O’Mara, der neben ihm stand, gab einen mißbilligenden Laut von sich, und von der anderen Seite des Schreibtischs musterte der Flottenkommandant Conway mit eisigem Blick.

„Wir können darüber hinaus mit leichten Angriffen durch schnelle, wendige Einheiten rechnen, die uns noch mehr verunsichern sollen“, sagte Dermod zu Conway, beantwortete damit aber nicht die Frage. „Die Verwundeten, die man Ihnen bringen wird, werden sich aus den zur Verteidigung des Hospitals eingesetzten Monitoren zusammensetzen, aus Besatzungsmitgliedern der Verteidigungsschiffe und vielleicht auch aus feindlichen Opfern. Und damit komme ich zu einem Punkt, den ich gerne klären würde. Sie scheinen sich ja um eine ganze Menge Verletzte des Feindes zu kümmern, Doktor, und dabei hatten Sie mir doch gesagt, daß Ihre Möglichkeiten bereits bis an die Grenzen ausgereizt seien.“

„Woher, zum Teufel, wollen Sie das wissen?“ fragte Conway. Dermods Gesichtsausdruck wurde noch eisiger, doch diesmal beantwortete er die Frage.

„Weil ich Berichte von Patienten hab, die nebeneinander liegen und feststellen, daß der andere Kauderwelsch redet. Und dabei handelt es sich wohlweislich um Patienten von derselben physiologischen Klassifikation. Welche Schritte gedenken Sie also zu unternehmen, um das.“

„Gar keine!“ unterbrach Conway ihn barsch. Er war plötzlich so zornig, daß er diesem kalten, gefühllosen Leuteschinder am liebsten an die Gurgel gegangen wäre und ein wenig Menschlichkeit in ihn hineingeschüttelt hätte.

Am Anfang hatte er Dermod gemocht. Damals hatte er ihn nicht nur für einen rücksichtsvollen und einfühlsamen, sondern auch für einen kompetenten Flottenkommandanten gehalten, doch während der letzten Tage war Dermod zur Verkörperung der blindwütigen, auf eiskalte Weise operierenden Streitkräfte geworden, die Conway und alle anderen im Hospital gefangenhielten. Seit dem Beginn des letzten Angriffs hatte man tägliche Besprechungen zwischen den militärischen und medizinischen Verantwortlichen angeordnet, und auf allen dreien hatte Conway feststellen müssen, daß er in zunehmendem Maße mit dem Flottenkommandanten aneinandergeriet.

Doch wenn Conway Dermod anschnauzte, schnauzte der Flottenkommandant keineswegs zurück. Dermod musterte ihn lediglich mit so starren und aus so großer Entfernung blickenden Augen, daß Conway jedesmal das Gefühl hatte, der Kommandant sähe ihn überhaupt nicht an. Es nützte auch gar nichts, als O’Mara Conway jetzt den leisen Rat gab, lieber den Mund zu halten und nicht so verteufelt empfindlich zu sein, weil Dermod schließlich einen Krieg zu führen habe und wirklich sein Bestes gäbe. Außerdem würden die Belastungen, denen er ausgesetzt sei, einen gewissen Mangel an Charme in seiner Persönlichkeit durchaus entschuldigen.

„Sicherlich behandeln Sie die feindlichen Verwundeten nicht genauso wie unsere eigenen.?“ fragte Dermod in frostigem Ton, gerade als Conway eingesehen hatte, daß er wirklich mehr Geduld mit diesem kaltblütigen Militaristen haben sollte.

„Es ist schwierig, den Unterschied zu erklären“, entgegnete Conway mit so ruhiger Stimme, daß O’Mara plötzlich beunruhigt aussah. „Irgendwelche feinen Abweichungen des Raumanzugdesigns haben für das Schwesternpersonal und mich keinerlei Bedeutung.

Und wenn, wie es häufig vorkommt, der Anzug und die Uniform darunter von uns weggeschnitten worden sind, dann ist die Uniform wegen der Blutung möglicherweise nicht mehr zu identifizieren. Schließlich sind die Orallaute, die Verwundete zwischen der Injektion von Betäubungsmitteln und dem Zustand der Bewußtlosigkeit von sich geben, nicht unbedingt leicht zu übersetzen. Und falls es irgendeine Methode geben sollte, den Unterschied zwischen einem Monitor und einem feindlichen Verwundeten durch deren Schmerzensschreie festzustellen, dann will ich darüber jedenfalls nichts wissen.“

Conway hatte zwar ruhig begonnen, doch mit dem letzten Satz war er fast beim Schreien angelangt.

„. ich werde zwischen den Verwundeten keine solche Unterscheidung treffen, und das werden meine Mitarbeiter ebenfalls nicht! Das hier ist schließlich ein Krankenhaus, verdammt noch mal! Oder glauben Sie das etwa nicht?“

„Immer mit der Ruhe, mein Junge. Natürlich ist es immer noch ein Krankenhaus“, versuchte ihn O’Mara mit sanfter Stimme zu beruhigen.

„Es ist aber auch ein Militärstützpunkt!“ wetterte Dermod los.

In einem verzweifelten Versuch, die Wogen zu glätten, warf O’Mara schnell ein: „Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, warum uns dieses verdammte Imperium nicht einfach mit atomaren Sprengköpfen erledigt.“

Die metallenen Echos eines erneuten Einschlags, diesmal weiter entfernt, hallten durch den Raum.

„Sie geben uns nicht mit einer Atombombe den Rest, weil sie eine Eroberung machen müssen, Major“, antwortete Dermod, dessen Augen immer noch direkt in Conways blickten. „Die beteiligten politischen Kräfte verlangen das. Das Imperium muß diesen Vorposten des verhaßten Feindes einnehmen und besetzen, der General des Imperators muß einen Triumph erringen und keinen Pyrrhussieg. Wenn er den Feind unterwirft und dessen Territorium erobert, dann kann er das für die Bürger des Imperiums wie einen Triumph aussehen lassen, ganz egal, wie klein das eingenommene Gebiet auch immer ist und um wie viele Gefangene es sich dabei handelt.

Wir selbst haben schwere Verluste erlitten“, fuhr Dermod kalt fort. „Ein Kampf im All bleibt nun einmal ein Kampf im All — nur zehn Prozent der Verwundeten überleben lange genug, um ins Krankenhaus eingeliefert werden zu können, und dabei haben wir noch das Glück, auf der Stelle über medizinische Behandlungsmöglichkeiten zu verfügen und zusätzlich eine starke Verteidigungsposition einnehmen zu können. Die Anzahl der feindlichen Verwundeten ist deshalb viel höher als bei uns — ich würde das Verhältnis auf zwanzig zu eins schätzen. Wenn die imperialen Streitkräfte uns also erst jetzt mit einer Nuklearrakete erledigen würden, obwohl sie schon ganz zu Anfang genau dasselbe ohne den Verlust eines einzigen Manns hätten tun können, dann würde man im Imperium doch einige sehr peinliche Fragen aufwerfen. Wenn nun der Imperator diese Fragen nicht beantworten kann, wird sich möglicherweise herausstellen, daß sich der Krieg und die ganze schöne, von ihm selbst entfachte Kriegsbegeisterung gegen ihn kehrt.“

„Warum verständigen wir uns nicht mit den imperialen Streitkräften?“ unterbrach ihn Conway in barschem Ton. „Erzählen Sie den Leuten die Wahrheit über uns, und berichten Sie von den Verwundeten hier. Oder rechnen Sie jetzt etwa immer noch damit, diesen Kampf hier zu gewinnen? Warum also ergeben wir uns nicht einfach.?“

„Wir können uns nicht mit denen verständigen“, erwiderte der Kommandant in schneidendem Ton, „weil sie uns nicht zuhören werden. Und falls sie uns doch zuhören sollten, werden sie uns kein Wort glauben.

Denn diese Leute wissen — oder glauben zu wissen —, was wir auf Etla getan haben und welche Dinge wir hier angeblich treiben. Da nützt es überhaupt nichts, denen zu erklären, daß wir den Einheimischen auf Etla wirklich geholfen haben und leider dazu gezwungen waren, unser Hospital zu verteidigen. Kurz nachdem wir Etla verlassen hatten, ist der Planet von einer ganzen Reihe von Seuchen heimgesucht worden, und diese Einrichtung hier verhält sich in deren Augen schließlich längst nicht mehr wie ein harmloses Hospital — das heißt, natürlich nur nach außen hin. Was wir denen erzählen, spielt überhaupt keine Rolle. Das einzige, was zählt, sind unsere Taten, und die entsprechen genau den Erwartungen, die ihnen der Imperator eingetrichtert hat.

Wenn die Soldaten des Imperiums wirklich mal nachdächten, dann würden sie sich schon über die große Zahl von ETs wundern, die uns helfen“, fuhr Dermod wütend fort. „Ihrer Überzeugung nach gehören unsere ETs unterworfenen und geknechteten Spezies an und stellen für uns nur wenig mehr als Sklaven dar. Die Freiwilligen, die uns zu Hilfe geeilt sind, kämpfen natürlich nicht wie Sklaven, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist so etwas zu subtil, um irgendeinen Eindruck zu machen. Die imperialen Streitkräfte denken nicht logisch, sondern rein gefühlsmäßig.“

„Und ich denke ebenfalls gefühlsmäßig!“ unterbrach Conway ihn scharf. „Ich denke an meine Patienten. Die Stationen sind völlig überfüllt. Die Verwundeten liegen überall in irgendwelchen Winkeln und auf den Korridoren herum und sind nicht einmal ausreichend gegen Druckverlust geschützt.“

„Sie sind überhaupt nicht mehr in der Lage, an irgendwas anderes zu denken als an Ihre Patienten“, schnauzte Dermod zurück. „Es überrascht Sie vielleicht zu hören, daß ich ebenfalls an die Patienten denke, aber ich versuche wenigstens, dabei nicht so gefühlsduselig zu sein. Wenn ich nämlich erst einmal so denken würde wie Sie, dann werde ich bald auch vor Wut schäumen und anfangen, den Feind zu hassen. Und bevor ich es überhaupt merken würde, wäre ich auf pure Rache aus.“

Ein erneuter Einschlag dröhnte wie ein lauter, disharmonischer Gongschlag durch das Hospital. Der Kommandant wurde lauter und immer lauter.

„. Sie müssen wissen, das Monitorkorps ist die Polizei für den größten Teil der bewohnten Galaxis und erhält den Frieden im Einflußbereich der Föderation aufrecht, um die ständige Anwendung der psychologischen und sozialen Wissenschaften zu sichern. Kurz gesagt, um sowohl die Meinung des Individuums als auch die der Gesamtbevölkerung eines Planeten zu formen und in eine auf gegenseitigen Respekt und Toleranz basierende Richtung zu lenken. Die Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden, könnte ich also gut für meine Rachegelüste ausnutzen — eine tapfere Schar von Monitoren und Ärzten hält den brutalen, nicht enden wollenden Angriffen eines haushoch überlegenen Feindes stand. Doch selbst dann würde die Föderation lange brauchen, um so wütend zu werden, daß sie für den Krieg mobil machen würde — und zwar viel zu lange, als daß es uns persönlich noch irgend etwas bringen würde. Aber stellen Sie sich nur mal vor, wie man uns rächen würde, Doktor.!“

Dermods Stimme zitterte jetzt und sein Gesicht war vor Wut kreidebleich und verkniffen. Er schrie:

„In einem interstellaren Krieg kann man keine Planeten einnehmen, Doktor. Man kann sie nur sprengen. Wir würden dieses miese kleine Imperium mit seinen vierzig Planeten unschädlich machen, vernichten, vollkommen ausradieren.!“

O’Mara sagte nichts. Conway konnte weder etwas sagen, noch die Augen von Dermod abwenden, um die Reaktion des Chefpsychologen auf diesen Gefühlsausbruch mitzubekommen. Einen derartigen furchterregenden Wutausbruch des Kommandanten hatte Conway nicht für möglich gehalten, und er erschrak plötzlich. Denn er war nicht nur auf O’Maras, sondern gerade auch auf Dermods gesunden Verstand und Selbstbeherrschung angewiesen, so sehr ihm das gegen den Strich ging.

„Aber das Monitorkorps ist ja die Polizei, erinnern Sie sich noch?“ tobte Dermod weiter. „Wir versuchen, das ganze als eine Unruhe, als einen Aufstand von interstellarer Größenordnung zu betrachten, bei dem die Anzahl der verwundeten Aufruhrer die der verwundeten Polizisten wie üblich übersteigt. Ich persönlich glaube, der Zeitpunkt, an dem unser Gegner durch irgendwelche Informationen oder durch irgend etwas anderes noch die Wahrheit erkennt, ist längst vorbei, und ein ausgewachsener Krieg ist nun unvermeidbar. Aber ich will unsere Feinde trotzdem nicht hassen. Und das, Doktor, ist der Unterschied zwischen der Aufrechterhaltung des Friedens und dem Führen eines Krieges.

Und ich will auch keine heulenden, engstirnigen Ärzte haben, die sich über nichts anderes Sorgen zu machen brauchen, als über ihre Patienten, und die mich dauernd an die fürchtbaren Todesarten meiner Männer erinnern. Diese Ärzte versuchen mich dahin zu bringen, meinen Blick für das richtige Verhältnis der Dinge zu verlieren und Lebewesen zu hassen, die sich von uns nur dadurch unterscheiden, daß man sie falsch informiert hat.

Und es ist mir schnurzegal, ob Sie die Verwundeten des Feinds und des Monitorkorps auf die gleiche Art behandeln, Doktor“, brüllte Dermod weiter, weil es ihm nicht gelang, die Stimme zu senken, „aber Sie werden mir wenigstens zuhören, wenn ich Anweisungen bezüglich der Patienten gebe. Das hier ist schließlich ein militärischer Stützpunkt, und bei den Patienten handelt es sich um Feinde! Man muß Vorkehrungen treffen, daß die bewegungsfähigen Patienten keine Möglichkeit zur Sabotage haben. Haben sie das jetzt verstanden, Doktor?“

„Ja, Sir“, antwortete Conway kleinlaut. Als er ein paar Minuten später zusammen mit O’Mara die Kommandozentrale verließ, hatte er immer noch ein Gefühl, als hätte man ihm die Ohren langgezogen. Ihm war jetzt klar, daß er den Flottenkommandanten völlig falsch beurteilt hatte. Eigentlich hätte er sich für seine ungerechten Vorwürfe bei Dermod entschuldigen müssen, denn unter der eiskalten Schale verbarg sich ein guter Mensch.

Plötzlich sagte O’Mara, der neben ihm ging: „Ich sehe es immer recht gerne, wenn diese kalten, beherrschten Typen gelegentlich mal Dampf ablassen. Denn wenn man an die Belastungen denkt, unter denen Dermod zur Zeit steht, ist das psychologisch gesehen durchaus wünschenswert. Ich bin froh darüber, daß Sie ihn zum Schluß wütend gemacht haben.“

„Und was ist mit mir?“ fragte Conway.

„Sie haben sich einfach nicht unter Kontrolle, Doktor“, antwortete O’Mara streng. „Trotz Ihrer neuen Machtbefugnisse, wegen der Sie eigentlich ein Beispiel an Toleranz und gutem Benehmen geben sollten, haben Sie sich wie ein kleines Kind aufgeführt. Passen Sie bloß auf, Doktor!“

Eigentlich hatte Conway von O’Mara Mitleid erwartet, weil Dermod ihn so zur Schnecke gemacht hatte, und auch ein wenig Verständnis, da er derzeit so unter Druck stand, auf keinen Fall aber hatte er mit Kritik aus dieser Ecke gerechnet. Als O’Mara kurz darauf in Richtung seines Büros abbog, war Conway noch immer so wütend, daß er darauf nichts zu erwidern wußte.

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